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Maryla's Grabhügel.

Romanze.

(Nach einem litthauischen Volksliede.)

Ein Fremder, ein Mädchen, Jasch, die Mutter, die Freundin.

Der Fremde.

An der Niemenbucht, der blauen,
Auf den weiten, grünen Auen,
Wessen Hügel dort erglänzet?
Weißdorn seinen Fuß bekränzet,
Himbeerstrauch und wilder Flieder,
Rasengrün bedeckt die Raine,
Blumen ihm die Stirn umflechten,
Und ein Faulbaum ziert die Mitte.
Pfade dreifach gehn hernieder:
Nach der Hütte der Eine,
Und der Zweite zur Rechten,
Und zur Linken der Dritte;
Bin zu Kahn herbeigeschwommen,
Mägdlein, gern hätt' ich vernommen,
Wessen Hügel dort erglänzet?

Das Mädchen.

Wollt das ganze Dorf befragen,
Wird das ganze Dorf bekunden:
Aus dem Hüttchen dort getragen,
Hat Marie hier Ruh gefunden.
Rechtshin jenes Pfades Spuren
Traten aus des Hirten Schritte,
Links – der Freundin; durch die Fluren
Wankt die Mutter in der Mitte.
Wenn das Frühroth kaum erglommen,
Werden sie zum Hügel kommen.
Bergt im Holzstoß euch zur Seiten,
Hört mit an ihr banges Klagen,
Laßt sie euerm Blick erscheinen:
Rechts – der Liebste naht beklommen;
Links – die Freundin seht ihr schreiten;
Und die Mutter in der Mitte.
Blumen all' sie tragen,
Gehn mit leisem Schritte,
Und weinen.

Jasch.

Marie! So spät zu kommen!
Noch konnten wir uns grüßen,
Noch herzen nicht, und küssen, –
Das Frühroth ist erglommen!
Dein Liebster harrt in Sorgen –
Verschliefst du heut den Morgen?
Bist etwa gar mir böse?
Maryla! Mich erlöse,
O, komm! Wo bleibst du heute?
Nein! Kannst dich nicht verschlafen,
Kannst deinen Jasch nicht strafen –
Bist ja des Todes Beute!
Dich bannt das Grab für immer,
Und, der sich dein erfreute,
Dein Liebster, schaut dich nimmer.
Ging ehedem ich schlafen, das war mein Erquicken,
Daß ich, Marie, erwachend, werde dich erblicken. –
Ich schlief, trotz Mißgeschicken.
Jetzt leg' ich hier mich schlafen, von den Menschen ferne,
Wenn ich im Traum dich sehe, meiner Augen Sterne
Auf ewig schlöss' ich gerne!
Wirthschaftlich war ich immer, eh' mein Glück geschieden:
Mich lobten alle Leute;
Der Vater war zufrieden –
Wie grämet er sich heute:
Ich frage nach keiner Seele,
Ob im Felde das Korn vergehe,
Ob der Nachbar Garben stehle,
Ob das Heu vom Schober wehe,
Ob der Wolf das Vieh verzehr' –
Maryla! Du bist ja nicht mehr!
Mir schenkt ein Haus der Vater,
Ausstatten reich mich that er,
Zurieth er mir zur Ehe,
Zuredeten Berather,
Umsonst war ihr Begehr –
Maryla! Du bist ja nicht mehr!
Ich bin's ja nicht im Stande!
Weißt, was ich thu'? Ich gehe
In ferne, fremde Lande,
Da wird mich Keiner finden,
Der mich wird suchen gehen:
Will von der Welt verschwinden,
Zum Russen will ich stehen,
Den Garaus macht mir der –
Maryla! Du bist ja nicht mehr!

Die Mutter.

Warum ich schlief so lange
Bis auf dem Feld die Leute?
Weil ich nach dir mich bange,
Marie, wer weckt mich heute?
Ich, die die Nacht durchweinet,
Schlief, seit die Sonne scheinet.
Mein Simon nüchtern eilet –
Ihn rührt mein Leid – mich wecken mocht' er nimmer –
Aufs Feld vor Tagesschimmer;
Indeß beim Mäh'n er weilet,
Und läßt die Sense fliegen,
Will auf dem Grab ich liegen.
Was soll zu Haus ich? Weinen?
Wer ruft uns nun zum Essen?
Wer sitzt, wo du gesessen? –
Ach! Keinen hab ich – Keinen!
Als du noch warst zu Hause,
Zum Himmel ward die Klause:
Bei uns zur Abendfeier,
Zur Saat, zum Erntekranze,
Das ganze Dorf zur Leier
Sich dreht' im frohen Tanze –
Jetzt ist im Haus es öde:
Du fehlst – man flieht uns schnöde.
Der Hof vermoost – die Pfosten
Stehn öd', die Angeln rosten:
Gott uns verließ, und Menschen ringsumher –
Maryla! Du bist ja nicht mehr!

Die Freundin.

Frühmorgens wir dies Plätzchen
Am Wasser uns erwählten,
Wenn wir von unsern Schätzchen
Einander uns erzählten.
Jetzt ist es aus, das Plätzchen öd und leer –
Maryla! Du bist ja nicht mehr!
Wer wird auf mich noch bauen?
Wem soll ich mich vertrauen?
Ach! Seit dein treues Lieben
Nicht Leid und Freud' mehr theilet,
Ist Schmerz nur, Schmerz geblieben,
Und jede Lust enteilet!

Der Fremde.

Der Fremde hört's mit Bangen;
Im Aug' die Thränen rannen,
Er trocknet sich die Wangen,
Und schwimmt im Kahn von dannen.



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