Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

In der mit fürstlicher Pracht eingerichteten Kajüte des stolzen Orlogschiffes ›Dreifaltigkeit‹ saß König Christian von Dänemark, umgeben von den Reichsräten und seinem getreuen Adel. Er war alt geworden in den letzten Jahren; über seinem energischen Gesichte lag eine grämliche Wolke, und seine Augen blickten müde, während er dem Berichte eines Reichsrates lauschte, der ihm von der Einnahme Fehmarns genaue Meldung überbrachte.

»Also das kleine Eiland mußte der Feind mir auch nehmen!« rief er, unmutig seinen schneeweißen Knebelbart streichend. »Am liebsten jagte Herr Oxenstirn mich aus meinen Landen und setzte sich selbst in das warme Nest. Aber, beim Allmächtigen, ich werde ihm zeigen, daß der vierte Christian keine Zierpuppe ist und nicht mit sich spielen läßt!« Er schlug dröhnend mit der Hand auf den Tisch.

»Berichtet weiter, Herr Rosenkranz! Sagtet Ihr nicht, daß der Junker Rungholt auf unserem Schiffe angelangt wäre?«

»Er ist hier, Eure Majestät,« erwiderte der Reichsrat, ein dürrer Mann mit hochmütigem Gesicht. »Diesen Morgen hat ein Boot den Junker 190 hierhergebracht, und er will einen Tag und eine Nacht unterwegs gewesen sein.«

»Da er die Stellung unserer Flotte nicht kannte, so klingt diese Angabe nicht unwahrscheinlich!« entgegnete der König, dem der Ton des Zweifels in des Reichsrats Stimme nicht entging. »Führt den Junker her zu mir, ich werde ihn selbst befragen!«

Bald trat Kajus Rungholt, etwas humpelnd, aber sonst in aufrechter Haltung, vor den König.

Christian blickte den sich ehrfurchtsvoll Verneigenden prüfend an, dann nickte er ihm zu.

»Ihr scheint Euch brav gehalten zu haben, Junker Rungholt, und daß Ihr zu mir auf die Flotte kommt, anstatt mit Eurem Boote nach einer meiner Inseln zu segeln, das gefällt mir von Euch. Aber weshalb hattet Ihr so geringe Mannschaft auf Fehmarn? Konntet Ihr nicht ein Fähnlein auf Seeland auftreiben?«

»Es stand in meiner Order, daß ich allein auf die Insel gehen sollte, Eure Majestät,« versetzte Kajus bescheiden.

Der König runzelte die Stirn.

»Wer gab Euch die Order?«

»Ihro gräfliche Gnaden die Frau Eleonore Uhlfeld!«

»Zeigt mir das Papier!«

Kajus, der das Schriftstück immer bei sich führte, kam dem Befehle des Herrschers nach. Dieser warf einen kurzen Blick auf das Papier, murmelte einen Fluch, sagte jedoch kein Wort weiter und verlangte 191 von Kajus einen ausführlichen Bericht von dem Kampfe auf Fehmarn.

Als Kajus diesem Befehl entsprochen hatte, machte Christian eine gnädige Handbewegung.

»Es ist gut, lieber Junker, Ihr könnt gehen, und ich will Eurer nicht vergessen!«

Im Vorgemach des Königs stand der Reichsrat Rosenkranz und stellte sich Kajus in den Weg, als dieser an ihm vorüberschreiten wollte.

»Wie habt Ihr den Mörder meines Sohnes bestraft, Junker Rungholt? Frau Uhlfeld teilte mir mit, daß sie Euch einen besonderen Auftrag gab, um nach dem Buben zu fahnden, dessen ruchlose Hand sich wider einen der Edelsten des Landes erhob!«

Der Junker fühlte eine leichte Befangenheit.

»Verzeiht, edler Herr,« sagte er zögernd, »aber über diese Sache kann ich Euch keinen guten Bescheid sagen. Fand ich doch keine Zeit, nach dem Täter zu forschen, der sein Verbrechen im Dunkel der Nacht verübte und dessen Spur verschwunden war.«

Der stolze Reichsrat trat einen Schritt zurück und maß den Junker mit zornigem Blick.

