Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

87 VII.

Am nächsten Mittag ritt der Freiherr von Rungholt mit seinem Sohne dem heimischen Gute zu. Es war ein düsteres Novemberwetter, und schwere Wolken lagen über der stahlfarbenen See, an deren Strand der Weg eine Weile führte; ein scharfer Wind blies den Reitern um die Ohren, so daß sie Mühe hatten, mit ihren Pferden vorwärts zu kommen. Schweigend ritten sie Seite an Seite; nachdenklich sah der Freiherr auf den Öresund, dessen kurze Wellen dumpf an den Strand schlugen, und blickte scharf nach den Schiffen hinüber, die hier und dort vor Anker lagen und sich mit den Wellen hoben und senkten.

»Es liegt kein fremdes Schiff hier vor Anker!« sagte er endlich zu seinem Sohne.

Dieser fuhr aus tiefem Sinnen auf.

»Die fremden Fahrzeuge kommen seltener, seitdem der Sundzoll erhöht ist,« antwortete er.

Freiherr von Rungholt schüttelte den Kopf.

»König Christian ist nicht gut beraten, wenn er jetzt den Fremden Schwierigkeiten bereitet. Auch der Kaiser grollt ihm wegen der Grafschaft Pinneberg, in die der König und der Herzog von Gottorp sich geteilt haben, ohne ihn zu fragen, und wenn die Schweden nichts mehr in Deutschland zu plündern finden, werden sie zu uns kommen.«

88 »Wir stehen sehr gut mit Schweden!« versicherte Kajus, »das wird Euch jeder am Hofe versichern. Früher mag's anders gewesen sein, aber seitdem Uhlfeld das Regiment führt, benimmt sich Oxenstirn mit großer Freundlichkeit.«

»Nun, mag es wahr sein!« murmelte Freiherr von Rungholt und versank wieder in Schweigen, während Kajus leise vor sich hinsprach:

»Phyllis wohnet mir im Herzen,
Und ihr süßer Nam' macht mir
Manches Mal gar arge Schmerzen,
Daß ich mich darin verlier.
Soll ich sie nicht wiedersehn,
So ist es um mich geschehn!«

Er sagte das Verschen wohl zwanzigmal. »Ich hab's von Gosche Krogh abgeschrieben,« dachte er vergnügt, »aber meine holdselige Jungfrau wird es nicht kennen, da keiner der Junker es bisher geliehen hat. Auch veränderte Gosche etliche Worte, und ich finde es jetzt hübscher, als da, wo es gedruckt steht!«

Der Freiherr warf manchen nachdenklichen Blick auf seinen Sohn. Nach den Jahren ihrer Trennung fand er ihn nicht allein äußerlich, sondern auch innerlich verändert. Aus dem scheuen, ernsthaften Knaben, der die ersten Jahre am Hofe mit viel Heimweh zu kämpfen hatte, war ein stattlicher, freundlicher Mann geworden, der das Leben sorglos auffaßte und genoß. Korfiz Uhlfeld und seiner Gemahlin treu ergeben, ließ er sich von dem mächtigen Ehepaar ganz beeinflussen, ihre Anschauungen waren die seinen, und 89 getragen von ihrer Gunst, kam es ihm selbst vor, als stände er über vielen andern. Frau Eleonore war ihm immer gewogen geblieben und hatte ihn schon als Pagen zu manchen schwierigen Missionen benutzt, die er, dank seiner Treue und Verschwiegenheit, immer gut ausführte. Auch der Reichshofmeister würdigte ihn seines Vertrauens, sandte ihn bald hier-, bald dorthin in wichtigen Sachen zu den Häuptern des dänischen Adels, und so hatte Kajus in seinem Auftreten eine Sicherheit erlangt, die ihm von manchem Kameraden beneidet wurde. Nur im Verkehr mit Frauen war er schüchtern, fast blöde, und mancher kecke, geistig unbedeutende Junker errang mehr Erfolge bei den lieblichen Hoffräulein als er. Früher war ihm dies sehr kränkend gewesen, seit aber Gude von Thienen kam und ihm ihre Gunst zuwendete, fühlte er sich unbeschreiblich glücklich, denn er liebte sie mit der ganzen Glut eines jungen reinen Herzens, und wie er dahinritt, die Rechte in die Seite gestemmt, vom Winde umbraust, hörte er im Hufschlag seines Pferdes, im Rauschen der Wellen Gudes Stimme und ihr Lachen, er sah ihre blauen Augen, ihr goldenes Haar. »Sollt' ich sie nicht wiedersehn, so ist es um mich geschehn!« flüsterte er wieder und wieder und spornte sein Tier so heftig an, daß der Freiherr sich Mühe geben mußte, an seiner Seite zu bleiben. Doch der ältere Rungholt ertrug diese Windeseile mit Ruhe. Das Wesen seines Sohnes gefiel ihm, weil es ihn an seine eigene Jugend erinnerte, und war ihm auch noch manches fremd an dem zum Manne Gereiften, so kümmerte ihn das nicht viel. Man war damals nicht gewohnt, sich eingehend mit anderen zu 90 beschäftigen; die eigene Existenz war immer die Hauptsache.

