Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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X.

Zwei Tage später stand Freiherr von Rungholt mit seinen beiden Söhnen im Saal des Kopenhagener Schlosses und harrte des Königs, der aus seinen Gemächern treten sollte, um die Huldigung seiner Getreuen zu empfangen.

Es war ein ernster Tag. In der Nacht hatte ein keuchender Bote an das Tor der Stadt gepocht, um dem Könige die Nachricht zu überbringen, daß der schwedische General Torstenson in Holstein eingefallen war und ohne Kriegserklärung die Greuel der Verwüstung über das unglückliche Land verhängt hatte. 116 Kiel, Itzehoe, Rendsburg, die vornehmsten Plätze des Landes, waren in seiner Gewalt; nur in Glückstadt und Krempe hatte sich die dänische Besatzung gehalten.

Es war eine Schreckensnachricht für König Christian gewesen, der immer noch hoffte, seinen Landen den Frieden zu erhalten, und dem es jetzt klar wurde, daß die Schweden seit Jahren auf eine Gelegenheit warteten, ihren Länderraub auch auf seine Staaten auszudehnen. Sie behaupteten, daß Christian ihre Schiffahrt hindere und mit den Spaniern unterhandle, um ihnen dann in Pommern in den Rücken zu fallen. Allerdings waren ihren Schiffen beim Passieren des Sundes Schwierigkeiten seitens der dänischen Regierung gemacht worden, und vielleicht hatte König Christian einmal daran gedacht, mit Hilfe anderer Mächte den unbequemen Nachbar zu schwächen; jedenfalls aber mußte ihm dieser Gedanke noch in weiter Ferne liegen, denn er hatte fast keine regulären dänischen Truppen. Die ganze Besatzung Holsteins bestand aus Deutschen, auch die Offiziere waren nur ausnahmsweise aus dänischen Familien. Nur die Flotte war stark und gut bemannt, aber seit dreißig Jahren hatte auch sie keinen Krieg erlebt.

Der große Empfangssaal des königlichen Schlosses füllte sich mehr und mehr, denn jeder dem Hofe Nahestehende eilte, dem König seine Ergebenheit zu beweisen, und nur wenige waren nicht erschienen. Aber wohin man blickte, waren düstere Mienen. Hier stand der Admiral Galthe, ein weißköpfiger Herr, der lebhaft auf den Admiral Wind einredete, während neben ihnen der Feldoberst Buchwald mit rauher Stimme 117 den Schweden fluchte, die sein Familiengut geplündert und niedergebrannt hatten. In einer Fensternische drängten sich die schleswig-holsteinischen Kavaliere um einen Offizier, der ihnen mit trübseligem Gesicht von der Plünderung des Breitenburger Schlosses bei Itzehoe berichtete, wo der schwedische General Montaigne große Schätze raubte, und zornige Flüche, drohende Gebärden unterbrachen häufig seine Erzählung.

»Haben die Schweden auch das Hexengold aus Breitenburg mitgenommen?« fragte ein dicker blonder Junker, als der Erzähler schwieg.

Der Gefragte zuckte die Achseln.

»Ich weiß es nicht, Junker Brockdorff! Jedenfalls erleiden die Rantzaus unermeßlichen Schaden!«

»Nun, sie können's ertragen!« brummte der andere. »Und wenn das Hexengold mit geraubt ist, kehrt alles wieder zu ihnen zurück. Wir andern sind schlimmer daran. Bei uns wohnen keine Unterirdischen, die Gold und Silber verschenken!«

Kajus war dem Kreise der Herren nähergetreten.

»Haben dir die Unterirdischen Gold und Silber geschenkt?« fragte Kajus Rungholt den Sprecher lächelnd.

Brockdorff wandte sich rasch um.