»Wisset Ihr nicht, was sich für einen Edelmann ziemt?« rief er laut. »Hättet Ihr nicht für meinen schuldlos gestorbenen Sohn zwanzig Bauern hängen lassen sollen, gleichviel, ob unter ihnen der Täter war oder nicht?«

Kajus faßte unwillkürlich mit der Hand nach seinem Degen; aber er ließ sie wieder sinken. »Ihr seid ein älterer Herr, Herr Reichsrat, sonst wollte ich Euch andere Antwort geben als jetzt. Wisset denn, daß Euer Sohn sein Ende verdient hatte, und daß 192 ich nimmer einen schuldlosen Bauern seinetwegen gehängt haben würde!«

»Elendes Halbblut!« zischte Herr Rosenkranz.

Dem Junker stieg das Blut zu Kopf. Er trat auf den Reichsrat zu und sah ihm fest in die Augen.

»Auf Fehmarn hängten die Bauern einen Herrn, der mit den Schweden auf die Insel gekommen war. Er führte Schreiben mit sich, in denen auch Euer Name steht. Hütet Euch, Herr Rosenkranz!«

Er verließ das Vorgemach, und der vornehme Herr sah ihm mit fahlen Lippen nach.

»Meinte er Zoppelow?« flüsterte er vor sich hin; dann sank er in einen Stuhl und brütete finster vor sich hin.

Oben auf dem Verdeck ging es lustig zu. Dort saßen die Junker zusammen und machten ihre Späße, überschütteten Kajus mit Neckereien, daß ein Weib ihn an Bord gebracht hatte, und fragten ihn, ob sie sein Herz auch wieder mit nach Fehmarn genommen hätte. Die jungen Herren waren, einem königlichen Befehle folgend, erst seit einigen Tagen auf dem Schiffe, und das Leben auf dem Wasser schien ihre Herzen fröhlich zu machen. Kajus setzte sich neben seine beiden besten Freunde, den Junker Krogh und den Junker Brockdorff, die ihm die neuesten Nachrichten von Schloß Rosenburg bringen sollten, doch beide waren so begierig, von ihm zu hören, daß er ihnen erst umständlich seine Abenteuer erzählen mußte. Gosche Kroghs Augen leuchteten zornig, als er von der kleinen Zahl derer hörte, die die Insel hatten verteidigen müssen.

»Es ist eine Schande,« rief er, sich aufs Knie 193 schlagend, »daß nicht mehr Junker mit dir gehen durften. Was sollten wir alle untätig in Kopenhagen? Ei, es wäre ein lustiger Waffentanz auf Fehmarn geworden!«

Gosche warf spielend einen schöngearbeiteten Dolch in die Luft und fing ihn wieder auf, während Henning Brockdorff seinen weichen Filzhut vom Kopfe nahm und bedächtig die goldene Schnalle an ihm löste und in die Tasche steckte. Sein gutmütiges Gesicht war nachdenklich geworden.

»Der Waffentanz wird auch für uns kommen, Freund Gosche,« sagte er, »und wer weiß, wie lange wir uns noch des schönen Sonnenlichtes erfreuen werden!«

Krogh sah den kleinen Junker verwundert an.

»Henning Brockdorff ist ein Kopfhänger geworden!« rief er lustig. »Ich freue mich meines Lebens, solange ich es habe; denke auch nicht mehr nach, als nötig!«

»Euer weises Benehmen kann man nur loben!« schnarrte plötzlich eine Stimme neben ihnen. Sie kam vom Junker Geerd von der Wisch, von dem man sagte, daß er der Zuträger der Gräfin Eleonore wäre, und dem jeder Junker auswich. Er hatte nur einen Freund, das war Klemens Rungholt, und seitdem man dies erfahren hatte, gingen die Junker auch ihm aus dem Wege.

Seit Kajus dem holsteinischen Junker einen Schlag gab, hatte er kein Wort mehr mit ihm gewechselt und sah jetzt hochmütig in das sommersprossige Gesicht des von der Wisch, der sich jedoch mit katzengleicher Freundlichkeit zu Kajus wandte.

194 »Erlaubt auch mir, Euch meinen Glückwunsch zu sagen. Fortuna muß Euch besonders hold sein, daß sie Euch den Scharen der Feinde entkommen ließ!«

In seinem Ton lag versteckter Hohn. Kajus erhob sich langsam und schob seine breite Gestalt dicht vor die des Sprechers.

