Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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105 IX.

Die Begräbnisfeierlichkeiten waren vorüber, und der Freiherr rüstete sich mit seinen Söhnen zur Abreise nach Kopenhagen. Auch Herr von Zoppelow mußte wohl oder übel das Gut verlassen und dachte mit einigem Grauen daran, daß er eigentlich nicht wußte, wohin er sein Haupt legen sollte. Er hatte einem trinkfesten Edelmann aus der Nachbarschaft nahegelegt, ihn für einige Zeit einzuladen; der aber fragte nur, welchem schwedischen Korps er sich in Deutschland anschließen wolle. Aber der Mecklenburger liebte den Krieg nicht. Ja, die Nachhut bilden und die Dörfer plündern, das hätte sich schon ertragen lassen, aber seitdem er einmal bei Lützen im Kugelregen stand, wurde es ihm klar, daß er nicht für das Kriegshandwerk bestimmt wäre. Da versuchte er lieber auf anderem Wege sein Leben zu fristen, und die zwei Jahre Gefängnis in Kopenhagen abgerechnet, war es ihm auch nicht schlecht ergangen. Und was das Gefängnis anbetraf, so gab es schlimmere Kerker als das behagliche Zimmer, in dem er gelebt, und elendere Gefangenenkost, als die, die er erhalten hatte.

Während Zoppelow diese Betrachtungen anstellte, saß er vor dem großen Kamin in der Halle und blickte nachdenklich in die Flamme des knisternden Feuers. Ein feiner Schnee schlug an die hohen Fenster, 106 und draußen legte sich eine weiße Decke über Erde und Dächer, so daß es drinnen doppelt behaglich war. Der Freiherr war mit Kajus in dem einige Stunden entfernten Städtchen Hilleröd, und daher wagte es Zoppelow, den besten Platz in der Halle einzunehmen. Sonst hielt er sich in einer gewissen Entfernung von den älteren Rungholts, wenn er sich auch bemühte, in seinem Auftreten eine sorglose Sicherheit zu zeigen.

Eine Tür ging auf und Klemens trat ein, ließ seinen schweren Mantel von den Schultern gleiten und warf ein dickes Buch auf den Tisch, das er unter dem Mantel getragen hatte.

»Was bringst du da?« fragte Zoppelow neugierig.

Der hübsche Junker warf ihm einen unzufriedenen Blick zu.

»Nichts für dich, werter Vetter!« versetzte er kalt, und stellte sich dann so vor den Kamin, daß er die behagliche Feuerwärme von Zoppelow fortnahm.

»Du stehst mir im Wege!« brummte dieser. »Setze dich doch so hin, daß meine Knie mir nicht wieder kalt werden.«

Aber der andere rührte sich nicht.

»Ja, ja,« sagte er spöttisch, »die schönsten Plätze an fremden Kaminen einnehmen, das mag der Herr Vetter! Aber daß er etwas tun muß, um sich diesen warmen Platz zu verdienen, das scheint er nicht zu wissen!«

»Habe ich nicht immer genug für dich gestrebt? Als du noch ein kleines Bürschchen warst, bin ich es gewesen, der deiner Mutter zuredete, alles zu versuchen, dir das Gut zu erhalten. Wo ich auch war, stets gedachte 107 ich deiner, und manches ernste Wort redete ich mit hohen Männern zu deinem Vorteil!« rief Zoppelow.

Aber Klemens zuckte die Achseln.

»Deinen Reden schenke ich keinen Glauben! Was hat dein Bemühen, von dem du so viele Worte machst, genützt? Wo ist ein vornehmer Mann, der Anteil an mir und an meinem traurigen Geschick nähme? Ich weiß von keinem. Ich weiß nur, daß ich morgen mit den andern nach Kopenhagen muß, um als armer jüngster Junker elende Dienste zu verrichten. Wo ist dein Dank dafür, daß ich stets freundlich gegen dich war? Wo der Dank, daß ich sagte, die Goldsachen und alles andere hätte die Mutter dir gegeben, obgleich ich wußte, daß diese sich lieber selbst mordete als kostbare Dinge verschenkte? Vor schlimmem Verdacht und großer Schande schützte ich dich, und noch manches andere könnte ich von dir berichten, was den Freiherrn schwer erzürnen würde; aber ich schweige. Und der Lohn für alles? Du sitzest hier am Feuer, dich zu wärmen, denkst nur an Essen und Trinken, niemals aber an meine Angelegenheiten!«

Heftig, mit flammenden Augen sprach der Jüngling, während Zoppelow unbehaglich hin und her rückte.

