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Kinder, es ist ja alles nicht wahr.«
So mochte ich wieder einmal den guten und den bösen Menschen zurufen, die miteinander über die Frage streiten, oder bald streiten werden: ob die Marlitt die Errichtung eines Denkmals verdiene, die Errichtung eines kleinen netten Denkmals in Arnstadt, wo sie vor neunzig Jahren geboren worden ist. Ein Dutzend guter Menschen hat sich zusammengefunden, um das zu schaffen, was für die Errichtung eines Denkmals wichtiger ist, als etwa die Existenz eines Heros, dessen Grösse nach einem Denkmal schreit, und das Vorkommen eines genialen Künstlers, der Stein zu beleben vermag: ein Dutzend guter Menschen hat sich zusammengetan, ein Komitee zu schaffen. Diese Leute haben so ein engeres Komitee gegründet und werben um bekannte Namen für das weitere Komitee. Das weitere Komitee wird mit dem allzu kritiklosen Aufrufe des engeren Komitees nicht ganz einverstanden sein; es wird aber einen immer noch recht schwungvollen Aufruf gutheissen und in diesem Dokumente etwa sagen: Es sei eine Ehrenschuld des deutschen Volkes, der edlen Dichterin der »Goldelse«, der herrlichen Frau, welche die deutschen Jungfrauen vor vierzig Jahren, vor dreissig Jahren (und wie lange noch nachher) auf der Bahn des Idealismus in das ewige Frühlingsland der echten deutschen Weiblichkeit geführt hat, die ihnen Ewigkeitswerte geschenkt hat, ein Denkmal zu setzen aus Erz oder aus Marmor. Das war doch eine bessere Sache als ein Denkmal für Heine. Und viele deutsche Frauen und alte Mädchen, vom Leben scheinbar ernüchterte Menschen im Alter von vierzig bis sechzig Jahren, werden gerührt der Zeit gedenken, da sie für die Marlitt geschwärmt haben, werden ihr Scherflein beitragen und werden zu ihren Töchtern oder Nichten, die heute für die Marlitt von heute schwärmen oder »eintreten«, also sprechen: »Da seht ihr's! Jahrzehntelang hat man uns wegen der Marlitt ausgelacht. Jetzt kommt sie aber doch zu Ehren! Da, lest nur, was für Namen unter dem Aufruf stehen! Wie bei einem Denkmal für Schiller. So ein Aufruf, so ein Denkmal, das ist doch endlich Unsterblichkeit. Lacht nicht! Es klingt so schrecklich schön, pflegte unsere Marlitt zu sagen.«
Ist ja nicht wahr. Ausser den guten Menschen des engeren Komitees glaubt ja niemand an die geschwollenen Worte des Aufrufs. Und die sogenannte Unsterblichkeit wird schwerlich durch ein Bildnis in Stein oder Erz gesichert zu einer Zeit, da die grossen Städte keinen Regenten und keinen General beim Denkmalsetzen übersehen, da ganze lange Siegesalleen in richtige Steinmetzstrassen verwandelt werden, da kleinere Gemeinden wenigstens ihre verstorbenen Bürgermeister oder ihren unvergesslichen Abgeordneten als »unerreichbare Vorbilder der Jugend« aushauen lassen. Wenn schon bei so unbedeutender Gelegenheit tönende Worte gebraucht werden sollen, müssen es gleich die feierlichsten Worte sein?
Ein Dutzend böser Menschen wird sich nun freilich gegen die Bestrebungen dieser guten Menschen nicht zusammenfinden. Ein »Komitee«, das diesen Namen verdient, leistet positive Arbeit, beschränkt sich nicht auf unfruchtbare Negation. Aber sehr viele böse Menschen werden ihre Füllfedern dazu gebrauchen, sich gegen die Errichtung eines Marlittdenkmals zu erklären, und sie werden mit starken Worten ebenso freigebig sein, wie die guten Menschen. Die Marlitt und ihresgleichen, das sei eben der Feind. Das sei die Unkunst, die der Verbreitung der besten Schriften im Wege stehe. Das sei die Vorfrucht der Schundliteratur. Wer seinen Goethe liebe, wer seinen Kleist liebe, der könne nur mit Zorn und Verachtung an die Errichtung eines Marlittdenkmals in der thüringischen Landstadt denken. Es sei eine Schmach, dass ein Lessing erst hundert Jahre nach seinem Tode sein Berliner Denkmal bekam, und dass eine Romanschmiererin wie die Marlitt schon nach einem Viertel dieser Zeit die höchste Ehre gewinnen sollte, die die Nachwelt zu vergeben hat.
Ist ja nicht wahr. Es ist ja nicht wahr, dass irgendein goethereifes Menschenkind oder auch nur ein Halbgebildeter »Das Geheimnis der alten Mamsell« höher stelle, als auch nur Goethes Fragment »Die Geheimnisse«; es ist nicht wahr, dass eine freundliche Anerkennung der Romane, die ganze Geschlechter von süssen Mädeln und von früh verliebten – Buben begeistert haben, zu einem Protest herausfordere. Und dafür, dass das Denkmalsetzen wohlfeil geworden ist, wie eine Leichenrede, dass das Denkmalsetzen heute keine Staatsaktion mehr ist, wie in den Tagen der grossen Schillerfeier von 1859, dafür ist die Marlitt wirklich nicht verantwortlich zu machen.
