Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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XX.

Durch ganz Holstein zog der Föhringer Schiffsherr an der Seite des Grafen Reventlow, und beide Männer hatten einander viel mitzuteilen und gar mancherlei miteinander zu besprechen. Trotz ihrer verschiedenen Lebensstellung und den daraus entstandenen anderen Anschauungen fühlten sie füreinander aufrichtige Achtung und Zuneigung, so daß der Graf, als sich ihre Wege trennten, bekümmert ausrief:

»Also nun soll es ans Scheiden gehen, und Ihr wollt nimmer wieder einer der Unsrigen werden? 312 Bedenkt Euch wohl, Herr Rungholt! Noch könnt Ihr Wappen und Helmzier wiedererlangen, noch ist Euer Name nicht vergessen; wollt Ihr ihn versinken lassen, daß er niemals wieder auferstehe?«

Herr Matthias neigte bestätigend seinen grauen Kopf.

»Scheltet mich nicht eigensinnig, Herr Graf; aber meinen Namen kann ich nicht wieder tragen. Ich meine, der Allmächtige hat mir selbst den Weg gewiesen, den ich wandern soll; fern sei es von mir, von ihm abzuweichen. Vermeldet Eurem Könige meinen ehrerbietigen Gruß und saget ihm, daß ich mit Freuden bereit wäre, ihm mit meiner Habe zu dienen!«

Noch einmal schüttelte er die Hand des Grafen; dann wandte er sein Pferd dem Wege zu, der nach der freien Stadt Hamburg führte und von der man die schlanken Türme schon seit geraumer Zeit sah. Sein Diener folgte ihm, und kopfschüttelnd hielt Herr Reventlow eine Zeitlang am Wege, mit der Hand die Augen beschattend, um den beiden Reitern besser nachblicken zu können. Endlich war nur noch eine Staubwolke von ihnen zu sehen, und der Graf setzte seine Reise fort.

König Christian der Fünfte befand sich nur einige Stunden von Hamburg, und zwar hatte er einige Regimenter Soldaten um sich versammelt, da er sich durch das übermütige Benehmen der freien Reichsstadt ihm gegenüber beleidigt fühlte und ernstlich an einen Krieg dachte, um den stolzen Hanseaten seine Macht zu zeigen. Leider hatte der König nicht die Mittel, 313 lange Zeit ein Heer auf den Beinen zu halten, und da die Unterhandlungen mit Hamburg noch immer fortdauerten, auch auswärtige Mächte sich in den Streit mischten, so mußte die dänische Majestät, um nicht zu erleben, daß die fremden Söldlinge ihm den Dienst kündigten, beträchtliche Anleihen machen. Herr Reventlow wußte daher sehr gut, welch angenehme Botschaft er dem Fürsten brachte, wenn er ihm berichtete, daß der vormalige Freiherr Rungholt, jetzt Schiffsreeder und Kaufherr Matthias auf der Westseeinsel Föhr, erbötig sei, Seiner Majestät eine große Summe ohne alle Zinsen vorzustrecken, und daß derselbe als Gegenleistung nur die gänzliche Aufhebung des Bannes über den Freiherrn von Rungholt, den Christian der Vierte verhängt hatte, beanspruche. Auch bat Herr Matthias untertänigst um gnädige Fürsprache des dänischen Königs beim französischen Hofe, damit sein ältester Sohn, der in Havre als Kriegsgefangener war, wieder in die Heimat zurückkehren könne. Beide Bitten, das wußte der Graf, würde der König mit Leichtigkeit bewilligen und sich höchstens wundern, daß er so billig davonkam.

Reventlow hatte sich nicht getäuscht.

Als er am folgenden Tage das Hauptquartier Christians erreicht hatte und eine Audienz bei seinem Herrn erhielt, war dieser von seinem Bericht äußerst befriedigt und sprach seine Anerkennung in gnädigen Worten aus.

