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Vierundzwanzigstes Kapitel

Robespierre bei Madame Duplay (1791–1795)

Ein kleines, unbedeutendes und abgeschmacktes Bild des siebzehnjährigen Robespierre stellt ihn mit einer Rose in der Hand dar, wahrscheinlich um anzudeuten, daß er schon Mitglied der Akademie der Rosati in Arras war. Er hält die Rose über dem Herzen. Unten steht der zarte Spruch: »Alles für meine Freundin.« (Sammlung Saint-Albin)

Blieb der Jüngling aus Arras, nach Paris verpflanzt, dieser sentimentalen Reinheit unveränderlich treu? Wir wissen es nicht. Vielleicht brachte ihn während der konstituierenden Versammlung die enge Freundschaft mit Lameth und anderen jungen Adeligen der Linken ein wenig davon ab. Vielleicht war er in den ersten Monaten dieser Versammlung, als er ihrer zu bedürfen glaubte und durch eine gemachte Begeisterung das Band enger knüpfen wollte, der Verderbnis der Zeit nicht fremd [ * ] Im Jahre 1790 gehörte er offenbar in den Kreis der Héloise; er hatte eine Geliebte (vgl. meine Geschichte Bd. II., S. 323). Ich zögere, in bezug auf seine Lebensführung im Jahre 1789 eine verdächtige Anekdote zu erzählen. Ich habe sie von einem berühmten, wahrheitsliebenden Künstler, einem Bewunderer Robespierres, der aber hatte sie seinerseits von Alexander de Lameth. Der Künstler begleitete eines Tages das alte Mitglied der Konstituierenden nach Hause, und dieses zeigte ihm in der Rue de Fleurus die frühere Stadtwohnung der Lameth und erzählte, Robespierre habe eines Abends bei ihnen gegessen und sich dann zur Rückkehr in seine Wohnung, Rue de Saintonge in Marais, fertig gemacht; er bemerkte, daß er seine Börse vergessen habe, und lieh einen Taler zu sechs Franken, den er, wie er sagte, nötig habe, weil er auf dem Heimwege zu einem Mädchen gehen wolle: »Das ist besser, als die Frauen seiner Freunde zu verführen.« – Wenn man glauben will, daß Lameth dieses Wort nicht erfunden hat, so ist die für mein Empfinden wahrscheinlichste Erklärung, daß Robespierre, der kürzlich in Paris gelandet war und sich von der fortgeschrittensten Partei in der Konstituierenden, das heißt dem jungen Adel, aufnehmen lassen wollte, es für nützlich hielt, deren Sitten, wenigstens in Worten, nachzuahmen. Es ist anzunehmen, daß er völlig unversehrt in sein anständiges Marais heimgekehrt ist. . Wenn es so war, so wird er geglaubt haben, auch darin seinem Meister Rousseau, dem Rousseau der »Bekenntnisse«, folgen zu müssen. Aber früh genug raffte er sich wieder auf, und niemand verbrachte sein Leben glücklicher in fortschreitender Läuterung. »Emile,« »Der Vikar aus Savoyen,« »Der Gesellschaftsvertrag« befreiten und veredelten ihn: er wurde wahrhaft Robespierre. In seiner Sittenstrenge hat er nicht mehr nachgelassen.

Wir sahen, wie er am Abend der Metzelei auf dem Marsfeld bei einem Tischler Zuflucht suchte; ein glücklicher Zufall wollte es so. Aber daß er wiederkam und sich dort festsetzte, das war keineswegs ein Zufall.

Bei der Rückkehr von seinem Triumph in Arras, nach der Konstituierenden, im Oktober 1791, hatte er mit seiner Schwester in der Rue Saint-Florentin, einer vornehmen, aristokratischen Straße, deren adelige Bewohner emigriert waren, eine Wohnung bezogen. Charlotte de Robespierre besaß einen harten, unbeugsamen Charakter und war, als ihre erste Jugend vorbei war, verbittert wie eine alte Jungfer; ihre Haltung und ihr Geschmack verrieten den Provinzadel; sie wäre gar zu gern große Dame gewesen. Robespierre, feiner und femininer, hatte dennoch in seiner steifen Haltung, seinem langweiligen, aber gepflegten Äußeren etwas von einem Parlamentsaristokraten. Er sprach immer gewählt, selbst im vertraulichen Beisammensein, seine literarischen Neigungen gingen auf die edlen oder die weitschweifigen Schriftsteller, auf Racine und Rousseau.

