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I.

Eine kalte, trockene Winternacht brach über das Dorf herein. Ueberall herrschte Frost, und es schien, als ob die kleinen Häuser frierend auf einen Haufen gekrochen waren. Es hatte den Anschein, als ströme dieser grimmige Winter aus den Fichten der Höhen ins Tal hinab, als spien die starren, dunklen Bergkuppen diese eisige, nagende Kälte aus.

So nach zehn Uhr war es schon sehr still. Nur vom unteren Dorfende konnte man über die weite Schneedecke das Geräusch der Pochwerke vernehmen. Die waren Tag und Nacht im Gange. Nirgends in den Häusern brannte ein Licht, nur oben, um den Großschacht herum, drang aus einzelnen Fenstern ein starker, elektrischer Schein hervor. Hier in den hübschen Wohnräumen der Aktiengesellschaft war Elektrizität am Werke, und der Direktor ließ sich den Simplizissimus kommen. Schon wenige Schritte weiter brannte Oellicht in den Bauernhütten. Elend, Dummheit und viehische Mühsal hausten darin. Und wie nun die Nacht sich mählich über das Tal senkte, wurde es im Dorfe immer stiller, das Licht immer geringer. Um elf Uhr war nur noch ein einziges Haus beleuchtet. Das war das Kasino, welches die Bergbeamten aufsuchten. Der Frost, die grimmige, finstere Kälte paßten gut in den Rahmen des Dorfes. Es gibt Dorfschaften, in denen der Mensch in den finstersten und kältesten Nächten spürt, daß drin in den Häusern warmfühlende Herzen schlagen, Leben pulsiert, Hoffnungen aufkeimen und vergehen und die Träume der Gedanke der Liebe durchzittert. Man kann es fühlen, wo ein Weib schläft. Ich glaube, daß die Glut einer Hochzeitsnacht nicht in Jahren aus den Wänden schwindet; sie bleibt darin verborgen, wärmt und löst intime Gefühle in dem Fremden aus. Es gibt aber Häuser, welche kalt und empfindungslos bleiben. In denen keine Frau waltet und wenn doch, das Weib nichts Besonderes in der Liebe gefunden hatte! Sie heiratete, kocht, bügelt, räumt auf, freudlos, kurzum, steht nur im Dienste der Erhaltung, der Hygiene und der Fortpflanzung der Gattung.

So muteten einen die sich längs des weiten Tales hinziehenden Häuser an. Darin wohnten dumme Slowaken, welche die Arbeit unter der Erde verbraucht und abgenützt hatte. Ein solcher Mensch schrak in der Frühe auf, wie ein gedankenloses Tier, wischte sich den Schlaf aus den Augen, tauchte ein wenig die Hände ins Wasser, zerrte seine Fetzen auf sich und ging, mit einem Stück Brot in der Tasche, in die Grube. In der Morgendämmerung schritten sie die Hauptgasse entlang, stumm, an ihren Gürteln die armseligen, in Flocken brennenden Oellämpchen; alle sahen blaß, mager und herabgekommen aus.

Solch häßliche Frauen, wie ihre Weiber, gibt es vielleicht nirgends. Dieses Volk lebte eigentlich unter der Erde und nur von Zeit zu Zeit kam es auf die Oberfläche herauf, um Nahrung zu sich zu nehmen, zu schlafen und zu lieben; dann kroch es wieder in die Schächte, die Stollen und die dumpfen, finsteren Höhlen zurück, wo es sich heimisch fühlte. Selbst ihre Gesichtsfarbe hatte sich dem Scheine der Oellämpchen angepaßt. Am Tage fahl und graugelb, wie in Säure gebadet, hatten sie in den Minen ein fast gesundes Aussehen. Weilten sie oben, dann beunruhigte und bedrückte sie der weite Gesichtskreis, sie fürchteten sich vor den nickenden Fichten, liebten den Wind, den Regen und die Sonne nicht und waren linkisch, albern und plump. Unten in den Gruben ließ das flackernde Licht der Lämpchen sie größer erscheinen; auf den nassen Brettern rutschten sie mit der Behendigkeit einer Katze dreißig, vierzig Meter hinunter. Sich in den Bergletten klammernd, wanden sie sich gleich Erdwürmern durch die engen Winkel. Das lag in ihrem Blute: schon die Väter, Ureltern und Vorfahren waren Bergleute gewesen, man konnte dreist in die Vergangenheit zurückgreifen, denn das Bergwerk war zweitausend Jahr alt. Den Anfang hatten die Römer gemacht.