Der dänische Herrscher war eine vornehme Erscheinung, dem die Allongeperücke vortrefflich stand, und der es liebte, sich mit großer Pracht zu kleiden. Er saß jetzt, während der Graf ihm Bericht erstattete, 314 behaglich zurückgelehnt in seinem Lehnstuhl und hörte mit halbgeschlossenen Augen zu.

»Also Ihr traft ihn in Preetz? Im adligen Fräuleinkloster? Habt Ihr auch der Priörin meine Gnade vermeldet?«

Der König fragte langsam und betonte jedes Wort.

»Ich handelte nach Eurer Majestät Befehlen,« lautete die Antwort des Grafen, der sich heimlich wunderte, daß der König sich des Klosters mit so viel Interesse erinnerte.

»Frau von Buchwald ist eine brave Frau und eines Ordens würdig!« sagte der König mit Nachdruck. »Wenn sie fortfährt, das Wohl der Fräulein und des Klosters im Auge zu behalten, wollen Wir ihr ein Kreuz am blauen Bande verleihen!«

Er schwieg, die Augen ganz schließend.

Graf Reventlow verneigte sich, trotz der geschlossenen Augen des Monarchen, denn er wußte, daß Seine Majestät bei anscheinender Gleichgültigkeit doch alles bemerkte.

Er war innerlich etwas betroffen, denn er hatte den kleinen Auftrag an die Priörin für eine Nebensache gehalten, die seinem Zusammentreffen mit Herrn Matthias als Deckmantel dienen sollte.

»Das Klostergut ist reich?« fragte der König wieder.

»Frau Agnete von Buchwald wird sich Mühe geben, die großen Güter wieder reich zu machen!« entgegnete der Graf.

»So wollen Wir zum nächsten Jahr eine Klostersteuer erheben!« sagte der König, zufrieden die Augen aufschlagend, und der Graf murmelte, daß die Gedanken Seiner Majestät stets erhaben seien.

315 »Ihr möget mir ein Referat darüber schreiben,« entschied Christian, dem es ersichtlich eine Erleichterung war, sich eine neue Steuer ausgedacht zu haben. »Und was,« fuhr er fort, »den Herrn Matthias mit seinen Walfischen, mit seinem Reichtum und seinem Beinamen Fortunatus betrifft, so wünschen Wir den Mann zu sehen, der so mancherlei Wunderbares erfahren und der einst im Dienste Unseres Herrn Großvaters gestanden. Er möge vor Uns erscheinen und, weil er Uns in treuer Gesinnung gefällig ist, sich auch eine Gnade ausbitten.«

Christian sprach lebhafter, als seine Gewohnheit war, und vergebens wagte der Graf zu bemerken, daß Herr Matthias in Hamburg weile und sich für zu gering halte, vor das Angesicht seines königlichen Herrn zu treten. Eine kurze, ungeduldige Handbewegung des Königs war die einzige Antwort, und der Hofmann wußte, daß er alles daransetzen müßte, des Kaufherrn wieder habhaft zu werden.

Ein glücklicher Zufall sollte ihm zu Hilfe kommen. Als er am Abend desselben Tages, von einem Häuflein Reiter begleitet, sich der hamburgischen Grenze näherte, begegnete ihm eine Schar Kaufleute, der der alte Herr Matthias weit voranritt. Er blickte erstaunt auf, als der Graf eilig auf ihn zusprengte, aber nach kurzem Zögern erklärte er sich bereit, dem Willen des Königs zu gehorchen.

