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XIV.

Der kommende Tag war ein Donnerstag. In der kurzen Spanne Zeit, seitdem Eva an diesem Orte weilte, war es förmlich zur Gewohnheit geworden, daß die Herren jeden Donnerstag nach dem Abendbrot ihren Tee bekamen. Diese Abende boten den Anlaß zu wahrhaft großen Schauspielen; da wurden die gemeinsamen Aufwartungen und Ritterturniere aufgeführt. Danach nagten die Leute eine Woche lang an den Ereignissen des Abends, kommentierten, entschuldigten und analysierten sie.

Heute abend war der Doktor zuerst erschienen. Er setzte sich auf seinen gewohnten Platz am Kamin und sprach von langweiligen Dingen. Scheinbar aufmerksam hörte Eva den Erzählungen des Doktors zu, und so entwickelte sich zwischen beiden ein stilles, fast nur gemurmeltes Gespräch. Zu der leise geführten Unterhaltung summte der Ofen ein eintöniges Lied, und alle diese Töne klangen wie die verhaltene Ankündigung und das Vorspiel eines großen Ungewitters. Es lag etwas in der Luft. Nicht die geringste Spur des alten, schönen Friedens! In dieser Nacht war der Schlaf des Dorfes nicht mehr so friedlich sanft wie vordem, vor gar nicht langer Zeit. Damals hatte es einen tiefen, gesunden Tierschlaf gehabt. Es hatte frühzeitig die Augen geschlossen und unbeweglich auf den Anbruch der Nacht gewartet, die eigentlich nichts anderes ist als Finsternis und Stille. Darauf war es, durch das Gebell der Hunde ein letztes Lebenszeichen gebend, sanft eingeschlummert.

Heute war sein Schlaf nicht mehr derselbe. Durch das Fenster der Richterschen Wohnstube sickerte ein Strahl auf die Gasse, ein unsteter, unruhiger Schein, welcher an einen fiebernden Kranken gemahnte. Auch im Hause des Staatsbeamten waren alle Fenster beleuchtet. Auch dort war man wach; um Kräfte zu sammeln, hatte man so viel Leben als nur möglich hervorgebracht: man war auf den Beinen, hatte eingeheizt und alle Lichter angesteckt. Auch das Dorf schlief nicht. In kleinen Gruppen ergingen sich die Leute vor den Häusern, welche tückisch, fast furchtsam aus ihren helldunklen, von einem fahlen Kerzenlicht beleuchteten lochähnlichen Fenstern auf die Menschen schauten. Und oben, rechts und links der Berghalde standen die mächtigen Fichtenbäume nicht wie sonst unbeweglich, in eine große schwarze Masse verschmolzen, regungslos. Ein Säuseln ging durch ihre Aeste. Irgend ein herumschweifendes, vielleicht aus dem Süden entflohenes Frühlingslüftchen hatte sie gestört. Die kleinen Zweige bogen sich und wippten gegeneinander. Eine Bewegung ging durch den duftgeschwängerten Wald, eine sanfte Erregung. Ein flüsternder Ton schlich durch die Wipfel, bald in einem Seufzer ersterbend, bald aufzischend, wie wenn etwas den großen, ernsten Wald verletzt hätte.

Das Dorf schlief oder mochte vielleicht schlafen, aber sein Halbschlummer war unruhig, wie der eines kranken Menschen. Und auch sein Herz schlug unordentlich. Vom unteren Ende konnte man auch heute das Stampfen der Pochwerke vernehmen, doch nicht mehr so regelmäßig, wie in den stillen, kalten Winternächten. Nur wenn der Wind von dieser Seite blies, hörte man das Klopfen, das Klopfen, das immer leiser erklang oder sich in einem langen Seufzer des Waldes verlor.

