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Sechzehntes Kapitel

Fräulein Kéralio (Madame Robert).
Der 17. Juli 1791

Die Grundakte der Republik, die berühmte Petition vom Marsfelde, die besagt, daß weder Ludwig XVI. noch ein anderer König anerkannt werden dürfe, diese inmitten der Menge auf dem Altar des Vaterlandes (16. Juli 1791) aus dem Stegreif verfaßte Akte, ist noch in den Archiven des Seinedepartements vorhanden. Sie wurde von dem Cordelier Robert geschrieben.

Seine Frau, Madame Robert (Fräulein Kéralio), erzählte es am Abend Madame Roland. Auch die Akte selbst beweist es. Sie trägt offensichtlich die Handschrift Roberts, der sie als einer der ersten unterzeichnet hat.

Robert war ein dicker Mann, sein Patriotismus war größer als seine Begabung, und er besaß keinerlei geistige Beweglichkeit. Seine Frau hingegen, eine bekannte Schriftstellerin und unermüdliche Journalistin, hatte einen lebhaften, schnell erfassenden, feurigen Geist und mußte sehr wahrscheinlich diktieren.

Das Schriftstück ist sehr bemerkenswert. Es war in der Tat aus dem Stegreif hervorgegangen. Die Jakobiner waren dagegen. Sogar der Girondist Brissot, welcher den Sturz des Königs wollte, hatte eine behutsame Petition entworfen, die von den Cordeliers abgelehnt wurde. Von den Führern der Cordeliers wurden die einen am Morgen verhaftet, die anderen verbargen sich, um der Verhaftung zu entgehen. Da Danton, Desmoulins, Fréron, Legendre nicht erschienen, so kam ein Augenblick, wo nur Cordeliers zweiten Ranges, wie Robert einer war, an der Spitze standen und in den Fall gerieten, die Initiative zu ergreifen.

Die kleine Madame Robert, geschickt, witzig und stolz (dieses Bild entwirft Madame Roland von ihr), besonders aber ehrgeizig und unzufrieden, weil sie schon so lange die unbeachteten Mühen einer Frau trug, die schreiben muß, um zu leben, ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. Für mich besteht kein Zweifel, daß sie diktierte und der dicke Robert schrieb.

Der Stil scheint den Autor zu verraten. Die Sätze sind abgehackt, wie von einem Keuchenden. Mehrere bezeichnende Nachlässigkeiten, kleine, plötzliche Seitensprünge (wie sie eine Frau oder ein Kolibri im Zorn tut), verraten deutlich genug die weibliche Hand. »Aber, meine Herren, aber, ihr Vertreter eines edelmütigen und vertrauenden Volkes, erinnert euch« usw.

Madame Roland war morgens auf dem Marsfeld gewesen, um auszuforschen, welche Wendung die Dinge nehmen würden. Sie kam zurück, zweifellos in dem Glauben, daß nichts mehr daran zu ändern sei. Am Abend vorher hatte sie mit angesehen, wie eine unbekannte Menge in den Saal der Jakobiner drang; man vermutete – und das ist nicht unwahrscheinlich –, die Orleanisten hätten, um die republikanische Bewegung zu eigenem Vorteil abzulenken, diese Leute gedungen.

So waren es also die Cordeliers allein, Herr und Frau Robert an der Spitze, welche auf dem Marsfelde mitten unter dem Volke zurückblieben, welche für das Volk schrieben und in der Tat die verwegene Initiative hatten, aus der die Girondisten und später die Jakobiner bald Nutzen ziehen sollten.

Wer war Madame Robert (Fräulein Kéralio)?

Sie stammte durch ihren Vater aus der Brétagne, war aber im Jahre 1758 in Paris geboren und zählte damals dreiunddreißig Jahre. Sie war eine gebildete, man könnte sagen gelehrte Frau, von ihrem Vater, einem Mitglied der Akademie für alte Geschichte, erzogen. Guinement de Kéralio, Ritter vom Heiligen Ludwig, war mit Condillac zum Erzieher des Prinzen von Parma ernannt worden. Als Lehrer der Taktik an der Kriegsschule und als Inspektor einer Kriegsschule in der Provinz, hatte er den jungen Korsen Bonaparte unter seinen Schülern gehabt. Da seine Besoldung zum Unterhalt seiner Familie nicht ausreichte, schrieb er in den Merkur, in das Journal des Savants und verfertigte außerdem eine Menge Übersetzungen. Die kleine Kéralio war erst siebzehn Jahre alt, als sie übersetzte und kompilierte. Mit achtzehn Jahren schrieb sie einen Roman (Adélaïde), den niemand beachtete. Dann verwandte sie zehn Jahre auf die Ausarbeitung eines ernsten Werkes, einer ausführlichen »Geschichte Elisabeths«, die voll von Studien und Forschungen war. Unglücklicherweise war das große Werk erst im Jahre 1789 vollendet; das war zu spät, man machte damals Geschichte, statt sie zu lesen. Rasch wandten sich Vater und Tochter den Ereignissen der Zeit zu. Fräulein Kéralio wurde Journalistin und redigierte die »Staats- und Bürgerzeitung«. Der alte Kéralio wurde unter Lafayette Instruktor der Nationalgarde. Es läßt sich nicht feststellen, daß er oder sie großen Nutzen dabei gehabt hätte. Er hatte seine Stellung verloren, von der er leben konnte, als seine Tochter gerade zur rechten Zeit einen Gatten fand.