»Ich komme aber nicht mehr allein mit Euch,« setzte er zufrieden hinzu. »Seht Ihr dort den kecken Reiter mit den blonden Haaren und den blauen Augen? Es ist mein Ältester, den mir die Franzmänner weggekapert hatten und um den ich in großen Sorgen 316 war. Doch mein werter Freund, Herr Marquards in Hamburg, hat sich's keine Mühe verdrießen lassen, ihn loszuhandeln, auch manches Brieflein drum geschrieben, und so ist Hans Christian denn vor wenigen Tagen wohlbehalten mit einem Hamburger Schiff heimgekehrt. Kein Härchen ist ihm gekrümmt worden, aber fünftausend Reichstaler haben die Schufte als Lösegeld verlangt und erhalten!«

Er strich sich bei diesen Worten ingrimmig den Bart; doch helle Freude lachte aus seinen dunklen Augen, als er den stattlichen Jüngling fest und sicher auf dem lebhaften Pferde sitzen sah, an Kraft und Anmut alle anderen überragend.

Als Herr Matthias vor den König geführt ward, betrachtete dieser eine Weile schweigend den gewaltigen Mann, ehe er gnädige Worte an denselben richtete. Dann sprach er ihm seine Anerkennung für den geleisteten Dienst aus, sagte ihm, daß er bereits eine Verfügung erlassen hätte, in der der Freiherr von Rungholt vom Banne gelöst wäre. Endlich fragte er ihn, ob er sich nicht entschließen könnte, den alten Namen wieder anzunehmen.

Doch Herr Matthias verharrte ehrerbietig in seiner ablehnenden Haltung, und der König kam nicht wieder auf sein Anerbieten zurück.

»Ihr seid unter den Friesen eigensinnig geworden, Herr Matthias,« sagte er lächelnd, »und Wir wollen Euch Unsere Gunst nicht aufdrängen. Doch auf eines machen Wir Euch aufmerksam. Uns ist berichtet worden, daß Ihr der mächtigste Mann der Westseeinseln seid, und daß Euer Wort bei dem Volke viel 317 gilt. Sagt den Leuten von Uns, daß sie zur dänischen Krone gehören, und daß, wenn auch Unsere hohen Vorfahren verabsäumten, strenge gegen Sylt und Föhr aufzutreten, Wir doch nicht gesonnen sind, Unser gutes Recht an diese Inseln zu vergessen!«

Das Gesicht des Kaufherrn nahm einen befremdeten Ausdruck an.

»Eure Majestät wollen sich erinnern, daß das Volk der Friesen sich als freien Stamm betrachtet und nicht gesonnen sein wird, die dänische Krone als ihre Herrin anzuerkennen.«

Unwillig blickte Christian auf den kühnen Sprecher.

»So werden Unsere Truppen den Inselbewohnern zeigen, wem sie untertan sind. Meint Ihr, ich wisse nicht, wie der Gottorper Herzog sich hinterlistig um die Gunst der Friesen bemüht, wie er auch diese Inseln zu sich ziehen will? Er ist ein schlechter Vasall geworden, verschlagen und schlau wie sein Vater, mit leiser Hand will er die Bande lösen, die ihn Uns untertan machen!«

Der König war plötzlich aufgeregt geworden, aber er bezwang sich bald.

»Es ist ein trotziges Geschlecht, die Gottorper,« sagte er, ruhiger werdend, »aber Wir wollen ihnen unsere Macht zeigen, und auch den Friesen werden Wir beweisen, wer ihr Herr ist. Euch aber, Herr von Rungholt, wollen Wir Unsere Huld beweisen. Wir haben vernommen, daß Euer Sohn ein stattliches Herrlein ist, der in Wittenberg und Kiel der Wissenschaft sich befleißiget. Daß er auch mit Walfischfang und Schiffahrt vertraut, ist Uns lieb zu hören, er wird ein gutes Urteil über mancherlei haben. So ernennen 318 Wir ihn denn zum Sekretarius in Unserm Ministerium, und erwarten, daß er sich dieser Gnade würdig zeige!«

Herr Matthias war entlassen. Nachdenklich schritt er durch das Vorzimmer, dem fragenden Blicke des Grafen mit leisem Kopfschütteln antwortend.

