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Die beste Religion

Ein japanischer Brief,
der leider nie geschrieben worden ist

Mein Herr Minister,

das Vertrauen der Kommission gereicht mir zu einer ganz besonderen Ehre. Die japanische Regierung hat mit unvergleichlicher Regierungsweisheit eine Kommission eingesetzt, um unter allen Religionen, die irgendwo auf der Erde geglaubt werden, die beste ausfindig zu machen. Die wahre Vernunftreligion. Ich bin nur ein kleiner Militärattaché bei unserer japanischen Gesandtschaft in N. Da ich aber in der Lage war, der Regierung über das beste Magazingewehr, über das beste Pulver und über den besten Stahl des Abendlandes berichten zu dürfen, so war die Kommission vielleicht nicht unberechtigt, mir auch noch die Frage nach der besten Religion des Abendlandes vorzulegen. Sie werden sich nicht wundern, mein Herr, wenn ich in meinem Versuch einer Antwort Soldat bleiben und auch in der Religion nur eine besondere Waffengattung sehen werde. Wir alle wollen ja unser Vaterland stark machen im Rat der Völker, stark durch das beste Gewehr, durch das beste Pulver und durch die beste Religion.

Da muss ich es vor allem loben, dass die weise Kommission jetzt nur noch eine fertige Religion aus dem Ausland importieren will und den Gedanken wieder aufgegeben hat, durch Vermischung und Durcheinanderknetung der bei uns gut eingeführten drei Religionen die an hoher Stelle gewünschte neueste und beste Religion herzustellen. Wir haben doch auch, als wir für den Krieg mit Russland gute Flinten brauchten, nicht den törichten Einfall gehabt, unsere alten Vorderlader durch Feuersteinschlösser und andere solche alte Modelle zu verbessern. Sie fragen trotzdem, ob im Abendlande niemals eine solche Vermischung nebeneinander bestehender jüngerer und älterer Religionen geglückt sei.

Mein lieber Herr, wir wollen einmal ganz ohne Heuchelei miteinander reden, trotzdem es sich um die höchsten Angelegenheiten der Menschheit handelt. Wir haben in Japan doch eigentlich immer nur die alte Shintoreligion des Volkes, die wir von Zeit zu Zeit neu aufputzen, die aber in ihrem grässlichen Aberglauben den oberen Zehntausend von Japan unerträglich geworden ist. Daneben haben wir den Buddhismus, der ursprünglich die Lehre philosophischer Materialisten war, der aber jetzt, nach anderthalb Jahrtausenden seines Lebens in Japan, so heruntergekommen ist, dass seine Priester sich gegen Entgelt zu jeder abergläubischen Kulthandlung hergeben. Daneben haben wir ausserdem die verschiedenen Konfessionen des Abendlandes, die von schlechtbezahlten Missionaren bei uns gepredigt werden und immerhin bei gutbezahlten Renegaten und bei einigen japanischen Snobs Eingang finden. Der Buddhismus und die abendländischen Konfessionen werden unserer alten Volksreligion noch ein paar bunte Lappen mehr anhängen; eine bessere Religion werden sie nicht aus ihr machen.

Um also ohne Heuchelei zu reden, will ich Ihnen anvertrauen, dass es in Europa vielfach ebenso um den Glauben steht. Volksglaube ist die Shintoreligion, die Religion der Ahnen, das Dogma also: an allen Gebräuchen, abergläubischen Gewohnheiten und Vorstellungen der Ahnen soll womöglich nichts geändert werden. Dieser Shintoismus ist das Wesen aller abendländischen Konfessionen, auch derjenigen, die aus einer Umgestaltung oder Revolution oder Reformation hervorgegangen sind. Die Shintoreligion der abendländischen Völker, die von den abendländischen Regierungen immer wieder gepriesene Shintoreligion, hat nur einen Grundgedanken: es soll alles beim alten bleiben. Daneben haben die Abendländer auch ihren Buddhismus, den sie wissenschaftliche Weltanschauung nennen, eine Weltanschauung, deren Vertreter wie bei uns gern bereit sind, die alte Shintoreligion des Volkes mit neuen Lappen aufzuputzen. Seltener als wir haben die Abendländer daneben importierte Religionen; bezahlte Missionare der Neger und Mongolen fehlen vollständig; doch gibt es seit einigen Jahrzehnten hier abendländische Snobs, die den Buddhadienst oder wenigstens Buddhastatuen und Buddhagleichnisse wie etwa japanische Lackarbeiten einführen möchten.