Dieser Gatte, ein scharfer Gegner der Partei Lafayettes, war der Cordelier Robert, welcher seit Ende des Jahres 1790 kühn dem Wege Camille Desmoulins folgte; er hatte den »Republikanismus, auf Frankreich angewandt« geschrieben. Fräulein Kéralio, die von adeliger Geburt und in der Welt des alten Regime aufgewachsen war, warf sich mit glühendem Eifer in die Bewegung. Ihre Ehe versetzte sie mitten in den heißesten Herd der Pariser Unruhen, in den Klub der Cordeliers. An dem Tage, wo die Führer der Cordeliers, verhaftet oder auf der Flucht, auf dem gefährlichen Posten am Altar des Vaterlandes fehlten, war sie da, handelte und verfaßte durch die Hand ihres Gatten die entscheidende Akte.

Die Sache war nicht ungefährlich. Obgleich man die Metzelei nicht voraussah, welche die Royalisten und die Soldaten Lafayettes am Abend veranstalteten, war das Marsfeld am Morgen der Schauplatz eines sehr tragischen Vorgangs, eines verhängnisvollen Scherzes, der in eine Bluttat ausartete. So traurig und schändlich dieser einzelne Fall ist, können wir ihn nicht unerwähnt lassen; er hängt zu sehr mit unserem Gegenstande zusammen.

Die royalistischen Edelleute waren Spötter. In ihren »Taten der Apostel« und anderswo machten sie unentwegt Witze über ihre Feinde. Besonders hatten sie ihren Spaß über das Verschwinden der Häupter der Cordeliers, über die Prügel, die einige von ihnen von den Anhängern Lafayettes erhielten. Die Royalisten niederen Ranges, frühere Lakaien, Portiers, Perückenmacher, trieben ebenfalls Possen; sie spielten, wenn sie Courage genug hatten, den Revolutionären Streiche. Die Perückenmacher besonders, welche durch die Revolution brotlos geworden waren, wurden wütende Royalisten. Vermittler von Vergnügungen und Liebesboten unter dem alten Regime, unvermeidliche Zeugen des Levers und der frechen Alkovenszenen, waren sie im allgemeinen auch auf eigene Faust lockere Zeisige. Einer von ihnen kam am Samstagabend, am Vorabend des 17. Juli, auf einen Gedanken, der nur dem Hirn eines arbeitslosen Libertins entspringen konnte: er wollte sich unter die Bretter des Altars des Vaterlandes verstecken und den Frauen unter die Röcke gucken. Man trug damals keine Reifröcke mehr, sondern solche, die nach hinten stark gebauscht waren. Die hochmütigen Republikanerinnen, Tribunen in der Haube, Klubredner, Römerinnen, gebildete Damen würden stolz zum Altar hinaufsteigen. Der Perückenmacher fand es belustigend, zuzusehen (oder zu erraten, was er nicht sah), und dann faule Witze darüber zu machen. Falsch oder wahr! die Sache wäre zweifellos in den royalistischen Salons mit Begeisterung aufgenommen worden; der Ton war damals sehr frei, selbst der der höchstgestellten Damen. Man liest in den Memoiren Lauzuns mit Erstaunen, was man in Gegenwart der Königin zu sagen wagte. Die Leserinnen des Faublas und anderer, noch schlimmerer Bücher würden zweifellos die frechen Beschreibungen begierig vernommen haben.