»Bald spreche ich mit dem Reichshofmeister über dich und deine Sache!« begütigte er den Aufgeregten. »Man muß persönlich mit ihm reden, dann –«

»Diese Worte sagst du mir immer!« unterbrach ihn der Junker zornig. »Ich glaube ihnen nicht mehr! Auch wird Uhlfeld bald an anderes zu denken haben, als an einen armen Enterbten. Das hast du selbst mir vor nicht langer Zeit angedeutet. Oho! Sieh mich 108 nicht so erschrocken an; ich habe deine Worte nicht vergessen und auch die Augen hübsch offen gehalten, wenn die fremden Leute dich zu besuchen kamen. Der Schwede will in Dänemark einfallen, und du hast manche Botschaft von hier nach Stockholm gesandt. Mich geht's nichts an. Laß sie kommen und brennen und morden wie in Deutschland, was kümmert's mich! Von mir können sie nicht viel nehmen!«

Zoppelow war aufgesprungen und bemühte sich vergebens, Klemens zum Schweigen zu bringen.

»Um Gottes willen, rede nicht so laut!« rief er, am ganzen Leibe zitternd. »Was willst du gesehen und gehört haben? Nichts, gar nichts! Ich bin ein unschuldiger Ehrenmann, der mit Uhlfeld gut steht, und du nur ein törichter Knabe! Die Schweden sollten in Dänemark einfallen? Pah! Niemals war größere Freundschaft zwischen Dänen und Schweden als jetzt!«

Er hatte hastig, überstürzt gesprochen, und Klemens lachte laut über seine Fassungslosigkeit.

»Sei kein Narr!« sagte er kalt. »Ich verstehe zu schweigen, und ich sagte dir schon, daß ein Krieg mir nur Nutzen, niemals Schaden bringen könnte. Zu verlieren habe ich nichts, zu gewinnen manches!«

Zoppelow warf dem Sprechenden einen lauernden Blick zu, dann trocknete er den Schweiß von der kahlen Stirn, setzte sich wieder, sagte aber nichts, während Klemens ihn unablässig beobachtete. Eine Pause entstand, die großen Holzscheite prasselten im Kamin, und der Wind fuhr stöhnend durch den Schlot, drückte die Flammen zusammen und trieb den Rauch in die Halle, so daß Herrn von Zoppelow ein lang andauernder Husten befiel. Aber er sagte nichts, 109 sondern wischte sich schweigend die Tränen aus den Augen und stöhnte leise. Klemens lächelte sonderbar bei diesem Gebaren, endlich meinte er:

»Der Rauch muß dir in den Hals geschlagen sein, teurer Vetter, aber es ist doch besser, hier behaglich zu sitzen, als draußen freundlos umherzuirren und nicht zu wissen, wo man sein Haupt hinlegen soll.«

Er hielt inne. Zoppelow stöhnte noch lauter, während der feine Schnee gegen die Scheiben knisterte.

»Ein schlechtes Wetter, um für lange Zeit auf Reisen zu gehen!« bemerkte Klemens freundlich.

Der Mecklenburger fuhr mit einem wilden Fluch auf. »Himmel und Hölle!« schrie er. »Meint der Gelbschnabel, einen alten Mann verspotten zu können? Was hast du mir versprochen, du Satansbrut? Sollte ich nichts stets einen Unterschlupf bei dir haben? Und nun höhnst du mich wie einen Bettler! Reize mich nicht weiter, Junge, oder Albrecht von Zoppelow verliert die Geduld!«

»Aber, Vetter!« rief Klemens ganz erstaunt, »wer hat dich denn reizen wollen, und wie sollte es mir in den Sinn kommen, deiner zu spotten! Natürlich habe ich dir versprochen, dich auf Holleby zu beherbergen wie meinen eigenen Vater; aber wird der Edelhof mir denn jemals gehören? Freilich gibt es ein Gesetz,« er wies auf das dicke Buch auf dem Tisch, »das sagt, daß einer, der eine bürgerliche Mutter hatte, niemals einen Edelhof besitzen sollte, aber der Amtsvogt in Holleby sagt, daß der König sehr zornig würde, wenn man ihn an dieses Gesetz erinnerte. Auch weiß ich jetzt, daß Holleby mit dem Gelde der Kieler Bürgerstochter bezahlt ist. Mir kann also nur einer helfen –« 110 starr blickte er den Mecklenburger an. »Du kennst ihn, hast ihm vielleicht auch schon einmal ins Angesicht geschaut, wenn du ihn auch nicht zu lieben scheinst. – Wenn der uns beisteht, dann sitzen wir vielleicht in Jahresfrist fröhlich hier in der Halle; ich als Erbsohn, du als lieber Gast!«

Rasch flossen ihm die Worte von den Lippen, in seinen Augen blitzte es düster, und die schlanke weiße Hand des Jünglings erhob sich beschwörend, während Zoppelow leise nickte.

