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Die Herren legten sich gar nicht nieder. Das Schlafen verschoben sie auf den Nachmittag, nur wuschen sie sich ein wenig. So gingen sie in die Kanzlei. Auch Mittags kamen sie verschlafen zur Tafel, nichts schmeckte ihnen. Der einzige muntere Mensch unter ihnen war der Doktor, der zum Tee nicht kommen konnte, da er wegen einer Konsultation nach Schemnitz gefahren war und auch dort übernachtet hatte. Diesem erzählten sie sodann die einzelnen Begebnisse. Bajtzar führte das große Wort. Als sie ihre Zigarren anzündeten, lehnten sich der Doktor – eine hohe, magere, schwarze Gestalt, gleich einem Alchimisten aus dem Mittelalter – in seinem Stuhle zurück und nur, um etwas zu sagen, fragte er:
»Und wie gefällt Ihnen das Frauenzimmer?«
»Mir gefällt sie sehr,« sagte Bajtzar.
Und dann schwiegen sie eine Weile. Das Weibsbild hatte jedem gefallen. Und in der Stille sagte Richter sehr leise:
Darauf wurde es wieder still, nicht aus Absicht, sondern weil alle müde und schläfrig waren. Bajtzar aber wurde rot im Gesicht. Er blickte Richter scharf an. Dieser lachte:
»Ich hab's gesehen … ja, was ist denn daran?«
Die Frage klang schon ernst, eher verwundert, als zornig. Aber Bajtzar war erbost und sagte spitzig:
»Ich liebe die albernen Witze nicht.«
Der Gedanke beschämte ihn, daß er, der soviel darauf gab, als Weltmann zu gelten – der erste sei, dem Eva über die Maßen gefiel. Die Zurechtweisung war aber auch von Wichtigkeit, da sie seit zwei Jahren der erste scharfe Ton unter den Herren war. Sie waren auch alle unangenehm davon berührt. Vielleicht hätte man die Sache mit irgendeinem Scherz vertuschen können, wenn Richter sich jetzt vor den andern nicht geniert hätte. Er schoß den Pfeil zurück:
»Mich werden Sie nicht Manier lehren.«
Da taten schon die Friedensstifter, die wahren Ursacher der Streitigkeiten, Einsprache. Man beschwichtigte sie, zufällig entstand wirklich daraus kein Unglück. Doch waren beide erhitzt, so daß die ganze Angelegenheit einen ernsten Anstrich hatte. So gingen sie auch auseinander.
»Du bist ein Narr, Sandor,« sagten sie zu Bajtzar, der ernstlich zornig war:
Und die Scherze in der Kanzlei wurden spärlicher, auch der Katzenjammer meldete sich. Jeder verrichtete seine Arbeit, wartete auf den Abend, das weiche Bett und die süßen, träumerischen Minuten vor dem Einschlafen.
Die Frau ging nicht spazieren. Sie stand erst nach dem Essen auf und blieb in ihrem Zimmer und las. Sie war allein und hatte die Lampe nicht angezündet. An die Männer dachte sie nur wenig, sie hielt alle für Dummköpfe und lächerliche Figuren. Der, welcher eine Ausnahme bildete, war unbedeutend. Sie setzte sich an den Kamin und blickte ins Feuer. Sie hatte Ursache, so allein zu sitzen, zu schweigen und mit zusammengezogenen Brauen das Feuer zu betrachten. Es war Donnerstag und sie hätte den heutigen Nachmittag eigentlich in Pest, auf dem Elisabethring verbringen sollen. Sie war bei einer ihrer Freundinnen zum Jour geladen. Sie fühlte, dachte daran, daß es der erste Nachmittag sei, an dem man ihr Verschwinden aus Pest deuten, analysieren werde. Daran wagte sie nicht zu denken, der Gedanke huschte aber doch undeutlich durch die Seele, daß sie bei dieser Zusammenkunft Unannehmlichkeiten betroffen hätten. Daß irgendein prüdes Weib ihretwegen von dort weggegangen wäre.
Mit sinnenden Augen blickte sie ins Feuer, als schaute sie die Vergänglichkeit. In diesem Augenblick fühlte sie einen heftigen Schmerz in den Tiefen ihrer Seele. Es war ein von Rache glühender, sich auflehnender Schmerz darüber, daß sie in die Verbannung gehen mußte. Bald schloß sie die Augen und stellte sich den öden, dummen und langweiligen Jour vor. Die Herren mit den Halsbinden, die bis zu den Ohren reichten, die vegetierenden Frauen, welche aus der Liebe herausgewachsen waren, wie aus den Schafblattern. Sie verabscheute diese Leute.
Und sie sah in das Feuer mit einem tiefen, sinnenden Blick, mit der heißen Liebe der Sonnenanbeter. Aus Jahrtausenden her kommt, fliegt dieser heidnische Kultus des Feuers in unser Innerstes an den einsamen, melancholischen Nachmittagen. Die großen Abrechnungen mit dem Leben werden auf diesem Altare getan.
