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Dritter Teil

Die Führerinnen (Fortsetzung)

Vierzehntes Kapitel

Madame Roland (1791–1792)

Um die Republik zu wollen, sie in die Seelen zu tragen, sie zu schaffen, war es nicht getan mit einem edlen Herzen und einem großen Geiste. Noch etwas anderes war nötig. Und was? Die Jugend, die junge Seele, die Wärme des Blutes, die fruchtbare Blindheit, die schon in der Welt erfüllt sieht, was nur erst im Herzen ist, und die, wenn sie es sieht, es auch erschafft. Man mußte den Glauben haben!

Eine gewisse Harmonie, nicht nur des Willens und der Ideen, sondern auch der republikanischen Gewohnheiten und Sitten war nötig; in sich mußte man die innere Republik tragen, die moralische Republik, die einzige, welche die politische Republik rechtfertigt und sie auf festen Grund stellt; ich meine, man muß Selbstbeherrschung besitzen, seine eigene Demokratie, man muß seine Freiheit im Gehorsam gegen die Pflicht finden. Und dann mußte noch solch eine starke und tugendhafte Seele – und das scheint ein Widerspruch zu sein – einen Augenblick der Leidenschaft haben, der sie aus sich selbst herausgehen ließ und sie zur Tat trieb.

In den bösen Tagen der Erschlaffung, der Ermüdung, als der Glaube an die Revolution nachließ, holten sich mehrere Abgeordnete und bedeutende Journalisten der Zeit neue Kraft und neuen Mut in einem Hause, wo diese beiden Eigenschaften niemals fehlten: ein bescheidenes Haus, das kleine Hotel Britannique in der Rue Guénégaud, in der Nähe des Pont Neuf. Diese ziemlich dunkle Straße, die auf die noch dunklere Rue Mazarine führt, besitzt bekanntlich keine andere Aussicht als auf die langen Mauern der Münze. Man stieg in das dritte Stockwerk und fand dort stets und ständig zwei Menschen, die miteinander bei der Arbeit saßen, Herrn und Frau Roland, die kürzlich von Lyon gekommen waren. In dem kleinen Salon stand nur ein Tisch, an dem die beiden Gatten schrieben; im halbgeöffneten Schlafzimmer sah man zwei Betten. Roland war beinahe sechzig Jahre alt, sie sechsunddreißig, doch erschien sie bedeutend jünger; er sah aus wie der Vater seiner Frau. Er war ein großer, magerer Mann mit finsterem und leidenschaftlichem Ausdruck. Dieser Mann, den man neben dem Ruhm seiner Frau [ * ] Vor ihrer Ehe mit Roland war Fräulein Philipon wegen des schlechten Lebenswandels ihres Vaters gezwungen, sich in ein Kloster zurückzuziehen in der Rue Neuve-Saint-Etienne, die zum Jardin des Plantes führt, eine kleine Straße, die durch das Andenken an Pascal, Rollin und Bernardin de Saint-Pierre so berühmt geworden ist. Sie lebte dort zwar nicht als Nonne, verborgen in ihrem Jammer, zwischen Plutarch und Rousseau, heiter und mutig wie immer, aber in äußerster Armut und in einer mehr als spartanischen Enthaltsamkeit; sie schien schon damals sich in den Tugenden der Republik zu üben. zu wenig beachtet hat, war ein begeisterter Bürger, der Frankreich im Herzen trug, einer der alten Franzosen vom Schlage der Vauban und Boisguilbert, die trotz des Königtumes auf den einzigen Wegen, die damals offen standen, den heiligen Gedanken der öffentlichen Wohlfahrt verfolgten. Als Inspektor der Fabriken hatte er sein ganzes Leben mit Arbeiten und Reisen verbracht, um Verbesserungen zu suchen, deren unsere Industrie fähig war. Er hatte mehrere Bücher über diese Reisen veröffentlicht und verschiedene Abhandlungen oder Denkschriften über gewisse Berufszweige. Seine schöne und mutige Frau schrieb ab, übersetzte und kompilierte für ihn, ohne vor der Trockenheit der Gegenstände zurückzuschrecken. »Die Kunst des Torfstechers«, »die Kunst des Wollfabrikanten«, »das Lexikon der Fabriken« hatten die schöne Hand der Madame Roland beschäftigt, ihre besten Jahre in Anspruch genommen, ohne andere Ablenkung als die Geburt und das Stillen des einzigen Kindes, das sie gehabt hat. Eng mit den Arbeiten und Ideen ihres Gatten verwachsen, empfand sie für ihn eine beinahe kindliche Verehrung, die so weit ging, daß sie ihm oft seine Speisen selbst zubereitete; eine ganz besondere Zubereitung war notwendig, der Magen des alten Mannes war empfindlich und durch die Arbeit schwach geworden.

