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XIII.

Komme ich spät zum Essen?« fragte Eva, als sie ins Direktionsgebäude zurückgekehrt war.

Der livrierte Bauernbursche brach seiner Gewohnheit gemäß in ein lautes Gelächter aus und beruhigte sie:

»Ach nein. Der Direktor selbst ist noch in der Kanzlei.«

Die kleine Lokomotive stand unten vor dem Gebäude, der Zugführer saß auf der Bank vor dem mit Ziegeln gedeckten Maschinenhaus und aß Speck. Die Sonne strömte eine laue Wärme aus. Es war ein heiteres Bild, diese Mittagsruhe, aber Eva beachtete es in ihrer Unruhe nicht.

Sie ging hinauf in ihr Zimmer, warf die Jacke ab und schleuderte gegen ihre Gewohnheit den Hut in eine Ecke. Dann begab sie sich in das Stübchen, wo sie zu essen pflegten, und wartete. Sie wunderte sich, daß der Direktor so lange ausblieb. Sonst saßen sie schon um halb ein Uhr bei Tisch, heute hatte die Uhr schon die zweite Viertelstunde nach eins geschlagen und der Direktor kam noch immer nicht. Sie lauschte.

Der Diener meldete:

»Herr Ingenieur Bajtzar fragt an, ob Sie schon beliebt haben, zu essen?«

Das war seine übliche Zerstreuung am Nachmittag.

»Sagen Sie ihm, ich habe noch nicht gegessen und empfange überdies niemand.«

Der Bursche ging hinaus.

Eva aber empfand eine teuflische Bosheit bei dem Gedanken, daß dieser parfümierte, elegante Herr jetzt umkehren und weggehen mußte. Wahrscheinlich hatte er sich auch für den heutigen Nachmittag, wie für jeden anderen, vorbereitet. Eva hatte nichts dagegen, wenn er nach dem Mittagessen hinaufkam, es sich bequem machte und ihr von zwei bis vier Uhr den Hof machte. So gegen drei Uhr stand er gewöhnlich erregt auf und tat einige heftige Bewegungen. Alsdann glaubte er, der Augenblick des Sieges sei gekommen. Aber Eva nötigte ihn, sich wieder niederzusetzen.

Kaum war der Diener hinausgegangen, so kam er schon wieder.

»Herr Vertes!«

»Ich empfange nicht!«

Diesen fertigte sie kurz ab. Das war der andere Besuch am Nachmittag und man unterhielt sich nur dann gut, wenn ihr alle beide hofierten. Vielleicht wäre auch Richter gekommen, hätte ihn daran nicht der zerschossene Arm gehindert.

Der Diener ging und draußen kehrte abermals ein eleganter, verliebter Herr um. Von neuem trat eine Stille im Hause ein, und da hörte man plötzlich unten einen tiefen Männerchor. Es war ein Hochrufen, wie es eine kleine, aber stimmbegabte Deputation anzustimmen pflegt. Und gleich danach erschien auch der Ritter, ein wenig die Wangen gerötet, aufgeregt. Und als er Eva erblickte, verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln.

»Liebste, warum hast Du auf mich gewartet! Entschuldige … Du hättest allein speisen können!«

Und schon brachte man die dampfende, heiße Suppe. Während des Essens wurde der Ritter neuerdings ernst. Er erkundigte sich, wie es dem Fräulein Jolan gehe. Die Frau sagte mit einer teilnahmsvollen Miene, es ginge ihr schlecht. Das benahm ihm eine Zeitlang die Lust am Sprechen.

Als man die Mehlspeise auftischte, war die Frau schon sehr neugierig, darum fragte sie auch:

»Was für ein Hochrufen war das vordem?«

»Eine kleine Deputation.«

»Was wollten die Leute?«

Der Ritter hielt nicht hinter dem Berge zurück:

»Sie forderten Lohnerhöhung. In den Staatsgruben gibt es ein paar Sozialisten und die haben ihnen den Kopf verdreht. Ich habe Csenke schon vor einigen Wochen darauf aufmerksam gemacht, der aber kümmert sich, seitdem das Mädchen krank darniederliegt, um nichts. Vertes aber werde ich den Laufpaß geben.«

Das sagte er schon mit lauter Stimme, und sein Gesicht rötete sich wie vordem.

