Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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169 XIV.

Am Nordoststrande der kleinen, an der äußersten Spitze von Holstein liegenden Insel Fehmarn standen einige Männer und sahen scharf auf die nur leicht bewegte See. Sie trugen grobe bäuerliche Kleidung, und ihren derben Gestalten sah man die angestrengte Arbeit des Landmannes an. Der eine von ihnen schien bereits sehr alt zu sein, er war von Gicht gekrümmt, und den Kopf trug er halb auf die Brust gesenkt.

Seine Augen funkelten jedoch spähend aus dem verwitterten Gesicht und zeigten, daß ihr Besitzer noch volle Geisteskraft hatte.

»Es ist nichts zu sehen, Klaus Rauert!« wandte er sich zu dem, der ihm am nächsten stand, einem auffallend großen Manne, dessen langer dunkler Bart ihm halb über die Brust reichte.

Der Angeredete nickte schweigend, während ein dritter Bauer unmutig rief:

»Sie lassen lange auf sich warten! Der Junker wird sich ärgern, wenn er hört, daß kein schwedisches Segel zu sehen ist!«

Klaus Rauert zuckte die Achseln. »Der Junker hat tapferes Blut in den Adern; aber er ist zu ungeduldig, es fließen zu sehen. Was will er mit seiner Handvoll Soldaten machen, wenn die Übermacht der 170 Schweden hereinbricht? Er muß sich ergeben, oder er bringt viel Elend über uns.«

Der Bauer sprach langsam, aber mit Nachdruck, und die andern hörten ihm aufmerksam zu. Dann schüttelte der ersterwähnte alte Mann heftig den Kopf. »Er wird sich nicht ergeben, Klaus Rauert. Er ist ein echter Kriegsmann wie sein Vater, der Freiherr, und er wird eher sterben, als sich ergeben!«

»Dann muß er sterben,« lautete die gleichmütige Entgegnung, und der Alte seufzte.

»Es ist schade um ihn. Ein so junges, tapferes Blut; aber –«, er hielt plötzlich inne und zog die Mütze, daß seine spärlichen grauen Haare im Seewinde flatterten. Neben ihm, auf kräftigem dunkelbraunem Pferde, hielt der Junker Rungholt, leicht mit der Hand den ihn ehrerbietig begrüßenden Bauern zuwinkend.

»Nun, ihr Leute!« rief er mit kräftiger Stimme, »wer von euch hat ein schwedisches Segel erblickt?« Klaus Rauert trat einen Schritt näher.

»Keiner von uns, edler Herr, und es ist gut so. Denn Ihr werdet in arge Bedrängnis geraten, wenn der mächtige Feind landen sollte und Ihr Euch nicht sogleich ergeben wollt!«

Kajus richtete sich höher im Sattel auf.

»Ihr wagt es, von ergeben zu sprechen? Habe ich Euch nicht schon gestern verboten, dies Wort in den Mund zu nehmen?« rief er unwillig.

Der Bauer strich verlegen seinen Bart.

»Verzeiht, Herr, daß ich Euer Gebot übertrat,« versetzte er, »aber wir sind arme Bauern und können unser Hab und Gut verlieren. Ihr seid ein lediger 171 Mann, habt weder Weib noch Kind; da stirbt sich's leichter; auch seid Ihr im Waffenhandwerk groß geworden –«

»Hört mich an!« unterbrach Kajus den Sprecher. »Ich verlange von euch keinen Beistand; ihr mögt euch alle verkriechen, wenn der erste Schuß von den Schiffen gefallen ist, aber ihr sollt solche Worte nicht sprechen, daß meine Soldaten sie hören können. Es sind feige Jüten und zusammengelaufenes Volk, und ihr Mut ist nicht groß. Vernehmen sie noch dazu, daß Ihr, der große Klaus Rauert, dessen schwere Faust auf der ganzen Insel gefürchtet ist, sich vor dem Feinde verbergen will, dann sieht es schlimm aus um die Verteidigung der Insel!«

Es lag ein offenbarer Spott in des Junkers Worten, und die Bauern steckten die Köpfe zusammen. Klaus Rauert behielt seine ruhige Haltung.

»Wenn Ihr kämpft, edler Herr, dann werde ich Euch beistehen,« sagte er in seiner schwerfälligen Weise. »Aber ich sage Euch im voraus, daß der Streit übel für Euch enden wird!«

»Das laßt meine Sorge sein!« versetzte Kajus, sich abwendend und den alten Bauern, der ihn unverwandt ansah, zu sich heranwinkend.

