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Zwölftes Kapitel

Théroigne de Méricourt (1789-1793)

Es ist ein sehr guter Kupferstich vorhanden von der schönen, tapferen, unglücklichen Frau aus Lüttich, die am 5. Oktober durch ihre kraftvolle Initiative das flandrische Regiment gewann, die Stütze des Königtums zerbrach, die am 10. August unter den ersten der Kämpfenden mit dem Degen in der Hand das Schloß betrat und aus der Hand der Sieger eine Krone empfing. – Unglücklicherweise gibt dieses Bild, das in der Salpêtrière gezeichnet wurde, als sie schon geistesgestört war, nur eine schwache Vorstellung von der heroischen Schönheit, die das Herz unserer Väter entzückte und sie in einer Frau sogar das Ebenbild der Freiheit erblicken ließ.

Der runde, starke Kopf (echter Lütticher Schlag), das schwarze, ein wenig vorstehende, ein wenig harte Auge hat sein Feuer nicht verloren. Die Leidenschaft lebt noch darin und die Spur der glühenden Liebe, in der dieses Mädchen lebte und starb, – nicht der Liebe zu einem Manne, so sonderbar das klingen mag angesichts eines solchen Lebens, sondern der Liebe zur Idee, der Liebe zur Freiheit und zur Revolution.

Das Auge des armen Mädchens ist dennoch keineswegs irr; es ist voll bittern Kummers, voll Vorwurf und Schmerz, voll von wehen Gefühls für eine so große Undankbarkeit. Übrigens hat die Zeit nicht weniger als das Unglück ihre Zeichen eingeschrieben. Die Züge sind grober geworden und haben etwas Plumpes angenommen. Mit Ausnahme der schwarzen Haare, die von einem Tuch zusammengehalten werden, ist alles vernachlässigt, der Busen nackt, ein Überrest ihrer Schönheit, ein Busen in reinen, festen, jungfräulichen Formen, der gleichsam Zeugnis dafür ablegt, das die Unglückliche, die sich für die Leidenschaften anderer verschwendete, selbst wenig vom Leben hatte.

Um diese Frau zu verstehen, müßte man ihre Heimat, das wallonische Land von Tournai bis Lüttich kennen, müßte man vor allem Lüttich selbst kennen, unser wackeres kleines Frankreich an der Maas, das als Vorposten weit ab mitten unter der deutschen Bevölkerung der Niederlande liegt. Ich habe seine ruhmvolle Geschichte im fünfzehnten Jahrhundert erzählt, als diese heldenmütige Bevölkerung einer einzelnen Stadt, oft beinahe aufgerieben, doch niemals besiegt, ein großes Reich bekämpfte, als dreihundert Männer aus Lüttich in einer Nacht ein Lager mit vierzigtausend Menschen angriffen, um Karl den Kühnen zu töten. (Geschichte Frankreichs, Bd. VI.) Bei der Behandlung unserer Kriege vom Jahre 1793 habe ich geschildert, wie ein wallonischer Arbeiter, ein Fechter von Profession aus Tournai, der Blechschmied Meuris, durch ein Opfer, das an dasjenige der erwähnten dreihundert erinnert, die Stadt Nantes rettete, wie die Vendée dort beinahe zum Heile Frankreichs dem Untergang verfiel. [ * ] Wild und blutig war der Krieg der Vendée. Vierzigtausend Vendéer griffen im Juni 1793 Nantes an, wurden aber von einer republikanischen Armee geschlagen. Als nun die Republik einen Vernichtungskrieg gegen die Vendée beschloß, verließen die Bewohner das Land. 20-30 000 Menschen zogen in die Bretagne, wurden jedoch auf die Loire zurückgedrängt und überschwemmten Nantes. Die Einwohner von Nantes steckten sie in die Gefängnisse, die bald überfüllt waren. Nun rückte die »königliche« Armee der Vendéer zum zweitenmal auf Nantes vor. Entsetzliche Grausamkeiten bezeichneten ihren Weg. In Montaigu z. B. wurde ein großer Brunnen mit lebenden republikanischen Soldaten vollgestopft, dann warf man schwere Steine darauf. Lebendige Menschen wurden bis zum Hals begraben, und man vergnügte sich damit, den Kopf alle möglichen Qualen ausstehen zu lassen. In Nantes wußte man also, was bevorstand, wenn es dieser Armee gelang, die Stadt zu nehmen. Die patriotischen Waffenfähigen waren gering an Zahl, dazu bildeten die tausende vendéeische Auswanderer in der Stadt eine große Gefahr. Deren mußte man sich entledigen. Und der gräßliche Ruf: »Alle ins Wasser!« scholl durch die Stadt. Man fing mit den Priestern an und ersäufte schließlich mehr als zweitausend Männer und Frauen. – Inzwischen beschloß der Wohlfahrtsausschuß erneut eine energische Aktion gegen die Vendée. Nantes wurde entsetzt. Man schlug sechzehn verschanzte Lager aus und ließ zwölf »höllische Kolonnen« auf das Land los, um es zu verheeren, die Hütten der Bauern niederzubrennen und die Einwohner zu ermorden. R. K.