Roland schrieb selbst und bediente sich zu dieser Zeit keineswegs der Feder seiner Frau; später, als er Minister geworden war und mit endlosen Schwierigkeiten und Sorgen zu kämpfen hatte, nahm er seine Zuflucht zu ihr. Sie brannte gar nicht darauf, zu schreiben, und wenn die Revolution sie nicht aus ihrer Verborgenheit hervorgeholt hätte, dann hätte sie diese ungenutzten Gaben, ihr Talent, ihre Beredsamkeit ebenso wie ihre Schönheit mit ins Grab genommen.

Wenn die Politiker kamen, mischte sich Madame Roland nicht von allein in die Diskussion, sie blieb bei ihrer Arbeit oder schrieb Briefe; aber wenn man sich, wie es geschah, an sie wandte, dann sprach sie mit einer Lebhaftigkeit, einer treffenden Ausdruckweise, einer liebenswürdigen und überzeugenden Kraft, von der man ganz ergriffen wurde. »Die Eigenliebe hätte gern eine besondere Vorbereitung in ihren Worten gefunden; aber das war nicht möglich; sie war ganz einfach eine allzu vollkommene Natur.«

Beim ersten Anblick war man versucht, zu glauben, man habe Rousseaus Julie [ * ] Man betrachte die Bilder von Lémontey, Riouffe und so vielen anderen, und das für einen Stich gute und naive Bild, das Champagneux der ersten Ausgabe der Memoiren vorangesetzt hat (i. J. VII.). Er stellt sie kurze Zeit vor ihrem Tode, im Alter von neununddreißig Jahren dar. Sie ist stark, schon ein wenig Mama, wenn ich so sagen darf, sehr heiter, standhaft und entschlossen, mit einer offenbar kritischen Ader. Dieser letzte Charakterzug hängt nicht nur mit ihrer revolutionären Polemik zusammen, sondern so sind meistens die Menschen, die mit dem Leben gerungen, sich wenig Vergnügen gegönnt, die die Leidenschaft bezwingen und auf später vertagt haben, kurz, die in dieser Welt keine Befriedigung gehabt haben. vor sich; ganz mit Unrecht, das war weder Julie noch Sophie, das war Madame Roland, gewiß eine Tochter Rousseaus, und vielleicht eine noch rechtmäßigere als die, welche unmittelbar aus seiner Feder hervorgingen. Diese hier war nicht wie die beiden anderen ein vornehmes Fräulein. Manon Phlipon, das ist ihr Mädchenname (es tut mir leid um die, welche die plebejischen Namen nicht lieben), hatte einen Graveur zum Vater, und sie gravierte selbst im väterlichen Hause. Sie kam aus dem Volke, das erkannte man leicht an einer gewissen Vollblütigkeit und frischen Hautfarbe, die man in den höheren Kreisen viel seltener findet; sie hatte eine schöne, aber keine kleine Hand, der Mund war ein wenig groß, das Kinn ziemlich vorstehend, die Figur elegant mit stark ausgeprägten Linien; die Hüften und der Busen üppig, wie es die Damen nicht oft haben.

Sie unterschied sich noch in anderer Beziehung von den Heldinnen Rousseaus, sie besaß nicht ihre Schwäche. Madame Roland war tugendhaft, keineswegs durch Untätigkeit und Träumerei, in der die Frauen dahindämmern, erschlafft; sie war im höchsten Maße arbeitsam und tätig, die Arbeit war ihr Tugendwächter. Ein heiliger Gedanke, die Pflicht, schwebt über diesem schönen Leben, von der Geburt bis zum Tode; dieses Zeugnis gibt sie sich im letzten Augenblick, in der Stunde, in der man nicht mehr lügt: »Niemand,« sagt sie, »hat weniger als ich die Wollust gekannt.« Und bei anderer Gelegenheit: »Ich habe meine Sinne beherrscht.«