Der Ritter war in der Kanzlei im Erdgeschoß. Er machte einige Aufzeichnungen in den Büchern und wandte sich bisweilen mit einer leisen Anfrage an Wurm, der an einem hohen Schreibpulte arbeitete. Vertes saß in einem hohen Lehnstuhl und rauchte. Seine Augen glänzten, als ob ein inneres, zügelloses Feuer sie verzehrte. Er hatte nichts zu tun, verbrachte aber schon die zweite Nacht im Bureau mit dem Direktor und dem Rechnungsführer. Sie warteten bis Mitternacht, wenn die seit 6 Uhr Abends arbeitende Gruppe herauskam. Sie blieben dort, bis die Leute in Ruhe und Ordnung auseinander und nach Hause gegangen waren; dann atmete der Ritter auf, und nun begaben auch sie sich zur Ruhe. Sie hätten vor Freude fast aufgeschrien:

»Gottlob, noch nicht …«

Dann aber wurden sie ernst und dachten daran, daß vielleicht morgen oder übermorgen …

Sie hielten unten Wache, und der brave, kleine Wurm erzählte dem Direktor von Richter. Er sagte, es ginge ihm schlecht, doch sei nichts zu befürchten. Man habe den Arm in einen Gipsverband getan. Hierauf sprachen sie über das Unglück der Familie des Staatsbeamten. Bald aber verstummten sie. Jeder hatte sich über diese Angelegenheit seine eigene Meinung gebildet, die er aber nur sich selbst eingestehen mochte.

Es wurde still, und die Uhr schlug die zweite Viertelstunde nach zehn. Vertes gähnte, streckte die Glieder und sagte:

»Noch anderthalb Stunden.«

Es wurde an der Tür geklopft. Bajtzar trat ein in elegantem, schwarzen Anzug.

»Warten kann man wo immer,« meinte er, »wir möchten hinaufkommen, läßt uns die Gnädige sagen. Wir bekommen auch Tee.«

Vertes stand auf. Er leistete dem Ersuchen der gnädigen Frau sehr gerne Folge. Nur der Ritter machte ein ernstes Gesicht.

»Gehen Sie nur hinauf, wenns Ihnen gefällt,« sagte er mit einer Trockenheit in der Stimme, daß, würde es sich um etwas anderes gehandelt haben, keiner die mit solcher Miene und in solchem Tone angebotene Freiheit angenommen hätte. So aber gingen beide, Bajtzar und Vertes, eilig hinaus. Nur Wurm blieb unten bei dem Direktor, der am Fenster stand und auf den dunklen kleinen Platz schaute. Plötzlich wandte der Ritter sich um, und als er den kleinen Rechnungsführer erblickte, schrie er ihn höhnisch an:

»Sie gehen nicht hinauf?«

Er war zornig. Wurm lächelte und zuckte die Schultern. Der Direktor machte eine nervöse Bewegung:

»Gehen Sie hinauf! Gehen Sie alle hinauf! Und meinetwegen kommen Sie niemals mehr herunter. Ich besorge schon alles!«

Wurm schaute ins Buch und sagte kein Wort. Dann bedachte er: warum sollte er für das Verschulden der anderen leiden? Sachte schlug er das Buch, in dem er bisher überdies nur aus Langeweile gekritzelt hatte, zu, langte seinen Hut vom Haken und ging auf die Tür zu. Dort grüßte er leise:

»Adieu!«

Damit ging er hinaus. Man konnte seine Schritte, wie er den steinernen Gang entlang ging, hören. Der Direktor blieb allein in der Kanzlei zurück. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, und dieses Lächeln war voll Verachtung. Er verabscheute aus vollem Herzen diese Taugenichtse von Gesellen. Die Hoheit eines in der Arbeit gestählten, fleißigen Menschen lag auf seiner Stirne. Leise murmelte er vor sich hin:

»Gesindel!«

Dann begann er, die Hände auf dem Rücken, in der Stube auf- und abzugehen.

Oben in dem kleinen Empfangszimmer hatte man den Doktor ziemlich rasch allein am Kamine gelassen. Die Frau ging mit den beiden Ingenieuren in die andere Ecke der Stube. Dort ließ sie sich in der Mitte des Sofas nieder, so daß niemand sich neben sie hinsetzen konnte, und lud die beiden Männer ein, ihr gegenüber Platz zu nehmen. Später, als auch der unansehnliche Wurm herauskam, setzte er sich gleichfalls hin, sprach aber kein Sterbenswörtchen. Er war der einzige, der wirklich dem Tee zuliebe herausgekommen war.