Um Théroigne zu verstehen, müßte man ferner das Schicksal der Stadt Lüttich kennen, dieses Martyrium der Freiheit am Beginn der Revolution. Der schlimmsten Tyrannei, den Priestern, untertan, machte sie sich für zwei Jahre frei, doch nur, um unter die Herrschaft ihres Bischofs zurückzufallen, der von Osterreich wieder eingesetzt wurde. Die Lütticher flohen in Massen zu uns, sie glänzten in unseren Heeren durch ihre wilde Tapferkeit und ragten nicht weniger in unseren Klubs durch ihre zornige Beredsamkeit hervor. Sie waren unsere Brüder oder unsere Kinder. Das ergreifendste Fest der Revolution war vielleicht jenes, an dem die Kommune bei ihrer feierlichen Aufnahme die Archive von Lüttich durch Paris trug, bevor sie sie bei sich im Rathaus barg.

Théroigne war die Tochter eines wohlhabenden Pächters, der ihr eine gewisse Erziehung angedeihen ließ; sie besaß einen sehr lebendigen Geist und viel natürliche Beredsamkeit: diese nördliche Rasse hat viel Südliches in sich. Von einem vornehmen Deutschen verführt und verlassen, wurde sie in England sehr bewundert und war von Liebhabern umgeben; sie zog ihnen allen einen italienischen Sänger vor, einen alten häßlichen Kastraten, der sie ausplünderte und ihre Diamanten verkaufte. Sie ließ sich damals im Gedenken an ihre Heimat (die Campine) Gräfin de Campinados nennen. In Frankreich richteten sich ihre Leidenschaften ebenfalls auf solche Männer, die der Liebe abgeneigt waren. Sie erklärte, das ausschweifende Leben Mirabeaus zu verabscheuen; sie liebte nur den trockenen und kalten Sieyès, einen geborenen Feind der Frauen. Sie zeichnete noch einen anderen ernsten Mann aus, einen derer, die später den Kultus der Vernunft begründeten, den Erfinder des republikanischen Kalenders, den Mathematiker Romme, dessen Gesicht ebenso häßlich war wie sein Herz rein und groß; er durchbohrte dieses Herz an dem Tage, als er die Republik tot glaubte. Romme kam im Jahre 1789 aus Rußland; er war Hofmeister des jungen Prinzen Strogonoff und trug kein Bedenken, seinen Schüler in die Salons der Lütticherin einzuführen, in denen Männer wie Sieyès und Pétion verkehrten. Das mag genügen, um darzutun, daß Théroigne, welcher Art auch ihre zweifelhafte Stellung sein mochte, kein junges Mädchen war.

Ganze Tage verbrachte sie in der Nationalversammlung und verlor kein Wort von dem, was da geredet wurde. Einer der gemeinsten Scherze der Royalisten, welche die »Taten der Apostel« redigierten, war, daß sie Théroigne mit dem Abgeordneten Populus, der sie nicht einmal kannte, verheiratet sein ließen.

Wenn Théroigne sonst nichts getan hätte, so wäre sie unsterblich durch einen prachtvollen Aufsatz Camille Desmoulins' über eine Sitzung der Cordeliers. Hier ist der Auszug, den ich bei anderer Gelegenheit daraus gemacht habe:

»Der Redner wird unterbrochen. Ein Geräusch entsteht an der Türe, ein angenehmes, beifälliges Murmeln. Eine junge Frau tritt ein und will reden. Wahrhaftig! Das ist niemand anders als Fräulein Théroigne, die schöne Amazone aus Lüttich. Da ist auch ihr Rock aus roter Seide, ihr großer Säbel vom 5.Oktober. Die Begeisterung nimmt überhand. ›Das ist die Königin von Saba,‹ schreit Desmoulins, ›die den Salomo der Distrikte‹ besuchen will.‹

Schon hat sie mit leichtem Panthertritt die Versammlung durchschritten und ist auf die Tribüne gestiegen. Ihr hübscher, geistvoller Kopf mit den blitzenden Augen erscheint zwischen den düsteren, apokalyptischen Gestalten Dantons und Marats.

