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Die Wiedergeburt des Buddhismus

Der Brief des Marquis J., ein Brief vom 1. April, für den ich ganz und gar die Verantwortung übernehmen muss, knüpfte an eine merkwürdige Nachricht an: die japanische Regierung hätte die gewiss lobenswerte Absicht, in ihrem Lande die beste Religion einzuführen, und wenn die Kommission bis Mitternacht aufbleiben müsste, um die beste Religion auszuwählen oder zu erfinden. Nun erhielt ich über diese Frage Briefe, deren exotische Briefmarken bildlich für die weite Verbreitung des »Berliner Tageblatts« sprachen. Aus Japan selbst schrieb mir ein – englischer – Anhänger des Mahayana (des nördlichen Buddhismus) und überraschte mich nicht eben mit der Mitteilung, dass die Höchstgebildeten unter den Japanern sich für Einführung einer neuen Volksreligion gar nicht interessierten, die doch nur irgendwelchen alten Aberglauben konservieren müsste; dass sie in ihrer wissenschaftlichen Ausgestaltung des Buddhismus, eben dem Mahayana, die vollendetste Weltanschauung und Religion besässen, deren die Menschheit jemals fähig gewesen wäre. Ueber kurz oder lang werde dieser Neubuddhismus oder Panbuddhismus die Welt beherrschen und auch im Abendlande die Erbschaft des Christentums antreten.

Die Japaner sind ja die Nächsten dazu, das einst christliche Wort wieder zu Ehren zu bringen: Licht aus dem Orient; sie sind zum Staunen der Zeitgenossen eine Grossmacht geworden, während das christliche Abendland dabei ist, Asien (und Afrika dazu) Stück für Stück zu verschlucken. Der Islam, noch vor vierhundert Jahren die waffenfähigste Kirche der Erde, ist um seiner Schwäche willen sprichwörtlich geworden; trotz seinem tapferen Fanatismus hat er sich gegen die Schlauheit des christlichen Europa nicht behaupten können. Der Buddhismus jedoch, dessen Bekenner niemals fanatisch waren und selbst mit ihren Feinden in Frieden leben wollten, hat in aller Stille die halbe Welt erobert, trotzdem er in seiner Heimat durch die Wut der Brahmanen und dann der Türken so gut wie ausgerottet worden ist; mag auch die Rechnung zu hoch gegriffen haben, nach der die Hälfte der Menschheit buddhistisch ist, mögen auch bescheidenere Angaben übertrieben sein, so viel ist sicher, dass es mehr Buddhisten auf der Erde gibt als Gläubige irgendeiner christlichen Kirche. Aber diese Ziffern meine ich nicht, wenn ich an eine Wiedergeburt des Buddhismus denke. In Ceylon, Siam, Tibet, China und Japan leben einige hundert Millionen von Buddhisten, deren Religionsübungen nicht gerade zur Nachfolge anreizen, deren Mönche »faule Bäuche« sind nach dem Worte des Paulus wie anderswo.

Die Wiedergeburt des Buddhismus ist ein ernster Versuch, die Lehre des Buddha in ihrer Reinheit wiederherzustellen, sie zu reformieren und sie in den Schlagworten der abendländischen Wissenschaft auszudrücken. Man will den Buddhismus zu einer modernen, wissenschaftlichen Weltanschauung entwickeln und ihn so fähig machen, Weltreligion zu werden und alle jüngeren Religionen zu beerben. Im ganzen und grossen sind die Rollen so verteilt: japanische Gelehrte, welche europäische Schulen besucht haben, bemühen sich nachzuweisen, dass Buddha vor zweieinhalb Jahrtausenden die Erkenntnistheorie von Kant und Helmholtz schon gekannt habe; glänzende englische Schriftsteller, wie Lafcadio Hearn, zeichnen in ihren Reiseschilderungen die einfache buddhistische Bevölkerung so, als ob die tiefsten Gedanken und die himmelreine Ethik des Buddha bei ihr zu finden wäre; deutsche Philologen vermitteln uns die Kenntnis der ältesten und unverfälschtesten Texte und zeigen uns den Buddha als einen unvergleichlichen Philosophen. So wie einst der Buddhismus durch Missionen in China, Japan usw. eingeführt worden ist, so werden jetzt Missionen des Neubuddhismus nach Nordamerika und England geschickt oder vorbereitet; und in Deutschland und der Schweiz, wo der Boden durch die Verbreitung der Bücher Schopenhauers besonders günstig scheinen musste, denkt man allen Ernstes daran, buddhistische Gemeinden zu gründen, Zweigniederlassungen des maßvoll asketischen Buddhistenordens zu stiften. In England und in Deutschland erscheinen buddhistische Zeitschriften, deren Ziel eine buddhistische Propaganda ist. In England und in Deutschland kann man unzählige Aufsätze lesen, die zur grösseren Ehre des Buddha geschrieben sind.

