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Zweiter Teil

Die Führerinnen

Achtes Kapitel

Die Salons. Madame de Staël

Das Genie der Madame de Staël wurde nacheinander von zwei Lehrmeistern und zwei Ideen beherrscht: bis zum Jahre 1789 durch Rousseau und von da ab durch Montesquieu.

Im Jahre 1789 war sie dreiundzwanzig Jahre alt. Sie übte auf Necker, ihren Vater, den sie unsäglich liebte und den sie durch ihren Enthusiasmus beherrschte, einen allmächtigen Einfluß. Niemals wäre der genfer Bankier ohne seine glühende Tochter auf dem revolutionären Wege soweit fortgeschritten. Sie war damals voll von tätigem Eifer und Vertrauen; sie glaubte fest an den gesunden Verstand des Menschengeschlechtes. Sie war noch nicht von den mittelmäßigen Liebhabern, die sie später umgaben, beeinflußt und verkleinert. Madame de Staël wurde immer von der Liebe beherrscht. Die, welche sie für ihren Vater besaß, verlangte, daß Necker der erste unter den Menschen war; und tatsächlich wurde er einen Augenblick lang sehr groß durch den Glauben. Auf Betreiben seiner Tochter, das steht für mich außer Zweifel, setzte er sich für den kühnen Versuch des allgemeinen Wahlrechtes ein, eine gewagte Maßregel in einem großen Reiche und bei einem so wenig fortgeschrittenen Volke. Eine Maßregel, die seinem Charakter völlig zuwiderlief und sehr wenig den Lehren entsprach, die er vorher und nachher verkündete.

Vater und Tochter waren bald erschreckt über ihre Kühnheit und zogen sich schleunigst zurück. Und Madame de Staël, von Feuillants [ * ] Feuillants. – Der Name eines Klubs gemäßigter Konstitutioneller, die sich im Kloster der Feuillantinermönche versammelten. Lafayette war ihr Führer. Der Klub wurde später völlig royalistisch. R. K. und Anglomanen umgeben, selbst voll von höchster Bewunderung für England, das sie gar nicht kannte, wurde und blieb die glänzende, beredte und dennoch, wenn man es aussprechen darf, im ganzen mittelmäßige Persönlichkeit, welche die Öffentlichkeit so sehr beschäftigt hat.

Für mich, das sage ich ohne Zögern, liegt ihre große Originalität in ihrer ersten Zeit, ihr Ruhm in der Liebe zu ihrem Vater, in dem Mut, den sie ihm einflößte. Ihre Mittelmäßigkeit kam auf Rechnung ihrer geistreichen Liebhaber, der Narbonne, Benjamin Constant usw., die zwar in ihrem Salon von ihr beherrscht wurden, im vertraulichen Beieinander dagegen auf sie ihre Einwirkung übten.

Verfolgen wir, von den Anfängen an, den Vater und die Tochter.

Herr Necker, der genfer Bankier, hatte ein schweizerisches Fräulein, eine frühere Gouvernante, geheiratet, deren einziger Fehler ihre absolute Vollkommenheit war. Die junge Necker wurde von ihrer Mutter niedergehalten, deren frostige Strenge zu der leichten, offenherzigen, beweglichen Natur ihrer Tochter in scharfem Gegensatz stand. Ihr Vater, der sie tröstete und bewunderte, wurde der Gegenstand ihrer Anbetung. Man erzählt, daß, da Necker oft den alten Gibbon gelobt hatte, die junge Tochter ihn heiraten wollte. Dieses Kind, das schon die Vertraute und beinahe die Frau seines Vaters war, nahm dessen Fehler und gute Eigenschaften gleichzeitig an: seine Beredsamkeit, seinen Schwulst, seine Empfänglichkeit, sein Pathos. Als Necker seinen berühmten » Compte rendu« [ * ] Compte rendu. – Der Rechenschaftsbericht über den Zustand der Finanzen, 1781. (s. Einleitung.) Der Herausgeber , der so verschieden beurteilt wurde, veröffentlichte, zeigte man ihm eines Tages eine beredte, ganz begeisterte Verteidigung der Schrift; sie war aus so überströmendem Herzen geschrieben, daß der Vater sich nicht irren konnte: er erkannte seine Tochter. Damals war sie sechzehn Jahre alt.