Leise ging die Türe auf und in dem dunklen Zimmer erschien der Ritter. Eine Weile wartete er an der Schwelle, dann setzte auch er sich hin an den offenen Kamin. Wortlos blickte er auf das Feuer. Er wußte, reden sei jetzt nicht am Platze. Edel ist in diesen Momenten das Schweigen, und verwandte Gefühle strömen daraus hervor. Zusammen schweigen, ist das tiefe, menschliche Zeichen der wahren Verwandten.
Die Frau hätte dem Ritter sagen mögen:
»Ich bin Dir zu Dank verpflichtet, daß Du mich nicht allein läßt.«
Und der Ritter mochte geantwortet haben:
»Ich bin gerne gekommen. Sieh meine starken Schultern, meinen ernsten, klugen Kopf. Das gehört Dir.«
Auf der auseinandergefallenen, glühenden Lohe flammte ein frisches Holzscheit auf. Es warf einen Schein auf den Teppich. Auch die Ofenröhre brummte ein wenig. Aus dem dunkelroten Glutmeer stiegen winzige Flammen auf. Sie schwebten darüber, als lebten sie ein gesondertes, selbständiges Leben. Hinten jagten einander gelbe, goldene Flämmchen, dann und wann leuchteten zwischen ihnen rosenfarbene und violette durch. Man sah, wie sie hüpfend ihre dünnen Zungen weit ausstreckten, bis sie verschwanden, in nichts vergehend.
Das Weib dachte: man muß ein neues Leben anfangen. Dieses Dörflein ist eine Ruhestation. Man muß etwas ausfindig machen, klug und schön, damit man zurück in das wahre Heim, in die Stadt kehren könnte. Dann kamen ihr – als seltsamer Gegensatz dazu – die Herren vom Bergamte in den Sinn. Sie ließ alle im Geiste vorüberziehen, sie sah diese kleine Welt, diese fahle Liebe zwischen Richter und dem Mädchen. Dann gedachte sie ihres Aufenthaltes, der mächtigen Berge, am Fuße der Urwälder, oben lauter – lauter Schnee … Die Erde unter ihr ist aber wurmstichig, voll gefährlicher Würmer, voll bohrender, steinzermalmender, bleicher Menschen.
»Ein interessanter Ort,« sagte sie nur so in Gedanken. Aber ihre Lippen bewegten sich nicht.
Das Scheit im Kamin war feucht. Der Dampf wallte, kochte, zischte. Plötzlich fing es Feuer, blutrote, große Flammen züngelten empor, saugten, verschlangen, verzehrten das Holz, bis es mit einem funkensprühenden Krachen auseinanderfiel, in die Lohe purzelte, indem es die flüchtigen Funken, die rasch dahinhuschenden Flämmchen, das allmählich zu dunkelroter, ruhiger Glut sinkende, immer glanzloser, stiller werdende, alsdann unter der Asche verglimmende Feuer vermehrte.
Dem Ritter mit seinem braven deutschen Herzen dauerte sie jetzt sehr, ernstlich und wahrhaftig. Und er dachte daran, daß nichts einen Wert besitze, wenn die echten großen Leiden so unsichtbar und still sind. Das Feuer brannte ihm ein wenig auf dem Gesicht, er aber kümmerte sich darum nicht. In der großen Stille hörte er, wie die Herren aus der Kanzlei im Erdgeschoß weggingen. Geplauder, Türschließen wurde – von den Wänden gedämpft – vernehmbar. Darauf trat Stille ein. Irgendwo im Hause schlug eine Uhr. Nun fühlte er, daß sie allein im Hause wären und daß die Nacht mit leisen Schritten und ruhigem Flügelschlag hereinbreche. Er wagte nicht zu sprechen.
Eva hatte sich auf die Knie gelassen und sah nun mit glühendem Antlitz, glänzenden Auges ins Feuer. Der von unten herauftönende Lärm hatte ihr wieder die Herren ins Gedächtnis gebracht. Erst jetzt fiel ihr ein, daß sie die einzige Frau hier sei. Die Beamtenfrau war niemand, das blutarme, blasse Mädchen galt nichts, und außerdem war es verlobt. Ein wenig hoffte sie auch, daß sie leichter vergessen werde, wenn sie sich mit den Herren beschäftigte. Dann, als sie an deren geheime Wünsche und an den affektierten Bajtzar denken mußte, rückte sie fast erschrocken näher zum Ritter.
Das Feuer verglomm, veräscherte sich immer mehr, es hatte kaum Helle genug, ihre Wangen rot zu färben. Nur in dem am Hintergrund des Kamins aufschwebenden Rauch drängte sich der wunderhaft tiefe, düster rote Schimmer der Glut, überzog die Rauchatome mit seinen Strahlen, schwebte ein rötlich schwarzer Dunst in den Rauchfang empor.