»Führe mein Pferd, Hinnerk!« sagte er abspringend. »Ich bin den ganzen Morgen im Sattel gewesen, und der arme Gaul ist zum Umfallen müde!«

Der so Aufgeforderte ergriff mit seinen gekrümmten Fingern die Zügel des Pferdes, und ein zufriedenes Lächeln überzog sein runzeliges Gesicht. Eilfertig humpelte er neben dem Tiere her und betrachtete verstohlen den Junker, der in tiefen 172 Gedanken einherschritt. Kajus wußte wohl, daß er sich in einer verzweifelten Lage befand. Als er von Kopenhagen ausfuhr, hatten seine Gedanken sich ausschließlich mit den schwedischen Kriegsvölkern beschäftigt, die in Holstein lagen und von denen er einen Überfall erwarten konnte. Er hoffte, ihren Angriff abwehren zu können, da sie nach seiner Ansicht nur an einer Stelle, von Holstein aus, landen konnten und er diesen Platz mit Aufgebot aller seiner Kräfte verteidigen wollte. Eine Karte, die ihm der Sekretär der Frau Uhlfeld noch in der letzten Stunde hatte zustellen lassen, bestätigte diese Hoffnung. Auf Fehmarn angelangt, erfuhr er, was ihm kein Mensch in Kopenhagen gesagt hatte, daß die schwedische Flotte seit einigen Tagen in den dänischen Gewässern war. Fehmarnsche Fischer hatten sie erblickt; einer von ihnen war sogar an Bord des schwedischen Admiralschiffes gewesen, um seine Fische anzubieten. Er war nicht unfreundlich aufgenommen und sogar vor den Admiral Flemming geführt worden, der ihm einen Silbertaler schenkte und ihm auftrug, seinen Landsleuten zu sagen, sie möchten die Schweden nur gut aufnehmen, da sie bald mit großer Übermacht auf der Insel sein würden.

Daß man von leitender Stelle die Annäherung der schwedischen Flotte gewußt hatte, war außer aller Frage, und Kajus erkannte immer deutlicher, daß Frau Uhlfeld ihn offenkundig verderben wollte. Er konnte nichts anderes tun, als sich so lange wie möglich verteidigen, das übrige mußte Gott fügen.

Unwillkürlich blickte er in den sonnigen Himmel und seufzte, dann wandte er sich dem Alten zu, der 173 sich bemühte, mit ihm gleichen Schritt zu halten. Außer seiner etwa hundert Mann zählenden Kompagnie schlechter Soldaten hatte Kajus einen alten Bekannten auf der Insel gefunden, den Knecht Hinnerk, der damals, nachdem er dem Freiherrn von den bösen Absichten Zoppelows berichtet, von diesem seines Dienstes entlassen worden war. Der Reichshofmeister hatte sich zuerst des Knechtes angenommen und ihm ein Amt in seinem Stall gegeben, doch den freigeborenen Inselbewohner litt es nicht mehr lange in der Dienstbarkeit; er war eines Tages verschwunden, und Herr Uhlfeld, der ihn schon lange vergaß, vermißte ihn nicht. Aber wenn Hinnerk auch nicht mehr dienen mochte, so bewahrte er doch eine gewisse Vorliebe für adeliges Wesen und ritterliche Kleidung, und als das Fähnlein dänischer Soldaten nach Fehmarn gelegt ward, suchte er sich dem Anführer, Herrn Rosenkranz, durch kleine Dienste bemerkbar zu machen. Aber der hochmütige junge Edelmann, einem der ältesten Geschlechter Dänemarks entsprossen, behandelte ihn mit so offenbarer Geringschätzung, daß der alte Mann sich scheu zurückzog und nur aus gemessener Entfernung zusah, wenn der reichgekleidete Kavalier sein edles Roß durch die ungepflasterten Straßen des Städtchens Burg tanzen ließ. Er war ein ungestümer Herr, hochfahrend gegen die Bauern, dreist und unverschämt gegen ihre Frauen und Töchter. Ein schönes Mädchen, die Tochter eines unbegüterten Mannes, zog besonders seine Aufmerksamkeit auf sich, und eines Tages ließ er sie mit Gewalt ihren Eltern entführen. Am andern Morgen fanden Arbeiter den Junker 174 Rosenkranz mit gespaltenem Schädel in einer Wiese. Niemand wußte seinen Mörder zu nennen, und das geraubte Mädchen blieb verschwunden. Es gehörte zu Junker Rungholts Auftrag, blutige Rache für diese Tat zu nehmen, aber bisher hatte er es für richtiger gehalten, angesichts der gefährlichen Lage der Insel seine Nachforschungen über diesen Mord zu einer mehr geeigneten Stunde aufzuschieben.

