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Der Switez-See.

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Ballade.

(An Michael Wereszczako.)

Wer du auch nahest Pluzyns dunklem Walde
Jemals durch Nowogrods Auen,
Anhalt' die Rosse, geh' nicht von der Halde,
Ohne den See zu beschauen.

Hell mit dem breiten Schooß der Switez funkelt
Weithin in riesigem Kreise.
Glatt, ob auch Wildniß rings ihn dicht umdunkelt,
Glänzt er gleich spiegelndem Eise.

Wenn du bei Nacht ihm nahest aus der Ferne,
Seewärts die Blicke nur richte:
Zu Häupten dir und Füßen siehst du Sterne,
Monde mit doppeltem Lichte.

Weißt nicht, ob gläsern dort die ebne Strecke
Himmelan unter dir steige,
Ob sich des Himmels hochgewölbte Decke
Gläsern zu Füßen dir neige.

Da du den Blick nicht kannst zum Jenseits heben,
Trennst du nicht Gipfel vom Grunde,
Du scheinst im Luftkreis mitten frei zu schweben,
Gleichwie in bläulichem Schlunde.

So mag bei Nacht in schönen Jahreszeiten
Täuschung dem Blick wol behagen,
Doch Nachts die Ufer einsam zu umschreiten,
Kaum wird der Kühnste es wagen.

Was tummeln da sich oft für Spukgestalten,
Was macht der Satan für Streiche –
Nur zitternd hör' ich munkeln es die Alten,
Denk' ich es Nachts – ich erbleiche.

Oft lärmt es drinnen, wie in einem Städtchen,
Flammen und Rauch ringsum wallen,
Kampfruf der Krieger, Jammerlaut der Mädchen,
Waffen und Glocken erschallen.

Jäh mit dem Rauch ist aller Lärm verflogen,
Rauscht's nur im Tann, an den Rainen,
Leis nur, wie betend, flüstern die Wogen,
Leis, wie wenn Mägdelein weinen.

Was das bedeute? Wer kann es erklären?
Niemand noch war auf dem Grunde.
Umgeh'n im Volke Sagen viel und Mähren,
Doch wer erforscht ihre Kunde?

Ein Herr auf Pluzyn, dessen Ahnen waren
Herren des Switez und Erben,
Des Räthsels Lösung endlich wollt' erfahren,
Klarheit sich wollt' er erwerben.

Daß in der Stadt er in das Werk es setze,
Aufwand und Kosten nicht scheut er,
Zweihundert Fuß tief stricken läßt er Netze,
Kähne zu bauen, gebeut er.

Ich mahnt' ihn: Gut kann solch ein Werk nur enden,
Ward es mit Gott unternommen!
Zu Messen mancher Kirche gab er Spenden,
Probst aus Cyryn mußte kommen.

Der stellt an's Ufer sich im Meßgewande,
Segnet die Arbeit, und winket.
Kaum schallt die Losung, stößt man ab vom Lande,
Rauschet das Netz und versinket.

Sinkt, und das Schwimmholz zerrt es mit hernieder,
Bis es die Wogen verschlingen –
Spannt sich das Tauwerk – leise rauscht es wieder.
Schwerlich der Fang wird gelingen.

Schon beide Flügel sie zum Ufer zogen,
Jetzt nur noch ziehn sie am Hamen;
Sagt' ich, welch Spuk sie fischten aus den Wogen,
Niemand doch spräch' dazu: Amen!

Und doch kein Spuk war, was im Netz gefangen:
Lebend ein Weib kam zur Stelle!
Korallenlippen, schneeig weiße Wangen,
Feucht war das Haar noch, das helle.

Sie eilt zum Ufer. Und indeß die Einen
Starr, sich nicht regen vom Orte,
Zu wilder Flucht die Andern sich vereinen;
Spricht sie die gütigen Worte:

»Jünglinge, wisset: hier ist eingedrungen
Nimmer noch straflos ein Nachen;
Jeglichen Waghals hat die Flut verschlungen,
Keiner entging ihrem Rachen.

»Auch dich, Verweg'ner, dich und die Genossen,
Längst schon die Flut euch umschlösse,
Wenn du nicht wärest unserm Land entsprossen,
Nicht unser Blut in dir flösse.

»Ist auch die Neugier strafbar, wie die Sünde,
Doch, weil mit Gott ihr begonnen,
Will er, daß euch mein Mund vom See verkünde
Wunder, wie nie sie ersonnen.

»Hier, wo auf Stellen, heute tief versandet,
Lattig und Rohr sich verbreiten,
Wo just mit euern Rudern ihr gelandet,
Hob eine Stadt sich vor Zeiten.

»Switez, durch Männer einst so reich an Thaten,
Als auch an Schönheit durch Frauen,
Hatt' hier, vom Fürsten Tuhan wohlberathen,
Jahre der Blüte zu schauen.

»Nicht dieser Wildniß Bilder voll von Schauern,
Rings zu erblicken hier waren:
Herüber schauten Nowogrodeks Mauern,
Litthauens Hauptstadt vor Jahren.

