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Achtzehntes Kapitel

Charlotte Cordays Tod (17. Juli 1793)

Die Frau tritt ein, der Diener. Sie finden Charlotte stehend und wie versteinert in der Nähe des Fensters. Der Mann versetzt ihr einen Hieb mit einem Stuhl auf den Kopf; er verriegelt die Tür, damit sie nicht hinauskann. Aber sie rührt sich nicht. Auf das Geschrei laufen die Nachbarn herbei, die Leute aus der Umgebung, die Vorübergehenden. Man ruft den Arzt, der nur noch einen Toten findet. Inzwischen hatte die Nationalgarde verhindert, daß man Charlotte in Stücke riß; man hielt sie an beiden Händen fest. Sie dachte durchaus nicht daran, sie zu gebrauchen. Unbeweglich starrte sie mit trübem, kaltem Blick. Ein Perückenmacher aus dem Viertel ergriff das Messer und schwang es schreiend. Sie achtete nicht darauf. Das einzige, was sie in Erstaunen setzte und quälte (sie hat es selbst erzählt), waren die Schreie der Katherine Marat. Da zuerst ergriff sie der peinliche Gedanke, »daß Marat schließlich ein Mensch war«. Sie schien zu sich selbst zu sagen: »Wie denn? Er war geliebt!«

Der Polizeikommissar kam bald, um sieben dreiviertel Uhr, dann die Polizeiverwalter Louvet und Marius, schließlich die Abgeordneten Maure, Chabot, Drouet und Legendre, die aus dem Konvent herbeiliefen, um das Ungeheuer zu sehen. Sie waren sehr erstaunt, als sie zwischen den Soldaten, die sie bei den Händen hielten, ein schönes junges Mädchen fanden, das völlig ruhig war und jede Frage fest und einfach, furchtlos und ohne Schwulst beantwortete; sie gestand selbst, daß sie entschlüpft wäre, wenn sie gekonnt hätte. So groß sind die Widersprüche der Natur. In einer Adresse an die Franzosen, die sie vorher geschrieben hatte, und die sie bei sich trug, sagte sie, daß sie sterben wollte, damit ihr Kopf in Paris herumgetragen würde und den Freunden der Gesetze als Wahrzeichen diene.

Ein anderer Widerspruch: Sie sagte und schrieb, daß sie hoffe, unbekannt zu sterben. Indessen fand man bei ihr den Taufschein und den Paß, die sie ausweisen mußten.

Die anderen Gegenstände, die man bei ihr fand, ließen vollkommen ihre ganze Seelenruhe erkennen; sie gehörten zu denen, die eine sorgsame, an Ordnung gewöhnte Frau mitnimmt. Außer Schlüssel, Uhr und Geld hatte sie einen Fingerhut und Faden, um im Gefängnis die ziemlich wahrscheinliche Anordnung wieder gutzumachen, in die ihre Kleider durch eine gewaltsame Verhaftung geraten mußten.

Der Weg bis zur Abbaye war nicht weit, kaum zwei Minuten. Aber er war gefährlich. Die Straße war voll von Freunden Marats, von wütenden Cordeliers, die weinten und brüllten, man solle ihnen den Mörder ausliefern. Charlotte hatte an alle Todesarten gedacht und sich im voraus mit ihnen abgefunden, nur nicht an die, zerfleischt zu werden. Man erzählt, daß sie von einer Schwäche befallen wurde, sie meinte, ihr werde übel. Man erreichte die Abbaye.

Als sie in der Nacht von den Mitgliedern des Komitees der allgemeinen Sicherheit und von anderen Abgeordneten verhört wurde, zeigte sie nicht nur Festigkeit, sondern sogar Munterkeit. Legendre, der von seiner Wichtigkeit ganz aufgebläht war und sich sehr naiv des Opfertodes für würdig hielt, fragte sie: »Sind Sie nicht gestern in Nonnenkleidung zu mir gekommen?« – »Der Bürger irrt sich,« antwortete sie lächelnd. »Ich war nicht der Meinung, daß sein Leben oder sein Tod für das Wohl der Republik irgend von Bedeutung sei.«