Seinem ehemaligen Freunde Hinnerk begegnete er, als er soeben das Land betrat, und da er mit offenbarer Freude dem alten Knechte die Hand reichte und gütige Worte an ihn richtete, ging diesem das Herz auf. Er hatte im Grunde keine besondere Meinung von den edlen Herren; er schalt sie wegen ihrer Vergeßlichkeit für geleistete Dienste und gedachte auch nur grollend des Freiherrn von Rungholt, der ihn damals so hart entließ, als er ihm nur dienen wollte; aber als der gutmütige Kajus ihm auf die Schulter klopfte und ihn an die Erzählungen gemahnte, mit denen Hinnerk seine Kinderzeit belebte, da war es dem Alten, als könnte er getrost für den Junker sterben. Er ließ ihn seit dem Augenblick nicht wieder aus den Augen, besorgte sein Pferd trotz der Anwesenheit eines anderen Knechtes, und behauptete, kein anderer könne die schweren Pistolen und die Büchse des Junkers so schön in Ordnung halten, wie er.

Kajus ließ ihn gewähren. Obgleich er es sich nicht eingestehen mochte, war es ihm doch ein tröstliches Gefühl, daß es einen Menschen auf der Insel gab, der ihm treu ergeben war und auf den er sich verlassen konnte. Er kannte die andern Bauern nicht, 175 auch flößte ihm ihre kurz abweisende Art wenig Vertrauen ein, und er war nicht sicher, ob sie ihm beistehen würden in der Stunde der Gefahr, obgleich Klaus Rauert es ihm soeben zusagte.

Der Junker und sein Begleiter waren rüstig ausgeschritten, und die roten Ziegeldächer des Städtchens lagen dicht vor ihnen, als Kajus, um seinen Gedanken zu entgehen, ein Gespräch mit Hinnerk anknüpfte.

»Ich war noch gar nicht in deinem Hause, Hinnerk, und du hast mir dein zweijähriges Fohlen noch nicht gezeigt, von dem du mir schon erzähltest. Glaubst du, daß es ein gutes Reitpferd werden könnte, so will ich es dir später abkaufen.«

Hinnerk nickte.

»Ihr sollt es besehen, Herr,« sagte er dann; »ein edler Goldfuchs, würdig für eines Edelmannes Stall. Ist auch aus feiner Zucht und so zahm, daß es meiner Tochter das Brot aus der Hand nimmt.«

»Du hast eine Tochter?« rief Kajus erstaunt. »Von der erzähltest du mir nie! Und sie wohnt bei dir?«

Hinnerk fuhr dem Pferde in die dichte Mähne und streichelte seinen glänzenden Hals, ehe er antwortete.

»Ja, ja, Herr!« sagte er dann. »Als sie jung war, gab's nicht viel hübschere Mädchen als meine Kathrin; sie hatte dunkle Augen und goldgelbes Haar, und mancher edle Herr gab ihr süße Worte, wenn sie über die Straße ging. Jetzt ist sie alt, und die Kinder laufen vor ihr weg, wenn sie an den Brunnen geht, Wasser zu holen. Und ist doch nichts Unrechtes an ihr, nur daß sie stumm geworden ist, und daß ihre Augen jetzt finster blicken, wo sie einst lachten!«