Der Buddha muss ein vollendeter Mensch gewesen sein; der Weisesten und Besten einer, die in der Menschheit Spuren hinterlassen haben; ich glaube, in meinem Buche »Der letzte Tod des Gautama Buddha« verraten zu haben, wie gross und lichtstrahlend auch mir, der ich seinen Glauben an die Seelenwanderung nicht teile, seine Persönlichkeit erscheint. (Ein italienischer Neubuddhist hat darüber, dass ich einer solchen Gestalt andächtig und doch frei gegenüberstehe, sein bisschen Verstand verloren.) Will man uns aber seinen Glauben als die Religion der Zukunft anpreisen, dann sollte doch vorher die nicht unwichtige Frage beantwortet werden, ob der Buddhismus, der echte und der alte oder meinetwegen der entwickelte Neubuddhismus, überhaupt eine Religion sei.

Man könnte da ein Wort Heinrich Heine's umkehren. Der hat einmal von seiner eigenen Konfession gesagt: Das Judentum ist gar keine Religion, es ist ein Unglück; so könnte man behaupten: Der Buddhismus ist vielleicht ein Glück, aber keine Religion. Das Ruhebedürfnis des Menschen kann in dieser elenden Welt durch buddhistische Ueberzeugungen gestillt werden; aber eine Lehre, die keinen Gott kennt, kein Dogma und kein Gebet, ist nach unserem Sprachgebrauche wirklich keine Religion.

Der ursprüngliche Buddhismus ist atheistisch, und zwar sehr gründlich, da er den Begriff einer ersten Ursache und sogar den Begriff einer Persönlichkeit nicht gelten lässt. Der Buddhismus weiss nichts von Dogmen, weil er weder Offenbarung noch. Inspiration zugibt und nicht will, dass man irgend etwas auf eine Autorität hin glaube. Der ursprüngliche Buddhismus verwirft auch das Gebet; das Volk zündet zwar vor dem Bilde des Buddha Kerzen und Weihrauch an, legt Blumen hin und spricht dazu hergebrachte Formeln, aber der Neubuddhismus lehrt mit Recht, dass diese Worte im Sinne des Buddha keine Gebete seien, sondern eine inbrünstige und dankbare Anerkennung der unvergleichlichen Bedeutung des Buddha. Von allen unseren Religionen unterscheidet sich der Buddhismus auch dadurch, dass man nicht Buddhist wird durch Geburt von buddhistischen Eltern oder durch das Hinzutreten eines äusseren Zeichens, sondern einzig und allein durch Studium und Annahme der buddhistischen Lehren; wer von der Wahrheit dieser Lehren nicht überzeugt wird, der ist nicht etwa ein schlechter Buddhist (wie es in Europa schlechte Christen gibt), sondern der ist eben nicht Buddhist. Ferner kann ein Unmündiger, ein unheilbar Kranker, ein Schuldenmacher, ein Sklave, ein Soldat, ein Verbrecher nicht Buddhist werden; das mögen sehr kluge Vorschriften eines Ordenstifters gewesen sein, Gesetze eines Religionsgründers sind es nicht. Nicht einmal nützliche Regeln für die Propaganda; man frage einmal bei ehrlichen Missionaren: wie viele Christen es unter Negern und Chinesen gäbe, wenn man keinen Kranken, keinen Schuldenmacher und keinen Verbrecher aufgenommen hätte. Aber noch aus tieferen Gründen lehrte der Buddha nicht, was nach abendländischem Sprachgebrauche eine richtige Religion ausmacht. Der Buddha kannte das, was wir falsch die Seelenwanderung nennen, aber er leugnete die Seele; der Buddha lehrte mit Andacht und Kraft eine Erlösung durch eigenes Verdienst, aber er verwarf jeden überirdischen Erlöser und wollte selbst nicht ein solcher sein; der Buddha erlebte und schilderte das höchste Gut, die paradiesische Wonne des Nirvana (das doch wohl mehr war als das Aufhören jedes Gefühls, als die Vernichtung des Daseins), aber er wusste nichts von irgendeinem Paradiese im Himmel, von irgendeinem Orte der Seligkeit.

