Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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XVI.

Es war ein glühendheißer Tag Ende des Julimonates. Die engen Straßen Kopenhagens waren wie ausgestorben, und nur, wo der Wind vom Wasser her Kühlung brachte, sah man noch einiges Leben. Im Schatten der Häuser saßen einige Frauen, die Näharbeit oder den Strickstrumpf in der Hand; aber nur langsam wurde das Werk gefördert, und selbst die Lippen bewegten sich nicht so eifrig, wie es sonst wohl der Fall war.

»Es ist eine böse Zeit!« seufzte die dicke Frau des Bäckermeisters Otzen und wischte sich mit der blauen Leinenschürze den Schweiß von der Stirn. »In den Straßen ist's so heiß wie im Backofen, und der Backofen ist das kühlste Plätzchen im Hause heutzutage. Die großen Herren, für die es so manchen Topfkuchen und täglich weißes Brot zu backen gab, sind auf dem Wasser und müssen altes Schwarzbrot essen. Oder sie sind in Holstein und geben den fremden Leuten etwas zu verdienen, oder sie sind tot!«

Sie stöhnte laut bei diesen Worten, während ihre Nachbarin, zu der sie gesprochen wurden, gleichfalls einen tiefen Seufzer ausstieß.

»Du hast recht, Nachbarin Otzen; seit dieser Krieg ausgebrochen ist, den der Teufel uns einbrockte, seitdem ist Kopenhagen eine arme Stadt. Es gibt keinen 207 Verdienst mehr und kein Vergnügen! Wohl zehn Paar Stiefel täglich hat mein Peter manchmal abliefern müssen, und ich habe schöne Spitzen darum gesetzt, denn die Herren Junker waren eigen, und es konnte ihnen nicht schön genug sein. Manchmal haben sie meinem Peter die hohen Stiefel wieder ins Gesicht geworfen, weil das Leder nicht blank war oder weil die Sohlen knarrten. Aber manchen harten Taler verdiente mein guter Mann, und das war die Hauptsache. Jetzt sitzt er müßig in der Werkstatt, die Gesellen sind weggeschickt, und kein Mensch hat ein Paar Schuhe nötig. Und mit dem Vergnügen ist es ebenfalls schlecht bestellt. Wie oft sahen wir sonst nicht den König und seine Herren durch die Straßen reiten, alle in bunten gestickten Röcken und mit Federhüten auf dem Kopfe! Und noch voriges Jahr wurde auf dem Neumarkt die Hexe verbrannt. Das war ein Gedränge, und die schöngeputzten Leute in den Fenstern lachten, als der Karren vorbeikam, auf dem die Person saß! Sie hatte rote, struppige Haare und kleine grüne Triefaugen, und jedermann konnte sogleich sehen, daß sie mit dem Teufel zusammen viel Böses getan hatte!«

Die Schustersfrau schwieg erschöpft von ihrer langen Rede, lehnte sich auf dem Steinsitz zurück und strich die Falten ihres gestreiften Rockes glatt, während die andere bedächtig mit dem Kopfe nickte.

»Ja, ja, Nachbarin Madsen,« erwiderte sie, »das Schauspiel mit der Hexe war wohl sehenswert, obgleich mir der Rauch vom Feuer in den Hals schlug, so daß er von innen dick anschwoll und ich zu ersticken meinte. Es wird wohl der Böse gewesen sein, der 208 seinen Schabernack mit den Frommen zu treiben versucht. Auch sehe ich lieber, wenn der Henker im roten Rock einem Missetäter den Kopf mit dem Schwerte abschlägt und ihn dann hoch in die Luft hebt. Daher freue ich mich auf nächsten Freitag, wo der vornehme Herr Galthe geköpft werden soll. Einen so feinen Kavalier habe ich noch niemals sterben sehen.«

»Der Herr Galthe?« wiederholte Frau Madsen, die Hände zusammenschlagend. »Ei du meine Güte, was hat denn der getan, daß er sterben muß? Noch im Monat Mai hat mein Peter zwei Paar Stiefel für ihn machen müssen; ein Paar war mit rotem Saffian gar zierlich ausgenäht, und an dem andern nähte ich mit eigener Hand goldene Borten an die Schäfte. Und bezahlt hat er sie auch!«

»Er hat uns niemals Kundschaft gegeben,« sagte Frau Otzen gleichmütig. »Es wird gewiß viel Volk am Rathaus sein, wo das Gerüst stehen soll, und ich will zu rechter Zeit hingehen, um einen guten Platz zu finden.«

»Lieber Gott, ich hätte gar nicht geglaubt, daß der Herr Galthe ein Missetäter wäre!« rief Frau Madsen wieder. »Er war ein freundlicher alter Herr und ein großer Admiral. Was hat er doch verbrochen?«

Frau Otzen schloß gelangweilt die Augen.

