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Einundzwanzigstes Kapitel

Dantons zweite Frau. Die Liebe im Jahre 1793

Dem Sturz der Gironde folgte eine ungeheure Entmutigung. Die Sieger wurden fast ebenso davon befallen wie die Besiegten. Marat wurde krank. Vergniaud hielt es sogar nicht für unter seiner Würde zu fliehen. Danton suchte in einer zweiten Ehe gewissermaßen ein Alibi vor den politischen Geschäften.

Die Liebe spielt eine große Rolle in Vergniauds und Dantons Ende.

Der große girondistische Redner, der in der Rue de Clichy, in diesem damals verlassenen und völlig in Gärten liegenden Viertel, gefangen war, der weniger vom Konvent als von Fräulein Candeille gefangen gehalten wurde, schwankte zwischen Liebe und Zweifel hin und her. Würde ihm diese Liebe einer glänzenden Theaterdame in dem Untergang aller Dinge erhalten bleiben? Was er von sich selbst übrig behielt, das legte er in die bitteren Briefe, die er gegen die Montagne richtete. Das Verhängnis hatte ihn der Taten enthoben, und er bedauerte es nicht, da er es schön fand, so zu sterben, im Genuß der süßen Tränen, die eine Frau so leicht vergießt, und in dem Glauben, geliebt zu sein.

Danton bereitete sich zur selben Zeit den gleichen Selbstmord. Unglücklicherweise machten das damals sehr viele Männer ebenso. In dem Augenblick, wo die öffentliche Angelegenheit eine private wurde, eine Frage nach Leben oder Tod, sagen sie: »Die Geschäfte kommen morgen daran.« Sie schließen sich zu Hause ein, flüchten sich an den häuslichen Herd, zur Liebe, zur Natur. Die Natur ist eine gute Mutter, sie wird sie bald wieder aufnehmen und an ihrem Busen bergen.

Danton heiratete in der Trauerzeit. Seine erste, so sehr geliebte Frau war am 10. Februar gestorben. Und er hatte sie am 17. ausgegraben, um sie noch einmal zu sehen. Am 17. Juni war es, genau auf den Tag, vier Monate her, daß er in wahnsinniger Liebe, brüllend vor Schmerz die Erde geöffnet hatte, um im Grauen des Leichentuches die zu umarmen, in der seine Jugend, sein Glück und sein Erfolg gelebt hatten. Was sah er, was hielt er in den Armen – nach sieben Tagen!? Sicher ist, daß sie ihn in Wirklichkeit mit hinwegnahm.

Noch im Sterben hatte sie seine zweite Ehe, die so viel zu seinem Untergang beitrug, vorbereitet und sie gewollt. Da sie ihn leidenschaftlich liebte, so ahnte sie, daß er eine andere liebte, und wollte ihn glücklich machen. Überdies hinterließ sie zwei Kinder und glaubte, ihnen eine Mutter zu geben in einem jungen Mädchen, das erst sechzehn Jahre alt war, aber voll sittsamer Anmut, fromm wie Madame Danton selbst und aus royalistischer Familie. Die arme Frau, welche die Aufregungen des September und der schreckliche Ruf ihres Gatten tötete, glaubte zweifellos, ihn durch eine solche neue Ehe der Revolution zu entfremden, seine Umkehr vorzubereiten, ihn vielleicht zum heimlichen Verteidiger der Königin, des Kindes im Temple und aller Verfolgten zu machen.

Danton hatte im Parlament den Vater des jungen Mädchens, einen Gerichtsdiener, kennen gelernt. Als er Minister geworden war, verschaffte er ihm eine gute Stelle im Seedienst. Aber zu wie großem Danke auch die Familie Danton gegenüber verpflichtet sein mochte, sie zeigte sich seinen Heiratsabsichten keineswegs geneigt. Die Mutter, auf die der Schrecken seines Namens durchaus keinen Eindruck machte, warf ihm in dürren Worten die Septembermorde vor, die er nicht angestiftet hatte, und den Tod des Königs, den er gern gerettet hätte.

Danton hütete sich wohl, sich zu verteidigen. Er tat, was man in solchen Fällen zu tun pflegt, wenn man seinen Prozeß gewinnen will, oder wenn man verliebt und eilig ist: er bereute. Er gestand wahrheitsgemäß, daß er die Auswüchse der Anarchie mit jedem Tage schwerer ertrüge, daß er sich der Revolution schon sehr überdrüssig fühle, usw.

