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Romantik.

Me thinks i see – where?
– In my mind's eye.
Shakespeare.

Mich dünkt, ich sehe … wo?
– Vor meines Geistes Augen.

»Höre, lieb Mädchen!«
– Aber sie hört nicht –
»Heller Tag ist es! Da ist das Städtchen!
Niemand ist bei dir, wirst ja gestört nicht.
Was denn um dich greifst und fass'st du?
Wen begrüßest du? Was hast du?« –
– Aber sie hört nicht –.

Bald, gleich todtem Steingebilde,
Starr ist ihr der Blick, der wilde;
Bald läßt das Auge sie schweifen,
Bald rinnt die Thräne der Kleinen;
Will etwas fassen und greifen,
Lachen bald muß sie, bald weinen.

»Du, mein Jaschek, kommst bei Nacht noch,
Du, noch im Tod mir Getreuer?
Mutter lauscht zuweilen! Sacht doch!
Komm nur! Hier ist's nicht geheuer!

Laß sie nur lauschen, wenn ich dich habe …
Aber … du liegst ja im Grabe!
Bist du gestorben? … Mir ist so bange …
Bange? … Was thäte mein Jasch mir zu Leide?
Ach! Und er ist es? An Augen und Wange,
Kenn' ich ihn wieder, am schimmernden Kleide!

Ach, wie die Wangen dir gleißen!
Hu! Und wie starr ist die Hand dir, die kalte –
Komm, daß auf meinem Schooß ich dich halte,
Küsse den Mund mir, den heißen!

Hu! Wie muß dort es kalt sein im Grabe,
Das dich vor'm Jahr mir entrissen! …
Nimm mich doch mit. Wenn ich dich nicht mehr habe,
Mag von der Welt ich nichts wissen.

Schlecht bei den Menschen mir geht es:
Wein' ich, so spotten sie meiner;
Sprech' ich, ach! Keiner versteht es,
Seh' ich was, sieht es hier Keiner!

Komm doch bei Tage! … Ob ich nur träume?
Nein! Nein! Dich halt' ich umfangen!
Jasch, du verläss'st mich im Bangen?
Hast ja noch Zeit, Jasch, o säume!

Mein Gott! Der Hahn kräht im Städtchen,
Morgenroth blinkt durch die Scheiben:
Kannst du denn gar nicht mehr bleiben? …
Jasch! O, ich unglücklich Mädchen!«

So mit dem Liebsten koset die Kleine,
Folgt ihm, dann aufschreit und fällt sie;
Angstruf und Fall anlockt im Vereine:
Bald ist von Menschen umstellt sie.

»Betet für Beide,« sich Stimmen erheben,
»Denn uns umschweben die Seelen!
Sagt, wo die Käthe, kann Jaschek da fehlen,
Der sie geliebt, wie sein Leben?«

Ich auch das hörte, ich auch so meinte,
Betete für sie und – weinte.

»Höre, lieb Mädchen,« schallt es, im Kreise
Läßt es den Mahnruf ergehen:
»Traut meinem Glase, glaubt einem Greise,
Nichts ist hier, gar nichts zu sehen!

»Geister sind Schenkenpöbels Geschöpfe,
Thoren sie schmieden im Lande:
Faselt ein Mädchen, glauben es Tröpfe,
Hohn spricht das Volk dem Verstande!«

»Das Mädchen fühlt!« Entgegn' ich ihm bescheiden;
»Die Menge glaubt es ihm aus Herzensgrunde.
Gefühl und Glauben acht' ich mehr, die Beiden,
Denn Alles, was des Klüglings Glas erkunde.

Das Volk wird todte Wahrheit nie verstehen:
Du siehst die Welt im Staub, im Stern die Kerze;
Willst Wunder du voll Lebenswahrheit sehen,
Hab' nur ein Herz und blick' hinein in's Herze!«



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