»Fortuna ist mir nicht immer hold,« sagte er dann, jedes seiner Worte betonend. »Ich halte es für ein Unglück, mit einem Feigling wie Euch zusammen zu sein!«

Von der Wisch wurde blaß und trat einen Schritt zurück, während ein tückischer Blick aus seinen Augen schoß.

»Ihr seid unvorsichtig, Herr Rungholt, mir einen Namen zu geben, den Ihr für Euch behalten könnt. Eure Flucht von der Insel kann ein jeder nach seinem Wohlgefallen deuten!«

Langsam zog Kajus den schweren Handschuh von seiner Rechten und schlug mit ihm mehrere Male in des andern Gesicht.

»Dies ist meine Antwort!« rief er stolz und verächtlich. Der Junker Wisch stieß einen Wutschrei aus und legte die Hand an den Degen; aber er zog die Waffe nicht aus der Scheide, sondern stand bewegungslos und zitterte am ganzen Leibe.

Die andern jungen Herren standen auf und stellten sich schweigend um die Streitenden; nur Henning Brockdorff rief halblaut:

»Der Degen des Junkers scheint in der Scheide eingerostet!«

Geerd von der Wisch heftete seine haßerfüllten Augen auf den Sprecher.

195 »Mein Stahl ist zu blank, um ihn mit dem Blute eines Halbblutritters zu beflecken!«

Lautes Geschrei antwortete seinen Worten.

»Schäme dich!« riefen mehrere Stimmen, und Henning Brockdorff fügte drohend hinzu:

»Wenn Ihr den Vorwurf eines Feiglings und den Schlag ins Gesicht auf Euch sitzen lasset, so wird kein ehrlicher Edelmann Euch jemals wieder die Hand bieten, und der Vorstand unserer Ritterschaft soll Euer Benehmen nur zu bald erfahren!«

Der Junker Wisch sah ein, daß ihm ferneres Ausweichen nicht mehr nützte. Finster drohend schüttelte er die Faust gegen Kajus, der die Arme übereinanderschlug und mit spöttischem Lächeln seinen feigen Gegner betrachtete.

»Ich werde mit Euch den Degen kreuzen und Euch zeigen, wie ein holsteinischer Edelmann fremde Eindringlinge straft!« rief Wisch, noch bleicher werdend; »aber nicht hier,« setzte er hastig hinzu, als er bemerkte, daß die Junker einen Kreis um Kajus und ihn bildeten, »nicht hier. Wenn wir wieder nach Kopenhagen kommen, will ich dem Junker meinen Degen durch den Leib stoßen!«

Kopfschüttelnd sahen sich die Herren an. So sprach einer, der ein Edelmann sein wollte? Während Kajus sich wieder achselzuckend an seinen Platz begab, flüsterten mehrere Junker lebhaft miteinander. Endlich trat einer von ihnen, ein Norweger, auf den von der Wisch zu.

»Werter Herr,« sagte er in seinem singenden Dänisch, »ich bin beauftragt, Euch zu bitten, die Gesellschaft der Kavaliere mit Eurer Gegenwart zu 196 verschonen, bis Ihr durch einen Zweikampf mit Herrn Rungholt die Euch angetane Beschimpfung ehrenhaft zurückgewiesen habt!«

Er trat mit steifer Verbeugung zurück, und Junker Wisch sah, wie seine Kameraden sich um den gehaßten Rungholt drängten, während er allein stand. Zähneknirschend und Verwünschungen ausstoßend wandte er sich endlich ab, um seinen Oheim, den mächtigen Reichsrat Rosenkranz, aufzusuchen und mit dem zu beraten, wie er sich am besten an allen rächen könnte.