Will man durchaus im Buddhismus Züge entdecken, die mit den Vorstellungen unserer abendländischen Religionen verwandt sind, so darf man auch nicht an die vom Buddhismus gepredigte Menschen- und Tierfreundlichkeit erinnern, noch weniger an die ausgleichende Gerechtigkeit, die in dem Kreislaufe der Geburten (der sogenannten Seelenwanderung) stecken soll; sonst wäre alle Moral religiös. Eher werden wir an die Sitten der abendländischen Kirchen gemahnt, wenn in den buddhistischen Schriften an allen passenden und unpassenden Stellen die Freigebigkeit gegen die Geistlichen eingeschärft wird; aber immerhin waren die buddhistischen Mönche nicht Priester in unserem Sinne, weder gute noch schlechte Priester; sie hatten den Gläubigen nichts zu bieten und sollten dadurch, dass sie Wohnung und Nahrung umsonst hatten, nur in den Stand gesetzt werden, ausschliesslich der inneren Einkehr zu leben.

Nun strengen sich namentlich die deutschen Bekenner des Buddhismus und neuerdings auch die japanischen nicht wenig an, die Völker Europas davon zu überzeugen, dass die altersgrauen Lehren des Buddha durch die abendländische Wissenschaft und durch die deutsche Philosophie insbesondere bestätigt worden seien. Das ist auch insofern richtig, als ein entscheidender Gedanke des Buddha oder seine Lieblingsvorstellung mit den Ergebnissen übereinstimmt, zu welchen die philosophische Entwicklung von Kant bis Mach uns etwa geführt hat: alles fliesst, alles ist Erscheinung, es gibt kein Selbst, »das Ich ist nicht zu retten«. Und über diese allerschwierigsten Gedankengänge hinaus führen uns die Reden des Buddha oft in eine mystische Welt hinein, die noch schöner ist und wunderbarer als die mystischen Sehnsüchte des deutschen christlichen Mittelalters. Und die prachtvoll konsequente buddhistische Sittenlehre ist auf etwas aufgebaut, das man die eherne Kette einer moralischen Kausalität nennen könnte; diese moralische Kausalität, der berühmte Karman, Hesse sich wirklich mit imponierender Logik so vortragen, dass alle griechischen und alle christlichen Moralprediger von der Einheitlichkeit und überzeugenden Gewalt der buddhistischen Vorstellung beschämt würden. Sollte nun der Buddhismus in der Tat die Religion der abendländischen Zukunft werden, so wäre es gar nicht so übel um die neue Moral bestellt; die besten Köpfe könnten sich ihr unterwerfen, ohne ihren Verstand vorher zum Opfer bringen zu müssen.

Bis auf einen Punkt freilich. Die eindringliche Lehre von der unentrinnbaren moralischen Kausalität ist aufgebaut auf einem Glauben, der dem abendländischen Gehirn und Gefühl widerstrebt: auf dem Glauben an einen Kreislauf der Geburten, den wir immer wieder Seelenwanderung nennen. Diesen Kreislauf, eine Seelenwanderung ohne Seele, versteht der Buddha, der Inder, unter dem Worte Sansara; Nirvana ist der Gegensatz dazu, ist das Auslöschen der Lebensflamme, ist das bewusste Heraustreten aus dem Kreislaufe der Geburten. Sansara und Nirvana sind uns seit ungefähr hundert Jahren die beiden geläufigsten Worte aus dem altindischen, noch vorbuddhistischen Wortschatze. Aber ach, nur Worte, mit denen wir keinen klaren Sinn verbinden, auf denen wir darum keine Weltanschauung errichten können. Auf denen man gerade darum die Religion der Zukunft errichten will. Ich habe wahrhaftig nicht die Neigung, die alten Dogmen für die »heiligsten Güter« des Abendlandes zu halten und die »Völker« zu ihrer Wahrung aufzurufen; viel eher hätte ich Lust, das »geflügelte« Wort des Kaisers nach Osten hinüberzurufen: »Völker Asiens, wahrt eure heiligsten Güter.« Aber weil der Glaube an die Seelenwanderung eine Vorbedingung der Zukunftsreligion wäre, darum ist mir das Zutrauen zu einer Wiedergeburt des heilig-schönen Buddhismus versagt.

Mögen immerhin die Neubuddhisten ihre Missionen nach Europa senden. Die Propaganda braucht ja nicht gleich mit so verdächtigen Mitteln betrieben zu werden, wie die der genialen Schwindlerin Blavatsky waren, der merkwürdigen Frau, die ihre spiritistischen Kunststücke Theosophie nannte und mit solchen Kniffen, unterstützt von ihrem vielleicht ehrlichen Freunde, dem Obersten Olcott, tatsächlich die Gründung buddhistischer Gemeinden durchgesetzt hat In den reichlich vierzig Jahren meiner schriftstellerischen Tätigkeit bin ich kaum durch so viele erregte Briefe gestört worden, wie nach dem ersten Erscheinen dieses Aufsatzes; einige weitere Worte über Frau Blavatsky findet man im folgenden Aufsatze »Die Theosophen«..

