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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Catherine Théot, die Mutter Gottes. Robespierre als Messias (Juni 1794)

Die Zeit war reif für Schwärmerei. Das Übermaß der Aufregungen hatte die Vernunft gebrochen, gedemütigt, entmutigt. Von der Vendée abgesehen, wo man nur Wunder sah: ein Gott war erschienen in Artois. Im Jahre 1794 standen dort die Toten auf. Im Lyoner Lande hatte eine Prophetin großen Erfolg; hunderttausend Seelen, erzählt man, flehten dort um einen Wanderstab und gingen davon, ohne zu wissen wohin. In Deutschland breiten sich die zahllosen Sekten der Schwarmgeister nicht nur unter dem Volke, sondern auch in den höchsten Ständen aus; der König von Preußen gehörte dazu. Aber kein Mensch in Europa erregte bei diesen Mystikern ein so lebhaftes Interesse wie der erstaunliche Maximilian. War sein Leben, seine Erhebung zur höchsten Gewalt allein durch die Macht des Wortes nicht das größte aller Wunder? Er bekam mehrere Briefe, die ihn zum Messias erklärten. Ein paar Leute sahen deutlich das Sternbild Robespierre am Himmel. Am 2. August 1793 sprach der Präsident der Jakobiner, ohne ihn zu nennen, mit deutlicher Anspielung von dem »Heiland, dessen Ankunft bevorstünde«. Unzählige hatten sein Bild wie ein Heiligenbild zu Hause hängen. Frauen und sogar Generale trugen einen kleinen Robespierre auf der Brust, küßten das geweihte Bildchen und beteten es an. Merkwürdiger ist, daß selbst die, die ihn ständig sahen und in seiner nächsten Umgebung lebten, daß seine »frommen Frauen« – eine Baronin und eine Dame, die ihm beim Polizeiwesen half – ihn gleichfalls wie ein Wesen aus einer anderen Welt betrachteten. Sie falteten die Hände und sagten: »Ja, Robespierre, du bist Gott.«

Von dem kleinen (zerstörten) Hause, in dem der Sicherheitsausschuß seinen Sitz hatte, bis zu den Tuilerien, wo der Wohlfahrtsausschuß war, erstreckte sich ein dunkler Gang. Dahin legten die Polizisten die versiegelten Päckchen. Kleine Mädchen trugen die Briefe und Päckchen von da zu der großen Jüngerin des zukünftigen Heilands, der erwähnten Dame.

Ich habe an anderer Stelle von der alten Idiotin der Rue Montmartre gesprochen, die vor zwei Gipsfiguren den Satz murmelte: »Gott erhalte Manuel und Pétion [ * ] Manuel war Vorgänger Chaumettes als Prokurator der Kommune, Pétion war Bürgermeister von Paris. Beide wurden in den Sturz der Gironde verwickelt. R. K. ! Gott erhalte Manuel und Pétion!« Und so zwölf Stunden täglich. Zweifellos hat sie im Jahre 1794 ebensoviele Stunden für Robespierre gemurmelt.

Der strenge Cévenol, Rabaut-St. Étienne, hatte sehr richtig vorhergesagt, daß diese lächerlichen Possen, diese Umgebung von Kriechern und die Geduld, mit der Robespierre sie ertrug, der wunde Punkt, die Achillesferse seien, an der man den Helden durchbohren würde. Girey-Dupré schnitt die Sache in einer lustigen und beißenden Satire an, aber nur beiläufig. Und vielleicht war sie der Gegenstand des Lustspieles von Fabre d'Églantine, das man verschwinden ließ, und dessentwegen Fabre selbst wahrscheinlich verschwand.

Um jedoch die Anklage einbringen zu können, bedurfte es einer Tat, einer Gelegenheit, die man ergreifen konnte. Robespierre gab sie selbst.

Da er bei seinen Polizeiinstinkten unersättlich und gierig war auf Tatsachen, die er gegen seine Feinde und den von ihm befehdeten Sicherheitsausschuß verwenden konnte, so stöberte er gern in den Mappen dieses Ausschusses. Er fand darin Papiere, die sich auf die Herzogin von Bourbon bezogen, nahm sie mit und weigerte sich, sie wieder herauszugeben. Das weckte die Neugier. Der Ausschuß verschaffte sich Abschriften und sah, daß diese Robespierre so wichtige Sache den Illuminismus betraf.

Welchen geheimen Beweggrund hatte er, die Illuminaten zu schützen und zu verhindern, daß man ihre Angelegenheit verfolgte?

Diese Sekten sind den Politikern niemals gleichgültig gewesen. Der Herzog von Orléans [ * ] Der Herzog von Orléans war Großmeister der Freimaurerloge, der alle bekannten Männer der Revolution angehört haben. Auf diesem neutralen Boden fanden sich Männer von so verschiedener Partei- und Geistesrichtung wie Robespierre und Danton. Wichtige Akte der Revolution, wichtige Beschlüsse der Nationalversammlung – so wahrscheinlich die Nacht vom 4. August 1789 – wurden in den Logen vorbereitet. – Die Jansenisten, Anhänger des holländischen Bischofs Jansenius, dessen Lehre sich auf die Fundamentalsätze der Prädestination und der Gnade stützen. Jansenius verlangte strenge Frömmigkeit und Tugend. Er fand in Frankreich eine zahlreiche Gefolgschaft, die bald kirchenpolitisch sich zu betätigen begann. R. K. stand in innigen Beziehungen mit den Freimaurern und den Templern, deren Großmeister er gewesen sein soll. Die Jansenisten waren in der Zeit der Verfolgung eine geheime Gesellschaft geworden und hatten durch die ungemeine Geschicklichkeit, mit der sie auf geheimnisvolle Weise für die Verbreitung der »Kirchennachrichten« sorgten, die besondere Aufmerksamkeit der Jakobiner auf sich gezogen. Das geniale Gemälde, welches diesen Vorgang darstellte, bildete im Jahre 1790 den einzigen Schmuck der Bibliothek der Jakobiner. Robespierre wohnte von 1789–1791 in der Rue de Saintonge im Marais, in der Nähe der Rue de Touraine, fast an der Pforte des Heiligtums, wo die vom untergehenden Jansenismus Besessenen ihre letzten Wunder taten. Das Hauptwunder war die Kreuzigung der Frauen, die, wenn sie vom Kreuz herabstiegen, besser essen konnten als vorher. Es war leicht vorauszusehen, daß die Schwärmerei nach der Schreckensherrschaft einen neuen, gewaltigen Ausbruch erleben würde. Aber wer würde daraus Nutzen ziehen?

