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Anzügliche Vorrede.

In diesem Geleitswort werde ich ausschließlich von mir selbst sprechen. Oder wenigstens vorwiegend. Ich bin in dieser Hinsicht zu Konzessionen bereit: Goethe soll auch darin vorkommen.

Dieser anerkennenswerte Kollege hat einmal gesagt: »Nur die Lumpe sind bescheiden«. Aber selten ist ein Spruchkeim auf steinigeren Boden gefallen. Wo man sonst in der Kollegenschar umblickt, überall wuchert die von Goethe so grimmig bloßgestellte Bescheidenheit.

Ganz besonders ducken sich die Schaffenden in den Vorreden zu ihren Schriften. Schreiben dicke, gediegene Bücher, und stellen sich davor mit dem Hut in der Hand, in der demütigen Haltung des Bittstellers. Und diese Tonart – die reine Gnadenarie! »Ach, liebes Publikum, entschuldige nur, ich will's nicht wieder tun!« Und dann setzen sie auseinander, warum sie trotz alledem die verschämte Hoffnung hegen, ein paar Leser zu finden, die ihr bescheidenes Scherflein gnädig aufzunehmen die besondere Huld haben würden.

Ein Wunder ist's ja nicht. In Deutschland erscheinen Jahr für Jahr 32 000 Bücher, also mindestens 31 000 mehr als nötig. Die bekannten Butterpolonäsen haben aufgehört, aber die Autorenpolonäsen bleiben. Zu Tausenden stellen sich die Verfasser beiderlei Geschlechts an und bitten um Einlaß bei den Sortimentern, um dort ein Stückchen Lesergunst zu erhaschen. Mit dem Gedränge! – das haben sie längst gemerkt – richten sie nichts aus, deshalb mimen sie die Bescheidenen und legen sich aufs Bitten. Im Grunde genommen ist es immer so gewesen. Aus unzähligen Beispielen nur eines:

Schier hundert Jahre sind es her, seit Uhland seine Dichtungen in die Welt setzte, die kernigsten und tapfersten im deutschen Sprachgebiet. Und als er fertig war, gab ihnen Uhland einen Geleitspruch auf den Weg; seine Lieder sollten – wörtlich – »ein empfehlend Vorwort stammeln!« und dann entlädt sich ein ganzes Gewitter von Bescheidenheit in einem Platzregen von Entschuldigungen. Der Himmel wird angefleht, bessere Gedichte zu senden, gesündere, kräftigere, als die des schwäbischen Verfassers. Und der Himmel antwortete mit einem weltgeschichtlichen Druckfehler, der zugleich dem allzu bescheidenen Vorredner einen Denkzettel erteilen sollte. Als der Band in erster Auflage erschien, stellten sich die Lieder mit der Ansage vor: »Leder sind wir ...!«

Aber bei der devoten Haltung in den Vorreden ist es trotzdem bis auf unsere Tage geblieben. Das Buch mag noch so Großes enthalten, auf den Vorsatzblättern wird es geduckt, verkleinert vom Verfasser, der absolut nicht zugeben will, daß er was gekonnt hat.

Schon des Kontrastes wegen soll hier der umgekehrte Weg eingeschlagen werden. Wir, im majestätischen Plural geschrieben, verheißen Großes vor einem kleinen Bande mit kleinen schwankhaften Skizzen. Warum auch nicht? Der Leser kommt ja auf diesen Seiten nicht zum Wort, nur Wir, groß gedruckt. Wir behaupten also die Größe und Vorzüglichkeit dieses Werkes. Es erfolgt kein Widerspruch, der Antrag ist angenommen.

Erstlich was die Größe betrifft: Der Augenschein und das Zentimetermaß zeigen allerdings die Schmalheit des Bändchens und den geringen Umfang seiner einzelnen Kostbarkeiten. Sie zeigen aber nicht, was zwischen den Zeilen steht – und das ist die Hauptsache. Damit allein könnte man zehn solche Bände füllen. Der Leser wird also aufgefordert, die zwischen den Zeilen versteckt lagernden Perlen herauszufischen, sie in Gedanken aufzureihen und sich an ihrem Glanz zu ergötzen. Er wird dann reichlich belohnt werden für die Mühe, diesen Band gekauft zu haben, der ihm zehnmal mehr liefert, als er dem Aussehen nach verspricht.

Ich hätte ihn ja von Anfang an viel beleibter gestalten können, etwa im Format des Adreßbuchs von Groß-Berlin. Und ich hätte dazu noch nicht einmal die Hälfte der komischen Manuskripte verbraucht, die ich in meinem Leben geschrieben habe. Einer meiner Fachgenossen hat kürzlich ausgerechnet – ich selbst befasse mich nicht mit solchen Kleinigkeiten –, daß von mir im Druck ungefähr so viel erschienen ist, wie Goethes sämtliche Werke, doppelt genommen. Das bezieht sich natürlich nur auf die Menge, nicht auf den Inhalt, wenn auch nur in gewissem Grade. Einige meiner Schwänke sind entschieden humoristischer als Goethes Erlkönig und werden in öffentlichen Vorträgen mit größerem Beifall deklamiert als Goethes Farbenlehre. Und über meinen Anton Notenquetscher ist schon mehr gelacht worden, als über Iphigenie und Clavigo zusammengenommen.