Noch einen Tag kreuzte die dänische Flotte auf dem Wasser umher, ohne ihres Feindes ansichtig werden zu können, aber am folgenden Morgen gab das Admiralschiff ›Die Patientia‹ ein Zeichen, welches die Nähe der Schweden ankündete. Eine Stunde später zählte Kajus zweiundvierzig Segel, die wie Schwäne über das Wasser dahinzogen und sich der dänischen Flotte schnell näherten. Er stand mit seinem Vater auf dem Hinterdeck der ›Dreifaltigkeit‹, die zum Gefecht klargemacht wurde. Der Freiherr, der eine Zeitlang auf dem Admiralschiff gewesen war, hatte erst heute einen Befehl des Königs erhalten, sich in seine Nähe zu begeben, und sah jetzt seinen Sohn wieder, von dem er längere Zeit nichts vernommen hatte. Der Sohn berichtete ausführlich von seinen Erlebnissen, und der Freiherr hörte ihm gespannt zu. Er sah stattlich und ernst aus, wie immer, nur manchmal flog ein kurzes Lächeln über sein verbranntes bärtiges Gesicht, und er nickte zufrieden, wenn das, was sein Sohn erzählte, ihm besonders zusagte. Aber nicht lange konnte er sich mit Kajus unterhalten; der König ließ ihn zu sich entbieten, 197 während der Junker seine Waffen untersuchte und seine Munitionstasche mit Pulver und Blei füllte. Da er seinen Diener auf Fehmarn hatte zurücklassen müssen, so war er auf sich selbst angewiesen.

Während er, ein Liedchen vor sich hinsummend, das Schloß seiner Pistolen untersuchte, trat Henning Brockdorff zu ihm. Sein rosiges, unbekümmertes Gesicht trug heute einen auffallend ernsten Ausdruck.

»Du bist guten Mutes, Kai,« sagte er, setzte sich auf einen Haufen zusammengerollter Stricke und stützte das Gesicht in die Hand. Beide Junker waren auf dem mittleren Deck, da Kajus, nachdem sein Vater gegangen, sofort das Hinterdeck verlassen hatte.

Er putzte eifrig einen Rostfleck weg, der den eingelegten Schaft seiner Pistole verunzierte, und sah nur flüchtig auf.

»Ich bin auch fröhlichen Herzens,« entgegnete er; »hat der Allmächtige mich nicht gnädig geführt? Zweimal schon sah ich dem Tode ins Auge, und beidemal habe ich nur leichte Blessuren davongetragen, und ich sage dir, Henning,« er legte seine Waffe nieder, »als ich im Boot bei der tollen Kathrin saß, da meinte ich, nicht lebendig über das Wasser zu kommen. Sie aber führte mich gut, und ich schäme mich jetzt meiner Furcht!«

»Ist nicht vonnöten,« murmelte Henning. »Mit dem Teufel und seinen Hexen ist schlecht verkehren, und wenn auch der Zoppelow, wie du erzähltest, ganz niederträchtig an dem Mädchen handelte, so ist doch nicht gesagt, daß er allein die Schuld an ihrer Verstörtheit trägt. Der Teufel aber sucht sich oft die Weiber zu seiner Wohnung aus!«

198 Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um böse Gedanken zu verscheuchen, dann griff er in seine Tasche.

»Ich habe noch eine Bitte an dich,« begann er zögernd, eine goldene Hutschnalle herausziehend, die im Sonnenschein funkelte. »Wenn ich fallen sollte, und ich glaub's beinahe, dann schicke diese Schnalle durch einen sichern Boten nach Holstein. Ich habe dort eine Base –«, er stockte, – »sie würde sich freuen, ein Andenken von mir zu besitzen.«

»Gewiß werde ich deinen Auftrag ausrichten,« sagte Kajus, den Schmuck in die Hand nehmend. »Aber wie kommst du zu so ernsten Gedanken?«

»Ich hatte einen Traum – und dann – ich weiß, Frau Uhlfeld will mir nicht wohl!« entgegnete Henning. »Trifft mich heute keine feindliche Kugel, so kommt's auf andere Weise. Sie steht mit dem Bösen im Bunde!«

Sein gutes junges Gesicht war blaß geworden, und er sah sich ängstlich um.

Kajus suchte ihm die Sorgen auszureden, aber es gelang ihm nicht. Der Holsteiner beharrte darauf, daß ihm Übles passieren würde und daß Frau Uhlfeld die Hand dabei im Spiele hätte.

»Sie tut Böses, wo sie nur kann!« setzte er ingrimmig hinzu.

»Auch mein Verderben hat sie gewollt,« entgegnete Kajus, »aber es ist anders gekommen, als sie dachte. Vielleicht läßt sie sich jetzt durch meiner Gude Fürsprache erweichen.«

Brockdorff sah den Sprecher mitleidig an.

»Die Herzen der Weiber drehen sich oft nach 199 dem Winde, wie der Hahn auf der Kirchturmspitze!« meinte er zögernd, und Kajus lachte.