Unter diese Ungeziefer, welche nur Sonntag nachmittags trunken werden von ein bißchen Luft, von der Sonne und, seien wir aufrichtig, auch vom Weine – fiel wie vom Himmel eine kleine Kolonie. Das obere Silberbergwerk hatte eine Aktiengesellschaft übernommen, deren Leute aus allen Teilen der Welt zusammengekommen waren. Lauter junge Leute, die ihre Laufbahn hier beginnen, aber am Grunde ihrer Seele Londoner und Pariser Träume hegen. Aelter war nur einer unter ihnen, der Direktor, Ritter v. Stark, ein Hagestolz, ein preußischer Junggeselle. Er war der Präsident dieser kleinen Republik, ein grauköpfiger, schöner, hoher Germane, der – wie er sich auszudrücken pflegte – hierhergekommen war, um den Betrieb »in Schwung« zu bringen. Wenn einst das Geschäft gehen wird, dann packt er zusammen und reist zurück nach Berlin. Mag man dann auf seine Stelle einen alten, schäbigen Gesellen setzen. Ritter v. Stark war ein kaufmännisches Genie und verstand sich gut auf den Bergbau. Die Aktiengesellschaft mußte tief in den Sack greifen, damit er das Geschäft ein bischen »ausspiele«. Man sagt, daß die Schwingungen der Töne den Atomenbau des Violinholzes verändern. Wenn ein Künstler Jahre hindurch auf einer Violine spielt, dann wird sie besser, als hätte sie ein Pfuscher ebenso lange gemartert. Deshalb lassen die großen Instrumentenfabriken ihre Violinen durch Konzertstars ausspielen. Ein solcher Star war dieser schöne Ritter, den übrigens noch der Umstand an unsere Heimatsscholle fesselte, daß er durch einen seiner Brüder auch in Ungarn Verwandte hatte. Das neue Bergwerk hatte er ein wenig in Gang gesetzt; später wird er fortgehen, und anderswo den Grund zu irgend einem großen Betriebe legen.

Um den Ritter scharte sich das übrige Personal. Die Chemiker, der Mineraloge, der Rechnungsführer und einige Ingenieure. Alle diese wohnten am oberen Dorfende, um die Aktiengruben herum. Am unteren Ende war das Staatsbergwerk, mit seiner zurückgebliebenen, veralteten Organisation, schmutzig, trübselig, mit einer Pensionsfähigkeit nach vierzigjähriger Dienstzeit, mit – im ganzen – einem Beamten, der ein so geringes Gehalt bezog, daß er schon längst zur Aktiengesellschaft übergegangen wäre, hätte er seine Pensionsbefähigung nicht bedauert. Er hatte schon zwanzig Jahre Dienstzeit, und das ist ein großes Wort. Dann gab es auch seine Frau nicht zu, diese kinderlose, dürre Matrone. Sie lebten dort wie zwei Pfähle, nicht eine einzige Knospe, keine Blume, kein Blatt sproß darauf. Sie waren grau, trocken, starr und schweigsam.

Auch er – der Aermste – besuchte das Kasino. Es war ihm eine Neuigkeit. Bisher bildete der Doktor allein das Kasino. Jetzt gab es schon ein wirkliches, mit einem Billard, etlichen Zeitungen, in der Tat großartig und beinahe weltstädtisch.