»Ei, sieh da, Kai! Kommst du auch zu uns, um über die Schweden zu wettern? Meiner Treu, wenn ich der König wäre, dann säße ich schon mit allen Kavalieren auf dem Schiff! Der Wind ist gut – morgen abend landen wir bei Kiel, und dann zeigen wir den Schweden, was darauf steht, den Holsteinern in ihr Land zu fallen!«

118 Der Junker hob drohend die Arme, und seine Stimme klang so laut, daß die Admirale mißbilligend herübersahen.

»Schrei nicht so laut!« flüsterte ein anderer.

»Weshalb nicht?« Brockdorff erhob seine Stimme noch lauter und sah trotzig um sich. »Ich bin ein Holsteiner und spreche frei von der Leber. Potz Blitz! Die dänischen Herren mögen die Köpfe zusammenstecken und sich bedenken, ob sie den Degen für Holstein ziehen wollen; ich habe keine Lust, darauf zu warten. Ich will für mein Vaterland kämpfen und die Schweden hinausjagen, ehe sie von selbst gehen!« Seine helle Stimme klang über den ganzen gefüllten Saal, in dem es still geworden war, und als er geendet hatte, riefen die Holsteiner ihm lachend Beifall zu, während die Dänen finstere Blicke auf den vorlauten Junker warfen. Niemand bemerkte, daß der König die Tür seines Gemaches geöffnet hatte und plötzlich, gefolgt von Uhlfeld und dessen Gemahlin, inmitten der Versammlung stand und sich mit blitzenden Augen umsah. Seine Gestalt war in den letzten Jahren gebeugter geworden, sein dunkles Haar gebleicht, aber um den Mund lag der alte Zug von Entschlossenheit, und den Kopf hob er mit wahrhaft fürstlicher Gebärde.

»Ihr scheint nicht zufrieden mit uns armen Dänen, lieber Junker!« sagte er mit leichtem Spott. »Mich wundert nur, daß Ihr noch auf dänischem Grund und Boden verweilt und nicht vorgezogen habt, Euch längst von hier zu entfernen. Vielleicht hättet Ihr den Einfall der Schweden in Holstein gehindert!«

Junker Brockdorff, der sich gerade in die Höhe 119 gerichtet hatte, blickte unbekümmert in das strenge Gesicht des Königs.

»Eure Majestät würde auch besser getan haben, den Ratschlägen unserer Ritterschaft Folge zu leisten!« versetzte er keck.

Eine leise Bewegung ging durch die Versammlung. Jedermann wußte, daß die Schleswig-Holsteiner den König ernstlich gebeten hatten, dem stolzen Reichshofmeister nicht alle Gewalt einzuräumen, und manches Auge blickte mitleidig zu dem kecken Jüngling hinüber, der sich soeben einen Todfeind gemacht hatte; denn Uhlfeld vergaß niemals eine Beleidigung. Er stand gerade und hochaufgerichtet hinter dem König, die eine Hand auf seinen mit Diamanten besetzten Degengriff gelegt, in der andern Papiere haltend. Kein Zug seines schönen Gesichtes veränderte sich bei den Worten des Junkers, er streifte nur mit den Augen das Gesicht des Königs, der diesen Wink zu verstehen schien.

Er wandte sich von Brockdorff und sagte: »Ich bin nicht gekommen, um mit Knaben zu sprechen, sondern mit Männern! Die Schweden stehen in Holstein, bald werden sie bis Jütland streifen. Unsere Pflicht ist, tapfer für unser Vaterland zu streiten!«

Dann setzte er mit Ruhe und Klarheit die Stellung der Schweden auseinander, räumte ein, daß er sich habe überraschen lassen, aber auf seine Flotte rechne, die stärker wäre als die schwedische.

Lautlos folgte die Versammlung seinen Worten, und als er zum Schluß den Obersten Buchwald beauftragte, mit seinen Reitern nach Jütland überzusetzen und dem Feinde entgegenzugehen, brachen 120 alle in lautes Jubelgeschrei aus. War auch das Reiterfähnlein klein, das Buchwald befehligte, und waren die Leute auch fast alle Deutsche, so fühlte sich doch das dänische Nationalgefühl befriedigt, daß der König, statt schmachvolle Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, sofort auf Gegenwehr bedacht war.