Im Abendlande erhofft man also aus einer Vermischung der dort eingeführten Religionen keinen nennenswerten Vorteil; und auch eine Umformung oder Umgestaltung der bestehenden Volksreligion hat die wünschenswerte beste Religion nicht gebracht, weil der Shintoismus (die Lehre, dass alles beim alten bleiben soll) immer wieder den Sieg davonträgt. Sie sehen, mein Herr, auch die Erfahrungen des Abendlandes sprechen dafür, lieber die beste Religion aus dem Auslande einzuführen, als es immer wieder mit einer Verbesserung der alten und inländischen Religion zu versuchen.

Welche aber von den vielen Religionen der Erde ist die beste? Das ist doch die Frage? Nun habe ich aber im Verkehr mit abendländischen Gelehrten das grosse Geheimnis erfahren, dass die Güte (wie man hier zu sagen pflegt) »ein relativer Begriff ist«. Was gegen die Chinesen eine gute Waffe ist, braucht noch nicht gut zu sein gegen die Russen; und Schiffskanonen, die gegen die Russen gut genug sind, brauchen es noch nicht gegen die Engländer zu sein.

Es wäre überaus unhöflich, wollte man bei der besten Religion wie bei der besten Waffe fragen: gegen wen die beste? Bei der Religion klingt es in jeder Sprache hübscher, wenn man fragt: für wen sie die beste sei. Eine Religion will und soll ja niemals schädlich wirken, die beste schon gar nicht. Wir wollen also, bevor wir uns nach der besten Religion umsehen, die Frage aufwerfen: für wen muss eine Religion besonders gut sein, damit wir ein Recht haben, sie überhaupt gut oder die beste zu nennen.

Die heimlichen Philosophen werden sagen, eine Religion sei gut, wenn sie das menschliche Denken befriedige. Ich glaube nicht, dass die weise Kommission die beste Religion nach diesem Wertmaß ausgesucht wünscht. Das wäre ja am Ende keine Religion, sondern eine Weltanschauung, und deren gibt es ebenso viele wie Religionen. Auch wollen wir einander doch nicht verhehlen, dass die hohe Stelle bei Einsetzung der Kommission doch eigentlich an die Importierung einer besonders nützlichen Kirche gedacht hat; aus einer Weltanschauung aber lässt sich niemals eine richtig gehende Kirche herstellen. Als vor zwanzig Jahren unser Krieg gegen China beendet war und die abendländischen Mächte uns um die Früchte des Sieges bringen wollten, da hätten wir eine ideale Waffe nötig gehabt, um alle abendländischen Mächte auf einmal zu vernichten. Damals hätte eine Flotte von Luftschiffen, aus welcher man Europa und Amerika hätte bombardieren können, das Denken schon befriedigt; nur dass das Luftschiff damals noch nicht erfunden war. Die beste Religion für den Philosophen, die beste Weltanschauung ist immer die, die noch nicht erfunden ist.

Unsere volksfreundlichen Abgeordneten werden sagen: die beste Religion müsse für das Volk die beste sein. Das glücklichste Volk habe gewiss die beste Religion. Mein Herr, ich will in der Offenherzigkeit nicht so weit gehen, Sie zu fragen, ob Sie beim Lesen dieser Worte ebenso gelacht haben wie ich beim Schreiben. Gerade die unglücklichsten Völker haben ja die besten Religionen nötig, als Trost für das diesseitige Leiden. Und gar nicht weit von uns, in der Südsee, soll es kleine Inseln gegeben haben, deren Bewohner nichts von Kummer wussten und nichts von einer Religion wussten, bevor ihnen die Abendländer nicht einigen Kummer und einige Religion auf die Insel brachten.