176 »Sie ist stumm geworden?«

Hinnerk fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

»Es ist eine alte Geschichte, Herr, und ich erzähle sie nicht gern; aber Ihr habt ein mitleidiges Herz, und deshalb könnt Ihr sie erfahren. Als die Kathrin siebzehn Jahre alt war, da besuchte sie eine alte Base in Mecklenburg und nahm dann einen Dienst in Doberan an. Sie war Kindsmagd bei einem Edelmann und hatte es gut, zu gut für sie, denn die Junker, die ihren Herrn besuchten, verdrehten ihr den Kopf, und sie wurde stolz, so daß die Edelfrau ihr harte Worte geben mußte, um sie zur Arbeit anzuhalten. Aber das Schelten nützte nicht viel, Kathrin dachte nicht ihrer Arbeit, sondern eines Junkers mit glattem Gesicht, der ihr schöne Worte sagte und ihr die Ehe versprach. Sie glaubte seinen Reden, und jeden Abend, wenn es dunkel wurde, stahl sie sich aus dem Hause, um mit ihrem Liebsten zu kosen. Sie trafen sich meistens hinter der alten Kirche, und der Junker hatte ihr gesagt, wenn er nicht dort wäre, möge sie nur wieder nach Hause gehen. Eines Abends, als es schon spät und sehr dunkel war, stand Kathrin wieder hinter der Kirche, ihren vornehmen Liebsten zu erwarten. Es regnete, und als er nicht kam, sie aber Licht in der Kirche sah, schlich sie sich hinein, in der Hoffnung, er könnte dort sein. Er war auch da, aber unten, im Grabgewölbe, wo er mit einem Genossen die Särge öffnete, um die Toten zu berauben. Kathrin, die sich nahe herzuschlich, schrie laut auf, als sie ihren Junker sah, wie er lachend Ringe und allerhand Geschmeide in einen Sack steckte und gotteslästerliche Reden dabei führte. Ihr Schrei war gehört worden, und bald 177 stand der Junker neben ihr mit drohender Gebärde und hieß sie einen entsetzlichen Eid schwören, kein Wort von dem zu verraten, was sie sah. Aber sein Kumpan, der die Treppe vom Gewölbe heraufkam, stieß den andern rauh zurück. »Das Mädchen muß sterben!« sagte er und zog sie mit sich die Treppe hinunter. Noch einmal stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus, und da es sich draußen vor der Kirche zu regen begann, mußten die Buben fliehen. Vorher zückte der edle Räuber das Messer nach ihr, stieß es ihr in die Brust und schnitt ihr die Zunge ab. Dann ließen beide die Dirne zwischen den Leichen liegen und entkamen.

»Meine Kathrin war nicht zum Tode verletzt, sie konnte sich noch bewegen, und als der Küster andern Morgens in die Kirche kam, fand er sie. Ihre Wunde ward geheilt, aber ihr Kopf ist schwach geblieben seit der Zeit, und nur unverständliche Laute kann sie lallen!«

Kajus hatte der langsamen Erzählung aufmerksam zugehört.

»Wie hat deine Tochter dir aber ihr grausiges Schicksal berichten können?« fragte er mit Schaudern.

»Sie hatte mit den Kindern des Edelmannes zusammen Buchstaben malen gelernt, und als ihr allmählich die Erinnerung wiederkehrte, da schrieb sie auf, was ihr widerfahren war. Der Prädikant hier in der Stadt sagt, es ist krauses, wildes Zeug, was sie schreibt, und vieles unverständlich, aber diese Geschichte, meinte er, wäre wahr. Er hat sie mir viele Male vorlesen müssen, und ich habe sie der Kathrin ebensooft wiedererzählt. Dann nickt sie und 178 macht mir Zeichen, daß alles wahr ist, und wenn ich den Namen des Buben nenne, der ihr so Schändliches antat, dann schreit sie, daß es mich kalt überläuft!«

»Ihr wißt seinen Namen?« fragte Kajus.

Hinnerk blieb stehen, und seine Augen funkelten.

»Ich weiß ihn, Herr, und es gibt keinen Abend im Jahr, wo ich den Herrgott nicht bitte, mir das Leben dieses Mannes in die Hand zu geben. Dann will ich ruhig sterben! Sechsundzwanzig Jahre bete ich so, und der Allmächtige hat mein Gebet noch nicht erhört. Aber der Prädikant sagt, Gott der Herr vergäße keine Missetat, und wenn sie auch sechsundzwanzig Jahre her wäre!«

Drohend ballte er die Hand, schritt weiter, und Kajus folgte ihm schweigend. Sie kamen jetzt in die Stadt, und Hinnerk wies auf ein Häuschen, das seitwärts vom Wege unter Bäumen lag.

»Das ist mein Haus, Junker, und wenn Ihr einen Trunk Bier unter meinem Dache nehmen wollt, so wird die Kathrin ihn Euch reichen!«

Zögernd trat der Junker in ein kleines, zierlich bepflanztes Gärtchen und sah nicht ohne Scheu eine weibliche Gestalt aus der Tür des Häuschens treten, die nach einigen Worten Hinnerks sogleich wieder verschwand. Kajus setzte sich auf eine Steinbank, und nach wenigen Augenblicken kehrte Kathrin zurück, ihm einen blanken, mit kräftigem Bier gefüllten Becher zu überreichen. Sie mochte einst schön gewesen sein; jetzt waren ihre Züge welk und ihre dunklen Augen teilnahmlos. Kajus betrachtete sie mit leisem Grauen, während er den Becher an seine durstigen Lippen 179 setzte und in langen Zügen trank. Der Weg war lang und staubig gewesen, und die Erfrischung tat ihm wohl.

Jetzt trat Hinnerk dicht an seine Tochter heran.