Rein im Vaterhause, am Quai de l'Horloge, wie das tiefe Blau des Himmels, den sie, wie sie erzählt, von da bis zu den Champs-Elysees überblicken konnte; – rein am Tisch ihres ernsten Gatten, unermüdlich arbeitend für ihn; rein an der Wiege ihres Kindes, das sie unbedingt selbst stillen wollte, trotz heftiger Schmerzen; – ebenso erscheint sie in den Briefen, die sie an ihre Freunde schreibt, an die jungen Männer, die sie in leidenschaftlicher Freundschaft umgaben [ * ] Man vergleiche den schönen Brief an Bosc, der damals in großer Unruhe um sie und betrübt darüber war, daß man sie in die Nähe von Lyon, so weit von Paris, verpflanzt hatte: »Ich sitze am Herdfeuer nach einer friedlichen Nacht und nach den verschiedenen Sorgen des Vormittags, mein Freund sitzt am Schreibtisch, meine Kleine strickt, und ich plaudere mit dem einen, überwache die Arbeit der anderen, genieße das Glück, ganz warm im Schoße meiner kleinen, teuern Familie geborgen zu sein, und schreibe an einen Freund, während der Schnee auf so viele Unglückliche herabfällt, ich habe Mitleid mit ihrem Geschick« usw. – Ein holdes Interieur, ernstes Glück der Tugend, das dem jungen Manne gezeigt wird, um sein Herz zu beruhigen, es zu läutern, es zu erheben. Morgen hat dennoch der Sturm das Nest hinweggeweht. ; sie beruhigt und tröstet sie, sie hebt sie über ihre Schwachheit hinaus. Sie blieben ihr treu bis zum Tode, wie der Tugend selbst.

Einer von ihnen suchte sie, während die Schreckensherrschaft auf dem Gipfel ihrer Macht stand, ohne an die Gefahr zu denken, im Gefängnis auf, um die unsterblichen Blätter aus ihrer Hand zu empfangen, auf denen sie ihr Leben erzählt hat. Er selbst geächtet und verfolgt, durch das schneebedeckte Land entfliehend, ohne einen anderen Schutz als die bereiften Bäume, rettete diese heiligen Blätter; sie retteten vielleicht ihn, indem sie in seiner Brust die Wärme und Gewalt des großen Herzens bewahrten, das sie geschrieben hatte [ * ] Bosc war es auch, der ehrenhafte und würdige Mann, der im letzten Augenblick über sich selbst hinauswuchs, um in ihr das hohe Ideal zu erfüllen, das er immer bewundert hatte, und ihr den edlen Rat gab, ihren Tod nicht den Blicken der Menschen zu entziehen, sich nicht zu vergiften, sondern das Schafott zu wählen, öffentlich zu sterben und durch ihren Mut die Republik und die Menschlichkeit zu ehren. Er ist gleich ihr unsterblich um dieses heroischen Rates willen. Madame Roland steigt lächelnd hinan in die Unsterblichkeit, die Hand in der Hand ihres ernsten Gatten, und sie führt mit sich hinauf die Gruppe junger, liebenswürdiger, untadeliger Freunde (von der Gironde abgesehen), die Bosc, Champagneux, Bancal des Issarts. Nichts wird sie mehr trennen. .

Die Leute, die sich bei dem Anblick einer allzu vollkommenen Tugend nicht wohl fühlen, haben rastlos gesucht, ob sie nicht irgendeine Schwäche in dem Leben dieser Frau fänden, und haben ohne Beweis, ohne den geringsten Anhaltspunkt [ * ] Wenn man nach Anhaltspunkten sucht, so wird man auf zwei Stellen aus den Memoiren der Madame Roland verwiesen, die gar nichts beweisen. Sie spricht von den Leidenschaften, »vor denen sie kaum mit Athletenstärke das reife Alter rettet.« Was kann man daraus schließen? – Sie spricht von den »guten Gründen«, die sie, um den 31. Mai, zur Abreise trieben. Es ist völlig ungewöhnlich und äußerst verwegen, zu folgern, daß diese guten Gründe nur eine Liebe zu Barbaroux oder Buzot sein können. sich eingebildet, daß Madame Roland mitten in dem bewegtesten Teil des Dramas, an dem sie teilhatte, in ihrem männlichsten Augenblick, in allen Gefahren und Schrecken (offenbar nach den Septembermorden? Oder am Vorabend des Zusammenbruchs, der die Gironde mit fortriß?) Zeit fand und das Herz hatte, verliebte Reden anzuhören und sich den Hof machen zu lassen. Das einzige, was ihnen Schwierigkeiten macht, ist, den Namen des begünstigten Liebhabers zu finden.