Der Perückenmacher wollte, wie der beim Lutrin, einen Genossen haben, wenn er sich in seine Finsternis einschloß, und wählte einen »Braven«, einen alten, invaliden Soldaten, der ebensowenig Royalist wie Libertin war. Sie nehmen Lebensmittel und ein Tönnchen Wasser mit und gehen nachts auf das Marsfeld, heben ein Brett aus, steigen hinab und legen es geschickt wieder zurecht. Dann begeben sie sich daran, mit einem Bohrer Löcher zu bohren. Die Nächte sind kurz im Juli, es wurde schon ganz hell, und sie arbeiteten noch immer. Die Erwartung des großen Tages weckte viele Leute auf, ebenso das Elend und die Hoffnung, in der Menge etwas zu verkaufen; eine Kuchen- oder Limonadenhändlerin war eher da als die anderen und streifte wartend auf dem Altar des Vaterlandes umher. Sie fühlt den Bohrer unter dem Fuß, bekommt Angst und schreit. Nun war da ein Lehrling, der fleißig die patriotischen Inschriften abschreiben wollte. Er rennt, um die Garde von Gros-Caillou zu holen, doch die rührt sich nicht; er rennt weiter zum Rathaus, holt Menschen herbei und Werkzeuge, man öffnet die Planken und findet die beiden Schuldigen, die sehr betroffen sind und sich schlafend stellen. Ihre Sache stand faul; man scherzte damals nicht über den Altar des Vaterlandes; ein Offizier in Brest wurde umgebracht, weil er sich darüber lustig gemacht hatte. Hier wurde der Umstand erschwerend, daß sie ihr häßliches Begehren gestanden. Die Bevölkerung von Gros-Caillou besteht völlig aus Wäscherinnen, ein rohes Weibervolk mit Waschkellen bewaffnet, manche Aufstände und Revolten haben während der Revolution dort stattgefunden. Diese Damen nahmen das Geständnis des Schimpfes, der den Frauen angetan werden sollte, sehr übel auf. Außerdem liefen noch andere Gerüchte in der Menge um; man hatte den Übeltätern, wurde erzählt, eine Leibrente versprochen, wenn sie einen Streich versuchen wollten; das Wassertönnchen ging von Mund zu Mund und wurde zu einem Pulverfaß; die Folge war die Behauptung: »Sie wollten das Volk in die Luft sprengen«. Die Garde kann sie nicht mehr verteidigen, man entreißt sie ihr und erwürgt sie; dann schneidet man ihnen, um die Aristokraten zu erschrecken, die Köpfe ab und trägt diese nach Paris. Um halb neun oder neun Uhr waren sie im Palais Royal.

Einen Augenblick später erklärte die Nationalversammlung, die aufgeregt und unwillig war, aber sehr geschickt von den Royalisten auf die republikanische Petition, die man voraussah und fürchtete, abgelenkt wurde: »Daß diejenigen, welche durch ihre eigenen oder durch gemeinsame Schriften das Volk zum Widerstande reizen würden, des Hochverrats schuldig seien.« Die Petition stand so auf einer Stufe mit der Gewalttat am Morgen, und jede Versammlung wurde bedroht wie eine Vereinigung von Mördern. Jeden Augenblick schrieb der Präsident Karl de Lameth an den Gemeinderat, er solle die rote Fahne [ * ] Als die Versammlung von Versailles nach Paris übergesiedelt war, beschloß sie ein strenges Aufstandsgesetz. (Siehe Einl.) In Zukunft brauchte nur ein Beamter der Stadtverwaltung die rote Fahne zu entfalten, so war der Belagerungszustand proklamiert. R. K. entfalten und die Nationalgarde gegen die Gesuchsteller auf dem Marsfelde schicken.

Die Volksversammlung war in Wirklichkeit sehr harmlos. Sie zählte noch mehr Frauen als Männer, sagt ein Augenzeuge. Unter den Unterschriften bemerkt man die sehr vieler Frauen und Mädchen. Zweifellos hingen sie, da es Sonntag war, am Arm ihrer Väter, ihrer Brüder oder ihrer Gatten. Im gläubigen Vertrauen gelehriger Schülerinnen wollten sie mit ihnen Zeugnis ablegen, wollten bei diesem großen Akt, dessen ganze Tragweite viele von ihnen nicht verstanden, mit den Männern gemeinsame Sache machen. Das Unverständnis war nicht wichtig, sie blieben mutig und treu, und mehr als eine hat bald auch mit ihrem Blut Zeugnis abgelegt.

Die Zahl der Unterschriften muß tatsächlich ungeheuer gewesen sein. Die noch vorhandenen Blätter enthalten mehrere Tausend. Aber offenbar sind viele verloren gegangen. Das letzte trägt die Nummer 50. Der wunderbare Eifer des Volkes, eine dem Könige so feindliche, die Nationalversammlung so mahnende Akte zu unterzeichnen, mußte diese erschrecken. Man brachte ihr zweifellos eine der Abschriften, die umliefen, und diese souveräne Versammlung, die bis dahin Richter und Schiedsmann zwischen König und Volk gewesen war, sah mit Schrecken, daß sie als angeklagt galt. Nun war es notwendig geworden, um jeden Preis die Volksversammlung aufzulösen und die Petition zu zerreißen.

