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Einunddreißigstes Kapitel

Die Frauen und die Reaktion

Mehrere Ursachen beschleunigten nach dem 9. Thermidor die Reaktion.

Die übermäßige Anspannung der revolutionären Regierung war es und der Überdruß an einer Ordnung der Dinge, welche dem Verstande und dem Herzen die härtesten Opfer auferlegte. Überströmend wurde das Erbarmen, blind, unwiderstehlich.

Man braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn die Frauen die hauptsächlichsten Geschäftsführer der Reaktion wurden.

Die gewollte Vernachlässigung der Kleidung, die Annahme volkstümlicher Sprache und Sitten, das Ungezwungene der Zeit sind mit dem Namen Zynismus gebrandmarkt worden. In Wirklichkeit war jedoch die republikanische Obrigkeit in ihrer wachsenden Härte einmütig darin, als Gewähr für die bürgerliche Tugend strenge Sitten einzuführen.

Die moralische Zensur wurde nicht nur von den Behörden, sondern auch von den Volksvereinen ausgeübt. Mehr als einmal wurden Ehebruchsprozesse bei der Kommune und den Jakobinern anhängig gemacht. Beide treffen die Entscheidung, daß der unmoralische Mann »verdächtig« ist. Eine schwere, unheilvolle Benennung, die damals gefürchteter war als jede andere Strafe.

Niemals verfolgte eine Regierung die öffentlichen Dirnen energischer. Daher stammt die Hilfe, die man unehelichen Müttern gewährte, worüber so viel geredet worden ist. Tatsächlich werden die meisten Mädchen, die einen Fehltritt begangen haben, wenn man sie nicht unterstützt, öffentliche Dirnen. Das verlassene Kind kommt in die Armenhäuser, das heißt, es stirbt.

Die Ball- und Spielhäuser (die damals mit den Häusern der Prostitution gleichbedeutend waren) waren beinahe verschwunden.

Die Salons, in denen die Frauen bis zum Jahre 1792 so sehr geglänzt hatten, wurden im Jahre 1793 geschlossen.

Die Frauen hielten sich ihrer Wirksamkeit für beraubt. Unter dieser ungeselligen Regierung wären sie nur Gattinnen und Mütter geworden.

Die Entspannung erfolgt am 9. Thermidor. Ein unerhörtes Überschäumen, ein wütendes Bacchanal begann am gleichen Tage.

Auf dem langen Wege, den man Robespierre zum Schafott machen ließ, boten die Fenster, die zu den höchsten Preisen gemietet wurden, den fürchterlichsten Anblick. Unbekannte Gestalten, die sich seit langer Zeit verborgen hatten, waren ans Licht gekommen. Sehr viele Reiche und Mädchen standen auf den Balkonen zur Schau. Dank des gewaltsamen Rückschlages des öffentlichen Gefühls wagte sich ihre Wut offen zu zeigen. Die Frauen besonders boten ein unerträgliches Schauspiel. Schamlos, halb nackt, unter dem Vorwande, man sei im Juli, den Busen mit Blumen überladen, auf die Fensterkissen gestützt und mit halbem Leibe auf die Rue Saint-Honoré hinausgelehnt, die Männer hinter ihnen, schrien sie mit greller Stimme: »In den Tod! Auf die Guillotine!« Kühn legten sie an diesem Tage die großen Toiletten wieder an, und abends gingen sie »zum Souper«. Niemand tat sich mehr Zwang an.

De Sade [ * ] De Sade ist der bekannte Verfasser unzüchtiger Schriften, wie der »Justine«. Die Bezeichnung »Sadismus« für eine bestimmte Art geschlechtlicher Perversität geht auf ihn zurück. Er wurde seiner Lebensführung und seiner Publikationen wegen gefangen gehalten. R. K. wurde am 10. Thermidor aus der Haft entlassen.

Als der Todeszug bei der Himmelfahrtskirche ankam, machten die Schauspielerinnen vor dem Hause Duplay eine Szene. Furien vollführten einen Rundtanz. Ein Kind stand an der Brücke mit einem Eimer Ochsenblut und bespritzte mit einem Besen das Haus. Robespierre schloß die Augen.

Abends rannten dieselben Bacchantinnen nach Sainte Pélagie, wo die Mutter Duplay saß, und schrien, sie seien die Witwen der Opfer Robespierres. Sie ließen sich von den erschreckten Gefangenwärtern die Türen öffnen, erwürgten die alte Frau und hingen sie an einer Gardinenstange auf.

In Paris wurde es wieder sehr lustig. Hungersnot herrschte freilich. Im Westen und Süden mordete man ungestört. Das Palais Royal war überfüllt von Spielern und Mädchen, und die Damen, halbnackt, stellten die öffentlichen Dirnen in Schatten. Dann begannen die »Bälle der Opfer«, bei denen die schamlose Unzucht ihre falsche Trauer in einer wüsten Orgie austobte.

Der »empfindsame Mensch« spekulierte seufzend in Assignaten und Nationalgütern. Die »schwarze Bande« [ * ] bande noir. In den wenigen Jahren von 1790–1794 waren für ungefähr fünfzehn Milliarden ziffernmäßigen Wertes an Nationalgütern zum Verkauf gestellt und zu äußerst billigen Bedingungen angeboten worden. Die natürliche Folge war eine grenzenlose Kaufgier. Es bildeten sich überall »schwarze Banden«, die untereinander in Verbindung standen und mit allen Mitteln, durch Bearbeitung der Ortsbehörden, durch Nachweis gefälschter Erbansprüche usw., das Kaufgeschäft betrieben. – Alle Energie des Konvents und seiner in die Provinzen entsandten Delegierten nutzte nichts gegen diese Riesenbetrügereien. R. K. weinte heiße Tränen um Verwandte, die sie niemals besessen hatte. Die Marquisen und Gräfinnen, die royalistischen Schauspielerinnen kehrten frech nach Frankreich zurück, kamen aus den Gefängnissen oder aus ihren Schlupfwinkeln hervor und arbeiteten unermüdlich daran, den Schrecken royalistisch zu machen; sie umstrickten die Terroristen, fingen die Thermidorianer in ihre Netze, trieben sie zu Mordtaten und wetzten ihnen das Messer, um die Republik im Blut zu ertränken. Zahlreiche Montagnards: Taillien, Bentabole, Rovère hatten sich vornehm verheiratet. Der Schlächter Legendre, der lange Zeit am Boden lag wie ein angestochener Ochse, wütete plötzlich unter dem Ansporn der Contat wieder los; diese boshafte Suzanne aus Beaumarchais' »Figaro« warf dem Stier die Schlinge über und trieb ihn mit gesenkten Hörnern mitten unter die Jakobiner.

Diese Dinge brauchen wir nicht zu erzählen. Sie gehören alle nicht mehr zur Revolution. Sie bilden den Anfang der langen Reaktion, die nun schon ein halbes Jahrhundert dauert.


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