Die Sonne wollte untergehen, als Vater und Sohn durch den blätterlosen Buchenwald ritten, der zum Gute Holleby gehörte, und Kajus verspürte, daß sein Herz vor Freude klopfte, als das moosbewachsene Ziegeldach des Herrenhauses von einer Lichtung aus sichtbar wurde. Ein lange unterdrücktes Heimatsgefühl erhob sich in ihm, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er dachte, wie schön es sein würde, mit seiner Gude einst hier zu wohnen, im Frieden des Landlebens, und wie gut und liebevoll er gegen seinen Bruder sein wollte. Er sollte es nie spüren, daß er nicht der Herr auf Holleby sei; einig und treu wollten sie miteinander leben.

Geräuschlos schritten die Pferde dahin auf dem weichen Waldboden, die letzten Sonnenstrahlen glitten über die dürren, am Boden liegenden Blätter, und ein verlassenes Vögelchen zirpte halb verwundert die Reiter an, als diese plötzlich die Tiere anhielten. Sie mochten etwa noch eine Viertelstunde von Holleby entfernt sein, aber, den Wind übertönend, der in den Bäumen rauschte, zitterte es klagend durch die Luft. Ein, zwei, drei Schläge, dann rascher werdend, und jetzt klang es deutlich herüber: es war die Sterbeglocke von Holleby! Wortlos sahen sich die beiden Rungholt an; beide wußten, daß diese Glocke nur für die Mitglieder der freiherrlichen Familie geläutet wurde, und Kajus kannte den Klang; nur einmal, als ein eben geborenes Schwesterchen wieder gestorben war, hatte er ihn gehört, um ihn niemals wieder zu vergessen.

91 Einen Augenblick schien es, als wenn der Freiherr seinem Pferde die Sporen geben und dem Hofe zujagen wollte, doch er besann sich eines andern. Er sprang aus dem Sattel, kniete auf die feuchte Erde und betete laut ein Vaterunser für die Seele, die vor ihren Gott trat, und Kajus warf sich mit gefalteten Händen neben ihn. Aber seine Gedanken weilten nicht bei dem Gebet, in seinem Herzen schrie es nur: »O Gott, laß nicht meinen Bruder gestorben sein!« und verwirrten Blickes sah er auf, als mit schwerem Flügelschlag ein Rabe hart über seinem Kopfe dahinstrich, um mit heiserem Krächzen im Walde zu verschwinden. Erschreckt barg der Junker sein Antlitz in den Händen; hatte Hinnerk doch recht gehabt, und war die Mutter im Bündnis mit dem Bösen gewesen, daß ihre Seele jetzt in Gestalt jenes düsteren Vogels in die Ferne flog?