Das war sicherlich der Gedankengang, ich sage nicht der ganzen Nationalversammlung, die sich leiten ließ, aber der Gedankengang der Führer. Sie versicherten, Mitteilung zu haben, daß die Menge vom Marsfeld gegen die Versammlung ziehen wollte, gewiß eine ungenaue Sache, die durch alles, was die noch lebenden Augenzeugen von der Haltung des Volkes erzählen, klar widerlegt wird. Daß unter der großen Zahl einige Verrückte waren, die den Zug vorschlugen, ist nicht unmöglich; aber niemand wirkte im geringsten auf die Menge. Sie war ungeheuer groß geworden, mit tausend verschiedenen Elementen durchsetzt und um so weniger leicht mit fortzureißen, um so weniger angriffslustig. Die Dörfer der Banlieue, die von den letzten Ereignissen nichts wußten, hatten sich in Bewegung gesetzt, besonders die westliche Banlieue, Vaugirard, Issy, Sèvres, Saint-Cloud, Boulogne usw. Sie kamen wie zu einem Feste; aber einmal auf dem Marsfeld, hatten sie nicht die geringste Lust, noch weiter zu gehen; sie suchten lieber an diesem äußerst heißen Tage ein wenig Schatten und Ruhe unter den Bäumen der Einfassung oder noch eher in der Mitte, unter der breiten Pyramide des Altars des Vaterlandes.

Indessen kam gegen vier Uhr eine letzte, niederschmetternde Botschaft aus der Nationalversammlung ins Rathaus; und zu gleicher Zeit verbreitete sich ein Gerücht aus derselben Quelle auf der Grève und unter der ganzen besoldeten Garde, die da stand: »Eine Truppe von fünfzigtausend Briganten hat sich auf dem Marsfeld aufgestellt und schickt sich an, gegen die Nationalversammlung zu ziehen.«

Der Stadtrat widerstand nicht länger. Er entfaltete die rote Fahne. Der Maire Bailly ging totenbleich auf die Grève hinab und marschierte an der Spitze einer Kolonne der Nationalgarde. Lafayette verfolgte einen anderen Weg.

Es folgt nun die unveröffentlichte Erzählung eines sehr glaubwürdigen Zeugen, der Nationalgardist war und mit der Truppe aus dem Faubourg Saint-Antoine auf das Marsfeld zog.

»Der Anblick, den dieser ungeheure Platz damals darbot, verblüffte uns. Wir hatten erwartet, ihn von wütendem Pöbel besetzt zu sehen; wir fanden nur die friedlichen Sonntagsspaziergänger in Gruppen und in Familien beieinander, und in großer Mehrzahl aus Frauen und Kindern bestehend, inmitten deren Händler Lakritzenwasser, Pfefferkuchen und Kuchen aus Nanterre, die damals den Ruf der Neuheit hatten, feilboten. Niemand in dieser Menge war bewaffnet, mit Ausnahme einiger Nationalgardisten, die mit Uniform und Säbel angetan waren; doch die meisten begleiteten ihre Frauen und hatten nichts Drohendes oder Verdächtiges. Die Sorglosigkeit war so groß, daß mehrere unserer Kompagnien ihre Gewehre zusammenstellten, und daß einige von uns von Neugier getrieben bis zur Mitte des Marsfeldes gingen. Bei ihrer Rückkehr wurden sie ausgefragt und erzählten, daß es nichts Neues gäbe, nur auf den Stufen zum Altar des Vaterlandes unterzeichne man eine Petition.

Dieser Altar war ein ungeheures Bauwerk, hundert Fuß hoch; es stützte sich auf vier Massive, welche die Winkel seines weiten Vierecks einnahmen und Dreifüße von kolossaler Größe trugen. Diese Massive waren unter sich durch Treppen verbunden, die so breit waren, daß ein ganzes Bataillon in Front auf jeder von ihnen hinaufsteigen konnte. Auf der Plattform, auf die sie führten, erhob sich pyramidenförmig durch eine Vielheit von Stufen ein Wall, den der Altar des Vaterlandes krönte und der von einem Palmbaum beschattet war.

