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Scharf, gedehnt gellte gegen ein Uhr die Glocke durch die Stille des Direktorsgebäudes. Es läutete aus dem Zimmer der Frau, wo der Direktor vor einigen Tagen die elektrische Klingel eingeführt hatte. Darauf eilte die Zofe der Frau behend hinauf, der Diener regte sich und in der Küche nahm die Köchin, die ebenfalls aus Pest gekommen war, doch in der dritten Klasse, die Töpfe der Reihe nach vom Herde herunter. Auch der Direktor kam aus der Kanzlei und rief herunter:
»Eilt Euch! Ist schon gedeckt?«
»Jawohl, gnädiger Herr.«
Er ging hinüber in das Zimmer, das in einen Speisesaal umgewandelt war – bisher hatte auch er im Kasino gegessen – und hielt eine Musterung.
An dem kleinen Tisch hatte man für zwei Personen gedeckt, was in dem Leben eines solchen Junggesellen ein höchst angenehmer Moment ist. Dunkler Rotwein stand auf dem Tisch, der Direktor nahm die Flasche in die Hände, um zu fühlen, ob er nicht vielleicht zu kalt sei. Dann ging er beinahe ungeduldig neben dem Tisch auf und ab. Die Frau kleidete sich rasch an. Sie hatte ein Negligé mit modernem Muster gewählt. Sie richtete die Frisur zurecht, dann kam sie auf den kleinen Gang hinaus. Die lange Schleppe ihres Kleides hob sie bis zum Knöchel in die Höhe und fragte den bei der Tür herumlungernden Diener:
»Wo ist der gnädige Herr?«
»Hier im Eßzimmer,« sagte der livrierte Bauernbursche, und man konnte es ihm anmerken, daß er es für eine hohe Auszeichnung hielt, der feinen, schönen Dame die Tür öffnen zu können.
Eva eilte und flog fast bis zur Türschwelle, dort klopfte sie mit geneigtem Haupte sachte an:
»Ist's erlaubt?«
Und damit huschte sie hinein, es blieb nichts draußen, nur der verblüffte Diener und an der Schwelle der gegenüberliegenden Stube die Zofe, mit dem Pudermantel in den Händen. Erst jetzt gewährten beide, daß sie die Frau betrachtet hatten. Und hier auf dem fliesenen Gang flog weiter die leise tönende Frage:
»Ist's erlaubt?«
Und es klang so sonderbar, die erste Frauenstimme in diesem Hause, und danach fühlte man durch die Tür den Duft des geöffneten Frauenkoffers, das Aroma der feinen Seifen und Pasten, jenen erquickenden, frischen Lufthauch, der nur die sehr harmonischen, sehr schönen Frauen umschwebt, wohin sie auch gehen. Frauenkleider hingen drin an den Haken, und auf der Schwelle standen schon ein Paar winzig kleine Schuhe, die man nicht not hatte, auszuputzen, so rein, fast unberührt waren sie, als berührte ihre Herrin nicht die Erde.
Die Zofe ging wieder in die Stube, um Ordnung zu machen, der Diener aber lief hinunter in die Küche, um die Speisen zu holen. Als er den Tee über die Treppen hinauftrug und der Duft in seine Nase stieg, verzog ein Lächeln sein Gesicht; er schien glücklich, – der Aermste hatte vielleicht niemals mit so feinen Damen, solch wohlriechenden Getränken und glänzenden Nickelkannen zu tun gehabt.
Eva fiel drin dem Ritter um den Hals.
»Hier ist es so schön, Leopold,« sagte sie, und vielleicht bedauerte sie es auch in diesem Augenblick, daß der Ritter nicht Lucien oder wenigstens Elemér hieß. – Wunderschön …
»Laß uns essen, laß,« sagte der Ritter. »Setze Dich, mein Kind, Dein Tee ist schon hier …«
Eben brachte der Diener den Tee.