»Oft magst du recht haben, aber das Herz meiner Gude ist kein Wetterhahn. Sie gedenkt meiner in Liebe und Sehnen!«

Er zog ein Päckchen mit goldenen Haaren aus seinem Wams und küßte es andächtig.

Brockdorff schüttelte den Kopf, aber er sagte nichts weiter.

»Vergiß meine goldene Schnalle nicht!« sagte er nach einiger Zeit. »Sie ist ganz hübsch mit Perlen besetzt, und eine Jungfrau kann sie wohl tragen. Ich hätte ihr gerne mehr Kleinodien geschickt,« fügte er gleichsam entschuldigend hinzu, »aber ich habe nie viel Tand gehabt. Dies ist mein schönstes Stück. Du kannst ihr auch sagen, daß ich ihrer heute immer gedacht habe! Du weißt, in Rosenburg gefiel mir einst das Fräulein Ingeborg sehr gut, und es mag schon sein, daß ich die blonde Agnete eine Zeitlang vergessen habe; aber das mußt du ihr nicht erzählen!«

Kajus versprach alles, um den aufgeregten Junker zu beruhigen, erhielt auch ein Papier von ihm, auf dem der volle Name seiner Base geschrieben stand, und dann wurde er von ihm getrennt. Der Admiral Wind wies jedem der Junker seinen bestimmten Platz an, und nach wenigen Stunden begann die Seeschlacht auf der Kolberger Heide, am 3. Juli 1644.

Es war ein heißer Kampf; aber nach vielen Stunden blutigen Ringens konnte die wackere dänische Flotte sagen, daß sie gesiegt hatte. Mit zerschossenen Segeln und zerbrochenen Masten eilten die Schweden, 200 um aus der Nähe des Feindes zu kommen, der zu sehr gelitten hatte, um an eine Verfolgung zu denken.

Die Sonne versank als glühendrote Scheibe im Meer. Sie schien auf eine ruhige See, auf verkohlte Schiffstrümmer, zerschossene Planken und Masten, auf Leichen und Blut.

König Christian lag ausgestreckt auf seinem Ruhebette in der Kajüte. Blutige Tücher bedeckten sein Gesicht und seinen Oberkörper; er hatte durch einen Holzsplitter sein rechtes Auge verloren und noch eine schwere Wunde an der Schulter davongetragen. Aber er schien seine Schmerzen nicht zu empfinden. Mit stolzem Lächeln hörte er den Bericht des Admirals Galthe über den Gang der Schlacht an und schob ungeduldig die Hand des Leibarztes zurück, der ihm einen kühlen Trunk bot.

»Sprecht zu Ende, Herr Galthe!« rief er hastig. »Ich werde nicht eher Ruhe haben, bis ich alles genau erfahren. Also sechsundvierzig Schiffe, sagt Ihr, hatte der Schwede? Nun, so übertraf ihre Zahl die unsrige um sechs! Und meint Ihr, daß die Feinde viel Verluste an Mannschaft erlitten haben?«

Der Admiral entgegnete, daß auf beiden Seiten viel edles Blut geflossen wäre, und Christian seufzte. »Meinen braven Admiral Wind sah ich mit eigenen Augen fallen; er war ein guter Seemann und verstand ein Schiff zu führen! Ihr versteht nicht halb so gut das Seegewerbe als er, und Ihr müßt Euch Mühe geben, seinen Platz auszufüllen!«

Der alte Admiral senkte demütig den Kopf und murmelte, daß Seine Majestät mit ihm zufrieden sein solle.

201 »Der Freiherr von Rungholt soll auch gefallen sein, und die zwei Uhlfelds,« fuhr der König fort. »Sie sind die Brüder des Reichshofmeisters, und Herr Korfiz wird sie tief betrauern. Auch ich will ihnen ein treues Angedenken bewahren, und Rungholts Sohn soll meine Gnade empfinden! War er es nicht, der mich in seinen Armen auffing, als ich vor dem Maste umsank? Bei meiner Seele, ich würde mit dem Allmächtigen nicht gehadert haben, wenn er mir mein Auge gelassen hätte. Doch sein Wille geschehe!«

Er legte den Kopf wieder zurück, und auf einen Wink des Leibarztes verließ der Admiral auf den Fußspitzen das Gemach.