»König Christian wird's wissen. Er hat ihn hierhergeschickt, damit er gerichtet würde, und sein Todesurteil ist schon unterschrieben. Mein Bruder Bartel hat das Gerüst aufzuschlagen. Doch seht – da kommen vornehme Herren und Damen!«

Ehe die dicke Frau zu Ende sprach, erhob sie sich, 209 so schnell es ihre Körperfülle erlaubte, und Frau Madsen tat das gleiche.

Langsam kam eine kleine Reiterschar die Straße herauf. Sie mochten von einem Jagdritt heimkommen, denn müde ließen die edlen Rosse die Köpfe hängen, und vier Bracken folgten ihnen mit weit heraushängender Zunge. Allen voran ritt Herr Uhlfeld mit seiner Gemahlin, und die zwei Bürgerfrauen knicksten ehrerbietig, als der gebietende Blick des Reichshofmeisters sie flüchtig streifte. Er grüßte herablassend mit der Hand und lächelte freundlich, als ein etwa sechsjähriger Bube in lautes Freudengeschrei beim Anblick seines reichgeschirrten Pferdes ausbrach und mit ausgestreckten Armen auf den stolzen Reiter zulief. Vorsichtig zügelte Herr Uhlfeld seinen schwarzen Hengst, daß er den kleinen dreisten Burschen nicht verletzte, und gab diesem einen leichten Schlag mit der Reitgerte, daß er erschreckt innehielt.

»Wenn du groß bist und ein tapferer Reitersmann werden willst, dann komme zu mir!« lachte er dem Kleinen im Weiterreiten zu, und seine Mutter, Frau Otzen, knickste noch einmal, strahlend vor Freude über die Leutseligkeit des vornehmen Herrn. Frau Eleonore beachtete diese kleine Szene nicht. Sie ritt in tiefe Gedanken versunken und sah nicht, wie die Leute aus den Häusern kamen, um sie zu grüßen. Nur als ein Bettelweib sich ihr in den Weg warf und mit lauter Stimme ihre Barmherzigkeit anflehte, winkte sie dem Junker Rungholt, der dicht hinter ihr ritt, und dieser legte der Frau ein Silberstück in die Hand. Laut waren die Segenswünsche, die die Beschenkte auf das Haupt der hohen Geberin herabrief, 210 aber diese spornte ungeduldig ihr Pferd an, und bald war die stolze Kavalkade verschwunden.

Frau Otzen stand noch immer vor ihrem Sitz und streichelte den blonden Kopf des Knaben, mit dem der Reichshofmeister gesprochen hatte.

»Du bist ein mutiges Bürschchen, mein Andres,« sagte sie voll mütterlicher Freude, »und Herr Uhlfeld ist ein lieber, schöner Herr, fast so hoch wie der König. Er wird einen großen Mann aus dir machen!«

Die Nachbarin hatte sich wieder gesetzt und sah neidisch zu der anderen herüber.

»Er trug kleine Stiefel von russischem Leder, die ihm durchaus nicht gut saßen,« bemerkte sie.

Frau Otzen lächelte spöttisch.

»Kein edler Herr versteht sich so zu kleiden, wie der Reichshofmeister. Sahst du nicht, daß sein Wams von dunkelgrünem Samt war, reich mit Gold gestickt, und daß er einen kostbaren Spitzentragen trug, der wohl viele hundert Taler wert ist? Und nun erst Frau Uhlfeld! Wie schillerte ihr hellgrünes Kleid in der Sonne, und an den Federn des Hutes funkelten edle Steine! Ich habe den anderen vornehmen Herrschaften keinen Blick geschenkt, so mußte ich die Uhlfelds bewundern. Gott erhalte sie dem Lande zum Segen!«

Die vorher so redselige Frau Madsen war still geworden und schüttelte den Kopf.

»Mir will Frau Eleonore nicht mehr gefallen. Früher ritt sie holdselig grüßend durch die Straßen, jetzt sieht sie keinen mehr an. Sahst du denn nicht den zierlichen Junker, dicht hinter der Frau Gräfin? Die Stiefel mit hohen gestickten Schäften, die so hübsch sein Bein umschlossen, hat er von meinem Peter 211 gekauft, aber sie sind noch nicht bezahlt. Neben ihm ritt das Fräulein von Thienen aus Holstein. Die Muhme meiner Schwägerin, Knudine, ist Mädchen bei ihr, und das edle Fräulein hat sie noch niemals geschlagen!«

Die Bäckerfrau nahm ihren Platz wieder ein.