Sie liebte ihren Vater als Menschen, bewunderte ihn als Schriftsteller, verehrte ihn als das Ideal eines Bürgers, eines Philosophen, eines Weisen, eines Staatsmannes. Sie ließ niemanden gelten, der nicht Necker für einen Gott hielt: eine edle, harmlose Narrheit, die eher rührend als lächerlich ist. Als Necker am Tage seines Triumphes [ * ] Nach dem Sturm auf die Bastille mußte sich der König zu dem demütigenden Entschluß bequemen, den kurz vorher entlassenen Necker wieder ins Ministerium zu berufen. Als Necker, der nach seiner Entlassung abgereist war, in Paris eintraf, wurde er dort als Opfer seines Liberalismus hoch bewillkommt. R. K. in Paris einzog und auf dem Balkon des Rathauses erschien, zwischen Frau und Tochter, unterlag die letztere dem Überschwang des Gefühls und wurde ohnmächtig vor Glück.

Sie hatte, entsprechend ihrer Begabung, auch große Bedürfnisse des Herzens. Nach der Flucht ihres Vaters und dem Zusammenbruch ihrer ersten Hoffnungen wandte sie sich von Rousseau zu Montesquieu [ * ] Montesquieu entwickelt seine Verfassungstheorien besonders in » De l'Esprit des Lois«. Er umgrenzt deutlich den Unterschied zwischen Monarchie und Despotie. Seine ideale Verfassung ist ein Kompromiß zwischen Monarchie und Demokratie und trägt wesentliche Zuge der englischen. Hier finden sich auch bereits die Grundlinien des allgemeinen Wahlrechts. – So machte er die Franzosen mit dem Ideal einer konstitutionellen Monarchie vertraut. R. K. , zu den klugen Verfassungstheorien, doch blieb sie romantisch in der Liebe; sie hätte gern einen Helden geliebt. Ihr Gatte, der ehrbare, kalte Herr de Staël, der schwedische Gesandte, hatte nichts, was ihrem Ideal entsprach. Da sie keinen Helden zum Lieben fand, verließ sie sich auf die Glut, die in ihr lebte, und unternahm es, einen zu schaffen.

Sie fand einen hübschen Menschen, frivol, tapfer, witzig, Herrn de Narbonne. Ob nun viel oder wenig in ihm steckte, sie hielt es für ausreichend, da sie es mit ihrem Herzen verdoppeln würde. Sie liebte ihn besonders der heroischen Eigenschaften wegen, die sie in ihn hineintrug. Sie liebte – auch das muß gesagt werden, denn sie war ein Weib – seine Dreistigkeit und seinen Dünkel. Er stand sehr schlecht mit dem Hofe und schlecht mit vielen Salons. Er war wirklich ein Grandseigneur, elegant und anmutig, aber ungern gesehen von den Seinen und von zweifelhafter Zuverlässigkeit. Was die Frauen sehr reizte, was man sich ins Ohr flüsterte, war, daß er die Frucht einer Blutschande zwischen Ludwig XV. und seiner Tochter sei. Die Sache war nicht unwahrscheinlich. Als die jesuitische Partei Voltaire und die voltairianischen Minister stürzen ließ (die d'Argenson und auch Machault, der allzuviel von den Gütern des Klerus sprach), mußte man ein Mittel finden, um die Pompadour, die Beschützerin der Neuerer, unschädlich zu machen. Eine Tochter des Königs, lebhaft und feurig, Polin wie ihre Mutter, brachte, eine zweite Judith, das heroische, durch den Zweck geheiligte Opfer. Sie war außergewöhnlich hitzig und leidenschaftlich, außerdem musiktoll, wozu sie der wenig bedenkliche Beaumarchais gemacht hatte. Sie bekam den Vater in ihre Gewalt und lenkte ihn eine Zeitlang nach ihrem Willen, vor den Augen der Pompadour. Aus der Verbindung sei, nach der Überlieferung, dieser hübsche, witzige, ein wenig unverschämte Mensch entsprungen, der dank seiner Herkunft eine liebenswürdige Ruchlosigkeit besaß, mit der er allen Frauen den Kopf verdrehte.

Madame de Staël hatte ein für eine Frau grausames Geschick: sie war nicht schön. Sie hatte grobe Züge und vor allem eine grobe Nase. Sie hatte ziemlich breite Hüften und eine wenig zarte Haut. Ihre Gesten waren eher energisch als anmutig; wenn sie, die Hände auf dem Rücken, vor dem Kamin stand, beherrschte sie mit ihrer männlichen Haltung und ihrer mächtigen Stimme, die im scharfen Gegensatz zu ihrem Geschlechte stand, die Gesellschaft, und manchmal konnte sie leise Zweifel erregen, ob sie eine Frau sei. Bei alledem war sie erst fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sehr schöne Arme, einen junonischen Nacken, prächtige schwarze Haare, die in dicken Locken herabfielen und ihre Schultern wirkungsvoll umrahmten, ja, ihre Züge verhältnismäßig zarter, weniger männlich erscheinen ließen. Aber was sie am meisten zierte, was alles andere vergessen ließ, das waren ihre Augen, ganz einzigartige Augen, schwarz, in Flammen sprühend, in Geist, Güte und allen Leidenschaften strahlend. Ihr Blick war eine Welt. Man las darin, daß sie vor allem gut und edelmütig war. Sie hatte nicht einen Feind, der ihr einen Augenblick zuhören konnte, ohne beim Fortgehen, wenn auch widerwillig, zu gestehen: »O welch eine gute, edle, ausgezeichnete Frau!«