Oben auf dem Verdeck war es still geworden. Leise flüsternd standen hier und da wohl einzelne Gruppen von Matrosen oder Soldaten zusammen und besprachen den Kampf, aber die Rücksicht auf den schwerverwundeten König hemmte jede Äußerung der Fröhlichkeit. Von einem oder dem anderen Schiffe klang gedämpfter Gesang über das Wasser, aber die meisten von ihnen lagen zu dicht neben dem königlichen Fahrzeug, um ihrer Siegesstimmung lauten Ausdruck zu geben. Auch waren überall die Verluste zu groß gewesen, um nicht, besonders in den Herzen der Befehlshaber, die laute Freude zu dämpfen. Dänemark konnte nicht mehr viele von diesen Siegen vertragen.

Auf dem Vorderdeck der ›Dreifaltigkeit‹ lagen die Leichen derer, die mit ihrem Leben den Sieg bezahlt hatten. Es war eine stattliche Reihe, und starr und tränenlos sah Kajus Rungholt auf das ernste Gesicht seines Vaters, der neben dem Admiral Wind 202 ausgestreckt lag. Er beugte sich nieder, um die erkalteten Finger, die noch den Degengriff umfaßt hielten, zu lösen und die Hände des Freiherrn über der Brust zu falten, dann schritt er weiter, um vor Henning Brockdorff stehen zu bleiben, dessen Ahnung ihn nicht betrogen hatte. Dunkel geronnenes Blut an der Halskrause zeigte, wo ihn die tödliche Kugel traf. Sein Gesicht trug einen heiteren Ausdruck; der Engel des Todes mußte gelächelt haben, als er seine Fittiche über ihn breitete. Auch ihm faltete Kajus die Hände. Ein Windstoß fuhr über das Deck, und die blonden, krausen Haare des Toten bewegten sich. Einen Augenblick zögerte Kajus, dann schnitt er mit seinem Dolchmesser eine Haarlocke von dem blassen Haupte und legte sie zu der goldenen Schnalle. Auch Gosche Krogh lag auf dem Verdeck, mit trotzig zusammengepreßten Lippen und einer tiefen Falte zwischen den dunklen Augenbrauen, und so fand Kajus noch manchen Genossen seiner Jugend. Sie waren alle einen tapferen Soldatentod gestorben, und des Junkers Blick verschleierte sich, als er daran dachte, wie einsam sie ihn zurückließen. Ihm war nur eine geblieben in der großen, kalten Welt: es war Gude; an sie gedachte er in seiner Trauer, als er im weißen Mondlicht die Totenwache hielt bei seinem Vater und bei seinen liebsten Freunden.

Als am nächsten Tage die Sonne im Mittag stand, ward Kajus zu dem Könige befohlen, der eine gute Nacht verbracht hatte und sich trotz der Abmahnungen der Ärzte mit seinen Regierungssorgen beschäftigte und bereits neue Pläne zu einer zweiten Seeschlacht faßte. – Er redete Rungholt sehr gnädig an, belobte 203 ihn wegen seiner in der Schlacht bewiesenen Tapferkeit, sprach ehrende Worte über den Freiherrn und versprach dem jungen Manne, stets der ihm vom Vater geleisteten Dienste eingedenk sein zu wollen.

»Und nun, mein lieber Freiherr,« fuhr der Monarch fort, »will ich Euch eine Zeitlang des Kriegsgetümmels entbinden und Euch ein anderes Amt auftragen. Mein Geheimschreiber wird Euch das Nähere mitteilen über den Inhalt des Briefes, den Ihr Seiner Durchlaucht dem Herzog Friedrich von Schleswig zu übergeben habt. Führt Eure Sache gut, und Euer König wird Euch hoch ehren!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte der König huldreich, und der erstaunte Kajus mußte sich zurückziehen. Er hatte gehofft, in wenigen Tagen Kopenhagen wieder zu erreichen und seine geliebte Gude, nach der sein Sehnen stand, wiedersehen zu dürfen; jetzt verwendete ihn Christian zu einer diplomatischen Mission! Er begriff wohl, daß solche Sendung ehrenvoll war, aber sie konnte ihn nicht erfreuen, und der Zug stiller Trauer wich auch nicht aus seinem Gesichte, als der Admiral Galthe zu ihm trat und ihn glücklich pries, das Vertrauen seines königlichen Herrn zu besitzen. Während er noch nachdenklich im Vorgemach stand, kam der Reichsrat Rosenkranz auf ihn zu und begrüßte ihn mit Artigkeit.