»Ich sah niemand anders als den Herrn Uhlfeld und sein schönes Gemahl. Möge der Himmel sie segnen!« –

Unterdessen ritt der Reichshofmeister mit seiner Gemahlin und dem kleinen Gefolge noch durch mehrere Straßen Kopenhagens, bis die Pferde endlich in den schattigen Rosenburger Park einbogen. Als sie vor dem Portal des Schlosses hielten, half Korfiz Uhlfeld seiner Gemahlin vom Pferde und führte sie an seinem Arm in ihr Gemach. Dort berührte er flüchtig ihre Stirn mit seinen Lippen.

»Mein teures Lieb darf nicht so düster aus ihren schönen Augen blicken!« sagte er halb scherzend. »Das Volk von Kopenhagen wird sonst denken, daß seine edle Königstochter ein trauriges Leben führt und daß Korfiz Uhlfeld nicht versteht, sein Weib glücklich zu machen.«

Die schöne Frau legte beide Arme um den Hals ihres Gatten.

»Ach, Geliebter,« flüsterte sie, sich an ihn schmiegend, »bin ich nicht seliger in deinem Besitz, als jemals nur ein fürstliches Weib war? Liebe ich dich nicht mehr als mein Leben? Aber es gibt Stunden, wo die Sorge mir am Herzen nagt und wo düstere Gedanken mir kommen!«

Herr Uhlfeld lächelte.

»Das ist die böse Politika, die nicht für 212 Weibergehirn paßt und die wie ein Gespenst dich verfolgt! Dein Blut ist zu heiß, um kaltblütig berechnen zu können, und ich tat unrecht, dich in alle Wirrsale der Staatskunst einzuweihen.«

Er sprach gütig, doch das feine Ohr seiner Gemahlin empfand nur zu deutlich den leisen Tadel in seinen Worten.

»Ich will mich bessern,« sagte sie und neigte demütig das Haupt. »Ich will lernen, kalt und ruhig nachzudenken, und will freundlich lächeln, wenn mein Gebieter es verlangt!«

Korfiz drückte sein geliebtes Weib zärtlich an sich.

»Dein hoher Sinn wird bald erkennen, daß du am klügsten handelst, je mehr du deine Gedanken verbirgst. Wir müssen auf der Hut sein, denn nicht alles Volk ist uns hold, und mächtige Feinde neiden uns die königliche Gunst. Auf unserem Wege wird noch mancher Dorn uns die Haut ritzen, ehe wir die Rosen brechen dürfen. Sprachst du heute morgen mit dem Reichsrat Rosenkranz?« setzte er anderen Tones hinzu, zog seine Gemahlin auf eine Ruhebank und setzte sich neben sie.

Zornig flammten die Augen Eleonorens.

»Er führt Klage über Kajus Rungholt, den die bösen Mächte beschirmen und der es verstanden hat, dem Feinde zu entwischen. Nimmer dachte ich, daß er leben würde, und nun steht er in des Königs Gunst und weilt in wichtiger Sendung am Gottorper Hofe. Aber ich werde ihn verderben, denn er könnte uns gefährlich werden!«

»Ruhig, Geliebte!« mahnte der Reichshofmeister. »Gewiß, nicht lange soll Herr Rungholt sich der Gunst 213 Seiner Königlichen Majestät erfreuen; aber wir müssen langsam und bedächtig einherschreiten. Dann ist der Vorteil uns gewisser. Auch Herr Rosenkranz ist nicht so vorsichtig, wie es sein Alter erheischt; er ist durch Rungholt in Angst versetzt, und doch weiß ich gewiß, daß dieser gute Junker mit Zoppelows Papieren nicht viel beginnen kann. Möge er dieselben dem Könige vorlegen, ich werde Sorge tragen, daß Seine Majestät mit meiner Erklärung sich begnügt! Lieb ist mir, daß Zoppelow am Galgen endete, er war ein lästiger Gesell und uns widerlich.«

Eleonore faßte spielend die Hand des Gatten.

»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Manchmal ist mir, als hingest du an dem rauhen Junker, der noch kürzlich trockenen Tones mir sagte, nimmer würde er zu uns stehen!«

Herr Uhlfeld zog die Stirn kraus.