Die auf den vier Seiten von unten bis oben angebrachten Stufen hatten der durch einen langen Spaziergang und durch die Sonnenhitze des Juli ermüdeten Menge Sitze dargeboten. So glich das große Denkmal bei unserer Ankunft einem lebendigen Gebirge, das aus übereinanderlagernden menschlichen Wesen gebildet war. Keiner von uns sah voraus, daß dieses für ein Fest errichtete Bauwerk bald in ein blutiges Schafott verwandelt sein würde.«

Weder Bailly noch Lafayette waren blutdürstig. Sie hatten nur einen allgemeinen Befehl gegeben, im Falle des Widerstandes Gewalt anzuwenden. Die Ereignisse rissen alles mit sich fort: die besoldete Nationalgarde (eine Art von Gendarmerie) betrat gerade das Marsfeld durch die Mitte (von Gros-Caillou her), als »man« ihr sagte, daß am anderen Ende auf den Maire geschossen worden sei. Und in der Tat war aus einer Gruppe Kinder und aufgeregter Männer ein Schuß gefallen, der hinter dem Maire einen Dragoner verwundete.

»Man« sagte, aber wer war dieser »man«? Zweifellos die Royalisten, vielleicht die Perückenmacher, die in großer Zahl bis an die Zähne bewaffnet gekommen waren, um den am Morgen getöteten Perückenmacher zu rächen.

Die besoldete Garde wartete nicht ab, und ohne die Wahrheit dieses on dit festzustellen, rückte sie im Laufschritt auf dem Marsfeld vor und feuerte alle ihre Waffen auf den Altar des Vaterlandes ab, der mit Frauen und Kindern dicht besetzt war. Robert und seine Frau wurden nicht getroffen. Entweder sie oder ihre Freunde, die Cordeliers, sammelten unter dem Feuer die verstreuten Blätter der Petition, die wir zum Teil noch besitzen.

Abends flohen sie zu Madame Roland. Man muß ihren Bericht lesen, der durch seine Bitterkeit nur allzusehr die übergroße Ängstlichkeit der girondistischen Politik bezeugt: »Als ich um elf Uhr abends von den Jakobinern nach Hause zurückkam, fand ich Herrn und Frau Robert vor. ›Wir kommen,‹ begann die Frau mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin, ›Sie um eine Zuflucht zu bitten; man braucht Sie nicht oft gesehen zu haben, um an die Aufrichtigkeit Ihres Charakters und Ihres Patriotismus zu glauben. Mein Mann entwarf die Petition auf dem Altar des Vaterlandes; ich stand ihm zur Seite; wir entgingen dem Blutbad, konnten es aber nicht wagen, nach Hause zu gehen oder bei vertrauten Freunden einzukehren, wo man uns suchen könnte.‹ – ›Ich bin Ihnen sehr verbunden,‹ erwiderte ich ihr, ›daß Sie in so trauriger Lage an mich gedacht haben, und ich mache mir eine Ehre daraus, die Verfolgten aufzunehmen; aber Sie sind hier schlecht verborgen (ich wohnte im Hotel Britannique in der Rue Guénégaud); dies Haus wird stark besucht, und der Wirt ist ein eifriger Parteigänger Lafayettes.‹ – ›Es handelt sich nur um diese Nacht; morgen werden wir auf einen anderen Schlupfwinkel bedacht sein.‹ Ich ließ der Wirtin sagen, daß eine Dame aus meiner Verwandtschaft in diesem Augenblick des Tumultes in Paris angekommen sei und ihr Gepäck bei der Post gelassen habe, sie würde die Nacht bei mir verbringen; ich bäte sie, zwei Feldbetten in meiner Wohnung aufschlagen zu lassen. Sie wurden in einen Salon gestellt, in den sich die Männer zurückzogen, und Madame Robert schlief im Bett meines Mannes neben dem meinigen in meinem Zimmer. Am folgenden Morgen stand ich sehr früh auf und hatte nichts Dringenderes als Briefe zu schreiben, um meine entfernten Freunde über die Vorgänge des verflossenen Tages zu unterrichten. Herr und Frau Robert, von denen ich glaubte, sie seien sehr tätig und unterhielten als Journalisten einen ausgedehnteren Briefwechsel, kleideten sich gemächlich an, plauderten nach dem Frühstück, das ich ihnen servieren ließ, und setzten sich auf den Balkon über der Straße; sie riefen sogar durch das Fenster einen Bekannten an, der vorüberkam, und ließen ihn zu sich heraufkommen.