Im Schlosse der Herzogin predigte ein Adept; der Karthäuser Dom Gerle, ein Kollege Robespierres, in der Konstituierenden, der die Versammlung, als handelte es sich um etwas Alltägliches, durch die Forderung in Erstaunen setzte, sie solle den Katholizismus zur Staatsreligion erheben. Dom Gerle verlangte auch um die gleiche Zeit, daß die Versammlung die Weissagungen einer Verrückten, der jungen Suzanne Labrousse, als wahr erkläre. Dom Gerle blieb mit seinem früheren Kollegen immer in Verbindung; er besuchte ihn oft und ehrte ihn als seinen Beschützer; und zweifellos wohnte er, um ihm zu gefallen, ebenfalls bei einem Tischler. Er hatte von ihm einen Bürgerschein bekommen.

Der Karthäuser war ein guter Republikaner und trotzdem ein Prophet. In einer Dachkammer des Studentenviertels war der Geist über ihn gekommen mit Hilfe einer alten idiotischen Frau, die man die Mutter Gottes nannte. Bei den Mysterien der Catherine Théot (so hieß sie) leisteten zwei junge, reizende Frauen Hilfe, eine braune und eine blonde, sie wurden die »Sängerin« und die »Taube« genannt. Sie führten der Dachkammer Kundschaft zu. Royalisten gingen hin, Magnetiseure, Einfältige, Gauner, Dummköpfe. Wie weit sich ein so ernster Mensch wie Robespierre in solche Narrheiten einlassen konnte, weiß man nicht. Nur wußte man, daß die Alte drei Sessel hatte, einen weißen, einen roten und einen blauen; sie pflegte auf dem ersten zu sitzen, ihr Sohn, Dom Gerle, links von ihr auf dem zweiten; für wen aber war der andere, der Ehrensitz zur Rechten der Mutter Gottes? Sollte er nicht für einen älteren Sohn bestimmt sein, für den Heiland, der da kommen sollte?

So lächerlich die Sache an sich sein konnte, und aus welchem Interesse heraus man sie auch als solche dargestellt hat, so beweisen doch zwei Momente darin den Versuch einer groben Verbindung zwischen dem christlichen Illuminismus, dem revolutionären Mystizismus und der Inauguration einer Prophetenherrschaft.

»Das erste Insiegel des Evangeliums war die Verkündigung des Wortes, das zweite die Trennung der Kulte, das dritte die Revolution, das vierte der Tod der Könige, das fünfte die Vereinigung der Völker, das sechste der Kampf des Würgengels, das siebente die Auferweckung der Auserwählten durch die Mutter Gottes und die allgemeine Glückseligkeit, überwacht von den Propheten.

Wo wird die Mutter Gottes am Tage der Auferweckung sein? Auf ihrem Thron im Panthéon zwischen ihren Propheten

Der Spion Sénart, der sich aufnehmen ließ, um sie zu verraten, und sie dann auch verhaftete, fand, wie er erzählte, bei der Mutter Gottes einen in ihrem Namen geschriebenen Brief an Robespierre, als an ihren ersten Propheten, den Sohn des höchsten Wesens, den Erlöser, den Messias.

Die beiden Gascogner Barrère und Vadier, die zusammen den boshaften Bericht der Ausschüsse an den Konvent verfaßten, brachten (als Zutaten in den Hexensalat) ganz merkwürdige Dinge hinein; so zum Beispiel irgendein Bild des kleinen Capet [ * ] »Le petit Capet« ist der Dauphin, Ludwigs XVI. Sohn, der beim Schuster Simon untergebracht war. Er galt bei den Emigranten als Ludwig XVII. – Die Republik verbürgerlichte die Bourbonen und gab ihnen den Namen Capet, nach dem Gründer der Dynastie. Ludwig XVI. wurde so der »Bürger Capet«. R. K. , das man in Saint-Cloud gefunden hatte. Das gab einen Vorwand, in dem Bericht von Royalismus zu sprechen und von der Wiederaufrichtung des Königtums. Die aus der Fassung geratene Versammlung wußte zuerst nicht, was sie glauben sollte. Allmählich verstand sie. Unter dem düsteren und verdrießlichen Vortrag Vadiers spürte sie die mächtige Komik der Posse. Scherze im Munde eines Menschen, der seinen Ernst bewahrt, bringen oft ein tolles, unwiderstehliches Gelächter hervor. Die Wirkung war so gewaltig, daß die Versammlung selbst unter dem Beil der Guillotine, im Feuer und bei den größten Qualen gelacht hätte. Man wand sich auf den Bänken.

Begeistert beschloß man, der Bericht solle an die vierundvierzigtausend Gemeinden der Republik, an alle Behörden und an die Armeen geschickt werden. Eine Auflage von etwa hunderttausend wurde festgesetzt.

Nichts trug so unmittelbar zum Sturze Robespierres bei.


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