»Wäre Herr Rosenkranz nicht, der auf Rache drängt und den ich nicht beleidigen will, ich versuchte noch einmal, den Trotzkopf zu gewinnen. Denn er steht im Schutze einer höheren Macht, ist ein tapferer, frischer Gesell, hat blinden Gehorsam gezeigt und sich auf Fehmarn gut benommen. Sein Bruder dagegen ist listig, und krumme Wege sind ihm die liebsten.«

»Klemens Rungholt ist ein treuer Diener,« fiel Eleonore ein, »der mehr blinden Gehorsam zeigen wird als der andere. Kajus gehorcht nur, wo er glaubt, daß der König befiehlt. Er ist ein Starrkopf, der uns schaden kann, während Klemens, wenn er den Edelhof erhält, ein brauchbares Werkzeug in meiner Hand bleiben wird.«

Uhlfeld spielte nachlässig mit der goldenen Kette, 214 die auf seine Brust herabhing. Dann zuckte er gleichmütig die Achseln.

»Sei es drum! Räume den älteren Rungholt aus dem Wege, wenn es dir richtig erscheint; doch gehe vorsichtig vor, daß man niemals einen Verdacht auf uns werfen kann. Laß andere für dich arbeiten, du aber leite sie mit sicherer Hand und tue mit dem Junker, was dir gut erscheint! Ich habe andere Gedanken, die mir den Kopf erfüllen.«

Er zog bei diesen Worten einen schweren Kasten zu sich heran und begann, demselben Papiere zu entnehmen, die er durchsah und ordnete. Auch Frau Eleonore zog einen Stuhl an den Tisch heran, und bald waren beide Gatten in eifrigster Beratung über die politische Lage des Landes.

Korfiz Uhlfeld und seine Gemahlin verrieten schon seit Jahren ihr Vaterland an die Schweden. Nicht aus Haß gegen Dänemark, sondern weil sie hofften, es mit schwedischer Hilfe regieren zu können. Der älteste Sohn Christians, der Erbprinz Christian, hatte noch immer eine schwache Gesundheit, und man glaubte, daß er bald sterben würde, während der zweite Prinz, Friedrich, ein hochmütiger, aber kluger Herr war, von dem der Reichshofmeister wußte, daß er ihn keine Stunde in seiner Stellung lassen würde, sobald er die Regierung antrat. Korfiz aber wollte regieren, geradeso wie seine Gemahlin, die sich für klüger hielt als ihre königlichen Brüder, und die einen unbegrenzten Ehrgeiz hatte. War sie nicht auch eine Königstochter, und ihre Mutter nicht aus dänischem altem Adel? War sie nicht ebenso edel geboren wie die Prinzen, die eine Prinzessin zur Mutter hatten?

215 Sie haßte ihre Stiefbrüder, und diese gaben ihr den Haß mit Zinsen zurück. Nicht mit Unrecht; denn sie handelte willkürlich mit dem Staatsschatz des Reiches und wußte den König zu bewegen, ihr mehr zu geben, als ihr und ihrem Gemahl zukam.

Und der König war alt. Wenn er die Augen schloß, mußte schon alles bereit sein, um den Prinzen die Thronfolge zu nehmen und sie Korfiz zu geben. Die schwedischen Staatsmänner wollten dem Ehepaar behilflich sein, sie wollten dafür sorgen, daß Eleonore Königin würde; dafür mußte sie natürlich versprechen, einige Provinzen des dänischen Reiches, vor allem Schonen, den Schweden abzutreten. Daher sollte jetzt schon das dänische Reich geschwächt werden, daß keine Stände, kein Reichsrat sich gegen diese Abtretung wehrte. Deshalb wußten die Schweden immer, wo sie die Dänen angreifen konnten, Holstein und Schleswig wurden jämmerlich verwüstet; laut drangen die Klagen der armen Provinzen an den Königsthron, aber die Uhlfelds blieben kalt, sie dachten nur an ihr eigenes frevelhaftes Ziel. –

Im unteren Geschoß des Schlosses stand der Junker Klemens Rungholt und schlug ungeduldig mit der Reitpeitsche auf seine Stiefel. Sein Gesicht war bleich und trug die Spuren innerer Unruhe. Neben ihm lehnte an der getäfelten Wand sein Freund und Genosse, Herr von der Wisch, aufmerksam einen Schmetterling betrachtend, den er auf eine Nadel gespießt hatte und dessen Flügel im Tode zuckten.

»Ganz leise schlich ich herzu, als ich das Tier fangen wollte, und ehe er die Flügel hob, waren sie in meiner Faust,« sprach Geerd von der Wisch leise 216 vor sich hin. »Man muß nur die rechte Gelegenheit erspähen, dann geht es den Feinden wie dem Falter!« Der Schmetterling schlug noch einmal mit den Flügeln, von denen der Staub gestreift war, dann bewegte er sich nicht mehr, und Geerd nickte zufrieden.