»Als einst der Russe hier, der Zar, berannte
Mendog auf Tod und auf Leben;
Befiel ganz Litthau'n Schrecken: es erkannte,
Mendog sich müss' ihm ergeben.

»Mendog, deß Heer an weitentlegnen Stätten,
Schrieb meinem Vater entschlossen:
Tuhan, die Hauptstadt kannst nur du mir retten –
Eile, beruf' die Genossen.

»Tuhan kaum las, was ihm der Fürst verkündet,
Ruft er zum Kampfe die Streiter;
Fünftausend Mann sind treu mit ihm verbündet,
Trefflich bewaffnete Reiter.

»Tuhans Standarten schon am Thore blinken,
Hörner erschallen im Trosse,
Tuhan nur zögert, läßt die Arme sinken,
Sprenget zurück nach dem Schlosse.

»Spricht zu mir: Soll ich Fremden zum Entsatze,
Eigenen Herd überweisen?
Switez, du weißt's, hat Schanzen nicht am Platze,
Nur unsre Brust, unser Eisen.

»Soll unser winzig Heer ich gar noch theilen,
Sind wir dem Freunde nichts nutze;
Wer bleibt, wenn Alle wir zum Kampfe eilen,
Töchtern und Frauen zum Schutze?« –

– »Du zagst zur Unzeit, Väterchen, ihm sag' ich,
Ruhm dir winkt – wolle du gehen.
Gott wird uns schützen! Hab' – im Schlummer lag ich –
Heut seinen Engel gesehen.

»Switez umkreisend, ließ sein Schwert er glänzen,
Deckt' es mit goldenen Schwingen;
Sprach: Wenn die Männer fern sind an den Grenzen,
Schutz will den Frauen ich bringen. –

– »Tuhan vernimmt es, folget seinem Trosse;
Kaum ist die Dämmrung gefallen,
Hört man durch Klirren und Gestampf der Rosse
Hurrah! den Schreckruf erschallen.

»Der Sturmbock dröhnend sprengt des Thores Reste;
Speere dicht hageln hernieder;
Und Greise, Mütter, Kinder nach der Feste
Zitternd heimkehren sie wieder.

»Sie schrei'n um Hilfe: Laßt das Thor verschließen,
Hinter uns herstürmt die Bande!
Ach, laßt uns lieber eignes Blut vergießen –
Tod nur erlöst uns von Schande!

»Da jäh in Wahnsinn wandelt sich ihr Schrecken:
Schichten sie Stöße von Schätzen,
Drauf Schwamm und Zunder – schon die Flammen lecken
Rufen sie voller Entsetzen:

»Fluch! Wer nicht selbst sich tödtet auf der Stelle!«
Wie ich's, zu wehren, auch eile,
Sie knie'n, den Nacken beugend auf der Schwelle;
Andre schon greifen zum Beile.

»Anhebt der Frevel. Eil' ich zu den Horden,
Die mich mit Ketten beladen?
Oder soll gottlos ich mich selber morden?
Fleh' ich zum Herren der Gnaden:

»Herr, können nicht entgehn wir Feindesnöthen,
Möge der Tod uns gelingen!
Mag lieber deines Blitzes Strahl uns tödten,
Lebend das Grab uns verschlingen!

»Urplötzlich scheint mich grelles Licht zu blenden;
Tag hat die Nacht überwunden.
Bestürzt den Blick will ich zu Boden wenden –
Unter mir ist er verschwunden.

»Also entflohen wir der Schande Grauen;
Siehst du die Blumen im Kreise?
Das sind die Töchter Switez und die Frauen
Umschuf sie Gott sich zum Preise
!

»Weiß ihre Blüten, gleichwie Falter schimmern,
Schweben sie über den Wogen.
Grün ihre Blätter, gleichwie Tannreis, flimmern,
Blinkt es von Schnee überflogen.

»Der Tugend Bilder, mit dem Prachtgewande
Unschuld im Tod noch sie schmücket;
Still leben sie und dulden nimmer Schande,
Menschenhand nimmer sie pflücket.

»Der Zarerfuhr's, und seine Russenkrieger;
Sah er die Blüten erglänzen,
Wollte gar Mancher pflücken sie als Sieger,
Helm sich und Schläfen bekränzen;

»Doch wer den Arm nur in die Tiefe reckte, –
Graus war die Kraft dieser Blüten –
Jählings ihn Krankheit schwer darniederstreckte,
Tödtlich alsbald war ihr Wüthen.

»Ob auch die Zeiten tilgten die Geschichte,
Hielt sich die Mähr noch nach Jahren;
Das Volk noch heut sie feiert im Gedichte –
Nennt heut die Blüten noch – Zaren.« –

Sprach's, und verschwunden war sie auf der Stelle,
Nachen und Netze verfallen.
Wildniß erbraust nur, an den Strand die Welle
Schäumt nur mit Rauschen und Schwallen.

Aufthat der See sich, klaffend bis zum Grunde;
Spähest umsonst nach ihr nieder:
Sie ist versunken in der Wogen Schlunde –
Nie von ihr hörte man wieder.



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