»Warum?« fragte Eva leise.

»Weil nur er das alles verschuldet hat. Ich kenne diese Dinge schon. Ich bin nicht zum erstenmal in einem solchen Geschäft. Jetzt wird es schon schlimm ausfallen, ob ich auch mein eigenes Blut für diese Leute abzapfen würde.«

»Warum gerade Vertes?«

»Weil alles in seinen Händen gelegen hat. Seit Wochen behandelt er die Arbeiter wie Hunde.«

Er trank einen Schluck Wein, wischte sich den Mund ab und fügte gelassen hinzu:

»Die Armen haben ja recht!«

Dann sagte er ernst:

»Liebes Kind, kümmere dich um diesen Vertes nicht. Der Tropf ist so verliebt, wie ein Knabe und denkt an nichts anderes. Er hat alles vernachlässigt. Und diese Slowaken, anstatt zu mir zu kommen, gehen in die Schenkstube und stecken ihre Köpfe mit den Leuten vom Staatsbergwerk zusammen. Jetzt soll man ihnen diese Mücken aus dem Kopfe schlagen. Es wird hier einen Streik geben, wie ich einen ähnlichen nicht gesehen habe.«

Darauf stand er erregt auf, küßte, wie gewöhnlich, Eva die Hand und verfügte sich hinüber in die Kanzlei.

Eva blieb allein. Sie zündete sich eine Zigarette an und stellte fest, daß man sie am heutigen Tage schon für den zweiten Mann verantwortlich mache. Am Abend aber legte man ihr auch die Abreise Toganows zur Last. Auf der kleinen Ansiedelung war alles von unterst zu oberst gekehrt, und für all dies wird sie zur Verantwortung gezogen. Aber wer ist sie denn! Was kann sie dafür, daß sie schön ist?

Einen Augenblick dachte sie daran, wegzufahren. Dann aber ließ sie diesen Plan fallen, denn sie fühlte, man dürfe sich jetzt auf einmal nicht aus dem Staub machen.

Der Ritter wäre berechtigt gewesen, zu fragen, warum sie nicht früher weggereist sei, da man schon sehen konnte, die Sache nehme eine schlimme Wendung. Dann ist auch das Mädchen krank, und der Direktor weiß es vielleicht noch nicht, daß Richter verwundet worden ist. Toganow ist abgereist. Der Streik droht.

Plötzlich leuchtete es in ihren Augen auf, und eine unmeßbare Wut bemächtigte sich ihrer. Der Gegenstand ihres Zornes war ihr selbst nicht bewußt. Sie hatte nur das Empfinden, daß in ihren Adern ein Rachegelüst aufschäumte. Man hatte sie aus Pest, wohin sie gehörte und wo ihre Seele wurzelte, vertrieben. Nun denn, dafür sollten die anderen büßen! Sie empfand die Geringfügigkeit ihres Vergehens und daß, wenn es auch nicht sehr gering, so doch sehr allgemein sei. Sie hatte man ertappt und nun muß sie für alle leichtsinnigen Weiber büßen.

Sie wird hier bleiben!

Sie stampfte mit dem Fuße und weinte beinahe, so zornig war sie. Also, nun gerade bleibt sie hier! Und diese albernen Ingenieure mögen ihretwegen einander verschlingen. Sie wird nun zeigen, daß sie auch Königin sein will. Sie will gebieten!

Der Gedanke, sich zu rächen, betäubte sie sehr. Einen flüchtigen Augenblick wurde sie trunken von so großer Macht.

Sie blickte zum Fenster hinaus und sah, wie vor der Einfahrt des Schachtes auf dem kleinen Platz die Mitglieder der Deputation aufeinander einredeten. Dann spielte ein hochmütiges Lächeln um ihren Mund. Sie schloß halb die Augen und wie sie so am Fenster stand, der Sonne, die sie mit Licht und Glanz umstrahlte, die Stirne bietend, fühlte sie den Stolz des Zwingherrn.

Ein Arbeiter gewahrte sie und machte die anderen darauf aufmerksam. Alle grüßten entblößten Hauptes, ergeben; sie aber nickte nur mit dem Kopf, auf ihren Lippen noch immer das vorige, sonderbar hochmütige Lächeln, und murmelte:

»Ich bin die Königin.«


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