Klemens sah unsicheren Blickes zu dem Sprecher hinüber, dann trat er heftig mit dem Fuße auf, daß es auf den Steinfliesen hallte.

»Was nützt mir dein toter Schmetterling? Ruhe will ich haben und Sicherheit, daß ich des Nachts wieder schlafen kann und daß, wenn ich die Augen schließe, nicht böse Bilder vor mir aufsteigen. Verflucht sei er, den ich so sicher verloren wähnte, und der jetzt durch des Königs Vertrauen geehrt wird!«

Der Junker Wisch lachte über diesen Zornausbruch.

»Auch ich habe eine Rechnung mit ihm zu begleichen,« sagte er höhnisch, »aber ich gehe nicht umher wie ein Rasender und schreie, daß es jedermann hören kann. Meine Rache geht langsam, aber sicher ist ihr Schritt!«

Klemens schien seine Worte nicht zu beachten.

»Und geschrieben hat er der Jungfrau Gude! Ein langer Brief war es; sie weinte beim Lesen und wollte ihn mir nicht geben. Aber er soll mir die Jungfrau nicht wieder nehmen, und wenn ich sein Herzblut fließen sehen müßte!«

Jetzt brach der andere in lautes Lachen aus.

»Rede doch nicht wie ein Kind! Kajus wird wiederkommen und sein holdes Bräutlein heimführen. Es ist auch lange, seitdem auf dem Edelhof ein Herr war, und manchen Beutel mit harten Talern wird der sparsame Freiherr seinem Ältesten hinterlassen 217 haben. Dann wird das Haus schön ausgeschmückt werden, und die junge Freifrau –«

»Halt ein!« schrie Klemens und faßte Geerd bei der Schulter. »Glaubst du, ich würde ruhig dies alles dulden? Eher will ich sterben!«

Der Junker Wisch öffnete seine Augen, als erstaune er über den Zorn seines Freundes.

»Nur nicht so hitzig!« sagte er. »Gut Ding will Weile haben, und sterben kannst du immer noch. Laß deinen Bruder nur einige Jahre sich seines Glückes freuen, dann wird's ihm um so schwerer, wenn ein Unglück ihn erreichen sollte!«

Er sprach begütigend, aber Klemens schüttelte den Kopf.

»Er darf nicht wieder nach Kopenhagen kommen, er darf nicht noch einmal Gude umfangen! Sie liebt mich, sie hat es mir gestanden, aber wenn sie ihn wiedersieht, neigt sich ihr Herz vielleicht ihm wieder zu –«

»Hundert Goldgulden schuldest du mir auch!« sagte Geerd trocken.

Klemens biß sich auf die Lippen. Im festen Vertrauen darauf, daß er in nächster Zeit Herr von Holleby sein würde, hatte er beträchtliche Schulden gemacht, die er jetzt nicht bezahlen konnte. Es war ein Donnerschlag für ihn gewesen, als er erfuhr, daß Kajus gesund von Fehmarn entkommen wäre, und daß er auch die Seeschlacht unversehrt überstand. Eine grenzenlose Aufregung bemächtigte sich seiner, und Herr von der Wisch bemühte sich, sie nach Kräften zu steigern.

Als Klemens noch immer nicht antwortete, gähnte 218 der holsteinische Junker und setzte sich auf ein hölzernes Bänkchen.

»Es ist fast zu warm heute, um über unerfreuliche Geschichten zu verhandeln, aber du könntest mir doch noch einen Rat geben. Mein Oheim Rosenkranz ist sehr erzürnt auf Kajus, weil er sich ihm gegenüber ungebührlich betragen hat. Auch ich möchte noch ein Wörtchen mit ihm reden, ehe er wieder heimkehrt, weiß es aber nicht anzufangen. Du kannst dir denken, daß der Reichshofmeister mit allem zufrieden sein wird, was Herr Rosenkranz bestimmt, und daher brauchen wir nicht zu fürchten, daß er dem Oheim oder mir etwas in den Weg legt.«

Klemens hörte gespannt zu; jetzt seufzte er ungeduldig.

»Tue, was du willst. Ich fürchte nur, daß dein Arm nicht lang genug ist, den Buben, der sich meinen Bruder nennt, zu treffen!«

Der Junker Wisch schien ihn nicht zu hören.

»Wenn man Urlaub erlangen könnte, um nach Schleswig zu reisen! Zwischen Flensburg und der Stadt Schleswig breitet sich die Heide aus, und wer darüber reitet, der mag sich wohl vorsehen. Ich bin einmal mit meinem Vater zwei Tage lang über die Heide geritten, und er erzählte mir viele grausige Geschichten!«

Klemens war unruhig hin und her gegangen. Nun blieb er stehen. Die Blicke beider Junker begegneten sich.