Nein, mein Herr; der hohe Herr, welcher die weise Kommission zur Erforschung der besten Religion eingesetzt hat, dachte weder an die Philosophie noch an den Nutzen für das Volk, sondern – wie es die Pflicht eines Staatsoberhauptes ist – an die Staatsraison. Nur diejenige Religion darf die beste genannt werden, die die beste ist für den Staat. Mein Herr, wir wollen nicht wieder lachen. Wir wollen uns nur darauf besinnen, dass man zwischen Staat und Volk nicht so scharf unterscheiden müsste. Die Staatsraison, die sich weniger um die lebendigen Körper der Volksgenossen kümmert als um das tote Unding Staat, die Staatsraison, die eine Staatsgewalt unter allen Umständen aufrechterhalten will, und wäre es auch gegen den Willen des Volkes, die Staatsraison kann leicht dazu verführt werden, diejenige Religion für die beste zu halten, welche die beste Waffe ist gegen den Individualismus im Volke. Die Staatsraison steckt ja nicht irgendwo in gesprochenen oder geschriebenen Worten, sondern in dem starken Willen lebendiger regierender Personen. Diese regierenden Personen haben nun bei uns den verwegenen Einfall gehabt, die Shintoreligion des Volkes, die alles beim alten lassen will, durch eine bessere ersetzen zu wollen. Mir scheinen die regierenden Personen des Abendlandes, die die Shintoreligion ihrer Völker ungestört lassen wollen, eben vom Standpunkt der Staatsraison richtiger zu handeln. Die weise Kommission wollte sich denn entschliessen, unter allen Religionen der Erde derjenigen den Vorzug zu geben, die ein einziges höheres Wesen anerkennt: den Teufel. Eine derartige Religion befriedigt zwar weder das Denken noch das Volk, hat sich aber schon oft als bequem erwiesen für die Regierenden.

Nun fürchte ich aber, dass die weise Kommission zu sehr von dem modernen Geiste Japans angesteckt ist, um einen so einfachen Rat befolgen zu können. Wir Japaner der regierenden Klassen glauben eigentlich gar nicht an den Teufel und haben nur eine wahre Höllenangst davor, in den Augen der Europäer für unmodern, für Orientalen zu gelten. So haben wir in den letzten fünfzig Jahren in bunter Reihe die ältesten und die jüngsten Erfindungen Europas bei uns eingeführt: Waffen und Gesetzbücher, Eisenbahnen und Adelstitel, Verfassungen und Telegraphen, Zeitungen und Universitäten. Ich fürchte, die Kommission zur Erforschung der besten Religion wird wieder, anstatt sich mit der echt orientalischen Erfindung des Teufels zu begnügen, irgendeine der abendländischen Religionserfindungen einführen wollen. Und dann würden wir dieselbe Torheit begehen, die hierzulande nach dem Urteil einiger Männer die Torheit der Frauenrechtlerinnen ist. Wenn Sie mir versprechen, mein Herr, dass Sie nicht wieder unziemlich lachen wollen, sollen Sie meine Begründung dieser Parallele lesen dürfen.