Sie redeten von den albernsten Dingen der Welt, doch furchtbar ernst. Ihr Ernst lag nicht so sehr in der Stimme, wie er aus dem Glanze ihrer Augen abzulesen war. Und das Weib, das nun vollends nicht mehr wußte, ob es hierbleiben, oder fortreisen sollte, spielte mit ihnen, schmiedete von einem Augenblick zum andern die feinen Pläne eines aufregenden Spieles, ohne sich darum zu kümmern, was morgen sein würde. Sie wußte, fühlte es lebhaft, daß sich ein Ereignis vorbereite. Uebrigens aber gab sie sich damit zufrieden, daß die Sache schon irgendwie gehen würde.

Vertes saß neben Bajtzar, wechselte aber kein Wort mit ihm. Ein blutiger Kampf entspann sich zwischen beiden, sie taten jetzt die größten Anstrengungen, weil sie wußten, daß sie nur noch die beiden einzigen Rivalen waren. Sie sprachen vom Tode.

»Ich«, sagte Vertes, »könnte morgen früh sterben, wenn bis dahin alles nach meinem Wunsche gehen würde.«

Die Frau lächle.

»Ich aber«, das sagte Bajtzar, »könnte auch für einige Spitzen sterben.«

»Ich liebe das Leben«, gab Eva zurück. Daß sie die Wahrheit sprach, das bewiesen ihr gerötetes Gesicht, die tiefen, dunkel schimmernden Augen, die glühendroten Lippen.

Dann als sie eine Weile schwiegen und nur zu hören war, wie Wurm mit Wollust den guten, süßen Tee schlürfte, fragte Eva lächelnd:

»Von welchen Spitzen reden Sie?«

»Von weißen, schönen Spitzen.«

»Woher wissen Sie, daß es weiße sind?«

»Ich habe sie im Traum gesehen und auch berührt. Sie streichelten mit den Spitzen, die erfüllt von einem sehr lieblichen Duft waren, mein Gesicht.«

Sie fingen an Dummheiten zu reden.

Vertes ließ sich von neuem hören:

»Lachen Sie noch ein wenig. Dort an den Ecken Ihres Mündchens bilden sich dann Grübchen, die wunderschön sind.«

Freilich lachte Eva, und alle hatten ein seltsames Gefühl, da sie an nichts auf der Welt dachten, nur an den schönen, lachenden Frauenmund. Sogar der kleine Wurm lächelte. Darauf fingen sie an, die Schönheiten lachender Frauen zu preisen, im allgemeinen und im besonderen. Sie wurden warm, alle sprachen, nur der Doktor war am Feuer eingenickt. Bisweilen lachte auch Eva, bisweilen ließ sie mutwillige Worte ins Geplauder einfließen.

Plötzlich nahmen ihre Gesichter einen ernsten Ausdruck an. Unten im Erdgeschoß wurde eine Türe zugeschlagen. Mit solcher Kraft, daß es knallte und die Scheiben klirrend auf die Fließen fielen. Darauf vernahm man eilende Schritte. Nun erschraken die Spitzenreiter ernstlich. Sie lauschten und hörten, wie ein großer, schwerer Mensch über den langen Gang im Erdgeschoß rannte, wie unter seinen Fußtritten die Holztreppe knarrte und wie er dann hier oben zu laufen begann.

