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Eva begegnete dem Ritter auf der Straße. Der breitschultrige Germane bot ihr seinen Arm und fragte sie:
»Wie steht's mit Jolan?«
»Sie ist gestorben,« sagte Eva.
Der Ritter blieb stehen.
»Gestorben?« wiederholte er, als ob das irgend ein sehr unglaubliches Ding gewesen wäre.
»Ja, die Arme!«
»Dann muß ich hinunter,« sagte erregt der Ritter und reichte der Frau die Hand zum Abschied. Er fügte hinzu:
»Es ist meine Pflicht!«
Und schon eilte er hinunter.
Eva freute sich ihres Alleinseins. Sie ging mit der festen Absicht nach Hause, zu packen und wegzufahren. Es bedrückten sie die vielen Mißhelligkeiten, die vielleicht ungeschehen geblieben wären, hätte sie nicht den Einfall gehabt, hierher zu kommen. Aber sie schämte sich zu fliehen. Der Gedanke, daß sie mit ihrer Abreise die ihr zur Last gelegte Schuld eingestand, kränkte sie. Ratlos blieb sie daheim mitten im Zimmer stehen, in großem Kummer und großer Erregung. Nichts lastete so sehr auf ihrer Seele, wie dieser Todesfall. Vielleicht darum, weil dieser der einzige war, den man nicht wieder gutmachen konnte.
Erschöpft ließ sie sich an ihrem Tische nieder und bemerkte erst den Brief, der darauf lag und ihre Adresse trug. Sie erbrach ihn und las die Unterschrift: Richter.
»Herr Richter,« murmelte sie, den Brief prüfend und als spräche sie zu ihm, »ich komme soeben von Ihrer Braut.«
Dann begann sie den Brief zu lesen. Man sah es der verworrenen Schrift an, ein bettlägeriger Kranker habe den Brief geschrieben. Er fing in energischem, fast unverschämten Tone an. Der Ingenieur schrieb darin, daß er ihretwegen verwundet worden sei, vielleicht werde er für sein ganzes Leben ein Krüppel bleiben, es würde sich schicken, ihn zu besuchen. Dann hatte er sich am Ende des Briefes aufs Bitten verlegt. Er schrieb, er sei ein armbrüchiger Niemand, ein Lahmer, Kranker, Elender; die göttliche Frau möge sich seiner erbarmen und zu ihm herniedersteigen. Ein Wort von ihr würde mehr tun … kurzum, es war ein sehr warmer Brief, voll der Albernheiten eines Verliebten.
Eva legte ihn auf den Tisch und lächelte. Es war ein gezwungenes Lächeln. Sie dachte daran, daß die Braut dieses Menschen soeben gestorben war. Und darauf kehrte sie in Gedanken wieder auf sich zurück. Wenn sie nicht gekommen wäre …
Sie zündete das Licht an, denn sie fürchtete sich im Finstern, allein. Und sie fing an, ernstlich darüber nachzudenken, daß sie diesen Ort verlassen müsse. Sie suchte nach Entschuldigungen. Dann kam ihr der gewöhnliche Gedanke, irgend eine schwache Entschuldigung dem Direktor vorzubringen; er würde sie entgegennehmen und sich freuen, von ihr befreit zu werden. Dann aber tauchte der Gedanke in ihrer Seele auf, daß es jetzt einerlei sei, ob sie gehe oder hier bliebe. Und in diesem Augenblick fühlte sie zum ersten Male, daß sie eigentlich vor sich selbst flüchten wolle. Es war ihr ein fürchterlicher Anblick – diese Eva in dieser Umgebung, auf dieser Trümmerstätte.
Der Diener steckte den Kopf durch die Tür.
»Zwei Herren sind hier,« meldete er.
Und wahrscheinlich hatte er Geld bekommen, denn sogleich öffnete er die Tür, durch die man Bajtzar und Vertes auf dem Gang stehen sah. Sie überwachten einander, so daß sie immer beisammen waren.
Eva sprang von ihrem Sitze auf. Für einen Augenblick verlor sie ihre Zurückhaltung, als sie daran dachte, daß das Mädchen dort unten tot liege und sie ihre Courmacher zu einem doppelten Flirt empfange.
»Ich empfange nicht!« schrie sie nicht so sehr dem Diener, als den bestürzten Herren zu. Sie wiederholte:
»Ich empfange nicht! Gehen Sie mit Gott nach Hause! Gehen Sie hinunter zu dem Beamten, dort ist das Mädchen gestorben!«
Und damit schlug sie die Tür vor ihrer Nase zu, blieb inmitten des Zimmers stehen, mit einem traurigen Lächeln, als wollte sie sagen:
»Nicht wahr, Jolanka, ich habe wohlgetan?« Plötzlich bemerkte sie den Brief auf dem Tisch, und da sagte sie ehrlich, halblaut, sehr einfach:
»Ich hätte es früher tun sollen!«