Noch einmal: es gibt nichts, was diese Vermutungen begründet. Madame Roland, alles spricht dafür, war immer Herrin ihrer selbst, absolute Herrin ihres Willens und ihrer Taten. Hatte sie denn nicht einen Aufruhr ihres Herzens erlebt? Brauste in dieser starken, aber leidenschaftlichen Seele nicht einmal ein Sturm? Diese Frage lautet ganz anders, und ohne Zögern beantworte ich sie mit: Ja.

Ich möchte den Punkt besonders hervorheben. Dieses Ereignis, das noch zu wenig bemerkt worden ist, ist keineswegs eine gleichgültige, rein anekdotische Einzelheit ihres Privatlebens. Es hatte im Jahr 1791 einen bedeutenden Einfluß auf Madame Roland, und die machtvolle Tätigkeit, die sie von dieser Zeit an ausübte, würde viel weniger zu erklären sein, wenn man nicht die besonderen Ursachen klar sähe, welche die bis dahin ruhige und starke Seele, deren Stärke jedoch ganz verinnerlicht war und sich nicht nach außen in Handlungen kundtat, leidenschaftlich begeisterten.

Madame Roland lebte ihr verborgenes arbeitsames Leben im Jahre 1789 in dem trüben Winkel der Platière, nahe bei Villefranche und nicht weit von Lyon. Sie hört, wie ganz Frankreich, den Donner der Kanonen vor der Bastille; ihr Atem geht rasch und ihr Herz gerät in Wallung; das wundervolle Ereignis scheint alle ihre Träume zu verwirklichen, alles, was sie von den Alten gelesen, was sie gedacht und gehofft hatte: nun hat sie ein Vaterland. Die Revolution breitet sich über Frankreich aus; Lyon erwacht und Villefranche, das Land, alle Dörfer. Die Verbrüderung vom Jahre 1790 ruft die Hälfte des Königreichs nach Lyon, alle Abordnungen der Nationalgarde, von Korsika bis nach Lothringen. Vom frühen Morgen an stand Madame Roland in Verzückung auf dem wunderbaren Rhônekai und berauschte sich an all dem Volk, an der neuen Brüderlichkeit, an dem Glanz dieser Morgenröte. Abends schrieb sie den Bericht darüber für ihren Freund Champagneur, einen jungen Mann aus Lyon, der ohne Vorteil, aus reinem Patriotismus eine Zeitung herausgab. Die Nummer trug keinen Namen und wurde in sechzigtausend Exemplaren verkauft. Alle Nationalgardisten trugen auf der Rückkehr, ohne es zu wissen, die Seele der Madame Roland bei sich.

Auch sie kehrte zurück und kam nachdenklich in ihrer verlassenen Klause auf der Platière an, die ihr noch mehr als gewöhnlich dürftig und kahl erschien. Da sie wenig Lust hatte zu den technischen Arbeiten, mit denen sie ihr Mann beschäftigte, so las sie das interessante Protokoll der Wähler von 1789, die Revolution vom 14. Juli, die Einnahme der Bastille. Der Zufall wollte gerade, daß einer dieser Wähler, Bancal des Issarts, von ihren Freunden aus Lyon an die Rolands empfohlen wurde und mehrere Tage bei ihnen verbrachte. Bancal, der aus einer Fabrikantenfamilie in Montpellier stammte, war nach Clermont übergesiedelt und dort Notar gewesen; er hatte gerade diese einträgliche Stelle aufgegeben, um sich ganz den Studien seiner Wahl zu widmen, politischen und philanthropischen Forschungen und den Pflichten des Bürgers. Er war ungefähr vierzig Jahre alt, keine glänzende Erscheinung, aber er besaß viel Milde und Empfänglichkeit und hatte ein gutes, hilfreiches Herz. Er hatte eine sehr religiöse Erziehung genossen, und nachdem er eine philosophische und politische Periode, den Konvent und eine lange Gefangenschaft in Österreich hinter sich hatte, ist er äußerst fromm, bei der Lektüre der Bibel, die er hebräisch zu lesen versuchte, gestorben.