Er betete noch hastig ein Vaterunser, ehe er sein Pferd wieder bestieg, aber im Grunde seines Herzens fühlte er sich beruhigt, da er fest davon überzeugt war, daß seine Stiefmutter gestorben war. Als wenige Minuten später die dampfenden Rosse auf dem Hofplatz zu Holleby hielten und der Vogt mit gesenktem Kopfe seinem Herrn die Mitteilung machte, daß die Freifrau nach längerer Krankheit soeben verschieden wäre, durchschauerte es den jungen Mann unwillkürlich, und er blickte ängstlich zu einer Schar Raben empor, die sich mit großem Geschrei auf den First des Herrenhauses niederließen. Der Freiherr, der keine Ahnung davon hatte, daß seine Frau krank war, blieb in tiefe Gedanken verloren stehen, ehe er das Herrenhaus betrat. Er war nicht der Mann, Gefühle 92 zu zeigen, wo er deren nicht empfand, aber diese plötzliche Todesbotschaft erschütterte ihn. Er hatte seine zweite Gemahlin nur vorübergehend geliebt, aber er mußte sich gestehen, daß er in den letzten Jahren die Pflichten gegen sie vernachlässigt und wenig Geduld mit ihren Fehlern gezeigt hatte.

Während Kajus achtungsvoll neben seinem Vater stehen blieb und nur verstohlene Blicke um sich warf, trat aus der Tür des Herrenhauses ein schlanker junger Mann in kostbarer Kleidung, der sich langsam dem Freiherrn näherte. Er hatte ein feines, hübsches Gesicht, und lange blonde Locken fielen ihm auf den gestickten Kragen. Leicht und gewandt verneigte er sich vor Rungholt.

»Verzeiht, edler Herr,« sagte er in sanftem lispelndem Dänisch, »daß ich Euch nicht eher entgegenkam, doch erwartete ich Euch erst morgen, da ich heute den Eilboten nach Kronenburg sandte, Euch von dem traurigen Zustande hier zu melden!«

Erstaunt blickte Rungholt den Sprecher an; vielleicht wollte er ein Wort über die Zungengeläufigkeit desselben äußern, aber Kajus ließ ihn nicht dazu kommen. Mit einem nur mühsam unterdrückten Freudenschrei schlang er beide Arme um den Hals des Bruders.

»Klemi, wie schön und groß du geworden bist!« Aber schon entwand sich Klemens seiner Umarmung.

»In sieben Jahren kann man schon ein Stücklein wachsen, Herr Bruder!« entgegnete er kühl, »das ist nicht weiter verwunderlich! – Darf ich Euch nicht ins Haus führen?« wandte er sich wieder seinem Vater zu.

93 »Sage mir erst, wie deine Mutter so rasch hat sterben können!« rief dieser, und seine Stimme klang rauh.

»Sie kränkelte schon seit langer Zeit, und der Medikus, den wir öfters holen ließen, meinte, es käme von der Leber. Auch ist sie in den letzten Jahren immer sehr gelb gewesen!« berichtete der Junker ruhig, ohne eine Spur von schmerzlicher Erregung.

»Du warst ihr Augapfel!« sagte der Freiherr, und in seinem Tone lag Verachtung, als er sich von seinem jüngsten Sohne abwandte und dem Hause zuschritt. Dieser zuckte zusammen, und eine scharfe Röte flog über sein schönes Gesicht, aber er erwiderte kein Wort. Schweigend folgten die Brüder dem Vater, der die Halle des Herrenhauses mit dem Hut in der Hand betrat und durch das daranstoßende Wohngemach in das Schlafzimmer der Freifrau ging.

Die Vorhänge der Fenster waren herabgelassen, nur zwei Wachslichter brannten in dem dunklen Raum, in dessen Mitte das große geschnitzte Bett seiner Gemahlin stand.

Die dichten Gardinen desselben waren zurückgeschlagen, und der bleiche Kerzenschein fiel auf die regungslose Gestalt der Toten. Düster und hart waren die erstarrten Züge, kein Ausdruck des Friedens lag auf ihnen, und mit leisem Schauder trat Kajus an die Seite seines Vaters, der sich anschickte, am Totenbette niederzuknien, als ein Geräusch in der äußersten Ecke des Zimmers ihn emporblicken ließ. Rasch nahm der Freiherr eine Wachskerze vom Tische, um dorthin zu leuchten, und mit einem gedämpften Ausruf des Erstaunens trat er einige Schritte zurück.