›Wenn ihr wirklich Salomone seid,‹ sagt Théroigne, ›so müßt ihr es beweisen, ihr müßt den Tempel bauen, den Tempel der Freiheit, den Palast der Nationalversammlung. Und ihr müßt ihn auf dem Platz erbauen, wo die Bastille stand.

Wie! Während die ausführende Gewalt den schönsten Palast des Alls bewohnt, den Pavillon der Flora und die Kolonnaden des Louvre, haust die gesetzgebende Gewalt noch unter Zelten, im Ballhaus, in der Reitbahn, wie die Taube Noahs, die kein Fleckchen finden konnte, ihren Fuß darauf zu setzen!

Das kann so nicht bleiben. Die Völker müssen, schon wenn sie die Gebäude betrachten, in denen die beiden Gewalten wohnen, durch den Anblick allein erkennen, wo der wahre Herrscher thront. Was ist ein Herrscher ohne Palast? Ein Gott ohne Altar! Woran kann man erkennen, wie er verehrt wird?

Bauen wir diesen Altar! Und alle sollen dazu beitragen! Alle sollen ihr Gold, ihre Edelsteine bringen; hier sind die meinigen. Bauen wir den einzigen, wahren Tempel! Kein anderer ist Gottes würdig als der, in dem die Erklärung der Rechte des Menschen verkündet wurde. Paris, der Wächter dieses Tempels, wird dann weniger eine Stadt, als das allen gemeinsame Vaterland sein, der Wallfahrtsort der Völker, ihr Jerusalem.‹«

Als Lüttich im Jahre 1791, von den Österreichern unterdrückt, seinem geistlichen Tyrannen zurückgegeben wurde, ließ Théroigne ihr Vaterland nicht im Stich. Aber sie wurde von Paris bis Lüttich verfolgt und im Augenblick der Ankunft festgenommen mit der Begründung, sie sei des auf die Königin von Frankreich, Schwester des Kaisers Leopold, am 6. Oktober verübten Attentats schuldig. Sie wurde nach Wien gebracht, aber aus Mangel an Beweisen nach längerer Zeit freigelassen und kam zurück, höchst erbittert besonders auf die Agenten der Königin, die sie verfolgt und ausgeliefert hätten. Sie schrieb ihr Abenteuer nieder und wollte es drucken lassen; sie hatte, so erzählt man, einige Seiten daraus den Jakobinern vorgelesen, als der 10. August hereinbrach.

Zu den Menschen, die sie am meisten haßte, gehörte der Journalist Suleau, einer der wütendsten Agenten der Gegenrevolution. Sie zürnte ihm nicht nur wegen der Spöttereien, mit denen er sie geärgert hatte, sondern weil er in Brüssel bei den Österreichern eins der Blätter herausgegeben hatte, welche die Revolution in Lüttich erstickten: die »Sturmglocke der Könige«. Suleau war gefährlich, nicht nur durch seine Feder, sondern auch durch seinen Mut und durch seine unendlich ausgedehnten Verbindungen in seiner Provinz und anderswo. Montlosier erzählt, daß Suleau bei einer Gefahr ihm sagte: »Ich werde im Bedarfsfalle Ihnen meine ganze Pikardie zur Hilfe schicken.« Suleau war außergewöhnlich tätig; er konnte sich vervielfachen; man begegnete ihm oft verkleidet. Lafayette behauptete im Jahre 1790, daß man ihn so fände, wenn er abends das Haus des Erzbischofs von Bordeaux verließ. Auch diesmal, am Morgen des 10. August, war er verkleidet und bewaffnet, in dem Augenblick, als die Wut des Volkes ihren Gipfel erreicht hatte, als die Menge, trunken von dem Fortschritt des Kampfes, den sie begonnen hatte, nur nach Feinden suchte; Suleau wurde ergriffen und war verloren. Man nahm ihn fest bei einer Patrouille unechter Royalisten, die mit Büchsen bewaffnet waren und eine Rekognoszierung rings um die Tuilerien unternahmen.