Er wurde von einem jungen Arzte namens Lanthenas auf die Platière gebracht, einem Freunde der Rolands, der oft bei ihnen lebte und dort Wochen und Monate verbrachte, mit ihnen und für sie arbeitete und ihre Aufträge ausführte. Die Milde Lanthenas', die Empfänglichkeit Bancal des Issarts', die ernste, aber warme Güte Rolands, ihre gemeinsame Liebe für das Schöne und Gute, ihre Anhänglichkeit an diese vollkommene Frau, die dessen Ebenbild für sie war, das führte ganz natürlich zu einer Gemeinschaft, zu einer völligen Harmonie. Sie stimmten so gut überein, daß sie sich fragten, ob sie das gemeinsame Leben nicht fortsetzen könnten. Wer von den dreien den Gedanken zuerst hatte, weiß man nicht; aber er wurde von Roland lebhaft aufgegriffen und warm unterstützt. Die Rolands brachten alles zusammen, was sie besaßen, und konnten ungefähr sechzigtausend Franken zu der geplanten Gemeinsamkeit beitragen; Lanthenas hatte zwanzigtausend oder ein wenig mehr, und Bancal hätte noch ungefähr hunderttausend hinzugefügt. Das ergab eine ziemlich runde Summe, die ihnen erlaubte, nationale Güter, damals um einen Spottpreis feil, zu kaufen.

Nichts ist rührender, würdiger, anständiger als die Briefe, in denen Roland von diesem Plane an Bancal berichtet. Sein edles Vertrauen, der Glaube an die Freundschaft, an die Tugend erweckt von Roland und ihnen allen die günstigste Meinung. »Kommen Sie, lieber Freund,« schreibt er. »Warum zögern Sie? Sie haben unsere freimütige und offene Art gesehen; in meinem Alter ändert man sich nicht mehr, wenn man niemals anders gewesen ist. Wir predigen den Patriotismus, wir erheben die Herzen; der Doktor geht seinem Beruf nach; meine Frau ist Apothekerin für die Kranken der Gegend. Sie und ich besorgen die geschäftliche Seite« usw.

Rolands große Aufgabe war, die Bauern der Umgegend zu unterweisen und ihnen das neue Evangelium zu predigen. Trotz seines Alters war er ein bewundernswerter Fußgänger, bisweilen wanderte er, den Stock in der Hand, mit seinem Freunde Lanthenas bis Lyon und streute überall am Wege den guten Samen der Freiheit aus. Der würdige Mann glaubte in Bancal eine nützliche Hilfe zu finden, einen neuen Missionar, dessen mildes und salbungsvolles Wort Wunder verrichten würde. Gewohnt, die uneigennützige Dienstfertigkeit des jungen Lanthenas Madame Roland gegenüber zu sehen, kam es ihm nicht entfernt in den Sinn, daß Bancal, der älter und ernster war, etwas anderes als Frieden in sein Haus bringen konnte. Obwohl er seine Frau so innig liebte, hatte er ein wenig vergessen, daß sie Frau war, und erblickte nur den unablässigen Gefährten seiner Arbeit in ihr. Arbeitsam, mäßig, frisch und rein, mit durchsichtiger Hautfarbe, mit festem und hellem Auge, war Madame Roland das beruhigendste Ebenbild von Kraft und Tugend. Ihre Grazie war durchaus weiblich, aber ihr starker Geist, ihr stoisches Herz waren männlicher Art. Wenn man ihre Freunde betrachtet, so könnte man viel eher sagen, daß diese neben ihr Weiber sind; Bancal, Lanthenas, Bosc, Champagneux haben alle ziemlich sanfte Züge. Und das weiblichste Herz von allen vielleicht, die größte Schwäche besitzt der, den man für den standhaftesten hält, der ernste Roland, der schwach war aus der tiefen Leidenschaft des Greises, der abhing von dem Leben der anderen; das wurde nur allzudeutlich beim Tode.

Die Sachlage wäre, wenn nicht gefährlich, doch wenigstens voll von Kämpfen und Stürmen gewesen. Es war Volmar, der Saint-Prux zu Julie rief, es war das gefährdete Boot an dem Felsen der Meillerie. Einen Schiffbruch hätte es nicht gegeben, nehmen wir an, aber es war vorsichtiger, nicht einzusteigen.

So ungefähr schrieb Madame Roland an Bancal, in einem tugendhaften Briefe, der aber gleichzeitig allzu naiv und erregt war. Dieser Brief, der wundervoll unvorsichtig ist, stellt gerade darum ein unschätzbares Denkmal für die Reinheit von Madame Roland dar, für ihre Unerfahrenheit, für die Jungfräulichkeit ihres Herzens, die sie immer bewahrte. Man kann ihn nur auf den Knieen lesen.