»Geh und hole den Scherben, auf dem du dich immer im Schreiben zu üben pflegst!« sagte er ihr, und Kathrin verschwand im Hause.

Sie kehrte nach wenig Augenblicken zurück, ein Stück Schiefer in der Hand. Hinnerk reichte es dem Junker, der es erstaunt betrachtete. Mit groben, unsicheren Zügen war dasselbe Wort wohl hundertmal auf beide Seiten geschrieben, ein Wort, das Kajus zuerst nicht entziffern konnte. Endlich rief er halb zweifelnd, halb überrascht: »Zoppelow?« Aber er trat zugleich erschreckt zurück, denn Kathrin stieß einen gellenden Schrei aus.

»Entsetzt Euch nicht!« sagte Hinnerk ruhig. »Das ist der Name des Elenden, der meine Tochter zu dem gemacht, was sie ist, der kein Erbarmen kannte. Sie kann den Namen nicht hören!« setzte er hinzu und legte seiner Tochter beruhigend die Hand auf das wirre Haar, um sie dann sanft in das Haus zu schieben.

»Wenn sie auf dem Schiefer schreibt, dann ist es immer sein Name!« sagte er zu dem Junker, der hastig zu seinem Pferde getreten war, das er an den Gartenzaun gebunden hatte. »Man sollte denken, der Herr von Zoppelow wäre ihr Liebster gewesen!« fügte er mit düsterem Lächeln hinzu, »aber den Namen des Junkers, den sie liebte, hat sie vergessen!«

Nachdenklich betrat Kajus sein am Markte belegenes Quartier. Es gab doch mehr Elend auf der Erde, als er glaubte, und er murmelte eine Verwünschung vor sich hin, als er des Mecklenburgers 180 dachte, der sicherlich noch mehr Untaten auf dem Gewissen hatte.

Der nächste Tag verging wieder mit Vorbereitungen auf den Empfang der Schweden; Kajus suchte seinen Leuten Mut einzusprechen, da er ihre Mißstimmung und ihre Unlust, zu kämpfen, wohl bemerkte. Auch galt es, ein scharfes Auge auf sie zu haben, da ihm sein Fähnrich berichtete, daß manche der Soldaten Bauernkleider anzogen und sich den Insulanern als Knechte verdingten, um dem Kampfe mit dem gefürchteten Feinde zu entgehen. Kajus war den ganzen Tag auf dem Pferde; überall sah er die Wachen nach und drohte den Deserteuren mit scharfen Strafen. Es gelang ihm, zwei von ihnen zu erwischen, und er ließ sie, mit Ketten beladen, in die Stadt bringen, um sie zum warnenden Beispiel für die andern hängen zu lassen.

Zweimal noch ging die Sonne auf über der kleinen Insel; als sie sich am dritten Morgen aus dem rot leuchtenden Meere erhob, fielen ihre ersten Strahlen auf die schneeweißen Segel der stolzen schwedischen Flotte. In langer Reihe lag sie im Norden der Insel vor Anker; und bald donnerte der erste Kanonenschuß über den Puttgardener Strand, der von dem in der Nähe liegenden Dorfe so benannt wurde.

Am Ufer stand Kajus mit seinem Fähnlein, und in einer kleinen Entfernung von ihm hatten sich etwa zweihundert Bauern aufgestellt, deren Führer der großgewachsene Klaus Rauert zu sein schien. Sie waren gut bewaffnet, und in ihren Mienen drückte sich trotzige Entschlossenheit aus. Die Augen des jungen Mannes leuchteten zufrieden, als er ihre 181 stattliche Schar musterte, und mit freundlichem Gruße trat er zu Klaus Rauert.

»So wollt Ihr mir beistehen, den Feind abzuschlagen?«

Der Angeredete sah den stattlichen Junker nicht ohne Wohlgefallen an.

»Wir sind einmal des Königs Leute und müssen ihm Treue halten!« sagte er dann bedächtig.

»Wenn ich lebend von hier komme, soll Seine Majestät Euer gutes Betragen erfahren!« rief Kajus.

Ein Zug gutmütigen Mitleids zog über das bärtige Gesicht des andern.

»Der Allmächtige möge Euch beistehen, Herr,« sagte er dann, »und uns gleichfalls!«

Dann zeigte er mit der Hand aufs Wasser.

»Dort kommt ein Boot, das fragen soll, ob Ihr Euch nicht gutwillig ergeben wollt! Bedenkt Euch noch einmal, Herr!«

Aber Kajus wandte sich stolz von ihm, und als der schwedische Parlamentär sich dem Ufer näherte, rief er ihm eine abweisende Antwort zu, ehe sich dieser seines Auftrags entledigen konnte. Plötzlich fühlte er sich am Arm berührt. Hinter ihm stand Hinnerk mit wutverzerrten Zügen.

