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Die Werke Heinrich Heines gehören noch nicht der Literatur geschichte an. Sie sind bis zur Stunde lebendige Literatur geblieben. Heines Lieder haben nicht aufgehört zu klingen, Heines Witz hat nicht aufgehört zu treffen. Und darum, weil er noch lebt, hat er Feinde wie ein Lebender. Wäre er ein Dichter der toten Literaturgeschichte, es wäre ihm längst irgendwo ein überflüssiges Denkmal gesetzt; der Streit um ihn würde nicht mit solcher Erbitterung geführt werden. Die Verteidiger Heines würden gar nicht nötig haben, die dichterischen Taten ihres Helden wie Marktschreier anzupreisen; das wäre dann sehr hübsch in jeder offiziellen Literaturgeschichte zu lesen. Und es gäbe dann vielleicht gar keine Partei, welche sich die Aufgabe stellte, alles Hässliche im Charakter des Menschen Heine zusammenzutragen. Auch für den Menschen ist es nicht günstig, dass seine Werke noch so lebendig sind. Wir stehen ihm noch zu nahe, wir haben noch Männer und Frauen gekannt, die ihm befreundet waren. Und eine Dichterbiographie, von zu grosser Nähe gesehen, wird leicht zu Klatsch. Heinrich Heine aber war kein Idealmensch, keine vorbildliche Gestalt; er war nur zufällig eben ein Genie.
Nicht einmal die Frage, ob wir am 13. Dezember 1897 mit Recht seine Hundertjahrfeier begehen durften, konnte berührt werden, ohne dass alles aufgewühlt wurde, was man dem Menschen Heine zum Vorwurf machte. Denn schon die Fixierung seines Geburtstages, über welche von Strodtmann, Elster und Hüffer eine ganze Dissertation zusammengeschrieben worden ist, wirft auf seine Ehrlichkeit und auf seinen Patriotismus ein schlechtes Licht. Die Wahrheit scheint zu sein, dass Heine wirklich am 13. Dezember 1797 geboren ward, wohlgemerkt, unter französischer Herrschaft. Erst 1815 kam seine Vaterstadt Düsseldorf an Preussen. Und da mag Heines Vater die Fälschung begangen und seinen Sohn um zwei Jahre jünger gemacht haben, um ihn bequemer dem preussischen Militärdienste zu entziehen. Der Patriotismus des Vaters Samson Heine kann uns völlig gleichgültig sein. Genug daran, dass Heinrich nun nach seinen Papieren am 13. Dezember 1799 geboren war, dass es ihm jetzt nicht mehr darauf ankam, das Datum wieder in den 31. Dezember 1799 umzuändern, und dass er daraufhin endlich den bekannten eitlen Witz machen konnte, er sei als der erste Mann des Jahrhunderts geboren. Nichts leichter sonach, als eine Biographie Heines mit den Worten zu beginnen: »Schon die Angaben über seinen Geburtstag beweisen Heines Schamlosigkeit und Vaterlandslosigkeit.« Vaterlandslosigkeit und Schamlosigkeit, das sind die beiden Vorwürfe, die von ehrlichen und unehrlichen Leuten immer wieder gegen den Menschen Heine ausgestossen werden, um den Dichter Heine aus der Liebe seines Volkes zu verdrängen. Und so kampfbereit stehen sich die Parteien zur Rechten und zur Linken gegenüber, dass beinahe ein wenig Mut dazu gehört, den menschlichen Charakter Heines parteilos zu würdigen.
Zwar seine nicht immer saubere Aufführung in Geld- und Lebenssachen und seine oft bedenklichen Aeusserungen darüber, sind trotz aller Anstrengungen der Biographen noch nicht klar genug, um verstanden und verziehen werden zu können. Auch wäre es gehässig, gerade an Heine einen Massstab anlegen zu wollen, den man den grössten Dichtern gegenüber gern zurücklegt. »Widersacher, Weiber, Schulden, ach, kein Ritter wird sie los!« Viel schlimmer wäre es, wenn der Dichter, der – von Goethe natürlich und etwa noch von einigen köstlichen Versen Mörike's abgesehen – dem deutschen Volke die innigsten und sinnigsten Lieder geschenkt hat, dabei im Herzen ein vaterlandsloser und ein schamloser Mensch gewesen wäre.
Denn wenn noch Lessing den Patriotismus eine heroische Schwäche nennen konnte, so ist unser Empfinden, gerade seit der Jugendzeit Heines, ein anderes geworden. Der Philosoph, wenn er einen ausserweltlichen Standpunkt einnimmt, mag heute noch über das Nationalgefühl lächeln; aber das Nationalgefühl ist da, es ist die stärkste Macht des Volksgewissens geworden; und namentlich der Dichter wäre verloren, der keine Liebe besässe für den ältesten und sichersten Besitz des Volkes, für die Muttersprache, die zumal in Deutschland das einigende Band war, als der Deutsche ein Vaterland noch nicht hatte. Und diese Liebe sollte dem Lorelei-Dichter gefehlt haben? Nein, er war nicht vaterlandslos, er war nur heimatlos.
Seine politische Stellung muss man historisch begreifen. Er war als Jude unter der kurzen französischen Herrschaft geboren. Er hat den Juden trotz seines schielenden Uebertrittes zum Christentum niemals verleugnet; es ist sicher, dass seine Sympathie für Frankreich mit ihm aufwuchs, weil die französische Revolution und die folgenden Ereignisse aller Welt am Rheine die Befreiung brachten aus einem Zustande mittelalterlicher Sklaverei. Doch ist das nur ein individueller Zug, der seine politische Stellung nicht bestimmt, sondern nur färbt. In seiner poetischen Schwärmerei für Napoleon begegnet er sich mit keinem Geringeren als Goethe, in seiner Begeisterung für die französische Revolution denkt er nicht anders als der gesamte deutsche Liberalismus von 1830 bis 1848. Heines Napoleon-Kultus bedarf keiner Entschuldigung. Selbst Goethe beugte sich vor dem gewaltigen Manne. Und unser natürliches Gefühl wird durch diesen Kultus gar nicht verletzt. Wenn in unseren Konzertsälen die »Grenadiere« gesungen werden (nur wenige Jahre später, als der junge Heine diese Verse dichtete, übersetzte der greise Goethe Manzonis prachtvolle Ode auf den Tod Napoleons), wenn dann sogar Schumanns Musik in die Melodie der Marseillaise ausklingt, so fühlen wir keine patriotische Beklemmung.
