Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Neurosen-Kavalier.

Eine Wiener Maskerade, frei nach der berühmten Oper.

( Szene: Im Schlafzimmer der Feldmarschallin.)

Oktavian: Wie du warst! Wie du bist! Das weiß niemand, das ahnt keiner!

Marschallin: Du irrst dich, Bubi. Das ahnt jeder, das weiß jeder, der eine angejahrte Fürstin in zärtlichem Geplauder mit einem jungen Herrchen sieht, das Mezzosopran singt. Erstens ahnt man und weiß man, daß hier das gefährliche Alter mitspielt; zweitens, daß Hugo von Hofmannsthal, weil er hier ohne Sophokles arbeitet, sich seine Kompagnieschaft anderswoher besorgen muß. Ich zum Beispiel, die ich beabsichtige, auf meine Liebe zugunsten einer jüngeren zu verzichten ...

Oktavian: Ach, ich weiß schon: du stammst aus »Sodoms Ende« von Sudermann; das macht die Frau Ada ja ebenso.

Marschallin: Richtig. Und du selbst, Bubi, Sopranistin im Kavalierskostüm, die sich nachher wieder als Mädchen verkleidet, du hast früher als Page Cherubim in »Figaros Hochzeit« gedient.

Oktavian: Aber seitdem ist die Entwicklung mächtig über mich gekommen. Den Mozart habe ich mir gründlich abgewöhnt.

Marschallin: Ebenso wie der Falstaff, der nachher auftreten soll, den Nicolai und Verdi abgestreift hat.

Oktavian: Was du sagst, Geliebte! Ein Falstaff kommt auch vor?

Marschallin: Gewiß doch! Wir sind doch hier die lustigen Weiber von Wiensdor. Und auf Grund dieser drei bekannten Figuren und Motive spielen wir nunmehr die herrliche Oper von Strauß.

Oktavian: Gott, wie originell! Heißt denn diese dritte Person wirklich Falstaff?

Marschallin: Nein, so komisch geht es hier nicht zu. Er heißt Ochs von Lerchenau. Übrigens hat der erste Falstaff doch noch immer einen Anstrich von Noblesse, während dieser Ochs sich wie ein Viechskerl erster Klasse benimmt. Da er hier sofort auftrampeln wird, hast du dich hinter einen Vorhang als meine Zofe umzukleiden und Mariandl zu heißen.

Oktavian: Und auf diesen steinalten Bühnentrick soll er hereinfallen?

Marschallin: Nicht bloß der Ochs, sondern das ganze Premierenpublikum. Weil die Musik dazu vom Komponisten der »Elektra« ist, weil Elektra mit Sophokles zusammenhängt, weil Sophokles zum klassischen Altertum gehört, und weil trotzdem hier ein Wiener Walzer vorkommt.

Oktavian: Diese moderne Kunstästhetik schmeckt nach Neurose. (Ab hinter den Vorhang.)

Marschallin: So ist es, lieber Neurosenkavalier.

Der Baron Ochs (tritt auf): Was mich hierher führt? Erstens will ich meine Verlobung mit der steinreichen Sophie Faninal anzeigen; zweitens will ich in Gegenwart der Frau Fürstin mit dero Zofe scharmutziern; und drittens will ich mich dabei so schafsdämlich und klotzig betragen, daß fünfzig Opern drüber durchfallen könnten, wann se nit von Strauß komponiert wär'n.

Marschallin: Mariandl, komm' Sie her. Servier' Sie Seiner Liebden.

Baron Ochs (zur vermeintlichen Mariandl): Süßer Engelschatz, sauberer, hätt' Sie Lust, mit mir in einem Chambre séparé zu sumpfen?

Oktavian (als Zofe): Ich weiß nicht, ob ich das darf.

Der Souffleur: Lokalkolorit! Weanerisch reden!

Oktavian (sich verbessernd): I weiß halt nit, ob i dös derf.