Chabot hielt beständig ihre Uhr fest und legte sie nicht aus der Hand. »Ich glaubte,« sagte sie, »daß die Kapuziner das Gelübde der Armut abgelegt hätten.«

Der große Kummer Chabots und der anderen, die sie verhörten, war, daß sie weder bei ihr, noch in ihren Antworten etwas fanden, was darauf schließen ließ, daß sie von den Girondisten in Caen geschickt worden sei. Während des nächtlichen Verhörs behauptete der unverschämte Chabot, sie hätte noch ein Papier in ihrem Busen verborgen, und feige ausnutzend, daß ihre Hände geknebelt waren, legte er Hand an sie; er hätte zweifellos gefunden, was nicht da war, das Manifest der Gironde. Obwohl sie völlig gefesselt war, wehrte sie ihn nach Kräften ab und warf sich so heftig nach rückwärts, daß die Taillenbänder rissen und man einen Augenblick lang den keuschen, heldenmütigen Busen sehen konnte. Alle waren gerührt. Man löste ihr die Fesseln, damit sie sich wieder zurechtmachen konnte. Man erlaubte ihr auch, die Ärmel umzuschlagen und Handschuhe unter ihre Ketten anzuziehen.

Am 16. morgens wurde sie von der Abbaye in die Conciergerie gebracht und schrieb abends einen langen Brief an Barbaroux, einen Brief, der offenbar darauf berechnet ist, durch seine Munterkeit (die übrigens traurig und übel anmutet) eine vollkommene Seelenruhe zu beweisen. In diesem Briefe, der bestimmt gelesen werden mußte, der am folgenden Tage in Paris verbreitet wurde, und der trotz seiner vertraulichen Form das Gepräge einer Kundgebung trägt, sucht sie den Glauben zu erwecken, daß die Freiwilligen in Caen zahlreich und voller Eifer seien. Sie wußte noch nichts von ihrer völligen Zersprengung in Vernon.

Daß sie weniger ruhig war, als sie zu sein vortäuschte, scheint daraus hervorzugehn, daß sie einmal darauf zurückkommt, warum sie die Tat beging, und was sie entschuldigt: der Friede, der Wunsch nach Frieden. Der Brief ist datiert: Am zweiten Tage der Vorbereitung des Friedens. Und ungefähr in der Mitte sagt sie: »Möge der Friede so bald erscheinen, wie ich es ersehne! ... Seit zwei Tagen genieße ich den Frieden. Das Glück meines Landes ist mein eigenes.«

Sie schrieb an ihren Vater, um ihn um Verzeihung zu bitten, daß sie über ihr Leben verfügt habe, und zitierte ihm den Vers:

»Die Untat nur, nicht das Schafott bringt Schande.«

Sie hatte auch an einen jungen Abgeordneten, Doulcet de Pontécoulant, geschrieben, einen Neffen der Äbtissin von Caen, einen klugen Girondisten, der, wie Charlotte Corday sagt, seinen Sitz auf der Montagne hatte. Sie wählte ihn zum Verteidiger. Doulcet schlief nicht zu Hause, und der Brief erreichte ihn nicht.

Wenn ich einer übertrieben aufgemachten Rechnung Glauben schenken soll, die von der Familie des Malers, der Charlotte Corday im Gefängnis malte, aufbewahrt wird, hatte sie sich eigens für ihre Verurteilung eine Haube anfertigen lassen. Das erklärt, warum sie in ihrer so kurzen Gefangenschaft sechsunddreißig Francs ausgab.

Wie würde das Verfahren der Anklage sein? Die Behörden von Paris schoben in einer Proklamation die Schuld an dem Verbrechen auf die Föderalisten und erklärten gleichzeitig: »Daß diese Furie aus dem Hause des weiland Grafen Dorset hervorgegangen sei.« Fouquier-Tinville [ * ] Fouquier-Tinville war der öffentliche Ankläger beim Revolutionstribunal. Er fungierte als Staatsanwalt bei allen Sensationsprozessen in der Konventszeit. R. K. schrieb an den Sicherheitsausschuß: »Er sei davon unterrichtet worden, daß sie eine Freundin Belzunces war, daß sie Belzunce und ihren Verwandten Biron, der kürzlich von Marat angezeigt worden sei, habe rächen wollen, daß Barbaroux sie gedrängt habe« usw. Ein absurdes Märchen, von dem er selbst in seinem Antrag nicht zu sprechen wagte.