Es war fast Mitternacht, als er, die kleine Lampe in der Hand, vom Kasino nach Hause ging. Er stülpte seinen Pelzkragen auf und eilte heimwärts. Er hatte noch eine gute halbe Stunde Weges zu gehen. Von der Ecke schaute er zurück auf das herrliche Kasino, dessen vier auf die Gasse gehenden Fenster ein schönes Licht warfen. Eine angenehme Erregung bemächtigte sich seiner bei diesem Anblick. Was für ein großes Ding ist doch ein Kasino! Zwanzig Jahre hindurch gab es hier gar nichts, jetzt seit zwei Jahren schon hat man auch ein Kasino. Mein Gott, es gibt Menschen!

Er ging heimwärts und als auf der Anhöhe die Turmuhr die Mitternachtsstunde schlug, war er schon in der Mitte des Dorfes, in der Nähe eines großen Schachtes, aus dessen Einfahrt die geheimnisvolle Finsternis eines dreitausend Meter langen Tunnels strömte. Düster und schreckerregend gähnte er dort und dennoch hatte man ihn Lillischacht benannt. Dieser Name hätte wohl besser für ein rosenfarbenes Zuckerbackwerk gepaßt, aber wer kann dafür, daß die Frau eines Bergdirektors einmal Lilli hieß?

Immer ferner hörte man das Klopfen seiner Stiefel auf der hartgefrorenen Erde und im Kasino brannte noch immer Licht. In dieser entsetzlich großen Düsterheit strömte dieses Haus allein warmes, glühendes Leben aus.

Heute erschien es ganz besonders erregt zu sein. Sonst lag um Mitternacht auch dieses Haus in Schlummer und heute war schon der Staatsbeamte nach Hause gegangen und noch immer wurden die elektrischen Flammen nicht abgedreht.

Drin drehte sich das Gespräch um ein Frauenzimmer. Sie erwarteten ein Weibsbild in diesem weihelosen Dorf und das verursachte eine begreifliche Aufregung. Abgesehen von den mageren slowakischen Weibern, die Weinreben glichen, konnte sich bloß die Frau des Staatsbeamten Weib nennen, auch diese nur, weil sie die einzige war. Sie aber hatte sich eingeschlossen, man bekam sie wochenlang, ja Monate hindurch nicht zu Gesicht. Und dies verwünschte Leben hatte sie auch dem Mädchen aufgezwungen – auch dem einzigen in ihrer Art, das bei ihr wohnte. Es war eine Waise, eine von jenen Waisenkindern, deren Vater zu Grunde gegangen, hierauf aus dem irdischen Leben geschieden war, und die mit einer geringen Aussteuer zu einer nicht gerade nahen Verwandten gekommen war. Es war ein stilles, trauriges Mädchen; ein Unbekannter hätte sie leicht für einfältig gehalten, so wenig bemühte sie sich, den Beweis des Gegenteils zu erbringen.

Das war der Stand, wie der Ritter zu sagen pflegte. Und nun erwarteten sie, erwarteten erregt ein wirkliches Weib, eines von den besten.

Tagtäglich erwarte ich die Depesche – sagte der Direktor – aber sie bleibt aus. Aber morgen – übermorgen muß sie unbedingt anlangen.

Sie suchten zu erraten, mit ihrer schwachen Einbildungskraft wollten sie sich vorstellen, wie die Frau aussehen würde.

Ein hübsches, schneidiges Frauenzimmer, so charakterisierte sie der Ritter, mit dem sie, eben durch die ungarischen Vettern, verwandt war.

Darauf erklärte er, vielleicht an das achte Mal:

Sie hat sich mit ihrem Manne zerworfen, weil der Schurke Schauspielerinnen nachgestiegen ist. Einmal hatte sie ihn ertappt, hatte ihn durchgeprügelt und dann verlassen. Sie schieden und jetzt kommt sie hierher.

Im Winter, so weit ins Gebirge …!