»Du würdest mir also beistehen?« Junker Rungholt fragte leise und zögernd.

Geerd kicherte zufrieden.

219 »Komm mit mir zu meinem Oheim!« rief er und zog den halb Widerstrebenden mit sich. »Der wird dir sagen, welcher Lohn deiner harrt, wenn –« Seine Stimme verlor sich in Flüstern, und langsam folgte Junker Rungholt dem voranschreitenden Freunde.

Zwei Tage später hatte Kopenhagen ein großes Schauspiel. Der Vizeadmiral Galthe, der einen Teil der schwedischen Flotte aus dem Kieler Hafen hatte entkommen lassen, wohin diese nach der Schlacht auf der Kolberger Heide flüchtete, ward dieses Vergehens wegen öffentlich hingerichtet. König Christian war in dieser schweren Kriegszeit nicht milde gestimmt. Herrn Peter Galthe half weder seine große Bildung noch sein Alter, er mußte sterben, und das Volk von Kopenhagen war's zufrieden. Sah man doch, daß die Strenge des Königs auch die Großen nicht verschonte, und dann verlangten die Leute einmal wieder nach einer Augenweide. Und eine solche gab es. Nicht allein, daß die Straßen seit dem Morgengrauen mit Menschen gefüllt waren, auch die Häuser in der Nähe des Rathauses, vor dem die Exekution stattfinden sollte, nahmen unzählige Neugierige auf, und die endlos lange Reihe der Fenster im Rathause selbst diente dem Adel und den Angestellten des Hofes zum Aufenthalt. Geputzte Herren und Damen standen hier in großer Anzahl zusammen, plauderten und lachten miteinander. Frau Otzen und Frau Madsen, die gleichfalls ein gutes Plätzchen fanden, hatten Gelegenheit, köstliches Geschmeide, Brokat, Seide und Spitzen zu bewundern.

Frau Madsen, deren Redefertigkeit sonst nicht 220 klein war, schien tief in Gedanken. Sie wunderte sich, daß alle die vornehmen Herrschaften so fröhlich scherzen und plaudern konnten, wenn doch einer der Ihren den Tod auf dem Schafott erleiden mußte, und dann war sie auch gespannt, ob Herr Galthe wohl die Stiefel auf seinem letzten Gange tragen würde, die ihr Peter ihm gemacht hatte.

Inzwischen flüsterte Frau Otzen ihrer Begleiterin allerhand Bemerkungen ins Ohr. Bald hatte sie an dieser, bald an jener Dame etwas auszusetzen, bald begrüßte sie eine Gevatterin mit behaglichem Kopfnicken oder blickte eifrig zu dem mittleren Fenster des Rathauses empor, das mit rotem Tuch ausgeschlagen war und wo der Reichshofmeister mit seiner Gemahlin und seiner Begleitung sitzen sollte. König Christian, der das Bett noch nicht verlassen durfte, hatte seinen Schwiegersohn beauftragt, ihn zu vertreten.

Endlich zeigte sich die hohe Gestalt des ersten Würdenträgers im Fenster, und das Volk begrüßte ihn lärmend. Besonders Frau Otzen konnte nicht aufhören, »Lang lebe Herr Uhlfeld!« zu rufen und dabei mit dem Tuche zu winken, und ihrem Beispiel folgte eine große Anzahl von Leuten, während es wieder andere gab, die leise murrten. Herr Korfiz entblößte sein Haupt und verneigte sich nach allen Seiten, dann leitete er mit großer Ehrfurcht seine Gemahlin auf einen etwas erhöhten Platz und setzte sich an ihre Seite. Neben und hinter ihnen standen verschiedene Kavaliere des Hofes und einige Edelfräulein. Auch Gude von Thienen und Klemens Rungholt waren unter ihnen. Erstere war bleich, 221 doch errötete sie jedesmal, wenn der Blick des Junkers sie traf. Teilnahmlos sah sie auf die bewegte Menschenmenge unter ihr, und als einige Trompetenstöße erklangen und ein feierlich geordneter Zug sich dem mit schwarzem Stoff behangenen Schafott näherte, da schloß sie schaudernd die Augen.