Das Publikum täuschte sich nicht über sie. Jedermann verstand, daß sie allein war, daß nur ihr Mut, ihre Aufopferung, ihr Fanatismus sie beraten habe. Die Gefangenen in der Abbaye und in der Conciergerie, sogar das Volk auf den Straßen, alle betrachteten sie (wenn man von den Verwünschungen im ersten Augenblick absieht) im stillen mit achtungsvoller Bewunderung. »Wenn sie im Gerichtssaal erschien,« sagt ihr offizieller Verteidiger Chauveau Lagarde, »so sahen alle, Richter, Geschworene und Zuschauer, aus, als wenn ein Richter vor ihnen stände, der sie vor den obersten Gerichtshof gerufen habe. Man hat ihre Züge malen können,« sagt er weiter, »ihre Worte hat man wiederholt; aber keine Kunst hätte ihre große Seele gemalt, die voll auf ihrem Gesicht leuchtete; ... das war die moralische Wirkung der Verhandlungen und der Dinge, die man fühlt, die jedoch auszudrücken unmöglich ist.«

Er berichtigt sodann ihre Antworten, die im Moniteur geschickt entstellt, verstümmelt und verblaßt nachgedruckt wurden. Jede von ihnen ist ganz von dem Schlage der Erwiderungen, die man aus den gedrängten Dialogen Corneilles kennt.

»Wer hat Ihnen soviel Haß eingeflößt?« – »Ich brauchte den Haß der anderen nicht, ich hatte an meinem eigenen genug.« »Die Tat mußte Ihnen eingeredet werden?« – »Man führt schlecht aus, was man nicht selbst begriffen hat.«

»Was haßten Sie an ihm?« – »Seine Verbrechen.«

»Was verstehen Sie darunter?« – »Die Verheerung Frankreichs.«

»Was hofften Sie, als Sie ihn töteten?« – »Meinem Lande den Frieden wiederzugeben.«

»Glauben Sie denn, alle Marats getötet zu haben?« – »Da dieser tot ist, so haben die anderen vielleicht Furcht.«

»Seit wann hatten Sie den Plan gefaßt?« – »Seit dem 31. Mai, als man hier die Vertreter des Volkes verhaftete.«

Der Präsident fragte nach einer sie belastenden Aussage: »Was antworten Sie darauf?« – »Nichts, als daß es mir gelungen ist.«

Ihre Wahrheitsliebe blieb sich nur in einem Punkte nicht gleich. Sie behauptete, daß bei der Revue in Caen dreißigtausend Mann zur Stelle waren. Sie wollte den Parisern Furcht einjagen.

Mehrere Antworten zeigten, daß ihr so mutiges Herz dennoch natürlichen Empfindungen durchaus nicht fremd war. Sie konnte die Aussage, die Marats Frau unter Schluchzen machte, nicht bis zu Ende anhören und beeilte sich, zu sagen: »Ja, ich habe ihn getötet.«

So geriet sie auch in Erregung, als man ihr das Messer zeigte. Sie wandte den Blick ab, schob es mit der Hand beiseite und sagte mit gebrochener Stimme: »Ja, ich kenne es, ich kenne es.«

Fouquier-Tinville wies darauf hin, daß sie von oben zugestoßen hatte, um sicher zu treffen; anderenfalls hätte sie ihn in die Seite treffen können und vielleicht nicht getötet; und er fügte hinzu: »Offenbar hatten Sie sich vorher gut geübt?« – »Oh, der Unmensch!« schrie sie. »Er hält mich für einen Mörder!«

Dies Wort, erzählt Chauveau-Lagarde, wirkte wie ein Donnerschlag. Die Verhandlung wurde geschlossen. Sie hatte im ganzen eine halbe Stunde gedauert.