Nichts hat mich jemals mehr überrascht und gerührt. Dieser Held war also wirklich ein Weib? Es gab also in der Tat einen Augenblick (der einzige), in dem ihr großer Mut gebeugt war. Der Panzer des Krieges öffnet sich halb, und man erblickt ein Weib, das verwundete Herz Clorindens.

Bancal hatte an die Rolands einen herzlichen, zärtlichen Brief geschrieben, worin er sich über die geplante Vereinigung äußert: »Sie wird die Würze unseres Lebens bilden, und wir werden unseren Mitmenschen nicht unnütz sein.« Roland, der damals in Lyon war, schickte den Brief seiner Frau. Sie war allein auf dem Lande; der Sommer war sehr trocken gewesen und die Hitze noch sehr groß, obwohl man schon im Oktober war. Der Donner grollte, und das dauerte mehrere Tage an. Sturm im Himmel und auf der Erde, Sturm der Leidenschaft, Sturm der Revolution. Zweifellos waren große Wirren im Anzug; eine unbekannte Flut von Ereignissen mußte bald die Herzen und die Schicksale umwälzen; in diesen großen Augenblicken der Erwartung glaubt der Mensch gern, daß Gott für ihn donnert.

Kaum las Madame Roland den Brief, als Tränen ihn benetzten. Sie setzte sich an den Tisch, ohne zu wissen, was sie schreiben würde; sie schilderte ihre Verwirrung selbst und verbarg nicht, daß sie weinte. Es war viel mehr als ein zärtliches Geständnis. Aber zu gleicher Zeit zerbrach diese ausgezeichnete und mutige Frau ihre Hoffnung und brachte es fertig, hinzuschreiben: »Nein, ich bin keineswegs sicher, daß Sie glücklich werden, und ich würde mir niemals verzeihen, Ihr Glück gestört zu haben. Ich glaube, daß Sie sich in Verhältnisse begeben, die ich für falsch halte; daß Sie eine Hoffnung hegen, die ich verbieten muß.« Das übrige ist eine sehr rührende Mischung von Tugend, Leidenschaft und Inkonsequenz; hier und da ein melancholisches Wort und eine unbestimmte, düstere Vorahnung des Geschickes: »Wann werden wir uns wiedersehen? Diese Frage lege ich mir oft vor und wage nicht, sie zu lösen. Aber warum versuchen, die Zukunft zu durchdringen, die die Natur uns hat verbergen wollen? Lassen wir sie also ruhen unter dem dichten Schleier, mit dem sie sie bedeckt, da es uns nicht gegeben ist, sie zu durchdringen; wir haben nur eine Möglichkeit, auf sie einzuwirken, eine große zweifellos: sein Glück vorbereiten durch die weise Ausnutzung der Gegenwart.« Und weiter: »Nicht vierundzwanzig Stunden in dieser Woche sind vorübergegangen, ohne daß der Donner sich hören ließ. Soeben hat er noch gegrollt. Ich liebe die Farbe sehr, die das Gewitter der Landschaft verleiht, sie ist erhaben und düster, aber sie würde furchtbar sein, wenn sie nicht noch etwas anderes einflößte als Schrecken.« Bancal war klug und ehrbar. Sehr betrübt weilte er trotz des Winters in England und blieb lange dort. Darf ich es sagen? Länger vielleicht, als Madame Roland selbst es gern gesehen hätte. Das ist die Inkonsequenz des Herzens, selbst des tugendhaftesten. Wenn man ihre Briefe aufmerksam liest, so zeigen sie ein merkwürdiges Schwanken der Stimmung; sie entfernt sich, sie nähert sich; Augenblicke lang mißtraut sie sich selbst, und in anderen Augenblicken ist sie ganz gefestigt.

Wer will behaupten, daß sie sich im Februar, auf der Reise nach Paris, wohin Roland die Geschäfte der Stadt Lyon führten, nicht heimlich freute, in die große Zentrale zu kommen, in die Bancal notwendigerweise zurückkehren mußte? Aber gerade Paris gibt ihren Gedanken bald eine ganz andere Richtung. Die Leidenschaft wandelt sich, sie wendet sich ganz den öffentlichen Angelegenheiten zu. Ein sehr interessanter und rührender Vorgang. Nach der großen Begeisterung des Verbrüderungsfestes in Lyon, diesem ergreifenden Schauspiel der Einswerdung eines ganzen Volkes, war ihr persönliches Gefühl schwach und zart geworden. Und jetzt, beim Anblick von Paris, ging dieses Gefühl wieder ganz ins Allgemeine, Bürgerliche und Patriotische; Madame Roland findet sich selbst wieder und liebt nur noch Frankreich.