Und als Heine geboren wurde, da waren nur fünf Jahre vergangen, seitdem selbst Klopstock und Schiller sich an der französischen Revolution berauschten. Freilich, Heine, der erst nach den Freiheitskriegen zu dichten begann, stand in einer anderen Zeit. Der Kosmopolitismus unserer klassischen Periode war überwunden, die besten Köpfe waren deutsch geworden. Und Heine mit ihnen. Man muss unterscheiden zwischen seinen Pamphleten gegen Preussen und seinen Pamphleten gegen Deutschland. Was er gegen Preussen schrieb, war vom Hass diktiert; seine Ausbrüche gegen das alte Deutschland, gegen das Deutschland des Bundestages, der ihn geächtet hatte, war der Zorn einer leidenschaftlichen Liebe.
In Preussen haben dem Ansehen Heines seine unflätigen und nicht eben gelungenen Verse gegen Friedrich Wilhelm IV. so wenig geschadet, wie in Bayern die entzückenden Bosheiten gegen Ludwig I. Was ihn in Norddeutschland um jedes politische Ansehen bringen musste, was einen Treitschke so hart über ihn urteilen liess, das war ein Mangel an historischem Sinn bei Heine. Heine hat die Entwicklung der Dinge oft nicht vorausgesehen, er hat die historische »Aufgabe« Preussens nicht begriffen; das ist aber nur ein Irrtum, kein Charakterfehler gewesen. Heine war in diesen Dingen ein glänzender Journalist und ein elender Politiker. Nicht einmal ein zuverlässiger Parteipolitiker war er. Demokraten und Aristokraten können sich auf ihn berufen, weil er je nach der Stimmung des Augenblicks bald den Pariser Republikanern, bald dem weissen Zaren huldigen konnte, die damals noch nicht verbrüdert waren.
Treu aber blieb er sich in seiner zornigen Liebe zu Deutschland. Es war ihm nicht gegeben, wie es nur Kleist in seiner »Hermannschlacht« konnte, den tiefen Schmerz über Deutschlands Schmach und Kleinstaaterei rein und ernst und gross auszusprechen, ihm war das schamlose Lachen gegeben, ein diabolisches Lachen, das bis zur Grimasse werden konnte, das in dem Wintermärchen »Deutschland« sich zu einer Poesie der Wut steigerte, wie sie so gewaltig, niemals so witzig, nur noch aus Dantes Invektiven gegen seine Heimat vernommen werden kann. Auch Dante wurde geächtet, um von einem späteren Geschlechte besser gewürdigt zu werden. Wer in dem grossen Ganzen von Heines satirisch-politischer Dichtung nicht die zornige Liebe zu seiner Heimat, die wilde Sehnsucht nach einem heimlichen Kaiser wahrnimmt, wer aus seinem tollen Lachen nicht die Trauer über das alte Deutschland heraushört, der muss sich auf die Psychologie des Dichters schlecht verstehen. Mag sein, dass er mitunter persönliche Nebenmotive hatte, mag sein, dass auch auf ihm der furchtbare Fluch des Witzboldes lastete, und auch er einmal um eines gelungenen Witzes willen die Leiche der Mutter verkaufte; er war dennoch unendlich mehr als einer der Witzbolde, die ihn nachahmen. Mit heisser Leidenschaft hat der heimatlose Mann an dem Vaterlande Deutschland gehangen, das erst erstehen sollte. Und wenn wir ein freies Monument schaffen sollten, um Deutschlands Einigung darzustellen, so brauchte Heinrich Heine, dem man um seiner Vaterlandslosigkeit willen kein eigenes Denkmal setzen will, unter den Sockelfiguren gar nicht zu fehlen. Er gehört in die erste Reihe der deutschen Dichter, welche der Sehnsucht des Volkes nach Einheit Ausdruck gegeben haben.
Das alles ist wahr. Leider ist auch etwas anderes wahr: dass Heine käuflich war oder doch wenigstens (in seinem 30. und dann wieder in seinem 40. Jahre) die Neigung verriet, seine Feder zu verkaufen. Es ist nicht nachweisbar, dass er darum jemals sein bestes Gefühl verleugnet hätte. Heines Gegner haben nicht nötig, mit Schmutz nach Heines Denkmal zu werfen. Der Marmor selbst hat böse Flecke. Die Franzosen haben die Bildsäulen ihres Voltaire, ihres Beaumarchais trotz ähnlicher Flecken der Materie aufgestellt.
Einfacher liegt die Sache mit dem Vorwurf der Schamlosigkeit; denn Heine gehört nicht zu den frivolen Schriftstellern. Eigentlich laszive Schriften oder auch nur Stellen wird man bei ihm seltener finden, als man glaubt. Er war mehr unflätig als frivol. Diese Unflätigkeit grossen Stils ist aber untrennbar mit grandiosem Witze verbunden; unflätig war der witzigste Grieche, Heines lieber Genosse Aristophanes, unflätig war Rabelais, der witzigste Franzose. Wir Deutschen des neunzehnten Jahrhunderts haben Mühe, einer solchen Sprache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; wir spüren etwas Undeutsches in dem unerhört frechen und unerhört übermütigen Angriff auf Platen. Und vergessen, wenn wir über den üblen Geruch dieser Hinrichtung die Nase rümpfen, dass der vorausgegangene Angriff Platens eben auch auf Heines angeblichen Knoblauch-Atem gegangen war. Luther und Goethe hätten wohl anders empfunden; und eine künftige Zeit wird gerechter richten. Wir erkennen, dass Heine eher würdelos war als schamlos: frei von echter, frei aber auch von gekünstelter Würde. Doch in diesem Sinne meinetwegen auch schamlos: frei von natürlicher, frei aber auch von falscher Scham.
Ist der Mensch Heine uns nun verständlicher geworden, haben wir seine Vaterlandslosigkeit als die wilde Liebe des Heimatlosen, seine Schamlosigkeit als die notwendige Ausdrucksform des witzigsten Deutschen begriffen, so stehen wir immer noch vor dem Rätsel, wie dieser teuflische Satiriker zugleich der Sänger der Liebe werden konnte. Sollte diese Zartheit wirklich Komödie gewesen sein?
Da erinnern wir uns, dass dieser selbe Heinrich Heine in seinem unsäglichen Elend, in seiner Matratzengruft zu Paris, ein entsetzlich Sterbender, die Kraft und die Güte besass, seiner alten Mutter heitere Briefe zu schreiben und ihr nie etwas von seinen Qualen zu verraten. Der romantische Dichter Heine braucht sich des menschlich fehlenden Menschen Heine wahrhaftig nicht immer zu schämen.