»Er nimmt mir meinen Sohn!« sagte er, und in seiner Stimme lag leise Klage.

»Die Kinder gehen aus dem Elternhause in das Leben; so ist der Lauf der Welt!« versetzte der andere tröstend. »Bedenkt, daß Ihr noch mehr Söhne habt, und daß dieser zu hohen Ehren gelangen wird!«

»Gott schütze ihn!« murmelte der Kaufherr, mit der Hand über die Stirn fahrend. Aber als er später in das fröhliche Gesicht seines Sohnes blickte, dessen heimlicher Wunsch plötzlich erfüllt ward, da glätteten sich seine sorgenvollen Züge.

»Mag sein, daß du mehr Glück hast, mit den Großen dieser Welt zu leben, als dein Vater!« meinte er. »Laß mich aber jetzt heimziehen, denn ich habe Heimweh nach der Nordsee und nach den stillen Augen deiner Mutter!«

Ehe er aber die Umgebung des Königs verließ, sandte ihm dieser noch eine Gabe: ein Wappen. Unten im Schilde schwamm ein Walfisch, einen Wasserstrahl hochwerfend, über ihm schwang die Fortuna auf der Kugel ein flatterndes Segel.

Herr Matthias freute sich herzlich über diesen Beweis königlicher Gnade, dem das Kreuz des neugestifteten Danebrogordens beigefügt war, und zufriedenen Gemütes reiste er seiner Insel zu. So war nicht allein der Bann von ihm genommen, der ihn jahrelang die dänischen Lande meiden ließ, sondern 319 königliche Huld hatte ihm Ehren bewiesen, und konnte auch weder Ehre noch Huld alle düsteren Schatten verwischen, die sein Leben verfinstert hatten, so lag der Abend doch in mildem Scheine vor ihm.

* * *

Auf dem Kirchhofe zu Nieblum auf Föhr lag viele Jahre ein mächtiger Grabstein mit dem Walfischwappen und der Inschrift, daß unter ihm der Herr Matthias, genannt der Glückliche, den letzten Schlaf halte. Und der Glückliche hieß er, weil er dreihundertunddreißig Walfische auf hoher See fing. Und weiter erzählt der Stein, daß neben ihm sein geliebtes treues Weib, Frau Inge, sich ausruhe von des Lebens Arbeit und Mühe. In Schwärmen ziehen die Wasservögel über den einsamen Gottesacker, der scharfe Wind beugt die kleingewachsenen Bäume der Gräber, und aus der Ferne hört man das Rauschen der See. Das ist Kajus Rungholts letzte Ruhestätte, und sie paßt für ihn.

* * *

Der Priörin von Buchwald war es vergönnt, noch viele Jahre dem Kloster zu Preetz vorzustehen und großen Segen zu stiften. Sie blieb stets, trotz mancher Ehren und vielerlei Sorgen, dieselbe sanfte und demütige Frau, ohne Anspruch zu erheben auf die Anerkennung und Dankbarkeit der Menschen, und wer sie im einfachen Gewande einhergehen sah, konnte kaum begreifen, daß sie es war, die das Kloster wieder zu Ehren brachte und manche widerspenstige 320 Konventualin zu besserer Einsicht brachte. Sie war mehr in den Hütten der Armen, als in den stattlichen Häusern der Reichen zu finden, und kamen auch über ihre Seele die Stunden der Entmutigung, ohne die kein Menschenleben sich denken läßt, dann lenkte sie ihre Schritte nach dem stillen Klosterkirchhof. Dort ruhte Gude von Thienen, die der Tod, bald nachdem sie mit Kajus Rungholt gesprochen, gar sanft von ihrem Herzweh erlöst hatte. Sinnend konnte Frau Agnete lange Zeit an dem einsamen Plätzchen stehen und dem Gezwitscher der Vögel lauschen, und wenn sie sich abwandte, so sagte sie jedesmal: »Sie ruhe in Frieden!«


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