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Ich trage vor.

Skizze von A. M.

Es ist eigentlich das einfachste und leichteste von der Welt. Man wird von einer literarischen oder literarisch gestimmten Gesellschaft eingeladen, eventuell läßt man den Vortrag von einem Agenten deichseln, dann steigt man auf das Podium, wird mit Applaus empfangen, macht eine huldvolle Verbeugung und liest vor. Was man geschrieben hat, wird man doch schließlich noch lesen können. Sonderliche Vortragskünste werden vom Autor niemals erwartet. Das Publikum ist schon zufrieden, den beliebten Soundso aus seinen eigenen Schriften vortragen zu hören, die nämlichen Humoresken, die es zu Haus auf dem Kanapee weit bequemer belächeln könnte. Man braucht keinen Sufflör, kein Stichwort, kein Requisit außer seiner Druckschrift und einem Portemonnaie, in das man nachher das Honorar versenkt. Das alles ist Summa Summarum gar kein Kunststück.

Noch eigentlicher ist es aber eigentlich verdammt schwer. Bei leerem Saale ist man schon blamiert, ehe man anfängt, bei vollem Saale ist man einer gegen vier- oder fünfhundert. Die Humoreske, die Verssatire, die bis jetzt im Buche ein unbescholtenes Dasein führte, wird plötzlich mit allen Angriffsflächen herausgestellt und muß verteidigt werden. Im Druck hatte sie nur einen Verfasser, im Vortragssaal bekommt sie einen laut plaidierenden Anwalt. Das Auditorium verwandelt sich in ein Tribunal. Bei der ersten versagenden Pointe merkst du: Die Sache steht schief, Verurteilung ist nicht ausgeschlossen. Du weißt, in zehn Zeilen kommt eine neue Pointe, auf die stürmst du los, du verhaspelst dich, überliest eine Zeile, der Satz wird sinnlos, auf den hinteren Reihen ruft einer: Lauter! Was ungefähr gleichbedeutend ist mit: Schon faul! Der Angstschweiß bricht dir aus und betröpfelt dir die Augengläser. Die dritte Pointe ist schon gar nicht zu finden. Man bekommt einen Haß auf das Manuskript, auf das Buch, auf die zuhörende Menschheit. Endlich lachen ein paar Leute; ob über deine Humoreske oder über deine Verlegenheit, bleibt zunächst unentschieden. Gott, wie leicht ist das Schreiben und wie schwer das Vortragen! Und dazu die schaurige Prognose: Noch anderthalb Stunden solo auf dem Podium, ohne Souflör, ohne Stichwort, ohne Requisit! Wenn's nur erst zehn Uhr wäre! Dann Schluß und nie wieder!

Ich trage vor. In Dresden, in Leipzig, in Frankfurt oder anderswo. Alles geht nach Wunsch, die Hörer amüsieren sich sichtlich, eine angenehme Applauswelle hat schon mehrfach den Strand der Estrade gekräuselt. Mitten im Vortragssatze kommt mir der Gedanke: Was bedeutet das eigentlich? Weshalb sitzen diese Menschen hier? Was willst du von ihnen und was wollen sie von dir? Mechanisch lese ich weiter, während die Gedankenkette sich fortspinnt: Was geschieht, wenn jetzt die Beleuchtung ausgeht? Oder wenn Feuer ausbricht? Oder wenn eine Dame Schreikrämpfe kriegt? Oder wenn mir das nächste Blatt im Vortragsheft fehlt? Oder namentlich wenn ... Herrgott, da ist es schon geschehen! Mir rutscht die Hose! Statt daß die Leute platzen, platzen mir die Knöpfe, woran die Hosenträger verankert sind. Ich bin gewiß für die Preßfreiheit, und es empört mich, wenn ein Redakteur sitzt; aber seine Hosen müssen sitzen! namentlich im Hellicht der öffentlichen Vorlesung. Selbst die Sansculottes der französischen Revolution behielten ihre Hosen an, wenn sie zum Volk sprachen. Und weiter verlängert sich die Gedankenkette nach unten, während ich oben ein satirisches Gedicht über moderne Kunstströmungen vortrage: Ich weiß, daß meine schwarzen Beinkleider vorzüglich wirken, solange sie sich eins fühlen mit ihrem Besitzer und nicht ausschließlich der Gravitation folgen. Ich weiß, daß mir momentan eine dritte Hand fehlt, da die beiden verfügbaren am Vortragsbuch beschäftigt sind. Ich weiß, daß der Anblick meiner weißen Unterhosen nicht für die Augen einer größeren Korona berechnet ist, daß der Moment der Entschleierung katastrophale Folgen bedingt, und daß es für alles einen Generalpardon gibt, nur nicht für die restlose Deklarierung der Beine. Einen Moment schießt es mir durch den Kopf, hier hilft nur: Ohnmacht fingieren, sich tot stellen. Allein, da man im Augenblick der Gefahr prinzipiell das Falsche tut, so breche ich das Gedicht ab, mache eine Kunstpause und verschwinde ins Künstlerzimmer. Wäre ein Kinematograph zur Stelle gewesen, – was für ein » Autoren-Film« hätte das werden können!

Ich trage in einer schlesischen Provinzstadt vor. Statutengemäß knüpft sich daran eine freie Diskussion, die sich an einem Kreuzfeuer von Fragen und Antworten entzündet:

Zurufe aus dem Publikum: Antworten des Vortragenden:
Schreiben Sie Ihre Sachen alle allein? Nur einzelne; bei anderen habe ich mir von Lattenfritze, Aristophanes und Anton Notenquetscher helfen lassen.
Was halten Sie von dramatischer Kompagniearbeit? Sehr viel; hat doch sogar Schiller mit zwei Schädeln gedichtet.
Wer wird den nächsten Grillparzerpreis erhalten? Entweder Rabindranaht Tagore oder Kutschte; jedenfalls würde ihn Grillparzer, wenn er heute lebte, nicht bekommen.
Kann man Wedekind mit Molière vergleichen? Bedingungsweise; im Text ist Wedekind freier, aber in der Tantième ist Molière freier.
Wer war bedeutender: Dante oder Quattrocentro? Läßt sich nicht beantworten, denn Quattrocento war überhaupt kein Dichter, sondern ein Maler.
Ihr Urteil über das Stück Odysseus unseres Landsmanns Gerhart Hauptmann? Es hat den Vorzug, daß Penelope darin nicht vorkommt, und den Nachteil, daß Odysseus darin vorkommt.
Gibt es beim Dichter auch Berufskrankheiten? Allerdings, besonders beim dramatischen: er leidet oft vor der Aufführung an Kleptomanie und bei der Aufführung an Durchfall.

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