Er war nicht Mitglied der gesetzgebenden Versammlung. Er hatte die Stellung eines Staatsanwalts ausgeschlagen; denn er meinte, die Angeklagten hätten ihn, da er sich heftig gegen sie ausgesprochen hatte, als persönlichen Feind ablehnen können. Man vermutete auch, daß es ihm zu große Mühe gekostet hätte, seinen Widerwillen gegen die Todesstrafe zu überwinden. In Arras hatte dieser ihn bestimmt, seine Stellung als Kirchenrichter aufzugeben. In der konstituierenden Versammlung hatte er sich gegen die Todesstrafe, gegen das Kriegsgesetz und gegen alle gewaltsamen Maßregeln für die öffentliche Wohlfahrt erklärt, die seinem Herzen zu sehr zuwidergingen.

In diesem Jahre, vom September 1791 bis September 1792, spielte Robespierre, da er ohne öffentliche Ämter, ohne Auftrag und ohne andere Beschäftigung war als die eines Journalisten und Mitglieds der Jakobiner, eine weniger große Rolle. Die Girondisten waren die Hauptspieler; sie hatten glänzende Erfolge, da sie in der Kriegsfrage mit dem nationalen Empfinden völlig übereinstimmten. Robespierre und die Jakobiner vertraten den Grundsatz des Friedens, der außerordentlich unpopulär war und ihnen sehr schadete. Zweifellos bedurfte die Volkstümlichkeit des großen Demokraten um diese Zeit einer gründlichen Stärkung und Verjüngung. Er hatte lange und unermüdlich geredet und drei Jahre lang die Aufmerksamkeit beschäftigt und ermüdet; schließlich erlebte er seinen Triumph und seine Krönung. Es stand zu befürchten, daß der König Publikum, launisch wie alle Könige und leicht zu übersättigen, ihn genug gelohnt zu haben glaubte und seine Gunst einem anderen Bevorzugteren zuwenden würde.

Robespierres Art zu sprechen konnte sich nicht ändern, er hatte nur einen Stil; sein Schauplatz konnte sich ändern und sein sich in Szene setzen. Ein Hebel war nötig. Robespierre brauchte ihn nicht zu suchen, er kam gewissermaßen zu ihm. Er nahm ihn an, ergriff ihn und betrachtete es zweifellos als eine glückliche Fügung der Vorsehung, daß er bei einem Tischler wohnte.

Die Inszenierung gilt viel im revolutionären Leben. Marat hatte es instinktiv gefühlt. Er hätte sehr bequem an seiner ersten Zufluchtsstätte, auf dem Speicher des Schlächters Legendre, bleiben können; er zog den finsteren Keller der Cordeliers vor; dieser unterirdische Schlupfwinkel, aus dem jeden Morgen seine glühenden Worte hervorbrachen wie aus einem unbekannten Vulkan, berauschte seine Einbildungskraft; sie mußte auch die des Volkes ergreifen. Marat, der ein großer Nachahmer war, wußte sehr gut, daß im Jahre 1788 der belgische Marat, der Jesuit Feller, aus der Wahl seines Wohnsitzes, der hundert Fuß unter der Erde, tief unten in einer Kohlengrube war, großen Vorteil für seine Volkstümlichkeit gezogen hatte.

Robespierre hätte weder Feller noch Marat nachgeahmt, aber er ergriff gern die Gelegenheit, Rousseau nachzuahmen, das Buch, das er unaufhörlich im Munde führte, in die Tat umzusetzen und den »Emile« mit möglichster Treue zu kopieren.

Er war gegen Ende des Jahres 1791 krank in der Rue Saint-Florentin, krank durch Überanstrengung, krank durch eine ihm ungewohnte Tatlosigkeit, krank auch durch seine Schwester; da kam Madame Duplay und machte Charlotte eine furchtbare Szene, weil sie sie nicht von der Krankheit ihres Bruders benachrichtigt hatte. Sie ging nicht weg, ohne Robespierre mitzunehmen, der es mit gutem Anstand geschehen ließ. Sie brachte ihn trotz der Enge der Wohnung bei sich zu Hause unter, in einer sehr sauberen Mansarde, in die sie die besten Möbel des Hauses stellte, ein recht schönes blau und weißes Bett und einige gute Stühle. Ganz neue Fächer aus Tannenholz standen ringsumher für die wenig zahlreichen Bücher des Redners; seine sehr zahlreichen Reden, Berichte, Druckschriften usw. füllten das übrige. Mit Ausnahme von Rousseau und Racine las Robespierre nur Robespierre. An den Wänden hatte die liebende Hand Madame Duplays überall die Bilder und Porträts aufgehängt, die man von ihrem Abgott gemacht hatte; wohin er sich umwandte, er konnte es nicht vermeiden, sich selbst zu sehen; rechts und links Robespierre, Robespierre noch einmal und immer wieder Robespierre.