Im Abendlande wächst von Jahr zu Jahr die Zahl der Frauen, die mit der Stellung der Frau unzufrieden sind, die nicht alles beim alten lassen wollen, die nicht länger Geishas sein wollen; genau so wie bei uns in Japan die Zahl der Männer wächst, die mit der alten Shintoreligion unzufrieden sind. Die abendländischen Frauen nun, da sie eine neue Kultur erobern und rücksichtslos erzwingen wollen, fangen damit an, dass sie die abgelegten Kleider der Männer anziehen. Das ist nicht etwa buchstäblich zu nehmen, obgleich die Befreiung des Weibes oft mit einer Vorliebe für die abscheuliche Tracht der hiesigen Männer begonnen hat; auch die Neigung für die schlechten Männergewohnheiten des Rauchens und Saufens meine ich nicht. Ich meine die ererbte Unweisheit, mit welcher die Frauen die grösste Weltrevolution ankündigen und nachher glücklich sind, sobald sie – symbolisch – die abgeschmackten Männerhosen über ihre viel schöneren Glieder gezogen haben. Da ist man beinahe schon darüber einig, dass das abendländische Schulwesen von Grund aus umgestaltet werden müsse, dass die abendländische Jugend nicht länger dem lateinischen Moloch geopfert werden dürfe; die Frauenrechtlerinnen aber triumphieren, wenn sie die Lateinschulen besuchen dürfen. Da ist man beinahe einig darüber, dass die abendländischen Parlamente nicht der treffende Ausdruck für den Volkswillen seien, dass der Staat der Zukunft auf einer besseren Basis begründet werden müsse; die Frauenrechtlerinnen aber nehmen die Gefahr von Prügeln und sogar die Gefahr der Lächerlichkeit auf sich, um für diese Parlamente das aktive und passive Wahlrecht zu verlangen.

Sie sehen ja wohl, mein Herr, worauf ich hinaus will. Auch wir Japaner möchten, da wir aus den abendländischen Religionen die beste für uns herausdestillieren, um sie zur japanischen Staatsreligion zu machen, eine europäische Tracht anlegen, die man in Europa abzulegen beginnt. Hier ist in denjenigen Kreisen, die sich am ehesten mit uns Japanern vergleichen dürfen, schon seit Jahrzehnten die Losung: Trennung von Staat und Kirche. Die guten Europäer täuschen sich ja ein wenig über die geistige Freiheit ihrer Volker. Die Völker hängen am Shintoismus, dessen Losung ist: alles beim alten. Noch nicht auf fünftausend Einwohner kommt einer, der sich die Mühe gibt, für seine Person aus dem alten Verein auszutreten. Wo die Trennung von, Kirche und Staat schon Tatsache geworden ist, da beeilen sich die Männlein und Weiblein, neue Vereine und neue Konventikel zu bilden. Trotz alledem kann kein Zweifel darüber herrschen, dass die alten Religionen des Abendlandes sich in einer Art von Defensive befinden und dass der Beruf zur Religionsstiftung im Abendlande erlöschen ist. Die Polizei des Abendlandes schützt die alten Religionen; einen Religionsstifter würde diese Polizei nicht dulden. Auch einen Religionsverbesserer nicht; Und eine dieser alten Religionen soll für unser Japan gerade gut genug sein? Wie die Lateinschule für die edelsten unter den abendländischen Frauen.

Schon vor vierzig Jahren hat einer der besten Deutschen gerufen: »Wir sind keine Christen mehr!« Und die heute (ich denke an die sogenannten Intellektuellen) die Behauptung umkehren und sagen: »Doch, wir sind noch Christen!« – die interpretieren ihr positives Bekenntnis so schlau und so glaubensleer, dass es ebensogut auf ein Bekenntnis zum Atheismus hinausläuft.

Nein, mein Herr. Will die weise Kommission sich nicht zum Zynismus entschliessen, will sie nicht die für die Regierenden so bequeme Religion des Teufels einführen, so wird sie nicht viel Glück haben. Eher möchte ich glauben, dass die sogenannte Heilsarmee oder dass der Unfug der abendländischen Spiritisten etwas erzeugen könnte, das mit einer der alten Religionen zu verwechseln wäre, als dass eine weise Kommission auf Befehl eines hohen Herrn eine Religion einführen könnte. Eine Religion wird nicht am grünen Tisch ausgedacht; eine Religion muss wie eine Schlacht erkämpft werden. Die heldenhafte Inbrunst eines ganzen Kerls kann eine Religion schaffen, nicht die Weisheit einer von der Regierung eingesetzten Kommission. Eine Kommission kann kein Bataillon über einen Strassengraben führen. Eine Kommission kann nichts erfinden, nichts schaffen, nichts zeugen.

Sie, mein Herr, sind Präsident einer Kommission. Trotzdem unterschreibe ich mich (nach abendländischer Sitte) mit ausgezeichneter Hochachtung

Ihr
Marquis J.


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