Théroigne erging sich mit einem Nationalgardisten auf der Terrasse der Feuillants, als man Suleau gefangen nahm. Wenn er umkommen sollte, so durfte wenigstens nicht sie ihn in den Tod befördern. Die Witze selbst, die er auf sie gemacht hatte, hätten ihn schützen müssen. Vom Standpunkte der Ritterlichkeit aus mußte sie ihn verteidigen; vom damals herrschenden Standpunkte aus, dem wilden Eifer, die Republikaner des Altertums nachzuahmen, mußte sie den öffentlichen Feind vernichten, obgleich er auch ihr persönlicher Feind war. Ein Kommissar stieg auf ein Gerüst und versuchte, die Menge zu beruhigen; Théraigne warf ihn herab, stieg an seine Stelle und sprach gegen Suleau. Zweihundert Mann von der Nationalgarde verteidigten die Gefangenen; man erlangte vom Bezirksvorstand einen Befehl, jeden Widerstand aufzugeben. Einer nach dem andern wurden sie aufgerufen und von der Menge erwürgt. Suleau bewies großen Mut, erzählt man, er entriß den Würgern einen Säbel und versuchte, sich Bahn zu machen. Um die Erzählung auszuschmücken, fügt man als wahr hinzu, daß das Mannweib (die klein und sehr zart war, trotz ihrer glühenden Energie) mit eigener Hand den großen, starken Mann, dessen Kraft die Verzweiflung verzehnfacht hatte, niedergemacht habe. Andere sagen, daß es der Nationalgardist war, der Théroigne seinen Arm lieh und den ersten Hieb führte.

Ihre Teilnahme am 10. August, die Krone, die ihr die siegreichen Marseilleser zuerkannten, hatten die Bande befestigt, die sie an die Girondisten, die Freunde dieser Marseilleser knüpften, die sie hatten kommen lassen. Sie schloß sich ihnen noch mehr an durch den gemeinsamen Abscheu vor den Septembermorden, die sie energisch brandmarkte. Im April 1792 hatte sie mit Robespierre völlig gebrochen, indem sie in einem Kaffeehause stolz erklärte, daß, wenn er ohne Beweis Verleumdungen ausspräche, »sie ihm ihre Achtung entziehen würde«. Die Sache, die am Abend von Collot-d'Herbois den Jakobinern in ironischer Färbung erzählt wurde, trug der Amazone einen belustigenden Wutanfall ein. Sie stand auf einer Galerie, mitten unter Anhängern Robespierres. Trotz der Anstrengungen, die man machte, um sie zurückzuhalten, sprang sie über die Schranke, welche die Galerien vom Saale trennte, durchbrach die feindliche Menge und bat vergebens ums Wort; man hielt sich die Ohren zu, da man eine Lästerung gegen den Tempelgott zu hören fürchtete; man verjagte Théroigne, ohne sie anzuhören.

Sie war noch sehr populär, von der Menge geliebt und bewundert wegen ihres Mutes und ihrer Schönheit. Man ersann ein Mittel, ihr dieses Ansehen zu nehmen und sie durch eine der feigsten Gewalttätigkeiten zu erniedrigen, die ein Mann einer Frau zufügen kann. Sie ging fast allein auf der Terrasse der Tuilerien spazieren; da bildete man eine Gruppe um sie und schloß diese plötzlich, ergriff sie, hob ihr die Röcke auf und prügelte sie auf den entblößten Körper wie ein Kind, unter dem Hohngelächter der Menge. Ihre Bitten, ihre Schreie, ihr verzweifeltes Heulen vermehrten nur das Gewieher dieser zynischen, grausamen Menge. Als man die Unglückliche schließlich frei ließ, setzte sie ihr Heulen fort; durch diesen barbarischen Schimpf in ihrer Würde und ihrem Mute tötlich getroffen, hatte sie den Verstand verloren. Von 1793 bis 1817, vierundzwanzig lange Jahre (die Hälfte ihres Lebens!) blieb sie tobsüchtig und heulte wie am ersten Tag. Es war ein herzzerbrechender Anblick, wie diese einst heldenmütige und bezaubernde Frau, noch unter das Tier gesunken, gegen die Eisengitter rannte, sich selbst zerkratzte und ihren Kot aß. Den Royalisten gefiel es, darin eine Rache Gottes an derjenigen zu erblicken, deren verhängnisvolle Schönheit die Revolution in ihren ersten Tagen berauschte.


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