Der Präsident Montané hätte sie gern gerettet. Er änderte die Frage, die er den Geschworenen vorlegen mußte, und begnügte sich mit der Form: »Hat sie mit Vorbedacht gehandelt?« während er die zweite Hälfte der Formel: »mit verbrecherischer und revolutionsfeindlicher Absicht?« unterdrückte. Das trug ihm selbst wenige Tage später seine Verhaftung ein.

Der Präsident, um sie zu retten, die Geschworenen, um sie zu demütigen, hätten gern gesehen, daß der Verteidiger sie als verrückt hinstellte. Der sah sie an und las in ihren Augen; dann diente er ihr, wie sie bedient sein wollte, betonte den langen Vorbedacht, und daß sie als einzige Verteidigung nicht hätte verteidigt werden wollen. Jung und beim Anblick dieses großen Mutes sich selbst übertreffend, wagte er das kühne Wort (das ganz hart an das Schafott streifte): »Diese Ruhe und diese Selbstverleugnung sind in gewisser Beziehung erhaben...«

Nach dem Urteilsspruch ließ sie sich zu dem jungen Anwalt führen und sagte ihm mit viel Anmut, daß sie ihm für seine zarte und edelmütige Verteidigung danke und daß sie ihm einen Beweis ihrer Hochachtung geben wolle. »Diese Herren haben mir soeben mitgeteilt, daß meine Habe mit Beschlag belegt worden ist; ich bin im Gefängnis etwas schuldig; ich beauftrage Sie, meine Schuld zu bezahlen.«

Sie verließ den Saal und stieg über die dunkle Treppe zu den darunter liegenden Verließen hinab, sie lächelte ihren Mitgefangenen zu, die sie vorübergehen sahen, und entschuldigte sich bei dem Wärter Richard und seiner Frau, denen sie versprochen hatte, mit ihnen zu frühstücken. Sie empfing den Besuch eines Priesters, der ihr seinen Beistand anbot, und führte ihn höflich hinaus mit den Worten: »Sprechen Sie den Leuten meinen Dank aus, die Sie geschickt haben.«

Sie hatte während der Verhandlung einen Maler bemerkt, der ihre Züge festzuhalten suchte und sie mit lebhaftem Interesse betrachtete. Sie hatte sich ihm zugewandt. Nach der Urteilsverkündung ließ sie ihn rufen und schenkte ihm die letzten Augenblicke, die ihr vor der Hinrichtung blieben. Der Maler, Herr Hauer, war Vizekommandant des Bataillons der Cordeliers. Diesem Titel vielleicht verdankte er die Vergünstigung, daß man ihn ohne einen anderen Zeugen als einen Gendarmen bei ihr ließ. Sie plauderte völlig ruhig mit ihm über belanglose Dinge, doch auch über das Ereignis des Tages und über den moralischen Frieden, den sie in sich fühlte. Sie bat Herrn Hauer, eine kleine Kopie von dem Bild zu machen und sie ihrer Familie zu schicken.

Nach anderthalb Stunden klopfte man leise an eine kleine Türe, die hinter ihr war. Man öffnete, und der Henker trat ein. Charlotte wandte sich um und sah die Schere und das rote Hemd, das er trug. Sie konnte sich einer leichten Erregung nicht erwehren und sagte unwillkürlich: »Was! Schon?!« Doch sogleich faßte sie sich wieder und wandte sich an Herrn Hauer mit den Worten: »Mein Herr, ich weiß nicht, wie ich Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit danken soll; ich kann Ihnen nur dies hier anbieten; behalten Sie es als Andenken von mir.« Gleichzeitig ergriff sie die Schere und schnitt eine schöne Locke von ihren langen, aschblonden Haaren ab, die unter ihrer Haube hervorquollen, und reichte sie Herrn Hauer. Die Gendarmen und der Henker waren sehr bewegt.