Den Menschen Heine muss man verstehen lernen, verstehen lernen aus seiner Zeit und aus seinem Charakter, um ihn gelten zu lassen; »um ihm zu verzeihen«, das wäre pharisäisch gesprochen. Den Dichter Heine muss man verstehen lernen, um ihn ganz nach Gebühr zu bewundern. Es ist für die literarhistorische Betrachtung sein Unglück, dass er zu gross ist, um mit irgendeinem anderen deutschen Lyriker verglichen werden zu können, aber doch wieder zu klein, um neben Goethe zu bestehen. Die Franzosen vergleichen unseren Heine mit ihrem Musset; doch Heine ist reicher. Auch Lord Byron, der einst die ganze europäische Literatur und nicht zuletzt Heine selbst mit sich fortgerissen hat, wirkt in der Gegenwart nicht so lebendig weiter, wie es in Deutschland wenigstens der Prosaist, der Lyriker und Satiriker Heine tut. Wer ein Ohr besitzt für einen individuellen Ton der Sprache, der kann selten ein hübsches Feuilleton, eine Sammlung von Liebesgedichten oder ein gutes Witzblatt lesen, ohne die Stimme Heinrich Heines herauszuhören. Darüber noch mehr. Was einmal der Sterbende ausgerufen hat, und was er in ungeschwächter Rachsucht nur auf seine später vielleicht wirklich vernichteten Memoiren bezog, das gilt von seinem Schaffen überhaupt: »Heine stirbt nicht wie der erste beste, und die Klauen des Tigers werden den Tiger selbst überleben.«
Heine blickte zu Goethe auf mit einem Gemisch von Anbetung und Neid. Nach jenem frechen Besuch bei Goethe (1824) schrieb Heine, der damals noch ganz unberühmt war und wohl auch kühl behandelt wurde, an einen Freund die Worte, die heute gar nicht mehr so ungeheuerlich klingen, wie sie damals waren: »Im Grunde finde ich mich und Goethe zwei Naturen, die sich in ihrer Heterogenität abstossen müssen.« Der Olympier von Weimar konnte über den jungen Stürmer natürlich ruhiger urteilen. Heine sei ein reiches Talent, dem nur die Liebe fehle. »Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer sein, die gern wie er negativ wären, aber nicht sein Talent haben.«
Goethe ist ein Wundermensch, den noch kein Dichter ohne Gefahr beneidet hat. Goethes Gegenständlichkeit und Sonnenklarheit in der Prosa, Goethes reine Sinnlichkeit und ungewollte Schönheit im Liebeslied, Goethes eiserne Hand in der Satire sind kaum je im einzelnen wieder erreicht worden; vereinigt sind diese Eigenschaften weder vor ihm, noch nach ihm je dagewesen. Goethe, der Lehrer der Welt, und Heine, der Pritschenmeister Deutschlands, lassen sich nicht mit dem gleichen Maßstabe messen. Vergessen wir aber Goethe für eine Stunde, so bleibt kaum ein Schriftsteller übrig, der so wie Heine ein bewusster Herr der Sprache war in der Prosa, in der, Lyrik und in der Satire.
Heines Prosastil ist dennoch kein gutes Muster; alle seine Nachahmer sind bis zur Stunde daran gescheitert, dass sie zu einer solchen Wirkung mehr Geist und mehr Gemüt zeigen mussten, als sie besassen. Bei Heine selbst ist von einer solchen künstlichen Steigerung keine Spur. Die unnatürliche Mischung von himmlischer Sentimentalität und teuflischer Ironie ist bei ihm Natur, Natur auch noch in der Uebertreibung, zu der er in seinen letzten Jahren gelangte. Es war Heines Grösse, zugleich der Gipfel seiner Schamlosigkeit, dass er sich in naturalibus zeigte. Und weil dieser unheimliche Flug vom Höchsten zum Tiefsten und wieder zurück zum Höchsten, dieses lachende Spiel mit göttlichen und höllischen Empfindungen, wenn er es auch zuletzt virtuosenhaft ausbildete, bei Heine so ganz persönlich und echt war, darum ist die Heine-Mode, die gerade vor neunzig Jahren mit den »Reisebildern« aufkam, nicht vorübergegangen, darum lesen wir heute noch mit Genuss diese Reisebilder und die anderen Prosaschriften, selbst diejenigen, die uns daneben ärgern. Heine kannte seine Vorzüge nur zu gut. Seine Prosa kann nicht besser gezeichnet werden als durch sein eigenes Witzwort: »Ich bin Sauerkraut, mit Ambrosia angemacht.«
Das landläufige Urteil über seine Lieder klingt ähnlich. Man gibt sich willig dem Zauber seiner Verse hin, man huldigt mit ihnen seiner Geliebten – wenn man nicht zufällig selbst ein Dichter ist und Heine dann erst recht abschreibt –, man singt und hört die hundert und aberhundert Lieder, zu denen die Sprachmusik des durchaus »unmusikalischen« Heine alle unsere besten Komponisten begeistert hat, man lebt immer noch am Rhein und an der Donau in der Welt des Buches der Lieder, aber überall wird nach wie vor wiederholt, Heine habe die lyrische Stimmung niemals harmonisch ausklingen lassen, er ende immer mit einer Dissonanz. Es ist das eine Legende. Die allerdings nicht seltenen Gedichte, die mit einer gassenbübischen Schlusswendung sich selber parodieren, haben ihn nicht populär gemacht. Was für den Lyriker Heine charakteristisch ist, das ist vielmehr die Selbstzerfleischung des Gefühls, der unausrottbare Pessimismus, der ihn bei aller Lebenslust überall nur den Schmerz sehen lässt: er träumt Schmerzen, seine Blumen sind Passionsblumen, Liebe ist Leid. Sehr fein hat Georg Brandes einmal die so ganz Heineschen Verse erklärt: »Doch wenn du sprichst: ich liebe dich! So muss ich weinen bitterlich.« Heine habe diese Worte von anderen Lippen gehört, und von diesen Lippen seien die Liebesworte verstummt; er zweifele an der Dauer ihrer und seiner eigenen Gefühle.
Darum ist Heine, der so gern nach Goethe der allerletzte Heide sein möchte, gar kein echter Heide. Goethe belebt die antike Venus und umarmt sie; Heine sinkt der armlosen Marmorstatue zu Füssen und weint bitterlich. Die beste Gabe der Romantik, die Sehnsucht, hat Heine zum vollendeten Ausdruck gebracht. Er ist aus der romantischen Schule gelaufen und hat seine Lehrer geprügelt; so ist er fast der einzige Romantiker geworden, der die Romantik zu uns herübergerettet hat, wie denn gewöhnlich der Ueberwinder einer Schule erst ihr Meister wird, wie wir immer noch auf den Dichter hoffen, der den Naturalismus naturalistisch überwindet. Das »Buch der Lieder« ist ein Denkmal seiner jungen Leiden, dauernder als der dumme Denkmalsstreit und die Schriften, mit denen hüben und drüben gekämpft wird.