»Du hast recht!« murmelte er. »Es ist das Einzigste, Sicherste! Dein Vater würde nimmer hier wohnen und du stets der Herr auf Holleby sein. Aber wie sollte es geschehen? Selbst wenn der Feind ins Land käme, königliche Kavaliere schickt man ihm nicht sogleich entgegen. Solch feines Blut wird geschont. Erst kommen die jüngeren Söhne ins Gefecht, die Erbsöhne bleiben hübsch daheim!«

»Sprich mit Uhlfeld!« drängte Klemens.

Der andere machte eine verneinende Bewegung.

»Von ihm hörte ich lange nichts, und glaube nur, daß er mit Oxenstirn zürnt. Auch habe ich kein Geld, standesgemäß vor ihm erscheinen zu können. Die hohen Herren sind schlechte Bezahler!«

Klemens dachte einen Augenblick nach.

»Ich habe noch etwas Geld und will es dir wohl geben, wenn du schwörst, mir treu zu bleiben. Wenn nicht, wenn ich merke, daß du nach anderer Seite schwankst, dann sage ich allen, die es hören wollen, daß du ein Spion im schwedischen Sold bist, der bald Uhlfeld, bald Oxenstirn Nachrichten überbringt.«

»Ich weiß noch nicht, was du von mir verlangst!« 111 versetzte Zoppelow unwirsch, während er sich ängstlich umsah.

»Er soll auf einen Posten gestellt werden, wo die feindlichen Kugeln ihn finden müssen, und treffen sie ihn nicht –« er hielt inne und der andere seufzte.

»Schon gut! Vielleicht finde ich jemand, der das häßliche Geschäft übernimmt!«

»Tue es dann nur selbst, lieber Vetter!« lächelte Klemens, »es wird deiner Seele nicht mehr schaden!«

Er hatte den Satz kaum vollendet, als die Tür der Halle sich öffnete, um dem Freiherrn und Kajus Einlaß zu gewähren, die weißbeschneit eintraten. Der erstere grüßte die beiden Herrn, die fassungslos aufstanden, nur mit kurzem Wort, während Kajus den Bruder freundlich anredete. Er konnte sich noch immer nicht darein finden, daß dieser sich ihm so fremd gegenüberstellte, und schrieb die Kälte seines Benehmens dem Einfluß Herrn von Zoppelows zu, weshalb er dem genannten Herrn recht hochfahrend begegnete. Konnte er doch auch nicht vergessen, unter welchen Umständen dieser einst mit ihm vom Edelhofe geritten und dann unter schwerer Anschuldigung gefangengesessen hatte. Freilich war die damalige Zeit gegen manches toleranter, und Kajus hatte schon öfters erlebt, daß ein Ritter, der im Kerker gewesen, später mit Ehren bei Hofe wieder aufgenommen wurde. Aber mancherlei erschien ihm bei Zoppelow so unritterlich, daß er ihn im stillen verachtete.

»Sind wir nicht eilig heimgekehrt?« fragte er jetzt den Bruder. »Nur eine Stunde waren wir in Hilleröd, und dann ging's wieder davon! Der Vater fürchtete immer, daß wir einschneien könnten, denn 112 die Wege sind schmal und die Hecken hoch! – – –« Er wollte weitersprechen, als eine kurze Bewegung des Vaters ihn daran hinderte. Dieser legte die Hand auf die Schulter seines Ältesten und schaute prüfend in sein lebendiges Gesicht, das, vom Schein der Flamme erhellt, einen warmen, glücklichen Ausdruck trug. Dann wandte er die Augen dem zweiten Sohne zu, der einige Schritte entfernt stand und düster vor sich hinstarrte, während Zoppelow scheu auf die Seite getreten war.

»Lieber Sohn Klemens!« sprach jetzt die ruhige Stimme des Vaters, »ich habe dir zu berichten, daß ich in Hilleröd mein Testament niedergelegt habe, in dem mein Sohn Kajus zum Erben von Holleby erwählt ist!«

Es entstand eine Pause, und fast atemlos blickte Zoppelow auf Klemens, der die Augen zum Vater erhob und kühl entgegnete:

»Eure Nachricht überrascht mich nicht, Herr Vater. Fast möchte ich fragen, weshalb Ihr mir dieselbe feierlich verkündet. Ich habe niemals etwas anderes erwartet.«

Der Freiherr schien den spöttischen Ton seines Sohnes zu überhören.