Wie er die Mutter abstieß, so gefiel er der Tochter gar nicht. Fräulein Louise Gély, eine zarte, hübsche Person, war in dieser bürgerlichen Familie alten Schlages – lauter anständige, mittelmäßige Leute – aufgewachsen und lebte ganz in den Anschauungen des alten Regimes. In Dantons Nähe empfand sie viel eher Staunen und ein wenig Furcht als Liebe. Diese merkwürdige Persönlichkeit, Mensch und Löwe in einem, blieb ihr unfaßbar. Es nützte ihm nichts, daß er seine Zahne abfeilte und seine Krallen verkürzte, sie fühlte sich nicht sicher vor diesem erhabenen Ungeheuer.

Dennoch war das Ungeheuer ein guter Mensch, aber alles, was groß in ihm war, kehrte sich gegen ihn. Die geheimnisvolle, wilde Energie, die poetische Häßlichkeit, über die hier und da helle Lichter huschten, die Stärke des mächtigen Mannes, aus dem eine lebendige Woge von Ideen, von unsterblichen Worten sprudelte! All das schüchterte das Herz des Kindes ein, krampfte es vielleicht zusammen.

Die Familie glaubte, seinem Drängen Einhalt zu tun, wenn sie ihm ein Hindernis zeigte, das sie für unübersteiglich hielt: die Notwendigkeit, sich den Zeremonien der katholischen Trauung zu unterwerfen. Jedermann wußte, daß Danton, Diderots wahrer Sohn, im Christentum nichts als Aberglauben erblickte und nur die Natur anbetete.

Aber gerade darum gehorchte dieser Sohn, dieser Hörige der Natur, unschwer. Ob man ihn an einen Altar oder an ein Götzenbild verwies, er ging dahin, er legte da den Eid ab. So groß war die Tyrannei seines blinden Begehrens. Die Natur war mit im Bunde; sie entfaltete plötzlich alle ihre verhaltenen Energien; der Frühling, ein wenig verspätet, brach in den brennenden Sommer hinein; die Rosenblüte begann. Niemals bestand ein solcher Gegensatz zwischen einer so triumphierenden Jahreszeit und einer so trübe verwirrten Lage. In seiner moralischen Gedrücktheit wog die Gewalt einer glühenden, leidenschaftliche Wünsche weckenden Temperatur um so schwerer. Unter diesem Antrieb wehrte sich Danton nicht lange, als man ihm sagte, daß er von einem ungehorsamen Priester den Segen empfangen müsse. Er wäre auch durch die Hölle gelaufen. Überdies war dieser Priester, der in einer Dachkammer hauste, gewissenhaft und fanatisch, er ließ Danton nicht los um einen gekauften Zettel. Er mußte, erzählt man, niederknien und das Bekenntnis heucheln, und so lästerte er in einer Handlung zwei Religionen zugleich: die unsrige und die der Vergangenheit.

Wo war denn der von unseren Versammlungen der Religion des Gesetzes geweihte Altar, der auf den Trümmern des alten Altars der Willkür und der Gnade stand? Wo war der Altar der Revolution, zu dem der gute Camille, Dantons Freund, seinen Neugeborenen trug und so künftigen Geschlechtern das erste Beispiel gab?

Diejenigen, die Dantons Bildnisse kennen, besonders die Skizzen, die David in den nächtlichen Sitzungen des Konvents heimlich von ihm zeichnete, wissen nicht, wie der Mann vom Löwen zum Stier, was sage ich, zum Wildschwein hinabsinken konnte, ein düsteres, gedrücktes, in seiner wilden Sinnlichkeit unleidliches Geschöpf.

Hier haben wir eine neue Gewalt, die in der blutigen Zeit, von der ich erzählen muß, ihre allmächtige Herrschaft antritt; eine erschlaffende Gewalt, eine schreckliche Gewalt, die die Kraft der Revolution unterwühlt und zerbricht. Unter der sichtbaren Strenge der republikanischen Sitten, unter den Schrecken und den Tragödien des Schafotts sind das Weib und die physische Liebe die Könige von 1793.

Da sieht man Verurteilte, die unbekümmert, die Rose im Munde, den Karren besteigen. Das ist das wahre Bild der Zeit. Sie geleiten den Menschen zum Tode, diese blutigen Rosen.

Danton, der ebenso geleitet und mitgerissen wurde, gestand es mit schamlos-schmerzlicher Naivität, deren Ausdruck man wohl milder verstehen muß. Man beschuldigte ihn, daß er eine Verschwörung anstifte. »Ich!« antwortete er. »Das ist unmöglich. Wie soll ein Mensch zum Handeln geneigt sein, der jede Nacht mit Leidenschaft der Liebe ergeben ist?«

Unter den melancholischen Liedern, die man noch hier und da hört, haben Fabre d'Églantine und andere die »Marseillaise der tötlichen Lüste« ausgelassen, die sehr oft in den Gefängnissen und sogar im Gerichtssaal und bis zum Fuß des Schafotts gesungen wurde. Die Liebe erscheint im Jahre 1793 als das, was sie ist: als die Schwester des Todes.


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