Heine besitzt nicht die unbewusste Sprachkraft der drei oder vier ersten Meister der deutschen Sprache; an bewusster Sprachkraft hat er nicht seinesgleichen. Darüber wäre ein Buch zu schreiben. Vielleicht kann man das Buch durch ein kleines Beispiel ersetzen. Jedermann kennt die Verse »Leise zieht durch mein Gemüt« usw., jeder Deutsche empfindet die Süssigkeit dieses Volksliedchens; aber nicht viele Leser haben schon darauf geachtet, dass dieses Gedicht keinen einzigen richtigen Reim enthält, und dass gerade durch diese absichtliche Regellosigkeit das Volksliedmässige hervorgezaubert ist.
Seine einzige Sprachkunst, seine grosse Gestaltungskraft und all sein dämonischer Witz verbanden sich, als er von seiner »Matratzengruft« aus mit dem »Romancero« Deutschland noch einmal erschütterte, am gewaltigsten jedoch, als er (1844) das unvergängliche Wintermärchen »Deutschland« schrieb. Die chauvinistischen Gegner Heines sollten doch das Vorwort zu diesem »Wintermärchen« lesen, in welchem der Dichter Elsass-Lothringen und die Universalherrschaft für das freie Deutschland seiner Träume fordert, sie sollten die Dichtung selbst lesen, in welcher zwischen den furchtbaren Anklagen gegen die alte deutsche Politik das wilde Verlangen nach einer Einigung durch Blut und Eisen herausklingt.
Den Dichter Heinrich Heine kann uns keine Schmähung verkleinern, weder den jungen Sänger der Liebeslieder, der unter den Linden von Berlin romantische Poesie suchte und fand, noch den Riesenspötter, der unter langjährigen Todesqualen zu Paris fast bis zur letzten Stunde für Geistesfreiheit kämpfte. Und dennoch – von einem Dichter wie Heine kann (um ein gutes Wort aufzunehmen) ein Volk nicht leben, wie es ein Jahrhundert lang und länger von Goethe leben konnte. Die Liebe fehlte ihm wohl kaum. Die Kunst gewiss nicht. Auch Ernst war dahinter, wenn er die Schellen seiner Narrenkappe klingen liess. Was ihm fehlte, das war wohl der andere, der zwingende Ernst einer letzten Weltanschauung, einer Ueberzeugung, die seiner Dichtergrösse ebenbürtig gewesen wäre. Zu Anfang der fünfziger Jahre erzählte man sich in Deutschland: Heine ist fromm geworden. Im Nachwort zum »Romancero« schien er seinen Frieden mit dem lieben Gott machen zu wollen. Er hätte manche schöne Gedichte, die gegen sehr hohe und sehr niedrige Personen gerichtet waren, fortgelassen und alle Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott den Flammen überliefert. Es sei besser, dass die Verse brennen als der Versifex. An seinen Verleger Campe schreibt er darüber: der liebe Gott werde ihm das alles besser honorieren als Campe. Zu Alfred Meissner nannte er diese Stimmung einmal »blasphemisch-religiös«. Den Ernst seines Dichtens hat Heine auch in den Schauern der Todesnähe bewährt; mit dem Ernst des Denkens, mit den letzten Fragen hat er nur gespielt. Ein nur spielender Geist aber ist den obersten Führern seines Volkes nicht beizuzählen.
Eine solche Abwägung der grossen und der kleinen Eigenschaften kann freilich weder Freund noch Feind befriedigen in dem heute wieder lebendigen Streite um Heinrich Heine. So aber, liebend und bewundernd, und doch wieder zweifelnd, stand ihm der Beste unter den dichtenden Zeitgenossen gegenüber, Gottfried Keller. Der mag mein Eideshelfer sein. In der köstlichen Dichtung »Der Apotheker von Chamounix«, die kurz nach Erscheinen des »Romancero« halb als Nachahmung, halb als Parodie entstand, verprügelte Keller die Nachahmer Heines mit all seinem Humor und seiner Grobheit. Heine selbst liebt er (wie übrigens auch der schöne zweite Band der Keller-Briefe beweist). Die Dichtung huldigt in herrlichen Strophen Goethe und Lessing; dann aber lässt Keller keinen Geringeren als Lessing selbst von Heine sagen, er sei ein
– – – »Meister
Neuer Künste, die uns Alten
Noch verborgen sind gewesen.«
Der Streit um Heine wurde neu angefacht, als seine Bewunderer 1897 die hundertste Wiederkehr seines ungewissen Geburtstages feiern wollten; er entbrannte noch grimmiger, als 1906, zur fünfzigsten Wiederkehr seines Todestages, von guten Namen die Errichtung eines öffentlichen Heine-Denkmals gefordert wurde. Judenfresserei und servile Unterwerfung unter die bekannte (vom Standpunkte eines Hohenzollers begreifliche) Abneigung des Kaisers zeitigten unerhörte Angriffe gegen den Dichter, der überall im Auslande für. einen Ruhm Deutschlands gilt. Bei dieser Gelegenheit warf Herr Bartels, der Judenfresser, sein Heine-Buch auf den Markt.
Ich glaube nicht, dass der sogenannte Antisemitismus dieses hässlichen Buches mir weh getan hätte, wenn es nicht eben auch hässlich gewesen wäre, unwahr und unwahrhaftig; eine tüchtige Tracht symbolischer Prügel brauchte dem toten Heine nicht erspart zu werden; ich hätte höchstens gelacht darüber, dass in dem Buche Karl Marx selbst von oben herunter behandelt wird, als ob er ein jüdischer Zeilenschinder gewesen wäre, dass einmal der Versuch gemacht wird, Lessing für den heutigen Antisemitismus in Anspruch zu nehmen. Ich hätte noch mehr gelacht über den Literaturhistoriker, der den trefflichen Professor R. M. Meyer für das neue »Drama ohne Helden« verantwortlich macht und dieses Ideal des konsequenten Naturalismus aus der jüdischen Heldenfurcht erklärt.
Aber die beim Lesen des Buches wachsende Empörung Hess das Lachen bald verstummen. Herr Bartels nennt Heines »Romantische Schule« ganz einfach »das Niederträchtigste, was irgendein Mensch unter dem Vorgeben, Literaturgeschichte zu schreiben, geleistet hat«; nein, auch wenn das Urteil ungefähr richtig wäre, das Buch von Herrn Bartels wäre doch noch abscheulicher.