Sie standen rasch auf, aber schon sprang die Türe, von einem gewaltigen Fausthieb auf, und an der Schwelle erschien Ritter v. Sterk, kreideweiß im Gesicht, und schrie hinein:

»Meine Herren!«

Damit hatte er schon Kehrt gemacht und jagte die Treppe hinunter. Die Herren folgten ihm, ohne sich zu empfehlen. Eva stand ratlos mitten im Zimmer, lief dann zum Doktor und rüttelte ihn auf:

»Doktor! Wachen Sie auf! Es muß etwas geschehen sein!«

Der Doktor richtete sich langsam auf, aber schon stand Eva am Fenster. Der kleine Platz war dichtgefüllt von Menschen. Eine große Helle war vor dem Hause, jeder Grubenarbeiter hatte sein Oellämpchen in der Hand. Und immer noch kamen andere; murrend, brausend verdichtete sich die Menge, es wimmelte von unzähligen Oellichtern. Gott weiß, woher diese entsetzlich schmierigen Gestalten kamen – krochen sie aus den Häusern oder aus der Erde hervor! In einem Wirbel wogten sie auf und nieder, und wohin man vom Stockwerk aus über die Häuser sehen konnte, von allen Ecken und Enden kamen neue Banden; auf der breiten Straße zogen die kleinen Lampenträger, wie Soldaten, in geschlossenen Reihen zu Vieren auf. Irgendwo in der Ferne hörte man sogar singen.

Und der Lärm wuchs immer mehr. Es schrien, gröhlten die vielen Menschen; jetzt zeigte sich ihre Lebendigkeit nicht nur in den Bewegungen, auch ihre Stimmen bewiesen sie. Sie standen in solch dichten Massen vor dem Gebäude, daß sie sich kaum rühren konnten. Und immer wieder kamen andere, auf den zu der großen Menge führenden Wegen gewahrte man immer noch schwankende, zuweilen fliehende Lichter.

Starr und unbeweglich stand Eva am Fenster. Neben ihr der Doktor. Auf dem Tisch dampfte ruhig der Teewärmer, um ihn herum die halbgefüllten Schalen, wie sie die Herren zurückgelassen hatten … Und unten schwoll es an, kühn und trotzig, mit fast revolutionärem Gebrause, ein stetig wachsendes Summen, ein erregtes, schwirrendes Gemurmel, ein drohender Lärm.

Eva zitterte an allen Gliedern. Sie hatte noch niemals etwas Derartiges gesehen. Sie wagte nicht zu denken, dies sei der Streik. Und erschrocken gewahrte sie die Menge von Leuten, von denen sie bisher höchstens zehn bis zwanzig auf einem Haufen gesehen hatte. Und da waren sie schmierig und demütig gewesen wie die Hunde, und hatten ihre Mützen tief zur Erde gezogen. Der grimmige Zorn des im Wohlstand lebenden Menschen kochte in ihr auf gegen diese schmutzige, dumme und rohe Menge. Sie wenigstens fühlte es, sah es so. Und vielleicht war sie auch darum erbost, weil sie sich dessen bewußt war, daß dieser Menschenschwarm im letzten Grunde ihretwegen, mittelbar gegen sie sich sammelte und drohend lärmte.

Der Doktor stand am Fenster, fassungslos, betäubt; es ist das leicht verständlich, wenn jemand nach einer zwanzigjährigen, ruhigen Praxis plötzlich aus dem nachmittägigem Schlummer aufgeschreckt wird und eine revoltierende Menge vor sich sieht …

Vor der Einfahrt des Schachtes ging eine Bewegung durch die Menge. Von oben sah sie wie ein dunkler Haufen aus, und nur die massenhaft flimmernden, bald sich verbergenden, bald wieder hervorblickenden kleinen Lichter ließ die Zahl der Menschen ahnen. Auch das Lärmen wurde stärker. Diejenigen, die in der Nähe der Einfahrt standen, raunten den andern etwas zu, darauf schwoll das Gemurmel zu einem lauten Lärm an. Dann lichtete sich vor der Einfahrt der Platz. Und plötzlich hörte man aus dem Schacht einen gedehnten, schrillen Pfiff. Kein fröhliches, mutwilliges und kurzes Pfeifen, wie sonst, sondern kreischend, langgezogen, wie es einer großen Menge galt.