Vermeiden wir dennoch das Wort Genie; hüten wir dieses heilige Wort. Madame de Staël hatte in Wirklichkeil ein großes, ein ungeheures Talent, dessen Quelle ihr Herz war. Aber die tiefe Naivität und die große Erfindungsgabe, diese beiden hervorspringenden Züge des Genies, besaß sie niemals. Sie brachte ein primitives Mißverhältnis der Elemente mit auf die Welt, das nicht bis zum Barocken ging wie bei Necker, ihrem Vater, aber das ein gut Teil ihrer Anlagen unterband, sie hinderte, sich aufzuschwingen und sie in der Schwülstigkeit festhielt. Die Neckers waren Deutsche, die sich in der Schweiz niedergelassen hatten. Sie waren reichgewordene Bürgerliche. Als Deutsche, Schweizerin und Bürgerliche hatte Madame de Staël zwar nichts Plumpes, aber etwas Kräftiges, Schwerfälliges, wenig Zartes. Zwischen ihr und Jean Jacques, ihrem Meister, besteht ein Unterschied wie zwischen Eisen und Stahl.

Gerade weil sie trotz ihres Talentes, ihres Vermögens und ihres vornehmen Umgangs bürgerlich empfand, hatte Madame de Staël die Schwäche, die Grandseigneurs anzubeten. Sie ließ ihrem guten, ausgezeichneten Herzen, das sie völlig auf die Seite des Volkes gebracht haben würde, nicht freien Lauf. Ihre Urteile und Meinungen neigten stark zum Gegenteil. Überhaupt war ihre Auffassung verkehrt. Sie bewunderte vor allem jenes Volk, das sie für außergewöhnlich aristokratisch hielt: das englische; sie verehrte den Adel Englands, ohne zu wissen, daß er sehr jung war, ohne seine Geschichte genau zu kennen, von der sie unaufhörlich sprach, ohne eine Ahnung zu haben von dem Verfahren, durch welches England, unaufhörlich von unten her erzeugend, seinen Adel macht. Kein Volk versteht es besser, eine Vergangenheit vorzutäuschen.

Es war die Liebe, die große Schwärmerin, die Bezauberin der Welt, welche diese leidenschaftliche Frau glauben machen mußte, daß man den jungen Offizier, den unbeständigen Wüstling, den glänzenden, leichtfertigen Menschen an die Spitze einer so großen Bewegung stellen konnte. Der gigantische Degen der Revolution wäre als Liebessold aus der Hand einer Frau in die eines jungen Laffen gewandert. Das war schon ziemlich lächerlich. Noch lächerlicher aber war, daß sie versuchte, dieses gewagte Unternehmen in den vorsichtigen Grenzen einer Afterpolitik, einer quasi-englischen Freiheit, im Bunde mit den Feuillants, einer abgewirtschafteten Partei, mit Lafayette, der beinahe abgewirtschaftet hatte, durchzuführen; so besaß ihre Tollheit nicht einmal die Eigenschaft, die bisweilen der Tollheit den Erfolg sichert: die Tollkühnheit.

Robespierre und die Jakobiner vermuteten ohne Grund, daß Narbonne und Madame de Staël in enger Verbindung standen mit Brissot und der Gironde, daß beide Teile im Einverständnis mit dem Hofe es dahin trieben, Frankreich in den Krieg zu stürzen und durch den Krieg die Gegenrevolution herbeizuführen.

All das war ein Roman. Heute ist erwiesen, daß im Gegenteil die Gironde Madame de Staël verabscheute, daß der Hof Narbonne haßte und über den abenteuerlichen Plan des Krieges, in den man ihn verwickeln wollte, murrte; der Hof meinte mit Recht, daß man ihn am Tage nach dem ersten Mißerfolg des Verrats zeihen und er in einer furchtbaren Gefahr schweben würde, der Narbonne und Lafayette nicht einen Augenblick lang stand halten könnten, daß die Gironde den beiden den kaum gezogenen Degen entreißen würde, um ihn gegen den König zu kehren.