Wenn es sich nun um eine andere Frau handelte, würde ich sagen, daß sie durch die Revolution, durch die Republik, durch den Kampf und den Tod vor sich selbst gerettet wurde. Der ernste Charakter ihrer Vereinigung mit Roland wurde vertieft durch ihre gemeinsame Teilnahme an den Ereignissen der Zeit. Diese auf Arbeit gestellte Ehe wurde eine Ehe voll gemeinsamer Kämpfe, Opfer, heroischer Mühen. So behütet gelangte sie, rein und siegreich, zum Schafott, zum Ruhm.

Im Februar 1791 kam sie nach Paris, am Vorabend des ernsten Augenblickes, wo die Frage der Republik verhandelt werden mußte; zwei wirksame Eigenschaften brachte sie mit, die Tugend und die Leidenschaft zugleich. Solange in ihrer Einsamkeit für die großen Ereignisse vom Schicksal aufbewahrt, kam sie an in einer Jugendlichkeit des Geistes, in einer Frische der Ideen, der Gefühle, der Eindrücke, daß sie die ermüdetsten Politiker verjüngen konnte. Die waren schon müde; sie fing erst an zu leben an diesem Tage.

Noch eine andere geheimnisvolle Macht! Diese reine, vom Schicksal wunderbar gehütete Persönlichkeit, kam dennoch gerade an dem Tage an, wo die Frau Besorgnis erregt, an dem Tage, wo das Pflichtbewußtsein nicht mehr ausreicht, an dem Tage, wo das lange im Zaum gehaltene Herz überfließt. Sie kam an, unbesiegbar in einer unbekannten Triebkraft! Kein Bedenken hielt sie auf; das Glück wollte, daß, da das persönliche Gefühl besiegt oder umgangen war, die Seele sich völlig einem edlen, großen, tugendhaften, ruhmreichen Ziel zuwandte und, da sie nur das Ehrenhafte dabei empfand, mit vollen Segeln auf den neuen Ozean der Revolution und des Vaterlandes hinausfuhr.

Darum war sie in diesem Augenblick unwiderstehlich. So war es ungefähr mit Rousseau, als er, nach seiner unglücklichen Leidenschaft für Madame d'Houdetot [ * ] Die Geschichte seiner leidenschaftlichen und unglücklichen Liebe zur Gräfin d'Houdetot schildert Rousseau selbst im neunten Buch seiner »Bekenntnisse«. Er lebte damals (1757) in der Eremitage bei Montmorency, und die Gräfin auf einem Gut in der Nähe. Dieses Erlebnis und besonders dessen Folgen, die Intrigen derjenigen, die er für seine wahrsten Freunde gehalten hatte, machten einen gänzlich neuen Menschen aus Rousseau, als der er schon in den letzten Büchern der »Julie«, die um diese Zeit entstanden, erscheint. R. K. , auf sich selbst zurückgeworfen, Einkehr hielt und eine ungeheure Glut in sich fand, die unauslöschliche Flamme, an der sich das ganze Jahrhundert entzündete; noch das unsrige fühlt nach hundert Jahren ihre Wärme.

Nichts ist strenger, als der erste Blick der Madame Roland auf Paris. Die Nationalversammlung flößt ihr Schrecken, ihre Freunde Mitleid ein. Sie sitzt auf den Tribünen der Versammlung oder der Jakobiner und durchdringt mit scharfem Auge alle die Charaktere; sie sieht die Falschheiten, Feigheiten, Erbärmlichkeiten, die Komödie der Verfassungsfreunde, die Schliche, die Unentschiedenheit der Freunde der Freiheit in ihrer ganzen Nacktheit. Sie schont weder Brissot, den sie liebt, den sie jedoch für furchtsam und leichtsinnig hält, noch Condorcet, von dem sie glaubt, er sei doppelzüngig, noch Fauchet, in dem, »wie sie sehr wohl bemerkt, ein Priester steckt«. Kaum läßt sie Pétion und Robespierre gelten; man merkt, wie ihre Langsamkeit, ihre Rücksichten, ihrer eigenen Ungeduld wenig zusagen. Jung, feurig, stark, streng fordert sie von allen Rechenschaft, will nichts von Aufschub und Hindernissen hören; sie fordert sie auf, Männer zu sein und zu handeln.