In dem Augenblick, als sie den Karren bestieg, als die Menge, von zwei gegensätzlichen Leidenschaften, Wut oder Bewunderung, bewegt, das schöne, liebliche Opfer in seinem roten Mantel aus dem niedrigen Bogengang der Conciergerie heraustreten sah, schien sich die Natur mit der Leidenschaft der Menschen zu vermählen, und ein wütender Sturm brach über Paris los. Er dauerte nur kurze Zeit und schien vor ihr zu fliehen, als sie auf dem Pont Neuf sichtbar wurde und langsam durch die Rue Saint Honoré fuhr. Die Sonne trat wieder hoch und stark hervor; es war noch nicht sieben Uhr abends (17. Juli). Die Reflexe des roten Stoffes hoben in eigentümlicher und ganz phantastischer Weise die Wirkung ihrer Gesichtsfarbe und ihrer Augen.

Man versichert, daß Robespierre, Danton und Camille Desmoulins sich auf ihrem Wege aufstellten und sie betrachteten. Ein friedliches, aber um so furchtbareres Bild der revolutionären Nemesis, verwirrte sie die Herzen und ließ sie voll Staunen zurück.

Die ernsthaften Beobachter, die ihr bis zu den letzten Augenblicken folgten, Schriftsteller und Ärzte, waren von einem seltsamen Umstand betroffen; auch die standhaftesten unter den Verurteilten suchten sich durch irgendwelche Anregungen aufrecht zu erhalten, sie sangen patriotische Lieder oder stießen furchtbare Verwünschungen aus gegen ihre Feinde. Sie bewahrte eine vollkommene Ruhe beim Geschrei der Menge, eine feierliche und schlichte Heiterkeit; voll eigenartiger Hoheit kam sie auf dem Platze an und wie verklärt in den Strahlen der Abendsonne.

Ein Arzt, der sie nicht aus den Augen verlor, erzählt, sie sei ihm einen Augenblick lang bleich erschienen, als sie das Beil bemerkte. Aber die Farbe kehrte ihr wieder, und sie stieg festen Schrittes hinan. Als der Henker ihr das Brusttuch abreißen wollte, wurde das junge Mädchen in ihr wach, ihre Scham litt darunter, sie kürzte den Vorgang ab und kam selbst dem Tod zuvor.

Sogleich als der Kopf fiel, packte ihn ein Zimmermann, ein Anhänger Marats, der dem Henker zur Hand ging, mit roher Faust, zeigte ihn dem Volke und ohrfeigte ihn in schamloser Brutalität. Ein Schauder des Schreckens, ein Murmeln lief durch die Menge. Man meinte, den Kopf rot werden zu sehen. Vielleicht war das eine bloße optische Täuschung: die in diesem Augenblick verwirrte Menge hatte die roten Strahlen der Sonne im Auge, die durch die Bäume der Champs Elysées drang.

Die pariser Gemeindebehörden und der Gerichtshof gewährten dem allgemeinen Gefühl Genugtuung und steckten den Mann ins Gefängnis.

Trotz des Geschreies der Anhänger Marats, deren Zahl ungewöhnlich gering war, war der allgemeine Eindruck an Bewunderung und Mitgefühl sehr stark. Man kann das beurteilen an der Kühnheit, mit der die » Chronique de Paris [ * ] Die »Chronique de Paris« war ein girondistisches Blatt. Sie hatte übrigens schon am 11. und 12. Juli Anspielungen auf Marats Tod gebracht, wodurch der Bestand eines girondistischen Komplottes, das Charlotte Corday leugnete, nicht eben unwahrscheinlich wurde. R. K. , trotz der großen Abhängigkeit der Presse, es wagte, fast ohne Vorbehalt ein Lob auf Charlotte Corday zu drucken.

Viele Leute blieben bis ins Herz getroffen und haben sich niemals wieder erholt. Wir sahen die Erregung des Präsidenten, seine Anstrengung, sie zu retten, die Erregung des Anwalts, eines jungen, ängstlichen Menschen, der diesmal über sich selbst hinauswuchs. Die des Malers war nicht weniger groß. Er stellte in diesem Jahre ein Porträt Marats aus, vielleicht als Entschuldigung dafür, daß er Charlotte Corday gemalt hatte. Aber sein Name erscheint in keiner Ausstellung mehr. Er scheint seit jenem verhängnisvollen Werke nicht mehr gemalt zu haben.