Ich glaube nicht, daß ich hier im Selbstlob zu weit gehe und des Weimaraners Anweisung zur Unbescheidenheit etwa mißbrauche. Denn daß ich allerhand vor Goethe voraushabe, läßt sich aktenmäßig und urkundlich beweisen. In einem Lebensalter, da Goethe noch nicht einmal den Tasso geschrieben hatte, stand ich bereits im Brockhaus und im großen Meyer; und während Götz von Berlichingen im Anfang nur gelegentlich an einer Rampe hervorkroch, erzielte mein erstes Theaterstück in Berlin allein mehr als ein Drittel Tausend Aufführungen. Auch hat der unsterbliche Prometheus im ersten Anlauf nicht entfernt die Auflagen erlebt wie meine Unsterbliche Kiste.

Und dennoch! Aus der fast unübersehbaren Masse meiner Schriften nahm ich in scharfer Auswahl nur eine engbegrenzte Zahl rasch durchfliegbarer Skizzen, um mit ihnen diesen Band auszustatten. Und wie wiederum Goethe sagt: in dieser Armut welche Fülle! Ist es nicht, als ob er diese Zeile expreß als Motto für die vorliegende Sammlung gedichtet hätte?

Sie beginnt, wie der Faust, mit einem Dialog, bloß weit anzüglicher und beißender; und während Goethe nicht müde wird, dem Ewigweiblichen zu huldigen, verrät diese zwiegesprächige Skizze einen ausgesprochen antiweiblichen Zug. Soll man heiraten oder nicht? – das ist der Kern des Problems, das dieser sinnvolle Schwank in einem Feuerwerk blendender Antithesen erörtert und zur endgültigen Lösung bringt. Er allein verdient schon den enormen Erfolg, den das ganze Buch davontragen wird, und dies ist auch der Grund, weshalb es den Titel der Skizze zum Generalnenner seines Inhalts erhebt.

Noch weit vorzüglicher ist der zweite Zünder »Eine moderne Dame auf Reisen«. Nie zuvor wurde die Ultra-Dame, die Modepuppe der Großstadt, so erbarmungslos unters Seziermesser genommen wie hier! Und das Erstaunliche begibt sich: Wir erleben eine Vivisektion, deren Wirkung sich in einem erschütternden Lachen auflöst. Diese »moderne Dame« ist übrigens schon vor ihrem Erscheinen in diesem Heft, gleichsam im Urzustand, berühmt geworden. Oft vorgetragen hat sie bei zahllosen Zuhörern konvulsivische Zuckungen erzeugt und – was allem die Krone aufsetzt – sogar die Damen im Parkett zum Jubel mitgerissen, da sie im Spiegel dieser Glosse ihr ach! nur zu wohlgetroffenes Ebenbild erkannten.

Auch der vorgenannte Anton Notenquetscher, eines meiner vielen Lieblingskinder, kommt in dieser Sammlung zu Wort. Er gebraucht es wie immer sachverständig, geistvoll und erachtet es als seine Aufgabe, sich selbst zu übertreffen. Er müßte nicht Notenquetscher sein, wenn ihm dies mißlänge.

Und so geht es Seite auf Seite. Wäre ich nicht anderweitig so sehr beschäftigt – ich bin augenblicklich dabei, Rankes Weltgeschichte in Schüttelreime umzugießen, – so würde mich nichts davon abhalten, selbst einmal diese Sammlung vorzunehmen, um sie in aller Ruhe durchzulesen. Aus dem angeführten Grunde muß ich aber diese erquickliche Lektüre bis zur fünfzigsten Auflage vertagen. Der Herr Verleger hat mir zu diesem Zweck bereits ein Freiexemplar zugesagt.

Ich ziehe das Fazit: Ein Spötter muß mit Selbstverspottung anfangen. Denn in diesem Geistesgebiete ist all und jedes auf Gegensatzwirkung gestellt. Man muß so, und man muß anders können. Dichterische Prosa, Verse im Gewand der Alltagssprache, feierlicher Witz und launiger Tiefsinn, – das sind die Widersprüche, welche diesem Schriftwesen ihre Kennzeichnung aufprägen. Nur eins findet darin keine Stätte: das selbstverständliche, das beweisbare, das wörtlich zu nehmende. Ein ausgezeichneter Schriftsteller der Neuzeit hat diesen Grundgedanken in die Form des Sinnspruchs gefaßt:

Den nur sehe ich als Dichter an,
Der auch gute Prosa schreiben kann.
Und nur der gilt mir als Prosaist,
Der gewandt in jeder Versform ist;
Ernste Wirkung läßt uns der nur fühlen,
Der des Witzes Würze nicht verschmäht,
Heitre Wirkung wird nur der erzielen,
Der bisweilen ernst zu sein versteht!

Das Epigramm ist natürlich von mir.

Alexander Moszkowski.



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