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XVIII.

Am nächsten Tag schloß sie sich ein und wollte von nichts wissen. Mittags ließ sie sich das Essen aufs Zimmer bringen, dem Ritter ließ sie sagen, sie fühle sich unwohl. Der arme Ritter drängte sich ihr beinahe auf, trotzdem empfing sie ihn nicht. Mittags kam eine Stafette von Richter, um die Antwort auf den Brief zu holen.

»Ich habe nichts zu antworten,« ließ sie ihm kurz sagen.

Nach dem Mittagessen aber setzte sie sich hin und legte mehrere Bogen Briefpapier auf den Tisch. Sie hatte den Entschluß gefaßt, einen langen, sehr ausführlichen Brief an den gütigen Ritter zu richten, der sie mit solcher Liebe aufgenommen, als sie hierhergekommen war und dem sie so viele Unannehmlichkeiten verursacht hatte. Sie wollte ihm schreiben, daß sie für nichts verantwortlich sei. Sie wollte ihm alles ausführlich erklären. Sie wird ihm offen schreiben: der Ritter wolle nicht glauben, daß sie – die geschiedene Frau – gefallsüchtig war und die Männer gegeneinander gereizt habe. Sie wird ihm alles schreiben! Am Ende will sie unterstreichen: sie kann nichts dafür, daß hier in diesem Dorfe vor ihr kein Weib gewesen, und daß diese Leute so wild wie die weiberlüsternen Matrosen eines überseeischen Schiffes sind.

Und als der Gegenstand sie schon reizte, schrieb sie mit zierlichen, runden, dünnen Buchstaben:

»Lieber Leopold!«

Sie kam aber nicht weiter. Es fiel ihr auch ein, daß sie doch Teeabende gegeben und Toganow geraten hatte, nach Hause zu reisen. Womit will sie wohl begründen, den besten, rührigsten Beamten der Gesellschaft, den naiv ehrlichen Russen, weggescheucht zu haben. Sie wußte es nicht, konnte es nicht … Weiter, als »Lieber Leopold« kam sie nicht. Ihr Kopf sank aufs Papier, und sie weinte bitterlich, beinahe wütend, zornig, wie ein unschuldig verurteilter Schüler, der das Pech hat, sein Recht nicht beweisen zu können.

Ich muß diesen Ort fliehen, war ihre letzte Folgerung. Doch so oft sie diesen Schluß zog, ebenso oft mußte sie sich schämen. Aus Pest hatte sie sich hierher geflüchtet. Sollte sie nun zurück nach Pest fliehen? Fliehen, nichts als fliehen, immer fliehen?

Gegen Abend ging sie hinaus und ließ den Direktor bitten, mit ihr zu Abend zu speisen. Der gute Leopold war höchlichst erfreut, als er sah, sie sei nicht ernstlich krank. Und inmitten der vielen Sorgen setzte er sich glückselig zu ihr an den kleinen Tisch, an dem für zwei Personen gedeckt war. Dann erkundigte sie sich über den Fall Jolan und erfuhr, das Begängnis werde morgen stattfinden. Auch hörte sie, Richter hätte von dem Tode des Fräuleins noch nichts vernommen. Niemand wage es, ihn davon zu verständigen, aus Furcht, es würde ihm schlecht bekommen. Dann erfuhr sie auch, daß man Wurm nicht beikommen könne. Seit der Frühe laufe er ganz außer sich herum, ordne und beschäftige sich mit den Angelegenheiten der Toten, als hätte er den größten Anteil an der Sache und als wollte er die letzte Gelegenheit ausnützen, um Jolan noch Gutes und Schönes zu erweisen. Dann erzählte man dem Direktor, daß Vertes und Bajtzar noch nicht im Totenhause gewesen seien. Sie wären den ganzen Tag beisammen und ließen sich auch nicht eine Minute aus den Augen. Ihr Benehmen mache den Eindruck, als spiele jeder die Rolle eines Detektives, dem die Pflicht obliegt, auf jeden Schritt und jedes Wort seines Gefährten zu achten. Sie hätten sich förmlich vernagelt in diese Rolle. Angeblich hätten sie sich diese Nacht gar nicht niedergelegt. Beide wären wach geblieben und hätten – da sie einander gegenüber wohnten – ihre Fenster bis frühmorgens fixiert. Das habe die Hausfrau Bajtzars dem Diener erzählt, von dem es der Direktor erfahren habe.

Der Ritter hatte auch diesmal nicht ganz aufrichtig die Geschehnisse erzählt. Er sprach von den beiden, als wären sie interessante, spaßhafte Gestalten. Er wollte es die Frau nicht fühlen lassen, daß er sich der Wichtigkeit dieser verrückten Gesellen bewußt sei.

Nach Tisch ging Eva auf den Ritter zu, ergriff seine Hand und sagte:

»Leopold, ich danke Dir, daß Du so gut zu mir gewesen bist. Ich werde morgen abreisen.«

Ganz erstarrt fragte sie der Ritter:

»Warum?«

»Weil ich wegreisen will. Ich will fort! Ich werde sogleich packen und in der Frühe fahre ich mit dem Wagen nach Schemnitz, von dort aus nach Pest.«

Dann, als sie das verwunderte Gesicht, die große Bestürzung verratende Geberde des Direktors bemerkte, fügte sie hinzu:

»Wenn Du nicht fühlst, warum, dann frage auch nicht danach, denn ich werde es Dir nicht sagen …«

Und da weinte sie schon, aus tiefstem Herzen. Es war ein Weinen, aus dem die Erinnerung an manches Ungemach, manchen Schicksalsschlag strömte. Und sie umarmte den Ritter; küßte ihn auf den Mund, lange, mit anhänglicher Liebe.

Darauf ging sie sachte, still in ihr Zimmer. Der Ritter stand noch lange an seinem Platz und war sehr traurig. Er blickte vor sich hin und zuckte die Schultern. Diese Abfahrt kam zu plötzlich. Und die Frau war nicht mehr hier, um eine Erklärung, den Grund dafür anzugeben.

Er rührte sich und ging hinunter in das Amtszimmer. Doch blieb er auf der Holztreppe einen Augenblick stehen, weil er fühlte, daß seine Augen feucht waren.


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