Die Wirkung dieses Todes war furchtbar: er lehrte den Tod lieben.

Ihr Beispiel, die ruhige Unerschrockenheit eines reizenden Mädchens wirkte ansteckend. Mehr als einer, der sie gesehen hatte, fand eine düstere Wollust darin, ihr zu folgen, sie in den unbekannten Welten zu suchen. Ein junger Deutscher, Adam Lux, der nach Paris geschickt war, um die Vereinigung von Mainz mit Frankreich zu erbitten, verfaßte eine Broschüre, worin er zu sterben verlangt, um mit Charlotte Corday vereint zu sein. Dieser Unglückliche, der hierher gekommen war mit einem Herzen voll Begeisterung, in dem Glauben, mit der französischen Revolution dem reinen Ideal menschlicher Wiedergeburt ins Antlitz zu blicken, konnte die vorzeitige Trübung dieses Ideals nicht ertragen; er verstand nicht die allzu grausamen Heimsuchungen, die ein solches Gebären mit sich bringt. In seinem melancholischen Sinnen sieht er die Freiheit, als sie ihm verloren scheint, sie heißt Charlotte Corday. Er sieht sie vor Gericht, sie ist rührend, bewundernswert in ihrer Unerschrockenheit; er sieht sie, eine Königin in ihrer Hoheit auf dem Schafott... Zweimal erschien sie ihm ... Genug! Er hat den Tod davon.

»Ich glaubte wohl an ihren Mut,« erzählt er, »aber wie wurde mir, als ich sie in ihrem ganzen süßen Zauber erblickte, mitten unter dem Geschrei der Barbaren, ihren durchdringenden Blick, die schnellen, feuchten Strahlen, die aus ihren schönen Augen brachen, aus denen eine ebenso zarte wie unerschrockene Seele sprach. O unsterbliches Gedenken! Ihr süßen und bitteren Regungen, die ich niemals gekannt hatte!... Sie befestigen in mir die Liebe zu diesem Vaterlande, für das sie sterben wollte, und dessen Sohn – durch Adoption – auch ich bin. Ehren sollen sie mich jetzt mit ihrer Guillotine, sie ist nur noch ein Altar!« Seine reine und hohe Seele, sein verzücktes Herz betet Charlotte Corday an, doch betet er keineswegs den Mord an, den sie begangen.

»Man hat ohne Zweifel das Recht,« meint er, »Thronräuber und Tyrannen zu töten, aber dazu gehörte Marat nicht.«

Eine bemerkenswerte Milde des Herzens. Sie steht in starkem Widerspruch mit der Gewalttätigkeit eines großen Volkes, das den Mord zu lieben begann. Ich spreche von dem girondistischen Volke und sogar von den Royalisten. Ihr Wert bedurfte eines Heiligen und einer Legende. Charlotte rief eine ganz andere, eine viel poetischere Erinnerung wach als Ludwig XVI., der ein gewöhnlicher Märtyrer war und nichts Interessantes besaß als sein Unglück.

Eine Religion erwächst aus dem Blut Charlotte Cordays: die Religion des Dolches.

André Chénier dichtete eine Hymne auf die neue Gottheit:

»O Tugend! Der Dolch, der Erde einzige Hoffnung,
Ist deine heilige Wehr!«

Diese Hymne, wieder und wieder gedichtet in jeder Zeit und in allen Ländern, erschien schließlich an Europas Grenzen, in der »Hymne an den Dolch« von Puschkin.

Der alte Schutzherr heroischer Morde, Brutus, verblaßtes Andenken an ein fernes Altertum, tritt jetzt seine Herrschaft ab an eine neue Gottheit, die mächtiger und verführerischer ist. An wen denkt der junge Mann heute, der eine große Tat träumt, heiße er Alibando der Sand? Wen sieht er in seinen Träumen? Das Phantom des Brutus? Nein, die hinreißend schöne Charlotte, so, wie sie war, in dem düsteren Glanz des roten Mantels, in dem blutigen Widerschein der Julisonne, im Purpur des Abends. –


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