Jetzt drängte sich alles an den Monarchen, ihn neuer Treue und Hingebung zu versichern, und freudig redete der König mit jedem einzelnen. Von seinem Gesicht war der Ausdruck der Sorge verschwunden, leichten Schrittes ging er durch den Saal, um bald hier, bald dort gütige Worte zu sprechen, während Uhlfeld sich zurückhielt und nur manchmal flüchtig einige Worte mit seiner Gemahlin wechselte.

Gräfin Eleonore stand an einem der hohen Fenster und ließ achtlos den Blick auf der versammelten Höflingsschar ruhen. Ihre Augen waren gerötet, und auf ihren Wangen brannten zwei dunkle Flecke. Sie sah düster und drohend aus; mehrere Reichsräte, die sich der schönen Frau nähern wollten, zogen sich wieder zurück. Es war nicht gut Kirschen essen mit Frau Uhlfeld, wenn sie übler Laune war.

»Was sie nur hat!« sagte jetzt Brockdorff zu Kajus, der noch immer neben den holsteinischen Herren stand. »Sie macht ein Gesicht, als wollte sie Feuer speien wie der Hekla auf Island!«

»Der Krieg bekümmert sie!« flüsterte Kajus, bewundernd seine Augen auf der stolzen Frau ruhen lassend; aber Brockdorff, der bis vor kurzem ein Günstling der Uhlfelds war, schüttelte den Kopf. »Ihrem Mann wird etwas widerfahren sein, das sie schwer ärgert. Du weißt doch, daß sie alles, was Korfiz 121 verdrießt, doppelt empfindet. Das kommt vom Blutvermischen und ist die gerechte Strafe für solch Teufelswerk! Sieh, wie ihre Augen funkeln! Jetzt geht es los!«

Die schöne Frau bewegte sich langsam durch den Saal; ihre lange rubinfarbene Schleppe rauschte hinter ihr her, und Kajus hatte das Gefühl, als knistere der kostbare Samt drohend, als er bei ihm vorüberfegte. Unwillkürlich blickte er zu seinem Vater hinüber, der soeben Klemens dem Könige vorgestellt hatte, und eilig trat er einige Schritte näher, als er gewahrte, daß die Gräfin vor dem Freiherrn den Schritt anhielt.

»Der Name meines Gemahls scheint Euch nicht sehr viel wert zu sein, Herr Freiherr,« sagte sie mit klingender Stimme, »daß Ihr einen Ritter, der einen Geleitsbrief von ihm besitzt, aus Eurem Hause werft!«

Die Stirn des Angeredeten zog sich unmutig zusammen.

»Ihr wißt selbst, edle Frau, wie sehr ich Euren Gemahl ehre; aber verzeiht mir, wenn ich in meinem Hause das tue, was ich am richtigsten finde!«

Er wandte sich unhöflich ab, und die Gräfin sah ihm mit einem Blicke zornigen Hasses nach.

»Diese Antwort wird dein Vater bereuen!« murmelte Brockdorff, der den kleinen Vorgang ebenso genau beobachtet hatte wie Kajus, und dieser seufzte bekümmert. Er liebte die Gräfin Eleonore, denn sie hatte ihr Wort gehalten und war dem aufwachsenden Knaben stets gütig begegnet, aber er wußte nur zu gut, daß Frau Uhlfeld, seitdem sie sich mit 122 Leidenschaft an den Geschäften des Staates beteiligte, nicht mehr das sanfte, liebende Mädchen, sondern ein willensstarkes Weib war, dessen Feindschaft gefährlich für jedermann werden konnte. Und man sagte von ihr, daß sie niemals eine Beleidigung vergäße.


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