Ich fand dieses Betragen von Leuten, die sich versteckten, sehr inkonsequent. Die Person, die sie hatten heraufkommen lassen, unterhielt sie mit hitzigem Eifer von den Ereignissen des Vorabends und rühmte sich, einem Nationalgardisten seinen Säbel mitten durch den Leib gerannt zu haben; er sprach sehr laut, in einem Zimmer, das einem mit einer anderen Wohnung verbundenen großen Vorzimmer benachbart war. Ich rief Madame Robert: ›Ich habe Sie aufgenommen, Madame, mit einem Interesse, das man aus Gerechtigkeitssinn und Menschlichkeit ehrbaren Leuten zollt, die in Gefahr sind; aber ich kann nicht allen Ihren Bekannten Zuflucht gewähren; Sie stellen sich bloß, wenn Sie sich in einem Hause, wie dieses ist, mit einem so wenig diskreten Menschen unterhalten; ich empfange gewöhnlich Abgeordnete, welche Gefahr liefen, sich zu kompromittieren, wenn man sie hier einträten sähe in einem Augenblick, wo sich jemand hier befindet, der sich seiner gestern begangenen Gewalttätigkeiten rühmt; ich bitte Sie, den Menschen aufzufordern, sich zurückzuziehen.‹ Madame Robert rief ihren Gatten, ich wiederholte meine Bemerkungen in einem erhöhten Ton, weil seine schwerfälligere Persönlichkeit mir eines starken Eindrucks zu bedürfen schien; man verabschiedete den Mann. Ich erfuhr, daß er Vachard hieße und Vorsitzender eines sogenannten Armenvereins sei; man rühmte seine ausgezeichneten Eigenschaften und seinen glühenden Patriotismus sehr. Ich seufzte in meinem Inneren über den Wert, den man dem Patriotismus eines Individuums beimessen mußte, das mir lediglich ein Brausekopf, Tagedieb und Taugenichts zu sein schien. Ich habe seither erfahren, daß er ein Verkäufer des Maratschen Blattes war und nicht lesen konnte; heute ist er Verwalter des Departements Paris und spielt unter seinesgleichen eine ausgezeichnete Rolle.

Es war Mittag; Herr und Frau Robert sprachen davon, nach Hause zu gehen, wo alles in Unordnung sein mußte: ich sagte ihnen, daß, wenn sie aus diesem Grunde vor dem Weggang eine Suppe von mir annehmen wollten, ich sie ihnen frühzeitig servieren lassen würde; sie antworteten mir, daß sie lieber wiederkommen wollten, und verabredeten in diesem Sinne verbindlich beim Hinausgehen. Tatsächlich sah ich sie vor drei Uhr wieder; sie hatten Toilette gemacht: die Frau trug große Federn und hatte die Schminke dick aufgetragen; der Gatte hatte einen Rock aus himmelblauer Seide angezogen, von welchem seine schwarzen Haare, die in dicken Locken herabfielen, merkwürdig abstachen. Ein langer Degen an der Seite vervollständigte sein Kostüm nach der Richtung des Auffälligen. Aber lieber Gott! Sind diese Leute verrückt? fragte ich mich selbst. Und ich beobachtete sie beim Sprechen, um mich zu vergewissern, daß sie nicht den Verstand verloren hätten. Der dicke Robert aß mit prachtvollem Appetit, und seine Frau plauderte vergnüglich. Schließlich verließen sie mich, und ich habe nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen.