Die Unwahrhaftigkeit des Verfassers lässt sich natürlich nicht juristisch beweisen und es müsste ihm ins Gewissen geschoben werden, ob er sich bei den schlimmsten Stellen wenigstens nicht bewusst war, mehr seinem Judenhass als der Wahrheit gedient zu haben; der auffallend häufige Gebrauch von ausweichenden Redensarten bei starken Beschimpfungen (wie: vielleicht, wahrscheinlich, es dürfte, es bleibe dahingestellt) lässt aber doch »vielleicht« auf ein schlechtes Gewissen schliessen.
Da Herr Bartels eingestandenermassen ein Pamphlet schreiben wollte, mag es ihn wenig kümmern, wenn man sagt, dass sein Heine-Buch ihn als Literarhistoriker nicht empfehle. In dieser Beziehung sind seine Sünden kaum zu zählen. Er versteht Heine nicht und zitiert ernsthaft Worte, die der Dichter in wilder Selbstironie ausgerufen hatte, die also das Gegenteil ihres Buchstabensinns besagen wollen. In seiner Jagd auf Reminiszenzen geht Herr Bartels einmal so weit zu behaupten, dass Heine (»vielleicht«) auch den Struwwelpeter-Hoffmann benützt habe, als dem Dichter einmal eine Drolligkeit gelang. Die Kritik der »Lorelei« ist doch wohl der Gipfel des Unsinns, den ein Schulmeister über ein gutes Gedicht vorzubringen vermag, eine unbewusste Parodie der judenfresserischen Methode. Herr Bartels charakterisiert Heines leidenschaftlichen und trotz alledem deutschen Zornausbruch »Deutschland, ein Wintermärchen« als gutpointierende Knittelverse; er weiss also nicht, was ein Knittelvers ist. Er gibt zu, Heine habe einige Aehnlichkeit mit dem Spötter Voltaire, obschon er es auch »nicht einmal zu einem Candide« gebracht habe; Herr Bartels weiss also nicht, dass Voltaires »Candide« eines der genialsten Werke der Weltliteratur ist. Es wäre ihm doch sonst nicht das verräterische Wort »nicht einmal« entschlüpft.
Nun, die Torheiten des Literarhistorikers wären kein Grund, auf das Buch noch nach Jahren zurückzukommen. Doch aber die Ausdrucksweise des Herrn über zwei sonst recht verschiedene Dinge; über Heines Sprachkraft und über Heines Krankheit.
Man könnte von dem für solche Kost zu magenschwachen Judenfresser genügend zum Widerspruch gereizt werden, um den Dichter und Prosaschriftsteller Heinrich Heine den allerersten Meistern der deutschen Sprache an die Seite zu stellen. Ich tue das nicht. Ihm fehlt oft die Unbewusstheit eines Luther, eines Goethe; die Unüberlegtheit, möchte ich fast sagen. Wenn man aber von diesem Mangel, für den jedoch just Herr Bartels kein Ohr hat, absehen will, so bleibt für jeden, auch für den feindlichen Beurteiler wahr, dass Heine einer der allerfeinsten Meister der deutschen Sprache gewesen ist. Herr Bartels aber meint, die deutsche Sprache sei und bleibe ihm (Heine) im Kern eine fremde, »so weit er sie auch zu beherrschen lerne«; es sei natürlich eine fable convenue, dass er einen ausgezeichneten deutschen Stil geschrieben habe, er sei nie mehr als ein jüdischer Tanzmeister gewesen; es sei keine Spur von deutschem Sprachgeist in seinen Schriften, wohl aber finden sich grobe Schnitzer in ziemlicher Anzahl. Auch bei Goethe finden sich bekanntlich grobe Schnitzer in ziemlicher Anzahl.
Das Abscheulichste bei Bartels ist aber die Art, wie er über die Martern von Heines letzter Krankheit spricht, über eine Tragik, die selbst Heines Feinden Ehrfurcht abgenötigt hat. Wie Herr Bartels da gegen den Dulder die Zunge hinausstreckt. Des Dichters schauerliche Rufe aus seiner Matratzengruft erinnern ihn schon mehr an die Wut eines tollen Hundes; und mehrfach wird Heine, weil sich seine entsetzlichen Leiden durch so viele Jahre hinzogen, einfach »ein zäher Jude« genannt; »er war selbst durch seine Krankheit nicht umzubringen, ein Beweis, um wieviel zäher und materialistischer (?) die jüdische Rasse ist.« Ich habe in meinem langen Leben gar manchen durchaus wackeren Antisemiten kennen gelernt; es ist mir unverständlich, warum keiner dieser Männer sich gröblich von dem Judenfresser lossagte, der noch zu der Todespein des Gegners höhnische Grimassen schneidet und Indianertänze ausführt. Schwerlich darf man ein solches Gebaren deutsch nennen.
Das Buch von Bartels war deshalb so dumm, weil der Verfasser mit dem zehnten Teile seiner Angriffe, mit der Wahrheit also, eine viel stärkere Wirkung erzielt hätte. Das ist ja das Grundübel aller unserer Dichterbiographien, dass die Literarhistoriker ihrem eigenen Helden unfrei und offiziös gegenüber stehn, seine menschlichen Schwächen leugnen oder beschönigen, wie schlechte Maler die Originale, deren Porträt bezahlt wird, zu verschönern suchen; die letzte Schuld trägt freilich das Publikum, das seine Helden ohne Makel dargestellt sehen will.
Es war ja nicht zu leugnen, dass Heine in jedem Sinne würdelos und schamlos war, im bösen wie im guten Sinne. Man wird meine Meinung besser verstehen, wenn ich die Stelle nenne, die ich für die schamloseste halte. Sie steht in keinem seiner Bücher, sie steht in einem seiner Testamente. Er erzählt da, dass er seinen Vetter, den Sohn des Millionärs Salomon Heine, flehentlich gebeten habe, nach des Dichters Tode für des Dichters liebe Frau zu sorgen; und dass er, dankbar für das gegebene Versprechen, die edle Hand dieses Vetters an die Lippen geführt habe. Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an. Das ist schamloses Schriftstellerelend.
Es war nicht zu leugnen, dass Heine im gemeinen Sinne nicht nur würdelos war, sobald er Geld brauchte, dass er sich sogar zum Erpresser erniedrigte gegenüber den reichen Verwandten, vielleicht auch mitunter zum Freundschaftserpresser gegenüber begabten jungen Schriftstellern. Das durfte nicht beschönigt werden. Wenn er aber darum von der Tafel der grossen Schriftsteller gelöscht zu werden verdiente, weil er ein schwacher, ein sehr schwacher Mensch war, so müssten auch die Namen Bacon und Verulam, Swift und Voltaire ausgelöscht werden.
