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Die Ehe im Rückfall.

Maxim: Und wie geht es denn deiner Frau?

Leo: Nicht besonders. Sie ist sehr erkältet, sie kann die Influenza gar nicht los werden. Ich werde Klotilde wahrscheinlich auf längere Zeit in ein mildes Klima bringen müssen. Unser Hausarzt meint, sie könne sich sonst nicht erholen.

Maxim: Du arbeitest wie ein Packesel, und Clotilde muß sich erholen. Das Uebliche.

Leo: Sie kann doch nichts dafür. Klotilde ist eben sehr schwächlich.

Maxim: Und anfällig und nervös, und was weiß ich! Warum hast du die eigentlich geheiratet?

Leo: Komische Frage. Weil ich sie geliebt habe.

Maxim: Das ist auch ein Grund! Wahrhaftig!

Leo: Rede doch nicht Maxim! Du bist ja selbst einmal verheiratet gewesen.

Maxim: Aber mit Ausschluß der Liebe. Ich hatte doch wenigstens ein Motiv. Sie war steinreich. Uebrigens, wie lange war ich denn verheiratet? Es war eine Ehe mit dreitägiger Gültigkeit. Wer soll denn das länger aushalten!

Leo: Nun, du siehst doch: ich halte es schon vier Jahre aus.

Maxim: Und hast immer noch keinen Scheidungsgrund? Das ist tragisch.

Leo: Ich suche gar keinen. Ich bin Ehemann aus Prinzip. Natürlich auch aus Neigung in meinem speziellen Falle.

Maxim: Natürlich. Aus Neigung zu dieser einen; das hat die Allmacht so vorausbestimmt. Sie hat es gewollt, daß der Musiker Leo Kern unter den fünfzig Millionen Frauen der Kulturwelt mit dieser einen Clotilde, geborenen Leiden, zusammengeschmiedet wird. Die anderen kommen dabei gar nicht in Betracht, werden und dürfen auch nie wieder in Betracht kommen. Dies nennt man ja wohl geschlechtliche Auslese. Zwei Atome finden sich per Zufall im Weltenraume, das ist eine unter Trillionen von Möglichkeiten. Und nun reden sich diese beiden Atome ein, anders wäre es gar nicht gegangen.

Leo: Ja, um Himmelswillen, in wie viele hätt' ich mich denn verlieben sollen?

Maxim: Sag' mal, Leo, in wie viele Musikstücke bist du verliebt? Aufrichtig, wie viele sind dir ans Herz gewachsen?

Leo: Selbstverständlich unzählige. Aber der Vergleich hinkt.

Maxim: Wie jeder gute Vergleich, den man nicht bis zu Ende durchzudenken wagt. Hat man die Kurage, dann hinkt nur noch das Vorurteil, das der Parallele ausweichen will. Also du liebst unzählige Tonwerke. Deine Liebe zum C-moll-Nokturn von Chopin hat die Liebe zur D-moll-Tokkata von Bach nicht vermindert. Deine Neigung zur fünften Sinfonie von Beethoven hat dich nicht veranlaßt, den sinfonischen Etüden von Schumann den Rücken zu kehren. Das Bedürfnis der Auslese auf einen Singularis hast du nicht verspürt; du kannst tausend Herrlichkeiten treu sein. Und du würdest es als die empörendste Fessel empfinden, wenn du zeitlebens mit einer Komposition, die du liebst, verheiratet wärst. Oder was anderes: Du kommst nach Venedig und verliebst dich in einen Kanal. Sofort ist es dir klar, daß du nur mit diesem Kanal glücklich werden kannst, und du gelobst vor Gott und Behörden, daß du nie mehr den Reiz des Vierwaldstätter Sees, der Glocknergruppe, der Pariser Boulevards, der Ostender Digue, der Borromäischen Inseln und tausend anderer Szenerien als lebendig und begehrenswert bemerken wirst. Du verlobst dich mit diesem Kanal und bist dann aus Prinzip und Neigung mit der übrigen Welt fertig. Punktum.