94 »Ihr hier, Herr von Zoppelow?« rief er, seine Gestalt hoch aufrichtend. »Was habt Ihr zu suchen im Zimmer der Toten?«

Es war in der Tat Herr von Zoppelow, der sich mühsam aus einer von einem Eichenschrank und der Fensterwand gebildeten Ecke herauszwängte. Da er in den letzten Jahren bedeutend an Leibesfülle zugenommen hatte, so war es fast ein Wunder, daß er in diesem kleinen Raum Platz gefunden, und Kai unterdrückte kaum ein Lächeln, als er das dicke rote Antlitz des Mecklenburgers mit einem schwer zu beschreibenden Ausdruck der Verwirrung in den Lichtschein treten sah. Aber der Freiherr bewahrte seinen ruhigen Ernst. Mit ausgestreckter Hand, ohne ein Wort zu äußern, deutete er auf die Tür, und Zoppelow verschwand, augenscheinlich erleichtert, so guten Kaufes davongekommen zu sein. Dann wandte sich Freiherr von Rungholt Kajus zu.

»Du mußt später hier dein Gebet verrichten,« sagte er rasch und leise. »Jetzt sorge, daß der Eindringling die Halle nicht verläßt, ehe ich mit ihm redete.«

Mit fast unhörbaren, aber geflügelten Schritten huschte Kajus dem Davongehenden nach. Er war nicht unzufrieden, aus dem Sterbezimmer entlassen zu sein, da er doch die feste Überzeugung besaß, daß Gebete für die Seele seiner Stiefmutter nichts nützen würden. Als er die Halle betrat, wollte Zoppelow sie gerade verlassen; er trug einen Mantelsack in der Hand und schien die Absicht zu haben, im nächsten Augenblicke auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Ein böser Zug legte sich auf sein Gesicht, als der Junker 95 ihn höflich aufforderte, bis zur Ankunft seines Vaters bei ihm zu verbleiben.

»Ich brauche Euern Vater nicht!« rief er heftig. »Die Frau von Rungholt war meine Cousine, und da ihr Gemahl sie schmählich vernachlässigte, so drückte ich ihr die Augen zu. Der Allmächtige wird mir mein Tun segnen!«

»Wir wollen's hoffen,« erwiderte Kajus. »Und nun, lieber Herr, setzt Euch ruhig hierher, – bald wird der Freiherr erscheinen, um mit Euch zu sprechen!«

Zoppelow schien nicht übel Lust zu haben, sich Kais Aufforderung zu widersetzen, aber ein Blick auf dessen kräftige Gestalt ließ ihn dann widerstrebend gehorchen. Brummend warf er sich auf einen hochlehnigen Stuhl, zog seinen Mantelsack unter die Füße, und verharrte dann in hartnäckigem Schweigen, obwohl Kajus verschiedene Male ein Gespräch anzuknüpfen versuchte.

Es dauerte lange, ehe Rungholt und Klemens, der mit dem Vater im Sterbezimmer geblieben war, zurückkehrten; endlich trat der Freiherr allein ein.

»Verzeiht, werter Herr,« sagte er mit leichtem Kopfneigen, »wenn ich Euch habe warten lassen, aber es gibt der Obliegenheiten viele, wenn ein Familienmitglied die Augen schließt.«

Zoppelow neigte den Oberkörper nach vorn, ohne sich indes von seinem Sitz zu erheben.