Herr Peter Galthe benahm sich so, wie es einem Christen und Edelmanne auch in der unangenehmsten Lage geziemt. Er hörte mit gefalteten Händen und entblößten Hauptes das Todesurteil an, das ihm noch einmal vorgelesen wurde. Dann verneigte er sich vor dem Volke, dem er nie ein Leids zufügte, küßte die ihm vorgehaltene Bibel und stieg festen Schrittes die Stufen zu dem Block hinauf, wo der Henker ihn erwartete. Wenige Minuten später und ein Kanonenschuß verkündete, daß des Vizeadmirals Haupt gefallen wäre. Wieder schmetterten die Trompeten; ein Herold ermahnte die Leute, ruhig nach Hause zu gehen, und die Menge verlief sich langsam.

»Es war zu kurz!« sagte Frau Otzen mißmutig zu ihrer Begleiterin. »Eigentlich verlohnt es sich nicht der Mühe, nur einen Menschen hinzurichten. Lieber Gott, es gibt doch so viele Missetäter, daß es nicht schwer sein müßte, drei oder vier, dem Admirale zur Gesellschaft, um einen Kopf kürzer zu machen!«

Frau Madsen antwortete nicht. Sie schluchzte laut, denn Herr Galthe hatte wirklich ein Paar Stiefel an seinen Füßen getragen, die ihr Mann gearbeitet hatte, und dieser Umstand rührte sie so, daß sie noch weinte, als sie schon lange zu Haus war.

Frau Uhlfeld folgte der Exekution mit geringer 222 Teilnahme. Ihr war Herr Galthe stets gleichgültig gewesen, und sein Geschick bekümmerte sie wenig. Jetzt, nachdem alles vorüber war, winkte sie dem Junker Rungholt mit den Augen.

»Ihr habt ein Schreiben an mich gerichtet, in dem Ihr um Erlaubnis bittet, eine längere Reise zu machen; ich gebe Euch diese.«

Klemens verneigte sich, und Frau Eleonore blickte ihn durchdringend an.

»Auch der Junker Wisch hat mir dasselbe Gesuch mitgeteilt, und ich hoffe, daß die Herren stets und zu jeder Stunde das Wohl des Staates im Auge behalten werden. Der König straft schnell und schrecklich!« Sie deutete mit leichter Handbewegung auf das noch von Neugierigen umlagerte Gerüst.

Dann wandte sie sich noch einmal dem jungen Rungholt zu, neben den sich auch Geerd von der Wisch gedrängt hatte, und grüßte vornehm.

»Gehabt Euch wohl, Ihr Herren, und möget Ihr eine gute Verrichtung haben!« Ihre lange Brokatschleppe rauschte über den Fußboden, und sie ging hoch aufgerichtet auf ihren Gemahl zu, der ihr den Arm bot und sie hinausgeleitete.

Die Räume des Rathauses leerten sich schnell, und bald trat auch Klemens Rungholt, begleitet von dem Junker Wisch, aus einer der vielen Türen des langgestreckten Gebäudes, das erst von Christian dem Vierten erbaut war.

»Mein Oheim sagte mir schon, alle Dokumente, die wir bei dem Verräter finden würden, sollten wir ihm ungelesen abliefern,« flüsterte Geerd und sah mißmutig zu dem Schafott hinüber. »Der Teufel 223 ist mein Zeuge, daß ich mich um Staatsgeschäfte blutwenig bekümmere und auch gar nichts davon verstehe. Die stolze Gräfin hatte nicht nötig, mir zu drohen. Gott erhalte sie, aber manchmal ist sie sehr übler Laune. Als ich ihr gestern erzählte, der saubere Kajus hätte den Tod des armen Zoppelow auf dem Gewissen, sagte sie kurz, sie fühle kein Mitleid mit elenden Spionen und freue sich, das vertrunkene Gesicht des Mecklenburgers nicht mehr zu sehen. Sie ist unberechenbar wie alle Weiber!«

Nachdem der Junker also seinem Herzen Luft machte und noch verschiedentlich ängstlich nach dem Platz sah, wo Herr Galthe eben enthauptet worden war, versank er in ein tiefes Sinnen, und auch Klemens sprach kein Wort. Eilig schritten beide dem Rosenburger Schlosse zu, und nachdem der von der Wisch sich am Eingange des Parkes von Klemens trennte, ging dieser einen schattigen Baumgang entlang, der zu einer Muschelgrotte führte. Dort blies ein pausbäckiger Triton einen Wasserstrahl in die Luft, und das Plätschern der niederfallenden Tropfen übertönte jedes Geflüster.

Hier stand Gude von Thienen in einen Mantel gehüllt. Als sie den Junker kommen sah, trat sie ihm hastig näher und faßte ihn an beide Hände.