»Wenn ich Euch recht verstand, edler Herr,« sagte er, während er seine Stimme dämpfte und sich vorsichtig umsah, »so wollt Ihr ein Schreiben entdeckt haben, in dem mein Name genannt wird. Könnt Ihr mir nicht angeben, welcher Art dieses Schreiben ist und wie Ihr zu dessen Kenntnis gelangtet?«

204 Ängstlich sah er Kajus an. Dieser zuckte die Achseln.

»Es sind mehrere Papiere in meinem Besitz, deren Inhalt ich noch nicht erforschen konnte, da mir die Ruhe zum Lesen fehlte!«

»Und diese Papiere wurden einem schwedischen Spion abgenommen?« fragte Herr Rosenkranz lauernd.

Kajus machte eine bejahende Gebärde, und der Reichsrat wechselte einen Augenblick die Farbe, lächelte aber sogleich wieder verbindlich.

»Wollt Ihr mir nicht die Briefe anvertrauen?« sagte er dann leichten Tones. »Ich werde sie Euch gut aufheben, und ich kann Euch dann auch sofort überzeugen, daß, wie auch mein Name genannt sein möge, derselbe stets nur bestrebt gewesen ist, Seiner Majestät zu dienen.«

Kajus hatte nur flüchtig die Ledertasche durchgesehen, die Zoppelow abgenommen war. Nun begriff er, von welcher Wichtigkeit diese Briefschaften für den Reichsrat sein mußten, daß er sich herabließ, seinen Groll gegen den jungen Freiherrn zu verbergen und ihn um einen Dienst zu bitten, dessen Tragweite Kajus selbst gar nicht verstand. Es war ihm anfänglich nicht eingefallen, daß Zoppelows Briefe Wert für ihn haben konnten, und nur zufällig hatte er einen davon gelesen. Er war in dänischer Sprache verfaßt und an einen hohen schwedischen Offizier gerichtet. Uhlfelds und Rosenkranz' Namen kamen öfters darin vor, allerdings nur in dunklen, umschriebenen Ausdrücken, und als Kajus dem Reichsrat mit dem Briefe drohte, hatte er nur eine unbestimmte Ahnung, daß dieser mit dem Feinde 205 in geheimnisvollem Einvernehmen stehen könnte. Diese Ahnung ward ihm jetzt zur Gewißheit.

»Erst nachdem ich die Briefe genau geprüft habe, werde ich mich entscheiden, ob ich sie selbst behalten oder Seiner Majestät vorlegen werde,« entgegnete er mit Festigkeit.

Herr Rosenkranz biß sich auf die Lippe, aber er gab den Versuch noch nicht auf.

»Seine Majestät muß nicht mit solchen Sachen behelligt werden!« rief er hastig. »Außerdem darf er lange Zeit nicht lesen noch schreiben, und einem Schreiber werdet Ihr doch diese Papiere, die nur für mich von Wichtigkeit sind, nicht anvertrauen? Es sind Familienpapiere,« setzte er nach kurzem Besinnen hinzu, »und wenn einem jungen, lebenslustigen Herrn mit Geld gedient ist –«. Er fuhr erschreckt zusammen, denn Kajus schlug an den Degen, daß es klirrte, und verließ das Gemach, ohne den stolzen Herrn einer Antwort zu würdigen. Mit einem bösen Blicke sah Herr Rosenkranz ihm nach.

Noch am Abend desselben Tages landete Kajus an der holsteinischen Küste, von zwei Dienern seines verstorbenen Vaters begleitet. Er trug ein königliches Schreiben wohlverwahrt an seinem Körper, um dasselbe persönlich in die Hände des Herzogs von Gottorp zu legen. Ehe er von der ›Dreifaltigkeit‹ fuhr, hatte er einen langen Bericht seiner Erlebnisse und der Trauer, die ihn betroffen, an seine geliebte Gude geschrieben und diesen Brief einem zuverlässigen Hofkavalier anvertraut, der mit Briefschaften nach Seeland ging. Auf demselben kleinen Kriegsfahrzeug, 206 das dem Boten des Königs diente, waren außer dem Kavalier noch der Reichsrat Rosenkranz und sein Neffe, der Junker von der Wisch. Beide hatten bei Seiner Majestät Urlaub erbeten und erhalten.


 << zurück weiter >>