Stimme im Parkett: Also hören's, die Stelle allein entschädigt für zwanzig Mark Entree.

Stimme im ersten Rang: Die Fledermaus ist ein Flederhund dagegen! Hier offenbart sich der echte Wiener Hamur!

Stimme auf der Galerie: An Tusch für Nestroy!

Baron Ochs: Außerdem handelt es sich um eine hochadelige Gepflogenheit: ich brauche für meine Verlobte, Jungfer Sophie Fananal einen Bräutigamsführer, der ihr die neusilbernen Rosen überbringt. Und deshalb bitte ich Sie, liebe Marschallin, mir einen solchen Neurosenkavalier zu verschaffen, nämlich einen blutjungen und bildhübschen Kerl, Hosenrolle, der mich saudummes Luder bei meiner Braut sofort dermaßen blamiert, daß der zweite Akt möglich wird.

Marschallin: Dann brauchten wir ja diesen zweiten Akt erst gar nicht zu spielen.

Baron Ochs: Und den dritten Akt noch weniger, dessen Pointe darin besteht, daß ich meine Perücke stundenlang nicht finden kann. Darüber lacht sich außer Herrn Hofmannsthal doch kein Mensch halbtot.

Marschallin: Es wird ja ohnehin in dieser Oper von Tag zu Tag soviel gestrichen, daß der Intendant hierfür bereits ein extra Streichorchester angeschafft hat. Bis jetzt sind schon dreiviertel Stunden herausgebracht, und man verspricht sich den größten Effekt davon, wenn aus diesem Gesamtkunstwerk alles Überflüssige entfernt ist.

Oktavian: O je, da spielen wir ja die ganze Kummedi in fünfzehn Minuten!

Marschallin: Alles, was fehlt, ist ein Glück. Auf dem Zettel befinden sich noch zwei ekelhafte Italiener; wenn die erst herausgestrichen sind, fordern die Billetthändler das Doppelte.

Baron Ochs: Aber die Übergabe der Rosen muß stehen bleiben, denn das ist eine uralte Wiener Kavalierssitte, die bis auf König Pharao zurückgeht. Und auf das Frauenterzett verzichten wir auch nicht, weil da plötzlich zur ungeheuren Überraschung aller Hörer Musik vorkommt.

Marschallin: Das sind so Entgleisungen, die heutzutage bei den besten und berühmtesten Komponisten vorkommen.

Oktavian: Selbst bei den Kakophonikern von Gottes Gnaden. Sie vergreifen sich ab und zu in den Mitteln und geraten dann plötzlich in einen wahren Morast von Wohlklängen.

Sophie (eintretend): Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Terzett die dritte.

Marschallin: Gut, daß Sie kommen, liebe Faninal. Das kürzt enorm. Da kann ich das Mariandl gleich mit der Sophie verloben, und dem dreistimmigen Vokalsatz steht nun nichts mehr im Wege.

Oktavian-Mariandl: Also setzen wir jetzt unser Frauenstimmrecht durch!

Baron Ochs: Darf ich nicht mitsingen?

Marschallin: Das dürften Sie, wenn Sie statt eines Ochs von Lerchenau eine Lerche von Ochsenau wären. So aber haben Sie jetzt zu schweigen; das ist die dankbarste Stelle in Ihrer Partie.

(Frauenterzett.)

Stimme im Parkett: Also das ist unerhört wohlklingend, das ist so schön wie Mozart und Lehar zusammengenommen.

Stimme im ersten Rang: Solange eine Musikliteratur existiert, ist ein solcher Melodiker seit fünf Minuten noch nicht dagewesen!

Strauß in der Loge: Hören Sie es, Intendant? und nun verlange ich noch weitere fünfzehn Prozent Tantieme, oder ich entlasse Sie auf der Stelle.

Der Intendant: Alles bewilligt, nur lassen Sie mich morgen noch wenigstens einen halben Akt streichen!


 << zurück weiter >>