»Sicherlich habt Ihr viel Trauriges zu tun, Herr Freiherr,« sagte er, und seine Stimme klang heiserer als je. »Daher dürft Ihr Eure kostbare Zeit auch nicht mir widmen, und Ihr müßt gestatten, daß ich mich empfehle. Mein Pferd wird gesattelt, und Ihr werdet 96 verstehen, daß auch mir ein einsames Nachdenken erwünscht sein muß. Wer, wie ich, an dem Sterbelager einer frommen Cousine gestanden und ihr mit Liebe die Augen zudrückte, der empfindet das Bedürfnis, mit seinen Gedanken allein zu sein.«

Der Freiherr stellte sich dem Sprecher gegenüber und musterte scharf dessen ganze Erscheinung. Dann meinte er gleichmütig:

»Fern sei es von mir, Herr von Zoppelow, Eure frommen Betrachtungen stören zu wollen, auch biete ich Euch dazu mein Gastgemach an, in dem Ihr voraussichtlich schon manche Nacht geschlafen habt. Einen Verwandten der verstorbenen Freifrau kann ich nimmer an ihrem Sterbetage von dannen ziehen lassen, besonders nicht Euch, der Ihr mir doch noch erzählen sollt, weshalb Ihr Euer Angesicht in Dänemark wieder zeigen dürft!«

»Ich besitze eine Schrift mit Herrn Uhlfelds Namen und Siegel, die mir die Erlaubnis gibt, mich überall im dänischen Reiche aufzuhalten, und solltet Ihr Lust verspüren, noch einmal Hand an mich zu legen, so würde Euch das recht übel bekommen!« rief Zoppelow tückisch, die Füße unwillkürlich fester auf seinen Mantelsack setzend.

In des Freiherrn Gesicht stieg eine dunkle Röte empor.

»Schlimm genug,« entgegnete er, »daß die Zeiten in Dänemark sich so geändert haben; wäre ich Reichshofmeister, dürften solche Herren wie Ihr nicht über die Grenzen unseres Landes. Nicht, daß ich Euch für sehr gefährlich hielte; aber Herren, die im Mantelsack 97 fremdes Geschmeide mit sich führen, können dem Ansehen des adeligen Namens nicht förderlich sein.«

Zoppelow war leichenblaß geworden, und seine fleischigen Lippen bebten. Aber er nahm sich mühsam zusammen und wandte sich an Kajus, der neben der Tür stand und ein schweigender Zeuge dieser Unterhaltung war.

»Junker Rungholt,« sagte er mit zitternder Stimme, »Ihr seid Zeuge gewesen, wie der Reichshofmeister und seine Gemahlin vor wenigen Wochen mir ihre Huld bewiesen, Ihr wißt –«

»Gebt den Sack heraus!« unterbrach ihn der Freiherr zornig, und als der Mecklenburger, anstatt zu gehorchen, mit lauten Verwünschungen antwortete, trat Rungholt an die Haustür, um seine Knechte zu rufen. Kaum näherten sich einige Gestalten, als Zoppelow allen Widerstand aufgab und seinen Mantelsack hervorzog. »Eure Gemahlin war eine Ilewitz von Krassow,« rief er weinerlich, »meiner Urgroßtante leibliches Enkelkind. Konnte ich da nicht ein Halskettlein mit mir nehmen, das die Verstorbene mir stets versprach? Sie war geizig, sonst hätte sie es mir schon lange mit warmer Hand gegeben. Aber schlecht bin ich für meine Treue belohnt worden!«

Der Freiherr achtete nicht auf seine Worte; nachdem er den Knechten gewinkt, daß sie sich entfernen sollten, machte er eine befehlende Handbewegung, und Zoppelow mußte den Sack öffnen.

Beim Anblick seines Inhalts konnte Kajus ein helles Auflachen nicht unterdrücken, und selbst über seines Vaters ernstes Gesicht flog ein unwillkürliches Lächeln. Lauter Kleidungsstücke, wie sie zum Anzuge 98 einer vornehmen Frau gehören, seidene Gewänder, Hauben, Mäntel, Schürzen, ja sogar Unterkleider aus feinem Leinen waren in den Sack gepreßt und quollen in buntem Durcheinander aus ihm hervor. Zwischen ihnen, ungeschickt verborgen, lag ein Kästchen aus Ebenholz, und Rungholt ergriff es eilig. Als er es öffnete, blitzten ihm rote Steine entgegen, und er nickte leicht.

