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Langsam gingen sie hinunter, dem unteren Ende des Dorfes zu. Der Frau war alles neu. Beinahe hätte sie über die kleinen Häuser gelacht; die sehr winzigen Fenster verstand sie einfach nicht. Ihr imponierten die Fichten an den Berglehnen, wie sie den Schnee auf ihren dunkelgrünen Kronen mit Ergebung trugen.
Weiter unten ließ sie sich jedes Ding erklären; die Schienen, welche die Straßen überquerten, die mächtige Luftpumpe, das Pochwerk.
Die aus der entgegengesetzten Richtung kommenden Arbeiter zogen die Mützen tief ab. Diesen devoten, fast sklavischen Gruß hätte allein die Person des Direktors genügend erklärt. Wie also nicht, wenn in seiner Gesellschaft eine so schöne Dame ist, eine Fremde, welche die Bergleute so forschend anschaut; welche den Gruß, wenigstens anfänglich, erwidert.
Und nachdem die Bergleute gegrüßt hatten, trugen sie ihren! Ruf hinauf, ans obere Ende des Dorfes. »Hier ist eine Dame aus Pest,« ging es von Munde zu Munde. »Aus Pest,« das war ein großes Ding. Für sie bedeutete Pest nicht eine Stadt, sondern irgend eine wunderschöne Feenwelt. Der Krämer hatte schon oftmals Geld und Gelegenheit gehabt, nach Pest zu fahren. Es fehlte ihm jedoch der Mut dazu. Gott weiß, aus welchem Grunde! Sie träumten nun zu Hause weiter von Stockwerken, elektrischen Bahnen und undenkbar vielen Menschen, von einer Menge, daß, wollte man sämtliche Leute, die einen Mantel anhatten, grüßen – man besser tat, den Hut zu Hause zu lassen. Und jetzt war zu ihnen eine Frau gekommen, eine Pesterin, ein Stück Pest, ihre Kleider und Schuhe stammten aus Pest, vielleicht ist sie auch dort geboren.
Sie schritten abwärts und das Frauenzimmer hängte sich in den Arm des Ritters. Sie war ermüdet, das spürte sie erst jetzt. Und der Ritter führte sie stolz die Straße entlang, er wünschte, der Doktor oder der Staatsbeamte käme ihnen entgegen; es kamen aber immer nur Bergwerker, alle hatten sie dasselbe Aussehen, alle grüßten so tief, mit einer so großen Achtung, als wollten sie ein Kreuz schlagen. Die Frau fing an, die Grüße nicht mehr zu erwidern.
Ganz unten verlangsamte der Ritter seinen Schritt:
»Hier,« bedeutet er, »hat die Welt ein Ende. Gehen wir zurück.«
Das Weib wollte schon umkehren, da bemerkte sie vorausblickend neben einem Haus die Frau des Staatsbeamten.
»Ein Frauenzimmer,« sagte sie.
Der Ritter meinte fast begütigend:
»Ach, ein altes vertrocknetes Mütterchen. Laß uns zu ihr gehen.«
Und sie gingen vorwärts, schon aber eilte ihnen das Weib des Beamten entgegen und hinter dem Hause kam auch der Beamte mit Fräulein Jolan zum Vorschein. Die fünf Leute schritten aufeinander zu, suchten sich gegenseitig und hatten beinahe Eile, damit dieser Ankömmling, je früher, je besser, mit der Gesellschaft verschmelze. Sie standen schon beisammen. Der Beamte lächelte, wie einer, der wartet, damit man ihm jemand, von dem er so vieles gehört, vorstelle. Und auch der Ritter, ja sogar Eva lächelte. Selbst der Pfahl – die Beamtenfrau – zwang sich zu einem zuckeressig-sauren Lächeln, als der Ritter ein bißchen verlegen sagte:
»Erlaube, daß ich Dir Herrn Paul Csenke vorstelle …«
Der Beamte Paul Csenke wollte ihr die Hand küssen und nahm den Hut ab. Das tat seiner Frau weh, verhinderte sie aber nicht, sich nach ländlicher Art gleichfalls vorzustellen:
Eva ging mit großer Anmut über diese Formalitäten hinweg. Sie war im Begriff, sich mit Frau Csenke in ein Gespräch einzulassen, als sie das Mädchen gewahrte. Auch die andern bemerkten es erst jetzt. Ueberhaupt wurde die blutarme Jolan immer zuletzt und nur zufällig bemerkt. Sie verschwand in der Gesellschaft, wie jene Tiere, die sich dem Farbentone ihrer Umgebung anpassen, wie irgend eine kleine Seespinne, die ausschaut wie ein Stein, wenn sie sich in den Felsen einnistet. Sie hatte die Farbe ihrer Umgebung. Grau, blaß, schweigsam, unbedeutend. Nun stellte auch sie sich vor:
»Mein Name ist Jolan Toth.«
Darüber hätte schon die auf den Theresienstädter Jours aufgewachsene Eva gelacht, das Mädchen blickte sie aber so sonderbar an, daß sie das Lachen vergaß. Es benützte die Gelegenheit, und während sie sich die Hände reichten, betrachtete es genau die Pester Frau. Und diese fühlte, sie wären Bekannte.
Sie gingen zusammen zurück, voran Eva mit dem Beamten, hinter ihnen die andern.
Der Beamte faselte Dummheiten und Eva dachte an die blutarme Seespinne. Das Mädchen hatte sie so seltsam angeschaut, als wollte es um Gnade bitten. So müssen die Lämmer den Schlächter anblicken. Es hatte sie sehr sonderbar, furchtsam, fast flehentlich angeschaut.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten und hinaufgeschritten waren, dachte die Frau zu Hause immer noch an diesen Blick. Und sie sagte, ohne zu überlegen, nur leichthin, wie in gelangweiltem Tone:
»Kümmert sich hier jemand um dieses Mädchen?«
Auch der Ritter antwortete gleichgültig:
»Irgend ein Ingenieur.«
»Liebe?«