Nach der großen Wärme froren sie. Und mit der Kälte wurden sie auch gesprächig. Der Ritter lächelte gezwungen und sagte, als fiele es ihm jetzt erst ein, in Wahrheit aber, um Eva eine kleine, billige Freude zu bereiten:
»Diese dummen Leute sind schon ganz närrisch geworden. Der Gastwirt behauptet, sie wären im Kasino beinahe handgemein geworden …«
Auch Eva lächelte und sah zu ihm herauf, mit fragendem Blick. Der Ritter, als ob er die Gedanken der Frau bejahen wollte, sagte:
»Deinetwegen.«
Sie lächelten und schon verkroch sich das Feuer unter der Asche, nur hier und da blinzelte es unter ihr mit glühend roten Augen hervor. –
Die Kälte ließ nach und es folgten lachende Tage. Den Herren aber wurde es zur üblichen Kurzweil, sich nach dem Nachtmahl, besonders am Donnerstag Abend zum Tee hinauf zu Eva zu begeben. Der kleine Tee währte oft bis Mitternacht, und von nun an beleuchtete man ihnen zuliebe nicht mehr zwei Zimmer. Zum Plaudern und Klavierspiel tat auch ein Zimmer das Seinige.
Allmählich wurden sie die regelmäßigen Gäste des Hauses und sie fühlten förmlich, als gingen sie nach dem Abendmahl in ihr wirkliches Familienheim. Das behagte allen. Es entstanden Wettstreite, kleine Konzerte wurden an diesen Abenden veranstaltet. Nur die Familie des Staatsbeamten kam nicht. Sie wohnten zu weit unten, es wäre zuviel gewesen, in der Nacht so große Fußtouren zu machen.
Fräulein Jolan aber wurde unruhig. Zu Hause in ihrem Zimmer mußte sie alle Abende daran denken, daß die Herren wieder bei der Frau wären und sie spürte immer noch den verliebten Duft des Heliotrops aus diesen Abenden. Beim Schlafengehen wieder summte ihr die Melodie von Werther durch den Kopf. Und all dies mußte Richter hören, mußte es fühlen, wenn er dort war. Und Richter plaudert mit dem Frauenzimmer. Und Richter leugnet nicht, daß er sich an diesen Abenden gut unterhalte.
Einmal war Richter zu Mittag geladen und war nicht gekommen. Das hatte er noch niemals getan. Jolan bekam davon so heftige Kopfschmerzen, daß man bald um den Doktor geschickt hätte. Spät am Nachmittage erschien der Ingenieur.
»Warum sind Sie nicht gekommen?« fragte man ihn. –
Er wollte ruhig erscheinen, es gelang ihm aber nicht.
»Der Direktor nahm mich zum Essen mit,« sagte er ein bißchen unordentlich, »wir hatten etwas zu erledigen … ich mußte mit ihm speisen. Er sagte, er würde mich beim Onkel Csenke schon entschuldigen.«
Darauf schwiegen alle. Jolan, die sich in diesem Augenblick darüber freute, den jungen Mann hier zu sehen und zu fühlen, fragte nicht einmal, ob auch die Frau beim Mittagsmahl gewesen.
Dann ging sie mit Richter in ihr reinliches Stübchen. Sie saßen dort eine Zeitlang und da bemächtigte sich des Mädchens wieder die Unruhe.
»Onkel Eselchen,« sagte sie mit einem seltsamen Lächeln, »mir gefällt es nicht, daß Sie bei der Frau speisen.«
Richter antwortete nicht. Auch er lächelte, dann zuckte er die Achseln. Das war dem Mädchen nicht genug, es hatte eine auffallende Zurückweisung erwartet.
»Eselchen,« sagte sie wieder, »ich will nicht, daß Sie sich in die Frau verlieben.«
Eine ungefällige Antwort hierauf hätte ihr sehr wehe getan, deshalb ließ sie Richter auch nicht zu Worte kommen. Sie umfaßte seinen Kopf und drückte ihn an ihre schwache, kleine Brust. Dann ließ sie ihn los und bot ihm ihre Lippen zum Kuß. Der Ingenieur küßte sie auf den Mund.
»Deine Lippen sind so kalt,« sagte das Mädchen.
Er küßte sie wieder, jetzt schon lang und so stark, daß Jolan auszischte. Ihr Gesicht rötete sich, die sonst blutlosen Lippen glühten. Wie es ihre Muskeln erlaubten, preßte sie den Kopf des jungen Mannes an ihre Lippen und so sprach sie, ihre Lippen auf dessen Mund bewegend, mit heißem Atem:
»Ich will nicht … Liebster … Liebster …«
Auf dem Fenster hinter dem weißen Vorhang schaute eine duftige Blume auf sie. Diese Blume – seltsam – öffnete jetzt im Hochwinter ihren Kelch. Das Mädchen pflegte sie. Niemand außer ihnen war in dem Zimmer. Nur sie beide und die Blume. Und Jolan hielt doch furchtsam den Hals des jungen Mannes umschlungen, als der Kuß zu Ende war und hätte weinen mögen, so bangte ihr vor etwas. Was sie an Kraft besessen, hatte sie verausgabt. Jetzt legte sie noch mit schwachem Anschmiegen den Kopf an die Brust des Jünglings und wie sie das Schlagen seines Herzens fühlte, sagte sie nach diesem Takt:
»Ich – will – nicht …«
Daß sie es aber nach diesem Rhythmus sagte, wußte kein anderer, als sie.