Als Robert im folgenden Winter in Paris zurück war und Roland bei den Jakobinern begegnete, machte er ihm liebenswürdige Vorwürfe und beklagte sich höflich, daß er keinerlei Beziehung mehr mit uns habe; seine Frau besuchte mich mehrere Male und lud mich auf das dringendste ein, zweimal in der Woche zu ihr zu kommen, wenn sie Zusammenkünfte abhielt, bei der sich Männer von Verdienst aus der gesetzgebenden Versammlung einfanden. Ich ging einmal hin und sah Antoine, dessen ganze Mittelmäßigkeit ich kannte; er war ein kleiner Mann, den man gut auf einen Toilettentisch setzen konnte, und machte hübsche Verse, schrieb auch belanglose Dinge, besaß aber weder Festigkeit noch Charakter. Ich sah Abgeordnete, die Patrioten nach der Elle waren und anständig wie Chabot; einige in Bürgertugend glühende Frauen und ehrenwerte Mitglieder des Brudervereins vollendeten die Zusammensetzung eines Kreises, der mir durchaus nicht zusagte, und den ich nicht wieder aufsuchte. Einige Monate später wurde Roland zum Minister ernannt; vierundzwanzig Stunden waren kaum verstrichen seit seiner Ernennung, als ich Madame Robert bei mir ankommen sah: ›Ah, sieh da! Ihr Gatte hat nun eine Stellung; die Patrioten müssen sich gegenseitig helfen; ich hoffe, daß Sie den meinigen nicht vergessen.‹ – ›Madame, ich wäre entzückt, Ihnen nützlich sein zu können; aber ich weiß nicht, ob ich etwas dazu tun kann; und sicherlich wird Herr Roland durch die Verwendung fähiger Leute nichts versäumen, was im öffentlichen Interesse liegt.‹ – Vier Tage gehen vorüber; Madame Robert erscheint, um mir einen Morgenbesuch zu machen, ein zweiter Besuch folgte wenige Tage darauf, und immer blieb sie hartnäckig dabei, daß es notwendig sei, ihrem Gatten eine Stellung zu verschaffen, daß er ein Recht darauf habe vermöge seines Patriotismus. Ich belehrte Madame Robert, daß der Minister des Inneren lediglich Stellen in seinen Bureaus zu vergeben habe, und daß diese alle besetzt seien; daß, auch wenn es nützlich schiene, einen Wechsel unter den Beamten eintreten zu lassen, es einem klugen Manne gezieme, die Dinge und die Menschen zu studieren, bevor er Neuerungen einführe, damit der Gang der Geschäfte nicht gehemmt würde; und daß schließlich nach allem, was sie mir selbst mitgeteilt habe, zweifellos ihr Gatte keine subalterne Stellung wünsche. – ›In der Tat ist Robert für etwas Besseres geschaffen.‹ – ›In diesem Falle kann Ihnen der Minister des Inneren in keiner Weise dienen.‹ – ›Aber dann muß er mit dem Minister des Auswärtigen sprechen und Robert eine Mission übertragen lassen.‹ – ›Ich glaube, daß Roland zu streng denkt, um jemanden zu beeinflussen und sich in das Departement seiner Kollegen zu mischen; aber da Sie wahrscheinlich nur verlangen, daß man die Bürgertugend Ihres Gatten bezeugt, so werde ich es meinem Manne sagen.‹

Madame Robert hing sich an Dumouriez und an Brissot und kam nach drei Wochen wieder, um mir zu sagen, daß sie das Wort des ersteren habe, und daß sie mich bäte, ihn an sein Versprechen zu erinnern, wenn ich ihn sähe.

Er kam in derselben Woche zu mir zu Tisch; Brissot und andere waren da. ›Haben Sie nicht,‹ sage ich zu dem ersteren, ›einer sehr zudringlichen Dame versprochen, ihrem Gatten unverzüglich eine Stellung zu geben? Sie hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, und ihre Geschäftigkeit ist so groß, daß ich sehr froh bin, sie meinerseits beruhigen und ihr sagen zu können, daß ich ihren Wunsch erfüllt habe.‹ ›Handelt es sich nicht um Robert?‹ fragte Brissot sogleich. – ›Richtig.‹ – ›Ah,‹ fuhr er mit dem für ihn bezeichnenden Wohlwollen fort, ›Sie müssen (und er wandte sich an Dumouriez) diesen Mann unterbringen, er ist ein aufrichtiger Freund der Revolution, ein warmer Patriot; er ist gar nicht glücklich; die Herrschaft der Freiheit muß denen, die sie lieben, von Nutzen sein.‹ – ›Was!‹ unterbrach ihn Dumouriez ebenso lebhaft wie belustigt. ›Sie sprechen von dem kleinen Mann mit dem schwarzen Kopf, der ebenso breit wie lang ist!? Meiner Treu, ich habe keine Lust, mir Schande zu machen. Ich kann doch einen solchen Dickkopf nirgends hinschicken.‹ – ›Aber,‹ erwiderte Brissot, ›unter den Beamten, die Sie zu verwenden im Falle sind, brauchen doch nicht alle die gleiche Kapazität zu besitzen.‹ – ›Kennen Sie denn Robert?‹ fragte Dumouriez. – ›Ich kenne Kéralio gut, den Vater seiner Frau; er ist ein außerordentlich achtbarer Mann; ich habe Robert bei ihm gesehen; ich weiß, daß man ihm einige Verkehrtheiten vorwirft; aber ich halte ihn für anständig und glaube, daß er das beste Herz besitzt und von wahrer Bürgertugend durchdrungen ist; er braucht es wohl, verwendet zu werden.‹ – ›Ich stelle keinen solchen Narren an.‹ – ›Aber Sie haben es seiner Frau versprochen.‹ – ›Zweifellos! Eine untergeordnete Stelle mit tausend Talern Gehalt, die er ausgeschlagen hat. Wissen Sie, um was er mich bittet? Um die Gesandtschaft in Konstantinopel.‹ – ›Um die Gesandtschaft in Konstantinopel!‹ rief Brissot lachend. ›Das ist nicht möglich.‹ – ›Das ist so.‹ – ›Dann habe ich nichts mehr zu sagen.‹ – ›Ich auch nicht,‹ fügte Dumouriez hinzu, ›außer, daß ich dieses Faß auf die Straße rollen lassen werde, wenn es sich wieder bei mir einstellt, und daß ich seiner Frau meine Türe verbiete.‹