Auf einmal fingen die Leute an zu brüllen. Jeder brüllte etwas anderes, trotzdem war es eine Stimme, welche die Fenster erzittern ließ. Im finstern Schlunde des Schachtes wurden zwei große rote Lichtpunkte sichtbar, wie zwei riesige, glühende Blutstropfen, und gleich danach die kleine Lokomotive. Sonst im Sonnenschein, geckenhaft, fesch, vornehm, war sie jetzt ernst und mächtig. Sie kreischte noch immer, bewegte sich langsam vorwärts in der Menge und blieb dann, nachdem sie sämtliche Hunte hinter sich herausgezogen hatte, stehen. Die kleinen Wägelchen waren vollgestopft mit Menschen. Die Menge begrüßte sie, unter einem mächtigen Gebrüll sprangen die Arbeiter aus den Hunten und vermischten sich mit den anderen. Wie ein großes, schwarzes Ungeheuer stand unter ihnen die Lokomotive und fixierte sie mit ihren zwei feurigen Augen. Man mochte die Empfindung haben, daß diese moderne kleine Lokomotive mit den Aktionären halte, war sie doch ihnen eigen und schaute sie doch wie verachtungsvoll auf das schmierige Volk, wie ein schöngekleideter, zorniger kleiner Prinz inmitten der Revolution.

Plötzlich verstärkte sich das Gebrüll, dann wurde es wieder stiller. Unten im Erdgeschoß stand der Ritter an einem Fenster und hielt eine Rede an die Arbeiter. Man konnte oben seine weitschallende, starke Stimme hören; er betonte kräftig seine Worte und sprach gemessen und entschieden. In der plötzlich eingetretenen Stille hallte diese Männerstimme allein durch die Nacht.

Da öffnete sich hinter Eva die Tür. Ein erschrockenes Dienstmädchen stand auf der Schwelle, in ein großes Tuch gehüllt, zerzaust, wie jemand, den man aus dem Schlaf gerüttelt.

»Küß' die Hände«, sagte sie laut, unhöflich.

Auch der Doktor drehte sich um.

»Was wollen Sie?« fragte Eva.

Das Mädchen hauchte:

»Bitte … Herr Doktor, sie sollen rasch mitkommen … dem Fräulein geht es sehr schlecht …«

Der Doktor nahm eilig seinen Hut, zwängte sich in seinen Pelz und lief hinaus. Hinter ihm das Dienstmädchen. Die Tür schlug hinter ihnen zu. Eva stand in der Mitte des Zimmers, nun ganz allein. Von unten war noch immer die Stimme des Direktors vernehmbar. Starr blickte die Frau auf die Tür. Unten beendigte der Ritter soeben einen Satz. Ein schreckliches Gebrüll war die Antwort darauf. Die ganze Menge brüllte und gröhlte auf einmal, ein Kreischen und Pfeifen zog durch die Luft. Sie brüllten lang und gedehnt, als wollten sie alle die Töne von sich geben, die seit Jahrhunderten in dem Schlund der Erde erstickt waren.

Das Haus erzitterte, die Fenster klirrten, als ob die Erde dröhnte, als ob dieses unmenschliche Sturmgebrüll aus den Tiefen des Schachtes hervorquölle und als ob die Gruben, die mächtigen Höhlen, die meilenlangen Stollen brüllten und heulten.

Ein unermeßlicher Stolz überkam Eva. Ihr Antlitz glühte fieberhafter, das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Sie eilte ans Fenster und öffnete es. Ein kalter Luftzug strömte herein, und das höllische Gebrüll ertönte stärker. Jetzt war auch das duftige Zimmer erfüllt mit dem Lärm, überall hatte er Besitz genommen. Im Hofe selbst hörte man jagende, eilende Schritte. Vertes heulte in gedehntem, jammernden Tone und schrie den livrierten Diener im Treppenflur an:

»Sperren Sie das Tor zu!«

Eva aber stand am Fenster, badete ihr Gesicht in der kalten Nachtlust, in dem Gebrüll und schrak erst zusammen, als aus dem Treppenhause die verzweifelten Rufe des Doktors heraufschallten:

»Oeffnen Sie! Lassen Sie mich hinaus! Ich muß zu einer Kranken! Oeffnen Sie …«


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