In allem, was ihm wichtig war, war Heine ehrlich; in dem, was ihm die grossen Gegenstände der Menschheit waren. Heines Ehrlichkeit wurde selbst von seinem Todfeinde Börne anerkannt, so boshaft auch dessen Worte gewendet werden konnten und sollten.
Heine besass den seltensten Mut, sich nackt zu zeigen, soviel auch unerfreulich an ihm war.
Schopenhauer, ein etwas bedeutenderer Judenfresser als Herr Bartels, Schopenhauer, der an Heine wie an Spinoza den »Judengeruch« wahrlich nicht liebte, sagt dennoch in seinem Hauptwerke: »Als wirklicher Humorist tritt Heinrich Heine auf …: Hinter allen seinen Scherzen und Possen merken wir einen tiefen Ernst, der sich schämt, unverschleiert hervorzutreten.«
Und Gottfried Keller liebte den guten Heine.
Ich bemühe den unbestechlichen Meister Gottfried Keller als einen Eideshelfer schon zum zweiten Male, weil der Literarhistoriker Bartels auch diesen Dichter gegen Heine ausspielt und ihn neben den andern grossen modernen Lyrikern nennt, auf welche Heine ohne Einfluss geblieben sei. Die Dissertation oder das Buch über Heines literarische Nachwirkung ist noch zu schreiben. Hier kann nur einiges erwähnt werden.
Gewiss, viel elendes Zeug in Feuilletons und in Gedichten, ist seit mehr als achtzig Jahren unter dem Einflusse Heines entstanden. Was tut's? Dieses Zeug wäre noch ärger, wenn Heine nie gelebt hätte. Und man vergesse nicht, dass eine so bedeutende Erscheinung wie die des »Simplicissimus« in Form und Inhalt von Heinrich Heine herkommt. Ein hübscher Zufall, dass der gefürchtetste Zeichner dieses Blattes wieder Heine heisst. Und nicht nur unzählige Dilettanten und Lokaldichterlein haben Heine nachgeahmt, sondern auch Männer wie Geibel und Scheffel, wie (höher hinauf) Ibsen und Nietzsche, haben seines Geistes einen Hauch verspürt. Nicht anders als Heine selbst den in England ebenso oft beschimpften Lord Byron auf sich hatte wirken lassen. Ich möchte nur kurz noch zwei deutsche Führer nennen, von denen wenigstens der eine fern von jedem Verdachte ist, ein Judensprössling gewesen zu sein: Fürst Bismarck und Richard Wagner.
Fürst Bismarck war niemals ein Sprachvirtuose, ein Berufsschriftsteller, und dennoch einer der ganzgrossen Meister der deutschen Sprache. Nun lese man einmal vorurteilslos und philologisch seine Briefe, noch bis zu Ende seiner Frankfurter Zeit, und man wird zu dem Ergebnis kommen: Bismarck hat den Antipreussen und Unchristen Heine viel gelesen und viel aus ihm übernommen. Ich empfehle das Thema für eine Doktorarbeit.
Dass Richard Wagner das Verhältnis zwischen Tannhäuser und Venus, dass er seinen »Fliegenden Holländer« (diesen gar gleich als einen Dramenstoff) aus Heines Schriften schöpfte, ist bekannt und von Wagner selbst zugestanden. Heines Bosheiten gegen Wagner, Wagners Beschimpfungen Heines ändern nichts daran. Ich vermute aber, dass auch Kundry-Herodias, die wilde Jägerin, auf irgendeinem Wege von der Herodias Heines herstammt. Ich vermute, dass diese Gestalt ursprünglich als Gegenspielerin neben dem von Wagner geplanten Ahasver stand, erlösungssüchtig wie der ewige Jude und wie der Holländer, und dann erst unorganisch genug dem reinen Toren zugesellt wurde. Ueberhaupt: Richard Wagner und Heinrich Heine. Wer kitzelte die Sinnlichkeit mit mehr Raffinement? Wieder ein Doktorthema. (Der springende Punkt scheint mir zu sein, dass die Herodias der alten Legende ihr Verbrechen nur gegen den Täufer begangen hat, dass der Gegensatz zu Jesus Christus selbst erst hinzugedacht ist, um sie nach Heine so erlösungsbedürftig zu machen wie den ewigen Juden und den Holländer.)
Und um auf Gottfried Keller zurückzukommen: Aus seinem »Apotheker von Chamounix« klingt überall, trotz allen Uebermuts, echte Liebe zu Heine durch. Er parodiert ihn unter Huldigungen. Er weiss, dass Heines Weise nachgesungen wird »von des Rheines Quellgebirgen zu der Nordsee Wogengürtel«; er weiss »ihr Glanz wird rosig flimmern, bis all unsere Stern' erbleichen, und in anderer Tage Sonnen eine Sage werden sein«; er nennt ihn »Meister«, er nennt ihn »gut«, einen neuen Frauenlob, einen »Bosheitsdilettanten«. Er schliesst:
»… mein in Eis gesetzter
Trauter Herr und Zeitgenosse
Tritt mir immer menschlich sittlich
Und belehrend freundlich nah.«
Ich habe einige Freunde Heines noch persönlich gekannt: Laube, Alfred Meissner und die Mouche.
In den Gesprächen mit Laube wurde der Name Heine niemals genannt; der »knorrige Alte«, wie die Schablone ihn nennt, dachte damals, zu Anfang der achtziger Jahre, gewiss, weder im Wachen noch im Traume an den einstigen Kameraden. Was hätte der tote Lyriker dem schlauen und energischen Theaterdirektor (von dessen Unehrlichkeit ich bald nach seinem Hinscheiden ein Pröbchen bekam) noch viel nützen können? Auch wusste ich schon damals, dass Laube bei dem unsauberen Manöver Heines gegen seine Verwandten eine mehr als bedenkliche Rolle gespielt hatte. Ich hätte den Mann nicht nach Heinrich Heine fragen mögen.
Alfred Meissner, mein Landsmann, mit dem ich in Bregenz und dann in Berlin oft und gern beisammen war, hatte viel über Heine geschrieben und sprach mit Vorliebe von seinem berühmtem Freunde. Es war einmal in meinem eigenen Hause. Eben hatte Moriz Moszkowski Liszts Donjuan-Phantasie wundervoll gespielt. Ueber Don Juan und Paris kam das Geplauder auf Heine. Meissner erzählte sehr interessant und nicht ohne Bosheit. Plötzlich unterbrach er sich, als ob er um Entschuldigung bitten wollte. »Man vergisst immer das Wichtigste. Heine war gut. Die Güte selbst. Wie gut war er zu seiner dicken Mathilde.«
Und am letzten Februar 1884 war ich in Rouen und konnte vier Tage lang mit der Mouche plaudern, mit der durchaus nicht mehr jugendlichen Mouche, der rätselhaften, hinter recht weltlichen Legenden halb versteckten letzten »Geliebten« Heinrich Heines. Mit der Mouche, an welche des Dichters letzte, so todestraurige und wieder so zärtliche und glücksehnende Verse gerichtet waren.