»Ihr wollt fort?« rief sie und unterdrückte mühsam ein Schluchzen. »Ihr wollt mich verlassen? Keine Ahnung hatte ich von Eurem Vorhaben, bis die Gräfin Euch eben Urlaub gab!«

Sie brach in leises Weinen aus, und der Junker umfaßte sie leidenschaftlich.

»Ich muß Euch für eine Zeitlang verlassen,« 224 flüsterte er und bedeckte das Gesicht des Fräuleins mit Küssen. »Fraget mich nicht, wohin ich gehe, mein teuerstes Kleinod! Wenn ich wiederkehre, sollt Ihr die Meine werden!«

»Hat die Gräfin Euch dies zugesagt?« fragte Gude, ihre Tränen trocknend. »O, so geht, geliebter Junker; aber kehrt bald zurück. Ich bin traurig ohne Euch, und böse Gedanken verfolgen mich!«

»Fürchtet nichts!« beruhigte Klemens sie. »Meint Ihr, meine Liebe wäre so schwach wie die meines Bruders?«

Gude schüttelte das blonde Haupt und seufzte tief.

»Auch Kajus sprach sanfte Worte, als er mich verließ, und sein Brief ist voll von Liebe. Wüßte ich nicht aus des Junkers Wisch eigenem Munde, daß er eine Liebste auf Fehmarn hatte, die ihn sogar übers Wasser fuhr, ich könnte es kaum glauben. Auch ein Mörder soll er sein! Und er durfte meine Hand berühren!«

Sie schauderte zusammen, während Klemens erbleichte. Dann führte er die Hand der Jungfrau an seine Lippen.

»Sprecht nicht von meinem Bruder!« bat er. »Sein Name ist es nicht wert, von Euch genannt zu werden. Niemals hat er Euch geliebt, wie ich es tat von dem ersten Augenblick an, wo meine Augen Euch erblickten, und auch Ihr sagtet mir, daß Ihr dem feigen Verräter niemals Euer ganzes Herz geschenkt! Ist es nicht so?«

Das Fräulein errötete tief.

»Es ist so,« sagte sie dann leise. »Der Kajus ist so ruhig; Ihr seid feurig; er ist reich und geehrt, Ihr 225 seid arm; er hat mich vergessen, sobald er mich nicht mehr sah – Ihr –« sie stockte einen Augenblick, und ihre Blicke suchten die Augen des Junkers.

»Ihr werdet mich stets lieben, nicht wahr?« fragte sie sanft. »Ihr werdet niemals etwas Unrechtes begehen, daß ich immer stolz sein kann auf Euch und nicht nötig habe, die Augen niederzuschlagen, wenn Euer Name genannt wird? Meine Liebe zu Euch ist so heiß, daß sie mich fast verzehrt; ich würde sterben, wenn Ihr mich verrietet!«

»Niemals!« flüsterte Klemens.

»Wohin geht Ihr?« fragte Gude nach einer Pause.

»Ein geheimer Auftrag führt uns vielleicht nach Schleswig!« lautete die zögernde Antwort.

Gude hob überrascht die Augen.

»Nach Schleswig? Werdet Ihr Euren Bruder sehen?«

»Schwerlich!« versetzte Klemens, ein Käferchen, das über seine Hand lief, mit hastiger Gebärde fortschleudernd.

»Die Gräfin trug mir auf, ihm zu schreiben, daß ich ihn verachte!« rief Gude mit geröteten Wangen. »Ich tat es, und ich wünsche ihn nimmer wiederzusehen!« Noch eine heiße Umarmung, dann ging Klemens Rungholt, und Gude blieb allein.

Jungfrau Gude hatte Kajus Rungholt die Treue gebrochen, und sie glaubte sich berechtigt dazu, da sie den frechen Verleumdungen des von der Wisch nur ein zu williges Ohr geliehen. War sie doch halb berauscht von der glühenden Liebe, die Klemens ihr entgegentrug, und dachte mit leiser Verachtung an den ernsten Junker. Kaum konnte sie begreifen, 226 daß sie ihm einst Gehör schenkte. Sie hatte sich in ihm getäuscht. Nur seine dunklen Augen wollten ihr nicht aus dem Sinn. Vorwurfsvoll sahen sie sie an, und auch in diesem Augenblick war es ihr, als sähe sie sein gutes, ernstes Gesicht vor sich. Zornig schlug sie mit einer Rose, die ihr Klemens gegeben, in die Luft. »Hinweg!« rief sie so laut, daß der Trabant, der am Portale des Schlosses stand, sie erstaunt anblickte. Aber sie beachtete ihn nicht und schritt flüchtigen Fußes an ihm vorüber.


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