»Sehen Sie,« sagte Robespierre, »daß der Plan zu diesem ruchlosen Krieg, durch den man uns den Königen Europas ausliefern will, unmittelbar aus der schwedischen Gesandtschaft stammt?« Das hieße vermuten, daß Madame de Staël wirklich die Frau ihres Gatten war, daß sie für Herrn von Staël und nach den Anweisungen seines Hofes handelte; eine lächerliche Vermutung, wenn man die rasende Liebe zu Narbonne sah, die sie ganz offen zur Schau trug, und ihre Ungeduld, ihn berühmt zu machen. Die arme Corinna [ * ] Nach ihrem Roman » Corinne ou l'Italie«. R. K. war fünfundzwanzig Jahre alt, sehr unvorsichtig, leidenschaftlich, edelmütig und meilenfern von jedem Gedanken an politischen Verrat. Diejenigen, welche Natur, Alter und Leidenschaft besser kennen als der allzu feine Logiker, werden diese ärgerliche, sicher unmoralische, sonst aber einwandfreie Sache vollkommen verstehen; sie handelte für ihren Liebhaber, keineswegs für ihren Gatten. Sie hatte es eilig, den ersteren in dem Kreuzzuge der Revolution berühmt zu machen, und sorgte sich nur wenig darum, ob die Schläge nicht auf das Haupt des erlauchten Herrn des schwedischen Gesandten fallen würden.

Am 11. Januar erstattete Narbonne, der auf einer äußerst beschleunigten Reise die Grenzen abgereist hatte, der Versammlung Bericht. Ein echter Höflingsbericht! Sei es Übereilung, sei es Unwissenheit: er entwarf ein glänzendes Bild von unserer militärischen Lage, nannte riesige Ziffern der Truppenbestände, machte Übertreibungen aller Art, die später von Dumouriez in einer Denkschrift zunichte gemacht wurden.

Der Sturz Narbonnes, der von den Girondisten zu Fall gebracht wurde, machte Madame de Staël zur eifrigen Royalistin. Sie entwarf einen Fluchtplan für die königliche Familie. Aber sie wollte, daß Narbonne, ihr Held, die Ehre davon hatte. Der Hof glaubte, sich so leichtsinnigen Händen nicht anvertrauen zu dürfen. Sie entfloh während der Schreckensherrschaft in die Schweiz, wurde nach dem Thermidor blinde Parteigängerin der Reaktion, wechselt plötzlich im Jahre 1796 ihren Standpunkt, unterstützt das Direktorium und nimmt mittelbar an dem Staatsstreich teil, der die Republik rettete.

Bonaparte haßte sie, da er glaubte, sie habe Necker bei seinen letzten Handlungen, die seiner eigenen Politik sehr zuwidergingen, geholfen. Er hat kein besseres Mittel gefunden, sie verächtlich zu machen, als die Behauptung, sie habe ihm irgend eine Liebeserklärung gemacht; äußerst unwahrscheinlich zu einer Zeit, wo sie völlig in den Händen Benjamin Constants war, den sie in die Opposition gegen Bonaparte brachte. Man weiß, wie lächerlich der Herr Europas sie verfolgen ließ, man kennt die Verbannung der Madame de Staël, die Beschlagnahme ihres Buches » De l'Allemagne« und die sonderbaren Vorschläge, die man ihr mehrfach antragen ließ. Bonaparte hatte ihr als Konsul angeboten, ihr zwei Millionen zurückzuzahlen, die im Jahre 1789 von Necker als Darlehen gegeben worden waren, und später ließ er sie bitten, für den König von Rom [ * ] König von Rom, – Der Sohn Napoleons I. aus seiner Ehe mit Marie Louise von Österreich. R. K. zu schreiben.

Im Jahre 1812 mußte sie nach Österreich, Rußland, Schweden fliehen. Sie wußte nicht mehr, wo sie bleiben konnte, als sie ihr Buch »Zehn Jahre in der Verbannung« schrieb. Sie hatte im Jahre 1810 einen jungen, kranken und verwundeten Offizier geheiratet, Herrn de Rocca, der einundzwanzig Jahre jünger war. Sie starb 1817.

Alles in allem war sie eine hervorragende Frau, besaß ein edles Herz und viel Talent; ohne die Salons, ohne die mittelmäßigen Freundschaften, ohne all die Erbärmlichkeiten der redenden und schreibenden Welt – hätte sie vielleicht Genie gehabt.


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