Sie setzte sich und spielte glückselig mit den Kannen, dem Siebe und der langhalsigen Rumflasche. Als sie den Tee in die Schale goß, stieg der Duft auf. Sie hielt ihr Gesicht in den Dampf, zog die Brauen ein wenig zusammen, und nachdem der Diener sachte hinausgegangen war und die Tür hinter sich zugemacht hatte, sagte sie sehr leise, aus tiefstem Herzen:
»Leopold, ich fühle mich so wohl hier …«
Leopold, der verwilderte Chemiker, wußte ihr nichts zu antworten. Er lebte hier seit zwei Jahren allein, und nun auf einmal wollte er einen geübten Schöntuer abgeben, »galante Worte« sagen, wie es in den Büchelchen für zehn Groschen zu lesen ist. Er lobte den Tee, dann erklärte er, es sei kalt. Endlich fand er das Terrain, wo er sich leicht zu bewegen wußte, und fragte nach der Stube:
»Bist Du mit Deinem Zimmer zufrieden?«
»Und ob! Es ist ein wunderschönes Nestchen.«
»Wenn es Dir nicht gefällt, sind da noch drei …«
»Aber warum sollte es mir nicht gefallen?«
»Ich meine nur. Und wenn Du meine Kanzlei willst, übergebe ich sie Dir ebenfalls …«
»Aber sei doch nicht!«
»Mir ists, bei Gott, ganz gleich!«
Darüber stritten sie noch eine Weile, und der Frau mit dem weißen Teint tat es wohl, daß dieser breitschultrige Germane mit einer so erfinderischen Liebenswürdigkeit für sie sorgte.
Nach dem Essen nahm jeder eine Zigarette. Der Germane fing erst jetzt an, Eva zu betrachten. Sie war eine hohe Gestalt, eher schlank, sehr ebenmäßig. Sie hatte dunkelbraunes Haar, und der Diener hatte sich geirrt, denn ihr Auge war nicht blau, sondern schwarz. Der fein geformte, aber nicht schmale Mund war ein wenig bleich, wie die sehr alten Korallen. Sie war ein zartes, gebrechliches Geschöpf, das Weibliche war ihr auf die Stirne geschrieben. Nichts in ihr war männlich oder kindlich, sie war ein echtes Weib.
Sie setzte sich ans Fenster und wurde ein wenig ernst.
»Leopold«, sagte sie, »setze Dich her; mir gegenüber. Ich muß Dir noch etwas erzählen, bevor wir ganz befreundet werden.«
Der Ritter wußte ganz gut, was nun folgen würde. Die Frau glaubt, er kenne die Geschichte der Scheidung noch nicht, beglaubigt, wie es nur die Verwandten – die nächsten – wissen dürfen. Mit seinem ehrlichen Sinn hatte er es erraten. Und wahrlich, er empfand auch in dem verstecktesten Winkel seiner Seele nicht den geringsten Groll oder gar Verachtung wider Eva.
»Setz Dich hierher,« wiederholte Eva, »ich werde sehr kurz sein.«
Der Ritter setzte sich, fühlte sich aber sehr unbehaglich. Er hatte auch die Empfindung, das Geständnis müsse der Frau sehr schwer fallen. Darum stieß er in seiner plumpen Bärenmanier hervor:
»Du, es ist nicht nötig.«
Das zarte Weib beugte sich plötzlich vor.
»Vielleicht weißt Du es schon …«
Leopold spielte mit den Fingern Mühle, und indem er die Bewegung seiner Finger mit furchtbar angestrengter Aufmerksamkeit betrachtete, antwortete er leise, beinahe schamhaft:
»Nein, ich habe es aber erraten.«
»Du hast es erraten? Auf welche Weise?«
»Nur so. Ich weiß, daß nicht nur ihn ein Verschulden trifft. Aber auf Ehre, niemand sagte oder schrieb mir etwas davon. Glaube etwa nicht, man wisse um die Angelegenheit. Ich habe es einfach erraten.«
Eva schwieg. Dann sagte sie sehr leise:
»Auch ich habe gefehlt. Und vergeblich verheimlichen wir es jetzt, umsonst lügen wir, allmählich wird es die ganze Welt erfahren. Man fing schon an, mich zu boykottieren. Ein Frauenzimmer tut schon, als kenne sie mich nicht.«
Dem Ritter gefiel es, daß Eva zu ihm geflüchtet war. Er bedauerte den Mann nicht, für den Betrug der Frau fand er hundert Entschuldigungen. Erstens war er ein Trunkenbold und vernachlässigte seine Wirtschaft. Eva war arm und jetzt mußte sie auch für die Sünden ihres Mannes büßen. Er zürnt der Frau nicht, wirklich nicht, vergeblich spähte er in seinem Innern nach der geringsten Empörung, die jedes Vergehen in uns aufschäumen läßt.
Sie sprachen nicht weiter, denn nun verstanden sie einander. Aber sie saßen noch lange auf einem Fleck und Leopold spielte noch immer mit den Fingern. Die Frau schaute zum Fenster hinaus, nach dem Fichtenwald. Dann brach sie das Schweigen.
»Leopold, mir tut ein wenig frische Luft not. Wenn ich mich jetzt anziehe, wirst Du mich auf meinem Spaziergang begleiten?«
Leopold stand auf, wandte den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte. Die beiden Hände vorgestreckt, verneigte er sich ein wenig, als ob er sagen wollte:
»Was für eine Frage, liebe Prinzessin!«