Bei dem traurigen Schauspiel der halb erblickten, erhofften und nach ihr schon verlorenen Freiheit möchte sie nach Lyon zurückkehren, sie vergießt blutige Tränen. »Wir brauchten,« sagt sie (am 5. Mai), »eine neue Erhebung, in der wir für Glück oder Freiheit zugrunde gehen; aber ich zweifele, daß noch genug Nachdruck im Volke sitzt. Der Bürgerkrieg selbst, so furchtbar er sein mag, würde die Erneuerung unseres Charakters und unserer Sitten beschleunigen. Man muß zu allem bereit sein, selbst ohne Kummer zu sterben.«

Die Generation, an der Madame Roland so leicht verzweifelt, hatte bewundernswerte Gaben, den Glauben an den Fortschritt, den aufrichtigen Wunsch nach dem Glück der Menschen, die brennende Liebe zur öffentlichen Wohlfahrt; sie hat die Welt durch die Größe ihrer Opfer in Erstaunen gesetzt. Indessen, das muß gesagt werden, zu dieser Zeit, wo die Situation noch nicht mit gebieterischer Gewalt herrschte, kündeten sich die Charaktere, die unter dem alten Regime gebildet waren, noch nicht mit diesem männlichen und ernsten Zuge an. Der Mut des Geistes fehlte. Die geniale Initiative war noch bei keinem; ich nehme Mirabeau nicht aus, trotz seiner ungeheueren Begabung.

Die Männer von damals, das muß auch gesagt werden, hatten schon ungeheuer viel geschrieben, geredet, gestritten. Wie viel Arbeiten, Diskussionen, Ereignisse sind da zusammengedrängt! Wie viel schnelle Reformen! Welch eine Erneuerung der Welt! Das Leben der bedeutenden Männer in der Nationalversammlung, in der Presse war so arbeitsreich gewesen, daß es uns ein Rätsel scheint; zwei Sitzungen in der Versammlung, ebenso ohne Pause wie die Sitzungen der Jakobiner und anderer Klubs, bis elf Uhr oder Mitternacht; dann die Vorbereitung der Reden für den folgenden Tag, die Artikel, die Geschäfte und Intrigen, die Sitzungen der Komitees, der politischen Geheimklubs. Die ungeheure Begeisterung des ersten Augenblicks, die unendliche Hoffnung, hatten sie zunächst fähig gemacht, all das zu ertragen. Aber schließlich dauerte die Mühe fort, die unendliche, grenzenlose Arbeit; da ließen sie ein wenig nach. Diese Generation war weder an Geist noch an Kraft mehr unversehrt; so aufrichtig auch ihre Überzeugungen waren, ihr fehlte die Jugend, die Frische des Geistes, der erste Enthusiasmus des Glaubens.

Am 22. Juni, inmitten des allgemeinen Zauderns der Politiker, zögerte Madame Roland allein nicht. Sie schrieb und ließ in die Provinz schreiben, daß, entgegen der schwachen und farblosen Kundgebung der Jakobiner, die Urversammlungen eine allgemeine Einberufung verlangten: »Um durch Ja oder Nein zu entscheiden, ob es am Platze ist, die monarchische Form der Regierung beizubehalten.« – Sie beweist am 24. sehr gut, daß jede Regentschaft unmöglich ist, daß man Ludwig XVI. absetzen muß usw. usw.

Alle oder fast alle scheuten zurück, zögerten, waren noch unschlüssig. Sie erwogen die Interessen, die Tunlichkeit, warteten einer auf den anderen, stellten ihre Zahl fest. »Wir waren nicht ein Dutzend Republikaner«, sagt Camille Desmoulins. Sie hatten sich im Jahre 1791 vervielfacht, dank der Reise von Varennes, und ungeheuer war die Zahl der Republikaner, die es waren, ohne es zu wissen; man mußte es ihnen erst selbst beweisen. Die allein berechneten die Sache gut, die nicht berechnen wollten. An der Spitze dieser Vorhut schritt Madame Roland; sie warf das goldene Schwert in die schwankende Wage, ihren Mut und die Idee der Gerechtigkeit.


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