»Wißt Ihr, wer neben dem Schweden im Boote saß? Der Herr von Zoppelow! Ich erkannte ihn an seinem Strohbarte. Wenn er sich noch einmal dem Strande nähert, dann hat seine Stunde geschlagen!«

Kajus hatte nicht Zeit, die Flüche des Alten zu beachten. Von mehreren schwedischen Schiffen wurden jetzt Boote mit Soldaten ausgesetzt, die sich rasch dem Strande näherten, während von Zeit zu Zeit mächtige 182 Kanonenschüsse die Luft erzittern machten. Zwar lagen die Schiffe, des seichten Wassers wegen, in so großer Entfernung vom Ufer, daß die meisten Geschützkugeln in die See schlugen und keinen Schaden anrichteten, während jedoch von den Booten ein wohlgezieltes Musketenfeuer eröffnet wurde, das nicht ohne Wirkung blieb.

Die dänischen Soldaten hielten besser stand, als Kajus erwartete, und aus den Reihen der Bauern traf mancher tödliche Schuß die Angreifer, so daß diese zurückruderten, um durch andere ersetzt zu werden. Endlich aber gelang es doch mehreren Booten, zu landen. Ein blutiges Handgemenge entstand, bei dem allen voran der Bauer Klaus Rauert sich durch seine riesige Kraft und seinen Mut auszeichnete, auch feuerte er mit lauten Worten seine Genossen an, die gleichfalls wacker kämpften. Immer heißer entbrannte der Kampf, immer neue Scharen der Feinde landeten, aber bisher errangen sie noch keinen Vorteil. Zwar lag mancher Bauer todeswund auf dem weißen Sande, und die Zahl der Soldaten verminderte sich; aber auch viele Schweden mußten ihr Leben lassen, und Klaus Rauert war es sogar gelungen, eine Fahne zu erobern, während sich dem Junker Kajus ein höherer schwedischer Offizier als Gefangener ergeben mußte.

Vielleicht wäre es möglich gewesen, den Angriff des Feindes für diesmal ganz abzuschlagen, wenn nicht plötzlich um die Mittagsstunde ein Bote mit verhängten Zügeln auf schweißbedecktem Pferde die Schreckenskunde gebracht hätte, daß die schwedischen 183 Truppen, von Holstein kommend, auf der andern Seite der Insel gelandet waren.

In demselben Augenblick, als Kajus diese Nachricht erhielt, traf ihn ein Streifschuß in die Hüfte, und er stürzte nieder. Es war, als wenn sein Fall das Zeichen zur allgemeinen Flucht gegeben hätte; seine Soldaten stoben auseinander, und auch die Bauern sahen die Nutzlosigkeit eines Widerstandes ein. Sie eilten davon, um nach Hab und Gut und ihren schutzlosen Frauen und Kindern zu sehen.

Kajus richtete sich mühsam auf und versuchte, seine Leute zu sammeln; sie flohen aber landeinwärts, ohne seine lauten Worte zu beachten, und er fühlte sich aufgehoben und weggetragen.

Verzweiflungsvoll blickte er in das Gesicht von Klaus Rauert, dessen starke Arme ihn wie ein Kind hielten . . .

»Tötet mich,« stöhnte er, »damit ich diese Schande nicht überlebe! Laßt mich sterben, damit ich nicht in die Hand des Feindes falle!«

Der Bauer nickte gutmütig.

»Ein so braver Junker, wie Ihr seid, darf nicht sterben. Dafür wird Klaus Rauert sorgen!«

Die Glocken der Kirchtürme begannen zu läuten, und dicker Qualm, der im Süden aufstieg, zeigte deutlich, wo der Schwede sich augenblicklich aufhielt. Klaus Rauert schüttelte drohend die Faust zum Himmel, dann ließ er nach einigen Schritten vorsichtig seine Last zur Erde gleiten und sah besorgt in des Junkers Gesicht. Totenblässe bedeckte es. Kajus Rungholt war zum ersten Male in seinem Leben ohnmächtig geworden.

184 Unterdessen spielte sich, nicht viele hundert Schritte entfernt, in dem Hofe eines einsam gelegenen Bauernhauses eine andere Szene ab. Dort stand Hinnerk und legte dem laut jammernden Herrn von Zoppelow einen Strick um den Hals.