Madame Robert kam noch einmal zu mir; ich wollte sie mir durchaus vom Halse schaffen, aber ohne Aufsehen; und ich konnte nur in einer meiner Freimütigkeit entsprechenden Weise vorgehen. Sie beklagte sich sehr über Dumouriez und seine Langsamkeit; ich sagte ihr, daß ich mit ihm gesprochen hätte, aber daß ich ihr nicht verhehlen könne, daß sie Feinde habe, die üble Gerüchte über sie verbreiteten; ich bäte sie, diesen bis an ihre Quelle nachzugehen, um sie zu zerstören, damit ein im öffentlichen Leben stehender Mann sich nicht den Vorwürfen Übelwollender aussetze, wenn er jemanden anstelle, der von ungünstigen Vorurteilen umgeben sei; daß sie nur Erklärungen dafür beizubringen brauche, die zu geben ich sie auffordere. Madame Robert ging zu Brissot, der ihr in seiner Unbefangenheit sagte, sie habe eine Torheit begangen, eine Gesandtschaft zu verlangen, und daß man mit solchen Ansprüchen schließlich gar nichts erreichen könne. Wir sahen sie nicht wieder; aber ihr Gatte schrieb eine Broschüre gegen Brissot, um ihn als Stellenverkäufer und Urkundenfälscher zu verdächtigen, der ihm die Gesandtschaft von Konstantinopel versprochen und es später widerrufen habe. Er warf sich den Cordeliers an den Hals und verband sich mit Danton, bot sich diesem als Handlanger an, als Danton am 10. August Minister wurde; von ihm wurde er in den Wahlkörper gebracht und in die Pariser Vertretung des Konvents; er bezahlte seine Schulden, machte großen Aufwand, empfing den Herzog von Orléans und tausend andere zum Essen, ist heute reich, verleumdet Roland und verlästert seine Frau, all das begreift man: er versteht sein Amt und verdient Geld.«

Dieses bittere, ungerechte Bild, welches beweist, daß Madame Roland, daß die größten Charaktere ihre Erbärmlichkeiten und Schwächen haben, ist in mehr als einem Punkt tatsächlich ungenau, in einem ganz bestimmt. Robert warf sich den Cordeliers keineswegs Ende 1792 an den Hals, denn er gehörte schon seit Anfang 1791 zu ihnen und hatte im Juli 1791 mit seiner Frau die kühne Akte verfaßt, welche die Cordeliers in der Geschichte berühmt macht, die Grundakte der Republik.

Robert war ein guter Mensch mit warmem Herzen. Er scheint einer von denen gewesen zu sein, die im Sommer 1793 (im August oder September) mit Garat bei Robespierre Versuche machten, die Girondisten zu retten, die dann unweigerlich verloren waren, und die kein Mensch mehr retten konnte.

Ein ganz unbedeutender Zufall wurde ihm sehr verhängnisvoll. Der Konvent hatte ein sehr strenges Gesetz gegen den Wucher eingebracht. Man verdächtigte Robert, daß er eine Tonne Rum im Hause habe. Er wandte vergeblich ein, es sei nur ein ganz kleines Fäßchen und für den eigenen Gebrauch bestimmt. Man zog nichtsdestoweniger bei den Jakobinern gegen Robert, »den Aufkäufer«, los, erfreut, daß man die alten Cordeliers um ihr Ansehen bringen konnte.

Was auch Madame Roland sagen mag, weder Robert noch seine Frau hatten sich bereichert. Die arme Frau lebte nach der Revolution von ihrer Feder wie vorher; sie schrieb zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen für die Buchhändler und von Zeit zu Zeit Romane: »Amalie und Caroline oder Liebe und Freundschaft,« »Alphons und Mathilde oder die spanische Familie,« »Rosa und Albert oder Emmas Grab« (1810). Das ist das letzte ihrer Werke und wahrscheinlich das Ende ihres Lebens.

All das ist vergessen, sogar ihre »Geschichte Elisabeths«. Aber unvergessen ist der Mut, mit dem sie zur Republik den Anstoß gab, am 17. Juli 1791.


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