Leo: Maxim, das sind Paradoxe; im geschlechtlichen Leben liegen die Dinge anders. Jeder Physiologe und Soziologe wird dir sagen, daß die Monogamie als eine natürliche und sittliche Notwendigkeit besteht, und daß ...

Maxim: Und daß die Menschheit ohne die Monogamie zugrunde gehen muß. Kennimus. Tatsache ist, daß die Menschheit in einer Reihe von Kulturvölkern auf den monogamischen Strang geraten ist und vorläufig nicht herunter kann. Tatsache ist aber außerdem, daß eine Reihe anderer Kulturvölker diesem Zwange nicht gehorcht, und daß kein Historiker weiß, auf welchem Strange die größere Lebensfähigkeit dereinst hervortreten wird. Die Weltgeschichte ist doch noch nicht aus. Und mit der Biologie soll man vollends mir nicht kommen. Sind die Hühner entartet, weil der Hahn einen Harem hält? Ist der Honig bitter, die Drohne dekadent geworden, weil das Bienenweibchen im Plural liebt? Oder würde sich das Pferdematerial verbessern, wenn man die besten Hengste verpflichtete, sich auf die Einzahl festzulegen? Bitte bei den Graditzern anzufragen.

Leo: Tier und Mensch sind doch nicht dasselbe.

Maxim: Gewiß nicht, das sind abgestufte Unterschiede. Aber gerade, je höher du hinaufgehst, desto energischer wehrt sich der Mensch gegen den Ehezwang.

Leo: Erlaube mal: Schiller, Mozart, Schumann, Wagner, Bismarck ...

Maxim: Und noch soundsoviele, die sich allesamt nicht hinauf-, aber deutlich hinuntergepflanzt haben. Eröffnen wir einmal die Gegenrechnung: Unverheiratet waren Michelangelo und Rafael; unvermählt Buddha und Jesus Christus; unverheiratet Konfutse, Galilei, Kepler; unverheiratet Kopernikus, Gauß, Mirabeau, Pitt, Beethoven, Menzel, Pythagoras, Plato, Spinoza, Descartes, Kant, Schopenhauer, überhaupt und besonders die Blüte der Philosophie.

Leo: Und Sokrates?

Maxim: Beweist nur, daß der größte Denker tapert und hineinfällt, sobald die Zwangsvorstellung der Ehe Herrschaft über ihn gewinnt. Du hättest noch Macchiavell nennen können. Beide waren mit Xantippen verheiratet, und an beiden hängt die Xantippe als die einzige Lächerlichkeit ihres Lebens. Gehen wir noch höher hinauf ...

Leo: Du meinst zu den großen Monarchen?

Maxim: Sozusagen; ich dachte eben an die Götter, Zeus und Wotan.

Leo: Die hatten doch Göttinnen.

Maxim: Richtig. Und nun überlege dir einmal, daß der Mythus, der sich doch anstrengte, sie so herrlich, so sublim als nur denkbar auszuarbeiten, nicht imstande war, ihnen die Würdelosigkeit zu ersparen: Zeus und Wotan, zwei durchaus polygame Naturen, von göttlichem Pluralbewußtsein erfüllt, imposant in der Vielheit ihrer Sexualwahl, wo erscheinen sie uns ungöttlich, albern, tragikomisch? Ganz ausschließlich in der Beziehung zu ihrer Frau; es ist, als ob der Weltgeist am höchsten Typus hätte das Exempel aufstellen wollen: die Bindung taugt nicht für einen, dessen oberster Beruf ist, frei zu sein.

Leo: Es lebt doch aber in uns der Trieb, eine zu wählen, unser Schicksal mit dem ihren zu verschmelzen, für sie zu hoffen, zu leiden, zu arbeiten.