Es ist also bald dreissig Jahre her, dass ich auf den Wunsch eines befreundeten Verlegers von Paris nach Rouen fuhr, um der Mouche einen Besuch abzustatten. Heines Mouche hatte ihre Memoiren geschrieben, die deutsche Uebersetzung zum Kaufe angeboten, hatte sich aber eigensinnig geweigert, das Manuskript aus der Hand zu geben. Sie gestatte Einsicht nur in ihrer Gegenwart. Ueber den Inhalt dieser Memoiren berichten zu können, war der Zweck der kleinen Reise.
Man wird mir glauben, dass ich sie trotz des kalten Februartags gern antrat. Rouen ist eine der schönsten Städte Frankreichs; und die Mouche war und ist eine der geheimnisvollen Frauengestalten aus der Kulissenwelt der deutschen Literatur. Ihr ist mehr als eines der ergreifendsten Gedichte aus Heines letzter Zeit gewidmet, von ihr weiss Alfred Meissner in seinen Erinnerungen an Heinrich Heine viel zu berichten, und alle Heine-Biographen erzählen, dass sie dem einsamen, gemarterten Kranken die letzte Lebenszeit erträglicher gemacht hat durch ihre Verehrung, ihre Geduld und ihre Hilfe. Mit der Passionsblume an einem Sarkophag hat der Dichter sie verglichen.
Solch eine Blum' an meinem Grabe stand,
Und über meinen Leichnam niederbeugend,
Wie Frauentrauer, küsst sie mir die Hand,
Küsst Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.
Ich berufe mich hier und später auf diese Verse »Für die Mouche«. Ist es Hyperkritik, wenn ich trotzdem an der Echtheit dieses Gedichtes leise Zweifel nicht unterdrücken kann?
Ich wusste überdies durch mündliche Ausplaudereien Meissners, dass die Mouche einst – dreissig Jahre vorher – recht, recht toll sein konnte; ich wusste endlich, dass der Mouche Gedichte Heines gehört hatten, die um ihrer haarsträubenden Gassenbüberei willen noch heute – meines Wissens – nicht gedruckt sind. Und endlich: wer war die Mouche?
Sie lebte damals in Rouen, wo sie an einer höheren Mädchenschule in der deutschen Sprache und in noch irgendeiner Wissenschaft unterrichtete. Sie lebte und schrieb unter dem Namen Camille Selden, der nicht ihr wahrer Name war.
Der Zufall wollte es, dass ich in einem Gasthof abstieg, der ihrer Wohnung gerade gegenüber lag; in einer langen Strasse, die den Namen von irgendeiner Nonnengattung führte. Nicht weit von der Seine, die bei Rouen mächtiger und noch schöner zwischen den Ufern dahinfliesst als bei Paris. Es war ein Sonntag oder ein Feiertag. Ich sandte sehr früh eine Karte hinüber mit der Frage, wann Madame Selden für mich zu sprechen wäre.
»Nach der Messe«, lautete die Antwort. Nicht übel für Heines Mouche, dachte ich. Aber die Zeit wurde mir nicht lang. Die wundervolle alte Kirche von St. Ouen und die Erinnerung an Flauberts Schilderungen seines Rouen halfen sie verkürzen.
Ich hatte von dem cidreduftenden Hausknecht erfahren, dass »nach der Messe« die elfte Stunde bedeute. Pünktlich klopfte ich an der Tür von Camille Selden.
Der erste Eindruck war eine Enttäuschung. Eine Frau, die auch in ihrer Jugend niemals schön gewesen sein konnte, begrüsste mich freundlich in einem peinlich musterhaften Französisch. Die Gestalt nicht gross, immer noch beinahe zierlich. Die Augen klein und ein wenig lauernd, der Mund streng, aber beim Lachen mit einem einigermassen frechen oder doch übermütigen Ausdruck. Und dann die seltsamen Schlänglein um die Mundwinkel. In solchen Augenblicken vermochte man die Mouche des Dichters wie aus einer alten Handschrift zu entziffern. So hatte ich tags vorher zu Paris eines der kecksten Gedichte Heines – an die Mouche gerichtet – aus den blassen Bleistiftstrichen zusammenstudiert.
Nicht nur ihre Aussprache, auch was sie sagte, hatte etwas Gouvernantenhaftes. Da mich die geschäftlichen Dinge, die sie zuerst berührte, nicht kümmerten, brachte sie bald aus der Kommode ihr Manuskript hervor. Während sie vor der Schublade kniete, hatte ich Zeit, das »Milieu« zu betrachten. Eine einfache, altjüngferliche Stube von koketter Sauberkeit. Auf dem mächtigen Bette hatte ein Mops sich's bequem gemacht. Er betrachtete mich feindlich und knurrte von Zeit zu Zeit. Wie zur Entschuldigung nannte sie mir ihr Alter. Ich glaube, sie sagte die Zahl 56.
Das Manuskript gebe sie nicht aus der Hand, nicht einmal ins Hotel hinüber lasse sie mich's tragen. Auch nicht in ihrer Stube lesen. Aber vorlesen wolle sie es, vom ersten bis zum letzten Satze, wenn ich zuhören wollte.
Ohne viele überflüssige Worte begann sie die Vorlesung. Es machte ihr offenbar Vergnügen, ihr Werk mit lauter Stimme, in professoralem Tone zu rezitieren. Der Anfang war nicht eben fesselnd. Allgemeine Betrachtungen über das Schicksal, in den fertigen Phrasen der französischen Buchsprache.
Da passierte etwas sehr Unerwartetes. In dem Bericht über ihre Kinderzeit hatte sie absichtlich alles im Nebel gelassen. Sie schilderte romantisch das Haus, in dem sie geboren war. Wie in einem Romane wollte sie den Leser durch die alte Stadt, den Weg schildernd, bis zu dem Hause führen. Plötzlich wurde ich aufmerksam. Das war der Weg, den ich als Gymnasiast viele hundertmal machen musste. Das war die Jesuitengasse in Prag, das war die berühmte steinerne Brücke über die Moldau, das war der Brückenturm, die Kleinseite …
Ich vergass mein bisschen Französisch und unterbrach sie auf deutsch:
»Aber das ist ja das ***sche Palais in der Spornergasse!«
Sie hat die Stelle später geändert und hat mich gebeten, bei ihren Lebzeiten nicht zu erzählen, was ein seltsames Zusammentreffen mir verraten hatte, den Namen der Familie, in deren Hause sie geboren war. (Es war ein andrer Zufall, dass ich jenes Palais gut kannte.) In jenem Augenblicke aber war sie ganz verblüfft. Sie habe nie geglaubt, dass sie so genau beschrieben hätte; sie habe ein Phantasiebild zu geben geglaubt.