»Eure Liebe zu der eben verstorbenen Freifrau hat Euch verleitet, den Rubinschmuck meiner ersten Gemahlin an Euch zu nehmen; auch die Seidengewänder dort,« er wies auf den Inhalt des Sackes, »gehörten meiner vielbeweinten Marie, die, aus gutem Kieler Bürgerhause, mir eine stattliche Aussteuer ins Haus brachte. Ihr habt Euch also in Eurer Zuneigung getäuscht, Herr von Zoppelow, und außerdem vergessen, daß die Insel Seeland nicht das unglückliche Deutschland ist, wo jeder Glückssoldat nach Belieben stehlen kann.«

Ehe der Freiherr weiterreden konnte, wurde er durch den hastigen Eintritt seines jüngsten Sohnes unterbrochen, der sich mit großer Höflichkeit seinem Vater näherte.

»Verzeiht, edler Herr, daß ich Euch zu stören wage!« sagte er mit anmutiger Verneigung. »Draußen vor der Tür erlauschte ich einige Worte von Euch, die mir beweisen, daß Ihr im Begriffe seid, eine Ungerechtigkeit zu begehen. Diese Sachen sind allerdings von meiner im Herrn verstorbenen Mutter für Herrn von Zoppelow bestimmt gewesen, und es war sein gutes Recht, sie mitzunehmen.«

Des Freiherrn Gesicht ward sehr strenge.

99 »Wenn du an den Türen horchtest, dann wirst du auch erfahren haben, daß deine Mutter keine Befugnis hatte, diese Gegenstände, die von Rechts wegen Kajus gehören, zu verschenken!«

»Ganz recht, Herr Vater,« versetzte Klemens sanft mit niedergeschlagenen Augen, »die teure Frau Mutter ist im Unrecht gewesen; mit Schmerzen muß ich dies zugestehen; doch meine ich, daß sich Herr von Zoppelow nur aus Unwissenheit eines Versehens schuldig machte, wenn er Geschenke, die er in guter Meinung empfangen, mitnahm. Zürnet ihm deswegen nicht, edler Herr, er hat in dieser schweren Zeit treu zu uns gestanden.«

Es entstand eine Pause, und unentschlossen sah der Freiherr von seinem Sohn auf den Mecklenburger, dessen fettes Gesicht Erstaunen, gemischt mit unverhohlener Befriedigung, ausdrückte. Er schien zweifelhaft, ob er Klemens' Worten Glauben schenken sollte, als Kajus freundlich dazwischentrat.

»Es wird sich gewißlich so verhalten, wie mein teurer Bruder berichtet,« rief er, »und Herr von Zoppelow ist unschuldig an diesem Mißverständnis. Hab' ich doch selbst nicht einmal gewußt, daß meine selige Mutter so viel Schmuck und Tand besaß! Nun, ich hoffe, der werte Herr wird es mir nicht übel deuten, wenn ich die Erbstücke an mich nehme; vielleicht habe ich mehr Verwendung dafür als er!«

Auch der Freiherr mochte einsehen, daß es jetzt besser war, in höflichen Worten sein Bedauern über den Irrtum der soeben Verstorbenen auszusprechen 100 und Zoppelow aufzufordern, noch einige Tage auf Holleby zu verweilen. Aber auf seiner Stirn lag eine düstere Wolke, und als das Abendessen gebracht wurde, dem Kajus kräftig zusprach, aß er, seiner Gewohnheit entgegen, wenig, und seufzte öfters tief auf, so daß Zoppelow, dem die gute Laune bald wiederkehrte, sich bewogen fühlte, ihm tröstende Worte über den Verlust seiner Gattin zu sagen. Nach dem zweiten Becher Wein deutete er unverblümt darauf hin, daß es in Mecklenburg viele ledige Fräulein in seiner Familie gäbe, die sicherlich geneigt sein würden, den betrübten Witwer in seiner Einsamkeit zu trösten.


 << zurück weiter >>