Dem geschicktesten Politiker, der das Haus eigens zu diesem Zwecke erbaut hätte, wäre es nicht so gut gelungen, wie es der Zufall gemacht hatte. Wenn es auch nicht ein Keller war, wie Marats Wohnung, so wog der schmutzige, dunkle Hof mindestens einen Keller auf. Das niedrige Haus, dessen grünliche Ziegel von Feuchtigkeit zeugten, mit seinem luftlosen Dachgärtchen, stand wie erstickt zwischen den riesigen Häusern der rue Saint-Honoré, wo um diese Zeit in buntem Gemisch Bankleute und Adelige wohnten. Weiter unten lagen die fürstlichen Häuser der Vorstadt und die glänzende Rue Royale mit der bösen Erinnerung an die fünfzehnhundert Menschen, die bei der Hochzeit Ludwigs XVI. erstickt waren. Oben lagen die Paläste der Generalsteuerpächter auf dem Place Vendôme, die von dem Schweiß des Volkes erbaut waren.

Wie waren die Eindrücke der Besucher Robespierres, seiner Anhänger, seiner zu ihm pilgernden Verehrer, wenn sie in diesem ruchlosen Viertel, wo alles ihren Augen weh tat, den »Gerechten« zu sehen kamen? Schon das Haus redete eine deutliche Sprache. Schon auf der Schwelle wiederholte ihnen der Anblick des ärmlichen und trüben Hofes, die Werkstätte, der Hobel, die Bretter, das Wort des Volkes: »Hier wohnt der Unbestechliche«. – Und wenn sie die Treppe hinaufstiegen zur Mansarde, so wurden sie in ihrem Eindruck noch bestärkt: sauber und ärmlich, sichtlich ein Arbeitsraum, ohne anderen Schmuck als auf den Tannenbrettern die Papiere des großen Mannes, legte sie beredtes Zeugnis ab von seiner unermüdlichen Tätigkeit, einem gänzlich dem Volk geweihten Leben. Da war nichts von der theatralischen, gaukelhaften Art des verrückten Marat, der in seinem Keller sein Wesen trieb und in Wort und Gebaren stets veränderlich war. Hier gab es keine Willkür, alles war geregelt, ehrbar, ernst. Man wurde gerührt, man glaubte, zum erstenmal in dieser Welt das Haus der Tugend erblickt zu haben.

Dabei ist jedoch darauf zu achten, daß bei genauem Hinblick das Haus keine Handwerkerwohnung war. Das erste Möbel, dessen man in dem kleinen Salon unten ansichtig wurde, bewies es deutlich genug. Es war ein Klavier, damals selbst bei Bürgern ein seltener Gegenstand. Das Instrument ließ auf die Erziehung schließen, welche die Fräulein Duplay, jede für sich, wenigstens einige Monate lang in dem benachbarten Kloster erhielten. Der Tischler war nicht gerade ein Tischler, sondern eher ein Unternehmer in der Bauschreinerei. Das Haus war klein, aber schließlich war es sein Eigentum; er wohnte in seinem Heim.

Hier hatte alles zwei Seiten; einerseits waren es Leute aus dem Volke, und dann auch wieder nicht aus dem Volke; sie kamen, wenn man will, aus dem betriebsamen, fleißigen Volke und waren durch Mühe und Arbeit erst kürzlich zu Kleinbürgern geworden. Der Übergang war sichtbar. Der Vater, ein hitziger, rauher Biedermann, die Mutter, eine willensstarke, heftige Frau, beide voll von Energie und Herzlichkeit, waren echte Leute aus dem Volk. Die jüngste der vier Töchter besaß noch deren Schwung und Feuer; die anderen legten es schon ab, besonders die älteste, welche die Patrioten mit respektvoller Höflichkeit Fräulein Cornelia nannten. Sie war bestimmt ein Fräulein; sie verstand auch Racine, als Robespierre einige Male im Familienkreise vorlas. Bei allem, was sie tat, im Haushalt wie am Klavier, hatte sie einen anmutig-strengen Stolz; mochte sie der Mutter in der Werkstatt helfen, beim Waschen oder bei der Zubereitung des Familienmahles, sie blieb immer Cornelia.