Maxim: Proletendrang. Dämmerhafter Trieb ohne Kontrolle, ohne Berechnung. Man heiratet. Weiß man denn, wen man heiratet? Im besten Falle erwirbt man die Katze im Sack. Der blödeste Geschäftsmann würde keine Ware akzeptieren, deren Güte er nicht geprüft hat, der einfältigste Snob kein Haus kaufen, dessen Räume er nicht gesehen. Aber man heiratet.

Leo: Erlaube mal, Maxim, man lebt doch in der Welt und hält Umschau, man prüft doch.

Maxim: Nach der lyrischen Methode. Zwei Augensterne: O, daß sie mir ewig leuchten mögen! Ein hübschgewölbter Mund: O, daß ich dich küssen könnte bis ins Jenseits hinüber! Allenfalls noch ein Auskunftsbureau, in dem man erfährt, daß der Vater bis zu einer gewissen Summe kreditwürdig sei. Fertig. Das Schicksal hat gesprochen, daß zwischen Nordpol und Südpol keine vorhanden ist, die besser zu dir paßt, die dir wertvollere Garantien gibt, die dir mehr Enttäuschungen erläßt. Alle anderen lehnst du unbesehen ab und unwiderruflich. Und nun stelle dir vor, du sähest an der Spielbank einen stehen, der sein ganzes Vermögen restlos auf eine einzige Nummer setzt. Ist der wahnsinnig! würdest du rufen; er pointiert auf einen Gewinnfall und hat sechsunddreißig Chancen gegen sich, gegen seine ganze materielle Existenz! Er wird mit größter Wahrscheinlichkeit in der nächsten Minute ein Bettler werden. Ein Blödian! Ein Kretin! Na, und du, wenn du heiratest? Du setzt nicht nur deine Habe auf die eine Nummer, sondern dich selbst dazu, deinen Beruf, deinen Charakter, deine ganze Persönlichkeit, und hast nicht sechsunddreißig Chancen zu Feinden, sondern sechsunddreißigtausend. An der Roulette stimmt es doch wenigstens in einem Falle.

Leo: Und im Leben doch auch manchmal.

Maxim: Mir nicht bekannt. Du zum Beispiel, bist du glücklich?

Leo: In gewissem Sinne, ja.

Maxim: Das heißt, du zerbrichst dir den Kopf, wie du die Eheliebste nach dem Süden spedieren kannst, möglichst weit weg. Du leidest an ihrer Influenza, an ihren Nerven wirst du gezwickt. Deine Kompositionen werden von Jahr zu Jahr schwächer, weil die organischen Mängel deiner Frau dich ablenken, beeinflussen und minderwertig machen. Du bist ja nicht nur mit Klotilde, sondern auch mit Klotildens Defekten verheiratet. Ihre geschwollenen Mandeln drücken auf deine Melodie, ihr Husten durchschneidet deinen Kontrapunkt. Und selbst wenn sie ausnahmsweise nicht klagt, selten genug kommt's vor, so würde die Monotonie der Ehe keine Variation deiner künstlerischen Erfindung aufkommen lassen. Aber du bist glücklich, bravo! Staatsbürgerlich glücklich, weil du der Staatsraison dienst. Du erfüllst eine Bürgerpflicht, und das erhebt dich über alle Misere, genau wie damals, als du mit dem gepackten Affen in glühender Sonne über den Sturzacker exerziertest und dir sagtest: das ist sehr unangenehm, aber der Staat verlangt es, folglich habe ich mich fröhlich zu fühlen, wenn ich der großen Räson opfere.

Leo: Du wirst doch das Glück in der Ehe als eine mögliche Erscheinung nicht überhaupt leugnen wollen?