Wir plauderten viel und auf deutsch über Prag, über Alfred Meissner, der ihr noch als schöner junger Mann vor Augen stand. Als ich ihr sagte, sein elegantes Bärtchen wäre beinahe weiss geworden, da nickte sie nur traurig vor sich hin.
»Vor dreissig Jahren!«
Ich hatte keine Frage gestellt. Sie deutete mir aber an, dass, sie – wenn ich ihre halben Worte richtig verstanden habe – als natürliche Tochter einer Gouvernante in jenem Prager Palais das Licht der Welt erblickt hätte. Sie behandelte den Gegenstand mit einer romanhaften Geheimnistuerei; ich habe kein Urteil darüber, ob sie dafür einen ernsten Grund hatte, oder ob es nur Getue war. Sie spielte offenbar Verstecken.
So hat sie mir in vier Sitzungen, am Vormittag und am Abend je zwei Stunden, ihre Memoiren vorgelesen, die übrigens über ihre Beziehungen zu Heine kaum etwas Neues brachten. Als ich nach vier Tagen von ihr Abschied nahm, waren wir durch diese Mitteilung und wohl auch durch die Landsmannschaft so weit gute Kollegen geworden – sie fühlte sich gar sehr als Schriftstellerin –, dass ich mir erlauben durfte, sie mit dem Dunkel zu necken, das sie so absichtlich über ihre Herkunft breitete.
Sie hatte darauf zuerst nur ihr ungezogen anmutiges Lachen. Dann wurde sie ernst, nicht mehr gouvernantenhaft, sondern wehmütig. Sie reichte mir ein Buch und bat, es zum Andenken zu behalten. Es war eine ihrer Schriften, »Portraits de Femmes« betitelt, recht feine Aufsätze über berühmte Frauen, die Auffassung schwankend zwischen katholischer Frömmigkeit und dem Streben, sittliche Dinge frei zu beurteilen.
Ich werde in diesem Buche ausser historischen Essays auch eine kleine Novelle finden; diese solle ich aufmerksam lesen, wenn mich ihr Schicksal interessierte.
Nach dem ganzen Charakter des Buches kann Camille Selden nichts anderes gemeint haben, als die kleine, sehr hübsche Skizze »Charlotte Lefèvre«, eine Novellette, die sich unter den historischen Frauengestalten lebendig genug ausnimmt. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das durch Not und Elend und auch durch »Schuld« hindurch als Malerin zu Ansehen kommt, aber die Erinnerung an eine kurze, hässliche Vergangenheit nicht ertragen kann. Ich muss es den Heine-Gelehrten überlassen, diesen Spuren weiter nachzugehen.
Ich kenne nicht alles, was über die Mouche veröffentlicht worden ist. Vielleicht ist manches von dem neu, was ich später erfahren habe und hier einschalte. Der wahre Name war Elise Krinitz; sie war früh von einem Onkel adoptiert worden und kam mit ihm nach Paris, wo sie sich besonders in Musik ausbilden durfte. Auch nach dem Bankerott dieses Onkels brauchte sich die Familie nicht einzuschränken. Elise wollte Klavier-Virtuosin werden. Als solche, in ihren Pariser Toiletten, machte sie in Deutschland, im Hause eines ihr verwandten Pfarrers, nicht geringes Aufsehen. »Es war ein wenig wie in Sudermanns ›Heimat‹,« schreibt mir Elisens Cousine. Ihre Erfolge im Konzertsaal blieben aus; Elise kehrte nach Paris zurück und schädigte dort ihre Gesundheit als spiritistisches Medium. Sie verkehrte auch später mit angesehenen Künstlern und Schriftstellern. Als die deutsche Cousine sie in Paris besuchte, war Elise eine ausgezeichnete Führerin durch Museen und Tanzlokale. Das Leben in Rouen sagte ihr nicht zu. (Die Cousine und Erbin der Mouche, der ich diese Nachrichten verdanke, heisst Frau Helene Meyer.)
Ich habe von der Mouche später nur noch einige kleine Briefchen erhalten, an denen nichts Besonderes war als das Siegel: eine Fliege, die mouche, ihr Wappen, die Erinnerung an den Kosenamen, unter dem sie der Dichter berühmt gemacht hat zum Dank für ihre Güte und Liebe. Und Liebe?
Die Antwort suche man in dem Gedichte, das der sterbende, gelähmte Dichter in seiner Matratzengruft »Für die Mouche« geschrieben hat. Er träumt, er liege in einem Marmorsarg von den Symbolen der Barbaren und der Hellenen umgeben.
Zu Häupten aber meiner Ruhestätt'
Stand eine Blume, rätselhaft gestaltet,
Die Blätter schwefelgelb und violett,
Doch wilder Liebreiz in der Blume waltet.
… Du warst die Blume, du geliebtes Kind,
An deinen Küssen musst' ich dich erkennen.
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig keine Blumentränen brennen.
… Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
Was du verschwiegen dachtest im Gemüte –
Das ausgesprochene Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte.
Die Antwort findet man noch sicherer in dem anderen, ganz echten Gedichte an die Mouche, in »Lotosblume«.
»Wahrhaftig, wir beide bilden
Ein kurioses Paar,
Die Liebste ist schwach auf den Beinen,
Der Liebhaber lahm sogar.
Sie ist ein leidendes Kätzchen,
Und er ist krank wie ein Hund,
Ich glaube, im Kopfe sind beide
Nicht sonderlich gesund.
… Die Lotosblume erschliesset
Ihr Kelchlein im Mondenlicht,
Doch statt des befruchtenden Lebens
Empfängt sie nur ein Gedicht.«
Heine hat auch frechere Verse an seine Mouche gerichtet, ausgesprochene Worte ohne Scham. Mögen sie ruhig ungedruckt bleiben Es handelt sich um das vollständige Gedicht »Zur Teleologie« (Ausgabe von Elster II. 75), das Strodtmann »aus Schicklichkeitsgründen« nur als Fragment abzudrucken wagte; der Schluss ist allerdings starker Tobak.. Sie würden doch nur beweisen, dass Heinrich Heine bis zu seiner letzten schweren Stunde in der Mouche einen tapferen, lustigen guten Kameraden geliebt hat.