»Eigentlich sollte meine Kathrin Euch sehen, wenn Ihr am Aste gehängt werdet,« sagte er dazu; »aber sie ist schon verrückt genug, und das bißchen Verstand, das sie noch besitzt, darf sie nicht verlieren!«

Laut aufheulend umfaßte der dicke Mecklenburger die Knie des Knechtes, aber dieser stieß ihn verächtlich zurück.

»Ich sollte Euch traktieren, wie Ihr mein Kind behandelt habt,« rief er; »aber weil Gott mir Euch in die Hand gab, will ich ihn nicht erzürnen. Faßt an, Peter und Klaus!«

Zwei kräftige Bauern griffen zu, und nach wenigen Augenblicken hing der Edelmann an dem starken Zweige einer breitästigen Linde, und Hinnerk sah starr zu ihm hinauf, bis eine fahle Totenfarbe das einst so rote Gesicht überzog.

Dann winkte er den beiden andern Bauern, und nach Verlauf einer Stunde war Herr von Zoppelow unter demselben Baume eingescharrt, an dem er seine gerechte Strafe erlitten hatte.

Als Kajus wieder zum Bewußtsein seiner Lage kam, war er in einem schmalen dunklen Raume, in den nur von oben einige Lichtstrahlen fielen. Neben ihm kniete Hinnerk, und ein Strahl der Freude brach aus den kleinen, scharfen Augen des Alten, als er die Hand des Junkers an seine Lippen führte.

»Dem Allmächtigen sei Dank, daß Ihr mich wieder 185 ansehen könnt, gnädiger Herr! Ihr sahet aus wie ein Toter, obgleich Ihr ruhig atmetet.«

»Ich habe fest geschlafen,« gab Kajus zu, seine Glieder streckend, wobei er plötzlich einen heftigen Schmerz verspürte. »Aber willst du mir nicht sagen, wo ich bin?«

Statt aller Antwort suchte Hinnerk dem Junker zu helfen, aus seinem Versteck zu kommen. Als dies endlich gelungen war, sah sich Kajus erstaunt um. Er war auf einem großen, mit Felssteinen aller Größe bedeckten Felde, und in der Ferne lag die Ostsee, von der untergehenden Sonne bestrahlt.

»Einstmals sollen die Heiden hier ihre Toten begraben haben!« sagte Hinnerk, auf die mächtigen Steine deutend. »Gar still und heimlich liegt es sich in ihren alten Grabkammern, und es war ein guter Gedanke von Klaus, Euch hierher zu bringen!«

»Wo ist er?« murmelte Kajus, dem erst allmählich die Erinnerung wiederkehrte, »und wo sind die Schweden?« Er fuhr mit der Hand an die Seite. Sein Degen war nicht an seinem Platz, aber schon legte Hinnerk ihm die Waffe in die Hand.

»Klaus Rauert bewacht seinen Hof, daß die Schweden bei ihm nicht sengen und morden. Die Fahne, die er gewann, hat er verborgen, und der Offizier, den Ihr finget, edler Herr, leistet ihm gute Dienste. Es scheint ein gar vornehmer Mann zu sein, und weil Klaus ihn fein säuberlich auslieferte, hat der Herr ein gut Wort für die Insel eingelegt, so daß die Soldaten nicht ärger hausen, als es Sitte ist!«

Kajus hörte dem Alten aufmerksam zu, dann erhob er sich mühsam aus seiner liegenden Stellung 186 und versuchte zu gehen. Er biß vor Schmerz die Zähne zusammen, aber er konnte zur Not das verwundete Bein ansetzen.

»Ich muß fort!« rief er hastig. »Was hilft es mir, auf dieser Insel zu verweilen? Schaffe mir ein Boot, daß ich zu entkommen versuche.«

»Ein Boot ist schon aufzutreiben, Herr,« versetzte Hinnerk zögernd, »doch könnt Ihr nicht allein aufs Wasser, da Eure Verwundung Euch hindern würde, das Schifflein zu lenken. Einen Ruderknecht wüßte ich Euch aber nicht zu schaffen.«

»So laßt mich allein fahren!« rief Kajus heftig. »Lieber im Wasser sterben, als dem Feinde in die Hände fallen!«

Hinnerk fuhr sich einige Male über das faltige Gesicht, ehe er weitersprach.