Robespierre verlebte hier, fern der Rednertribüne, ein Jahr als Schriftsteller und Journalist, den ganzen Tag bereitete er die Artikel und Reden vor, die er abends bei den Jakobinern vortragen sollte; – ein Jahr, das einzige, das er in dieser Welt wirklich gelebt hat.

Madame Duplay fand es wunderschön, ihn da zu haben, und umgab ihn mit ängstlicher Hut. Man sieht es an der Lebhaftigkeit, mit der sie dem Ausschuß vom 10. August, der einen sicheren Ort in ihrem Hause suchte, erklärte: »Geht wieder fort, sonst stellt ihr Robespierre bloß.«

Er war das Kind des Hauses, der Abgott. Alle widmeten sich ihm. Der Sohn diente ihm als Sekretär und schrieb seine Reden wieder und wieder ab, so oft sie durchgestrichen waren. Der Vater Duplay und der Neffe hörten ihm unermüdlich zu und verschlangen alle seine Worte. Die Fräulein Duplay betrachteten ihn als einen Bruder; die jüngste, lebhaft und reizend, ließ keine Gelegenheit vorübergehen, den bleichen Redner zu erheitern. Bei einer solchen Gastfreundschaft wäre kein Haus trübe gewesen. Auf dem kleinen Hofe, der von Familienmitgliedern und Arbeitern belebt war, fehlte es nicht an Bewegung. Wenn Robespierre in seiner Mansarde eine Pause machte und von dem Tisch aus Tannenholz, an dem er schrieb, die Augen erhob, dann sah er vom Hause zum Schuppen, vom Schuppen zum Hause Fräulein Cornelia oder eine ihrer liebenswürdigen Schwestern gehen und kommen. Wie sehr mußte er in seinen demokratischen Gedanken durch ein so trautes Bild vom Leben des Volkes bestärkt werden. Das Volk – aber ohne seine Gemeinheit, ohne sein Elend und seine Laster, diese Gefährten des Elends! Dieses zugleich volkstümliche und edle Leben, bei welchem die häuslichen Sorgen an Bedeutung gewinnen durch die moralische Vornehmheit derjenigen, die sie auf sich nehmen! Die Schönheit, die den Haushalt führt, selbst im niedrigsten Stande, die Vortrefflichkeit des von lieber Hand bereiteten Mahles! – Wer hat nicht all das gefühlt? Und ich zweifele nicht, daß gerade der unglückliche Robespierre in seinem armen, dunklen, künstlichen Leben, das ihm die Verhältnisse von Geburt an bereitet hatten, den Reiz dieses naturgemäßen Lebens gefühlt und seinen milden Schein genossen hat.

Selbstverständlich war es schwierig, einer solchen Familie eine Entschädigung zu bieten. Ein abgefallener Jakobiner machte eines Tages Robespierre den Vorwurf, »daß er das Haus Duplay ausbeute, sich von ihnen ernähren lasse, wie Tartüffe von Orgon«, ein niedriger und grober Vorwurf von einem Manne, der unwürdig war, die Brüderlichkeit der Zeit und das Glück der Freundschaft zu empfinden.

Sicher ist, daß Robespierre nur unter der Bedingung, Pension zu zahlen, zu Madame Duplay zog. Das gebot ihm sein Zartgefühl. Man widersprach ihm nicht; man ließ ihn reden. Vielleicht mußte man sogar in den ersten Monaten, um ihn zufrieden zu stellen, Geld annehmen. Aber in dem furchtbaren Sturm seines kurzen Geschickes, im Drange eines jeden Tages verlor er die Sache aus den Augen und war überdies zweifellos des festen Glaubens, seine Freunde auf andere Weise schadlos zu halten. Er besaß tatsächlich nur sein Gehalt als Abgeordneter, das er sogar oft anzurühren vergaß. Wenn er die Pension für seine Schwester bezahlt, einige Ausgaben für Wäsche und Kleidungsstücke gemacht und den kleinen Savoyarden am Wege ein paar Sous gegeben hatte, so blieb ihm genau nichts mehr übrig. Die zehntausend Francs, die man am 9. Thermidor bei ihm gefunden haben will, sind ein Märchen seiner Feinde. Er schuldete damals Madame Duplay viertausend Francs Pension.


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