»Dann wundert's mich freilich,« versetzte er mit gleicher Gelassenheit wie vorhin, »daß du den Amtsvogt in Hilleröd einen Brief an den König hast schreiben lassen, in welchem Seine Majestät angefleht wird, dir und nicht Kajus Holleby zu verschaffen. Ein törichtes Schreiben war es, mein Sohn, und ich rate dir, dich niemals wieder mit solch einer Angelegenheit zu befassen. Schon einmal habe ich dir gesagt, daß deinem 113 Bruder das Erbe gebührt, weil mein Wohlstand von seiner Mutter herstammt. So ist es denn keine Ungerechtigkeit, wenn er mehr empfängt als du. Auch ich war ein armer Junker, als ich nach Dänemark kam, und mußte durch eine harte Schule, ehe ich wurde, was ich bin. Du mußt einen ähnlichen Weg wandern, doch werde ich dir die helfende Hand nicht versagen und dich hoffentlich zu hohen Ehren bringen!«

Kajus war auf Klemens zugetreten und faßte ihn bei beiden Händen.

»Sieh nicht so bös drein!« bat er. »Weißt du doch, daß wir Brüder sind, die alles teilen müssen. Habe ich mehr, so gebe ich dir, und bist du dereinst reicher geworden, so nehme ich von dir.«

Aber Klemens entzog sich ihm unsanft, während sein Gesicht sich rötete und seine Augen zornig blitzten.

»Du hast gut reden!« rief er schneidend. »Es ist leicht, mit schönen Worten alles zu versprechen und nichts abzugeben! Wenn ich als dein Bruder dir so teuer bin, dann gib mir Holleby. Dann gib mir dein Gold, das deine Vorfahren mit Wucher sich erwarben; in meiner adeligen Hand wird es besser bewahrt sein, als in deiner, du Halbblut, der du nicht Fisch noch Fleisch, weder Edelmann noch Bürger bist! Was soll ein Herr hier auf Holleby, der keinen Stammbaum hat und der in jedem Krämer einen nahen Blutsverwandten fürchten muß? Ich beklage den König, der solche Kavaliere um sich duldet, und ich will lieber –« er vollendete nicht. Die breite Hand seines Vaters legte sich ihm auf den schmähenden Mund.

»Noch ein Wort, Knabe, und du wirst meine 114 Reitpeitsche kosten!« sagte er, sich mühsam beherrschend. »Jetzt geh hinaus und besinne dich!«

Er drängte ihn zur Tür hinaus und wandte sich dann an Zoppelow.

»Woher hat er diese schlimmen Gedanken?« fragte er zornig. »Wagt Ihr es, ihm diese Flausen in den Kopf zu setzen?«

Aber auch über Zoppelow kam ein Geist der Empörung.

»Ihr solltet ihm das Gut nicht entziehen!« entgegnete er trotzig. »Laßt Euren ältesten Sohn bei Hofe, und dem Klemens gebt den ihm gebührenden Edelhof!«

Dem Freiherrn riß die Geduld.

»Wenn dem Klemens der Hof gebührt, dann gebührt Euch gleichfalls eine andere Behandlung, als die, die ich Euch zuteil werden ließ!«

Und ehe der erstaunte Mecklenburger sich von seinem Entsetzen erholen konnte, befand er sich auf dem kalten, beschneiten Hofplatz. Wie er dorthin gekommen, war ihm nicht ganz klar, auch nicht, daß sein magerer Klepper neben ihm stand und er ihn besteigen mußte. Aber Tatsache war, daß er fortreiten mußte in die Winternacht hinein, mit schwerem Herzen und sehr leichtem Gepäck.

»Sie sollen mir's entgelten!« murmelte er zähneklappernd, die Hand zum Schwur aufhebend, während sein Pferd langsam weitertrabte.

»Weshalb tatet Ihr dies, Herr Vater?« fragte Kajus den Freiherrn, nachdem man den Schritt von Zoppelows Tier nicht mehr hörte. Beide standen in 115 der Haustür, von wo aus sie die auf des Freiherrn Befehl veranstaltete Abreise des Mecklenburgers angesehen hatten.

»Wollte Gott, ich hätte es früher getan!« lautete Rungholts Erwiderung. Dann verließ er die Halle und Kajus blieb allein.

Traurig blickte er vor sich hin. Alle Freudigkeit, aller Lebensmut waren ihm beim Anblick von Klemens' Zorn entschwunden, selbst der Gedanke an Gude konnte ihn nicht trösten. Was half alles Glück der Erde, wenn man es ihm mißgönnte?

Immer stärker tobte draußen der Sturm, das Käuzchen schrie unter den Fenstern der Halle, und die Flamme im Kamin versank allmählich in der dicken heißen Asche. Der junge Erbe von Holleby legte beide Hände vors Gesicht und weinte wie ein Kind.


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