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Der Herr Intendant.

(Szene: Eine kleine Residenzstadt.)

Der Intendant: Also wie gesagt, es soll ein Exempel statuiert werden an diesem neuen Kapellmeister, den wir, Gott sei's geklagt, in einer schwachen Stunde engagiert haben, – wie heißt der Kerl doch gleich?

Wurm, die rechte Hand des Intendanten: Der Name tut ja nichts zur Sache. Selbstredend bin ich durchaus Ihrer Meinung, Exzellenz, es muß ein Exempel statuiert werden von außergewöhnlicher Strenge, gleichsam als abschreckendes Beispiel. Übrigens, warum eigentlich, wenn ich fragen darf?

Der Intendant: Weil dieser Mensch die Frechheit besitzt, sich zu fühlen, den Hochnäsigen zu spielen, zu vergessen, daß er sich an einem fürstlichen Gunst-Institut befindet, weil er so tut, als wäre er wer, was nach Paragraph fünfzehn unseres Disziplinarreglements schärfstens verboten ist.

Die rechte Hand: Grund genug, um gegen ihn einzuschreiten; aber mit welchen Mitteln, Exzellenz?

Der Intendant: Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines Entwurfs bange, wo ich mich mit einem: » Es soll so seyn!« einstellen konnte.

Die rechte Hand: Exzellenz belieben den Präsidenten aus Kabale und Liebe zu zitieren. Meiner bescheidenen Ansicht nach lassen wir hier die Liebe gänzlich außer Betracht, um uns ohne jede Zersplitterung mit der Kabale zu befassen. Immerhin ...

Der Intendant: Wurm, es gibt kein Immerhin, wo es sich um die Züchtigung eines Kapellmeisters handelt, ...

Die rechte Hand: Der, wie ich mir einzuschalten erlaube, als eine Zierde seiner Zunft gilt.

Der Intendant: Gerade das wird ihm den störrischen Hals brechen. Was heißt das überhaupt: »Zierde der Zunft«? Wie kann man eine Zierde sein, wenn man nichts besitzt als das Amt, die Noten mit einem Stecken zusammenzufuchteln? Ein Mensch, der es in der Reserve nicht einmal bis zum Gefreiten gebracht hat! Dem will ich Mores beibringen. Sagen Sie, Wurm, könnten wir uns nicht überhaupt ohne Kapellmeister behelfen? Die Orchesterleute wissen doch so schon, was sie da zu spielen haben.

Die rechte Hand: Aber sie blicken nach dem Dirigenten!

Der Intendant: Nach dem Intendanten sollen sie blicken und nach der Hofloge! Tatsächlich, wir sollten den Kapellmeister einfach abschaffen und auf die Straße setzen.

Die rechte Hand: Eine solche Maßregel wäre vielleicht doch zu radikal. Aber man könnte ihn vielleicht in Buße nehmen auf Grund der Behauptung, daß er gestern bei der siebenhundertsten Reprise der » Bajazzi« schlecht dirigiert habe.

Der Intendant: Wenn er es darauf anlegt, daß die Spieler auf ihn blicken, dann dirigiert er immer schlecht, der Frechdachs!

Die rechte Hand: So allgemein ließe sich das wohl kaum behaupten. Aber vielleicht im speziellen Falle, einfach deshalb, weil ein Gegenbeweis nicht geführt werden kann. Also wir erklären, will mal sagen, daß er den ersten Akt zu schnell und den zweiten Akt zu langsam genommen habe.

Der Intendant: Bravo, bravo! mir kam es auch gleich so vor, als ob er den ersten Akt zu langsam und den zweiten Akt zu schnell dirigiert hätte. Viel zu langsam und viel zu schnell; eine wahre Affenschande von Tempo, daß sich der Komponist im Grabe herumdrehen müßte.

Die rechte Hand: Der Komponist lebt noch. Beiläufig: wir dürfen da einander nicht widersprechen. Ich schlug ergebenst vor, daß er den ersten Akt zu sehr beschleunigt habe. Wenn aber Exzellenz wünschen, kann auch das Umgekehrte protokolliert werden.

Der Intendant: Formulieren Sie die Anklage wie Sie wollen. Ich habe da nur das Ziel im Auge: Das renitente Individium muß geduckt werden! Sehn Sie doch mal in unserem Kodex nach, zu was er disziplinariter gepönt werden kann; zu Wasser und Brot, oder zu Halseisen oder Krummschließen, oder so was Ähnlichem.

Die rechte Hand: Leider ausgeschlossen. Die Humanitätsduselei der Neuzeit zwingt uns zu milderen Maßregeln. Man könnte ihn höchstens aus unserer kleinen Residenz verbannen, mit der Maßgabe, daß er in einem Umkreis von dreitausend Kilometern und in einem Zeitraum von neunzig Jahren nie wieder öffentlich auftreten darf; was ja wohl den Ruin und bürgerlichen Tod dieses Kapellmeisters bedeuten wird.

Der Intendant: Werden Sie bloß nicht gerührt, Wurm, das steht Ihnen nicht. Also dreitausend Kilometer sind gut. Wenn er meinethalben in Peking oder in Borneo die »Bajazzi« falsch dirigieren will, so kann er ja sein Leben damit fristen. Sagen Sie, Wurm, dann müssen wir wohl einen neuen engagieren?

Die rechte Hand: Einen besseren, – ich meine als Künstler – werden wir kaum finden.

Der Intendant: Daß Sie ihm bloß das nicht ins Dienstbuch hineinnotieren! Der Kerl kriegt's fertig und veröffentlicht's! Also es bleibt dabei: er dirigiert miserabel und darf hier in der Nähe nie wieder auftreten, weil er uns durch seine unvergleichliche Kunst eine höchst unliebsame Konkurrenz machen könnte.


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