»König Christian soll mit seiner Flotte nicht weit von Fehmarn kreuzen,« sagte er dann, sich räuspernd, »und wenn Ihr keine Scheu habt, meine Tochter als Ruderknecht mitzunehmen, so würde ich sie Euch mit Freuden geben. Sie versteht mit dem Segel umzugehen wie ein Seemann, und auf dem Wasser ist sie sanft wie ein Kind.«

Kajus antwortete nicht sogleich. Der Gedanke, mit einer Wahnsinnigen auf dem Wasser, im kleinen Boote zusammen zu sein, war ihm nicht sehr erfreulich, besonders, da er nicht frei von Aberglauben war. Ein echtes Kind seiner Zeit, glaubte er an Hexen und böse Geister. So glaubte er auch, daß die unglückliche Kathrin vom Teufel besessen wäre und eine Gelegenheit suche, Böses zu tun. Hinnerk merkte wohl, daß der Junker sich nur schwer entschließen würde, seine 187 Tochter als Begleitung anzunehmen, er setzte daher hinzu:

»Seit der Zoppelow in der Erde liegt, ist sie auch viel stiller geworden, und ihre Augen sahen mich heute an, als hätte sie mich recht lieb!« Dann berichtete er dem aufhorchenden Junker von Zoppelows Ende und wie derselbe so spurlos vom Erdboden verschwunden sei, so daß die Schweden ihren Spion lange suchen könnten, ehe sie ihn fänden. Er sprach mit offenbarer Befriedigung, unterbrach sich aber plötzlich, als er gewahrte, daß die Sonne gänzlich verschwunden war.

»Wollt Ihr noch diese Nacht fort, Junker, dann gilt's keine Zeit zu verlieren, denn morgen werden die Schweden hierherkommen, um nach Beute zu suchen. Oder würde es Euch behagen, noch einen Tag in der dunklen Grabkammer verborgen zu sein?«

Aber Kajus machte eine verneinende Bewegung, und nachdem Hinnerk ihm noch einmal versicherte, daß sich wahrscheinlich kein Mann in der kurzen Zeit finden würde, der ihn begleitete, willigte der Junker darein, mit Hinnerks Tochter zu fahren. Dann kehrte er in sein Versteck zurück, um sogleich wieder in einen tiefen Schlummer zu fallen, während Hinnerk, so eilig er nur konnte, der Stadt zuschritt. –

Die Mitternachtsstunde war schon vorüber, als ein schlankes kleines Segelboot sich so nahe wie möglich an das Ufer legte, wo Kajus, gestützt von seinem treuen Hinnerk, stand. Vorsichtig half dieser dem Junker einsteigen, wickelte ihn in eine Decke und legte endlich die kostbaren Waffen des Kavaliers, die er und Klaus Rauert aus der Schlacht bei Puttgarden gerettet hatten, neben den jungen Mann. Auch 188 ein großer Korb mit Lebensmitteln war nicht vergessen worden, und endlich fuhr der Alte noch in seine Brusttasche.

»Dies nahm ich noch dem Zoppelow ab,« flüsterte er so leise, daß seine Tochter am Steuer es nicht vernehmen konnte. »Es sind Papiere, und der Junker wird sie vielleicht gebrauchen können.«

Er überreichte Kajus eine Ledertasche, die dieser auf seiner Brust verbarg. Dann reichte er dem einstigen Diener die Hand.

»Möge die Zeit kommen, da ich dir deine Treue vergelten kann,« sagte er mit bewegter Stimme; aber der Alte schüttelte den Kopf und drückte die Hand des Junkers an seine Lippen.

»Wenn ich bisher alle Abende den Allmächtigen gebeten habe, mir Zoppelow in die Hände zu geben, so muß ich ihm nun noch danken. Ich habe erfahren, daß Gott auch das Gebet des gemeinen Mannes erhört, und das gibt mir Mut, ihn weiter zu bitten. Ich will für Euch beten, edler Herr, und wenn ich noch erlebe, daß Ihr glücklich werdet, dann soll der himmlische Herr Ruhe vor meinen Gebeten haben, und ich will ihm nicht weiter beschwerlich fallen!«

Er sprach feierlich; noch einmal küßte er die Hand Rungholts, dann winkte er seiner Tochter. Diese löste das Boot, und wie ein Pfeil flog es vor dem Winde dahin.

Wohin? Kajus wußte es nicht, er hatte keine Ahnung davon, wo die dänische Flotte war. Sein Geschick lag in den Händen der bleichen, dunkeläugigen Frau am Steuer, die die Augen fest auf das Wasser richtete und leise die Lippen bewegte. Kajus betrachtete 189 sie eine Weile mit leisem Schaudern; aber als der kühle Morgenwind über die See strich, wickelte er sich in seinen Mantel und legte sich auf den Boden des Schiffchens. Bald war er fest eingeschlafen, während die tolle Kathrin mit sicherer Hand sein Boot lenkte.


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