Die christliche Propaganda ist im Mittelalter mit so blutigen Greueln ausgeübt worden, die »Bekehrung der Heiden« wird von den Missionaren heute noch mit so unsauberen Mitteln gefördert, dass dagegen das Vorgehen der neubuddhistischen Missionen geradezu ideal erscheint; sie kommen nach England, nach Deutschland und nach der Schweiz ohne Waffen und ohne Bestechungsgelder, wenden sich mit ihren Bekehrungsversuchen auch nicht an das Gesindel des Abendlandes, höchstens an die unklaren Köpfe, und beschränken sich darauf, ihre Ueberzeugung friedlich darzureichen; sie können gar nicht daran denken, ihre Lehre etwa mit Feuer und Schwert zu propagieren, wie das ja die monotheistischen Religionen alle getan haben. Der echte Buddhismus ist nicht fanatisch.

Freilich lässt es sich nicht leugnen, dass die Neubuddhisten gern jede Gelegenheit ergreifen, ihren Buddha gegen Christus auszuspielen. Sie stellen seine Persönlichkeit und seine Lehre höher; sie sind stolz darauf, die Erlösung ohne Erlöser zu finden, und behaupten sogar (was nicht ganz stimmt), dass das Liebesevangelium des Buddha tiefer dringe als das Evangelium Jesu Christi. »Niemals kommt Hass durch Hass zu Ruh'; durch Nichthassen wird Hass gestillt.«

Ich habe übrigens einen alten Bericht aufgefunden, der beweisen würde, dass die Buddhisten sich ihres Gegensatzes zum Christentum schon vor einigen hundert Jahren bewusst waren. Der Bericht findet sich in einem der bekanntesten Werke der Weltliteratur, in Bayles »Dictionnaire«, unter dem Schlagworte »Sommona-Codom« (was bedeuten soll: Samano Gotamo, der Asket Gautama, der Buddha). Die buddhistischen Bücher erzählen von Devadatta, einem Vetter des Buddha, der gegen den Meister intrigiert und ihm sogar nach dem Leben getrachtet habe. Nun berichtet ein Reisender des 17. Jahrhunderts, was er in Siam gehört hat.

Der Buddha fand den Devadatta (der hier sein Bruder heisst) in der tiefsten Hölle furchtbaren Martern ausgesetzt; Devadatta war an ein Kreuz geschlagen, auf dem Kopfe eine Dornenkrone, der Körper mit Wunden bedeckt, Hände und Füsse von Nägeln durchbohrt. Von Mitleid bewogen, wollte der Buddha ihn retten, wenn Devadatta die drei Glaubensartikel annehmen wollte; der Aermste wollte sich aber nur zu Buddha und seiner Lehre bekennen, nicht aber zu den Lehren der buddhistischen Priesterschaft; so musste er noch viele Jahre weiter leiden, nicht in alle Ewigkeit. Die Siamesen sagten aber dem Reisenden, erst durch Devadatta wäre die Erde unter zwei Religionen geteilt worden; die Christen wären Schüler des Devadatta, und dessen Lehre dürfte bei Gefahr der Hölle nicht in Siam eingeführt werden. Ich brauche wohl auf die phantastische Chronologie dieser Fabeln nicht einzugehen.

Wie gesagt: ich glaube nicht, dass der Traum der Panbuddhisten Wirklichkeit werden, dass der Buddhismus, dessen feinste Spekulationen nur angestrengtem Studium zugänglich sind und dessen geheimnisvollste Ahnungen nur auf mystische Gemüter wirken können, die Zukunftreligion unseres amerikanisierten, nach Erwerb und Sinnenlust hastenden Europa werden wird, obgleich schon öfter der Materialismus die Vorfrucht einer religiösen Bewegung gewesen ist. Ich glaube freilich noch viel weniger, dass die Buddhisten sich bekehren werden, wenn man sie nicht mit Feuer und Schwert bekehren sollte; ich glaube auch nicht, dass Harnack, der Kritiker und gute Monistentöter, recht behalten wird, der vor einigen Jahren gesagt hat: »Das Christentum wird wie ein mächtiger Magnet auf den Buddhismus einwirken.« Sollte dort nicht am Ende ein stärkerer Magnet sein?

Mit einem indischen Bilde hat man uns die Wiedergeburt des Buddhismus anschaulich zu machen gesucht: die Lotosblume hat ihre Blütenblätter wieder geöffnet, die durch mehr als tausend Jahre geschlossen waren. Sehr schön, wenn man dabei an die Reden des Buddha denkt, die uns erst jetzt wieder durch neue und sorgsame Uebersetzungen vertraut geworden sind. Doch ins Volk wird diese Kenntnis schwerlich dringen; der Lotos wird bei uns nur im Treibhause Blüten treiben.


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