Torheit. Ihr aber kann man es zumuten. Das feuerte sie noch mehr an. Nur Richter, der kleine Ingenieur, bemühte sich kühl zu scheinen allen diesen Sensationen gegenüber. Er machte dem Waisenmädchen des Staatsbeamten den Hof und man fing schon an, ihn ernst zu nehmen. Trotzdem horchte er mit halbem Ohre hin und hätte es für nichts auf der Welt gegeben, den Ritter, der seine Aufklärungen nur so aus dem Schoße schüttelte, über einiges befragt haben zu können. Jeder war im Geiste mit dieser Frau beschäftigt, ja die meisten knüpften an ihr Ankommen ziemlich abscheuliche Gedanken.

Wie heißt sie?

Beinahe hätten sie aufgelacht, daß diese Frage ihnen erst jetzt in den Sinn gekommen.

Der Ritter sagte: Eva.

Und von Gehirn zu Gehirn pflanzte sich, allenthalben nistete sich dieser affektierte Name ein, der halbwegs einem Programm glich.

Eva, wiederholten sie und fügten hinzu: ein hübscher Name. Wie sie in diesem Falle auch auf jeden anderen Namen gesagt hätten, er sei schön.

Dann brachen sie auf. Sie fühlten, dieser Abend sei anders, als die übrigen, fieberhafter und interessanter, weil es der Abend der Erwartung ist. Die Unterbrechung der zweijährigen Weiberlosigkeit nahm ihr ganzes Seelenleben gefangen. Und außerdem schien diese Eva kein unbekanntes bürgerliches Weibsbild zu sein, sondern ein wirkliches Weib, eine Pesterin, geschieden, vielleicht gar secessionistisch.

Sie gingen in kleinen Gruppen aus dem Kasino, wickelten sich in ihre Pelzmäntel ein, und nach Verlauf einiger Minuten war nur noch dann und wann ein verhallender Schritt vernehmbar. Alle hatten sich nach Hause begeben. Darauf ging der Gastwirt die Zimmer im Kasino durch und löschte die Lichter aus, sodaß nun das ganze Dorf im Schlummer lag.

Und einer der Ingenieure, als er in seine Stube eingetreten war, stellte sich einen Augenblick vor, daß das Weib ihn schon besucht habe. Während er den Mantel ablegte und die Kerze anzündete, spürte er beinahe den Geruch des Frauenkörpers, an den wir uns um so besser erinnern, je länger wir ihn entbehrt haben. Er schnalzte mit den Fingern, und als sein Blick auf das Bett fiel, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Er war ein sehr gewöhnliches Kind und deshalb auch übermütig. Auch er besaß ein untrügliches Eroberungsmittel. Wer besitzt es nicht? Er legte sich nieder, verkroch sich in seine Decke und blies die Kerze aus. Aber er konnte nicht so bald einschlafen. Nach einer Viertelstunde legte er sich auf die andere Seite und fühlte Fieber. Dann schien es ihm, als hörte er Wagengeräusch und lauschte in die Nacht hinaus.

Kein Laut. Das Dorf lag schlafend unter dem Schnee; es schliefen die Beamten, die Bergleute, und nur ein sehr feines Ohr hätte vernehmen können, daß unter diesem Dorfe in den tiefen Höhlen ein Haufen Menschen hämmert, Steine zerstückelt, die Wände niederreißt, bohrt, zermalmt, verwüstet und wie der Wurm in einer saftigen Frucht, verheert, mit seinem Leben den Quarz frißt. Das konnte man aber überhaupt nicht hören, nur mit geschlossenen Augen und nur im hohen Fieber, daß weit in der Ferne, meilenweit von hier ein Zug fährt, pustend, pfeifend heranbraust in der kalten Nacht, immer mehr sich dem Dorfe nähert und Eva mit sich bringt, die geheimnisvolle Eva, deretwegen die kleinen Ingenieure nicht schlafen können, noch bevor sie das Weib gesehen haben.

Ueber unendliche Schneefelder, über die weite Ebene fährt der Zug und drin sitzt Eva. Sie kommt, kommt, vielleicht ist bis Tagesanbruch auch der Wagen hier.

Der kleine Ingenieur drehte sich gegen die Wand um, und nachdem er schon im Halbschlummer, fiebernd einen tiefen Atemzug getan, vergrub er seinen Kopf in das Kissen und schlief ein.


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