Maxim: I bewahre! Es ist ja so häufig, man braucht bloß in seinen Bekanntenkreisen die Reihe abzuzählen. Freund Bernhard führt eine zufriedene Ehe, weil er jetzt glücklich so viel verdient, um per Jahr fünf Spezialisten und drei Sanatorien für seine Frau bezahlen zu können. Freund Melchior ist glücklich, weil seine Frau kongenial ist und ihm vor den Dienstboten dieselben Flegeleien an den Kopf wirft, mit denen er seine eigenen naturalistischen Stücke pfeffert. Freund Konrad ist glücklich, weil ihn seine dritte Frau um fünfzig Prozent weniger betrügt als seine verflossene zweite. Und wie glücklich wäre erst Kuno mit seiner schönen, gebildeten, eleganten, geistreichen Frau, wenn ihn sein und ihr Intimus nicht vor drei Monaten glücklich über den Haufen geschossen hätte. Wohin man nur blickt, es ist eine Pracht!

Leo: Sage mal, Maxim, findest du denn wirklich bei mir einen Abstieg in meinen künstlerischen Leistungen? Oder sagst du das etwa aus dialektischer Bosheit, um in der Frage Paar oder Unpaar ein persönliches gewaltsames Argument auszuspielen?

Maxim: Beruhige dich, Leo, die Sache stimmt, und sie stimmt auf die natürlichste Weise. Die Gattenliebe ist an sich eine schlechte Helferin bei der geistigen Produktion, und in deinen Werken speziell hat sie geradezu feindlich gewütet. Wenn ich mir deine letzten Schöpfungen ansehe, so muß ich aufrichtig sagen: aus diesen Stücken spricht eine sehr intensive und liebevolle Beschäftigung mit der angetrauten Frau, die Stücke sind wirklich sehr schlecht.

Leo: Maxim, ich habe diese Sachen mit meinem Herzblut geschrieben!

Maxim: So ist es; aber in deinem Herzblut kreisen ihre Bazillen, und ihre Influenza steckt in deinen Kompositionen. Produktion ist Kampf, und zum Kampf muß man die Ellbogen frei haben. Hymen und Pallas Athene schließen einander aus. Auch davon weiß die Staatsräson ein Lied zu singen. Ein Staatsgesetz der alten Israeliten verbot den jungen Ehemännern die Teilnahme an den Feldzügen, weil man annahm, daß die Liebe zur Gattin eine Kampfesenergie nicht aufkommen lasse. Andere klassische Völker nahmen von solchem Verbot Abstand, mit der Begründung, daß der Kampf im Felde lange nicht so schwer zu tragen sei, wie der im Hause. So oder so: Elitetruppen sind ledig. Sieh mich an, Leo. Ich bin frei, und meine Freiheit feiert ihre Triumphe auf jedem Blatt, das ich der Öffentlichkeit übergebe. Maxim Freygang in allen Zeitungen, in aller Munde, in allen Schaufenstern. Die Leute wissen: dem fällt fortwährend Neues ein, jedes Impromptu des Lebens findet ihn bereit und aufnahmefähig; der Ehe ewig gleichgestellte Uhr metronomisiert nicht seine Arbeit, sein Gehirn ist nicht mit häuslichen Sorgen verkalkt. Nur ein einziges Werk ist mir mit Pauken und Trompeten durchgefallen, und dieses Werk habe ich wirklich genau in jenen drei Tagen konzipiert, die für mich die Flitterzeit bedeuteten. Wir sprachen ja bereits davon. Niemand wird weise, ohne Lehrgeld zu zahlen. Aber Lehrling auf Lebenszeit? Mir genügte eine halbe Woche, dann zerbrach ich das Joch, der Hippogryph ward ausgespannt, und lächelnd schwang ich mich auf seinen Rücken!

* * *

Die Fortsetzung:

Im Namen des Königs!

(Aktenzeichen.)

In Sachen des Tonkünstlers Leo Kern in Berlin und seiner Ehefrau Klotilde, geborenen Leiden, hat die 30. Zivilkammer des Königlichen Landgerichts für Recht erkannt:

Die Ehe der Parteien wird getrennt.

Statt jeder besonderen Meldung:

Maxim Freygang

Klotilde Kern, geb. Leiden,

Vermählte.


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