Ein Zeitgenosse der Marlitt, der charaktervolle Anreger Ferdinand Kürnberger, hat einmal die prinzipielle Seite der Frage gründlich besprochen, in einer Reihe von Feuilletons. Und ein Feuilleton von Kürnberger hatte mitunter den Wert eines recht guten dickleibigen Buches. Kürnberger, dem man weder für seine zyklopischen Novellen, noch für seine unübertrefflichen Zeitungsaufsätze ein Denkmal gesetzt hat, war damals zu dem Spruch gekommen: Das Denkmalsetzen sei eine schlechte Nachahmung griechischer Sitten, sei in der deutschen Gegenwart dumm und lächerlich; und dabei war die Veranlassung zu Kürnbergers Entrüstungsschrei nicht etwa der Hausbettel für das geplante Denkmal irgendeines zweifelhaften Dichterleins; nein, um Grillparzer hatte es sich gehandelt, um den beinahe klassischen Dichter Oesterreichs, den Kürnberger liebte, und dessen Sarg er nur ungern von der Eitelkeit und Zudringlichkeit der gewerbsmässigen Denkmalsetzer umgeben sah. Ich glaube, dass Kürnberger mit seinen Feuilletons »das Denkmalsetzen in der Opposition« gegenüber mancher populären und kunstpäppelnden Zeitströmung recht behalten wird; aber darum handelt es sich hier und heute nicht. Hier und heute handelt es sich darum: Wie gross muss ein Mensch sein, wie gross muss seine Leistung sein, um die Ehre eines Denkmals zu verdienen.
Und noch einmal muss ich mich gegen die bösen Menschen wenden, die mit übertriebenen Worten die Unwürdigkeit der Marlitt zu beweisen entschlossen sind. Ich habe mir diese Gegner der Marlitt nicht konstruiert; ich habe sie vor kurzem in dem Literaturcafé einer Kunststadt gegen die Marlitt wettern hören.
Bei den groben Worten, mit denen man ein Denkmal für die Marlitt eine nationale Schmach zu nennen pflegt, verwechselt man einfach zwei recht verschiedene Schädlinge der Poesie. Diesen Punkt möchte ich untersuchen. Und weil diese Schädlinge in vielen hundert Exemplaren herumlaufen, und ihre Träger mitunter zu den »besten Namen« unserer Literatur gehören, und weil ich zwar mit Gott und dem Teufel anzubinden den Mut habe, nicht aber die Tollkühnheit, die sehr lebendigen und gar sehr rührigen Besitzer eines besten Namens Schädlinge zu nennen, darum will ich mich bei dieser Untersuchung darauf beschränken, die Typen zu bezeichnen, den Typus Kotzebue und den Typus Marlitt.
Solche Rücksichten fallen nur in vertrautem Gespräche fort. Als ich gegen Ende der siebziger Jahre die Freude hatte, stundenlang mit Kürnberger plaudern zu dürfen, auf seiner Bude in Graz, da wurde der Gegenstand zwischen uns weniger höflich abgehandelt. Kürnberger wusste ganz gut, dass ihn seine Angst vor einem Ueberhandnehmen der Denkmalsetzerei in seine Opposition hineingetrieben hatte. Seine Prophetenaugen flammten, da er mir zurief: »Die Baronin T… braucht nur wieder tausend Gulden für ein Denkmal des … oder der … herzugeben und wir kriegen auch noch dieses Denkmal. Gegen die tausend Gulden der Baronin gibt es keine Rettung. Mir aber sind der … und die … Brechmittel und ich will es nicht erleben, dass ich an dem Denkmal eines Brechmittels vorübergehen muss.« Kürnberger hatte einen Mann genannt, dessen Dramen damals viel gespielt wurden, und eine Frau, deren Romane damals immer noch verschlungen wurden. Der Mann und die Frau sind lange tot; trotzdem scheue ich davor zurück, die Brandmarkung hier zu wiederholen. Wir haben ja einen Gattungsnamen für so widerliche Erscheinungen; wir sagen einfach: Kotzebue.
Kotzebue war in der Glanzzeit unserer Literatur der Liebling des Publikums. Nannte man die besten Namen, so wurde auch der seine genannt. Wenn wir heutzutage irgendeinen modernen Liebling des Publikums, um ihm eins anzuhängen, mit Kotzebue vergleichen, so überschätzen wir gewöhnlich noch unseren witzigen Zeitgenossen; denn Kotzebue war nicht der erste, der beste Sudler; es gehörte immerhin ein Talent und eine Kraft sondergleichen dazu, dem damaligen Theater weit mehr als hundert technisch recht gut gebaute Komödien und Tragödien zu schenken, von denen einige bis zur Stunde mit Erfolg gespielt werden. Die Masse hatte – da sie die Sache vom Standpunkt der Masse aus ansah – ganz recht, wenn sie diesen Massendichter über Goethe stellte. Es ist nicht merkwürdig, dass Goethe einen solchen Rivalen hasste und verachtete. Merkwürdig ist nur, dass diese Masse selbst ihren Liebling verachtete. Ohne diese Verachtung, in der der gefeierte Kotzebue wirkte, wäre er schwerlich, trotz der politischen Zeitumstände, das Opfer des idealistischen Studenten Sand geworden. Man hat durch viele Jahrzehnte nicht aufgehört, Kotzebue zu spielen; umsonst: die Verachtung wuchs mit seiner Popularität. Im Jahre 1919, zur Hundertjahrfeier von Kotzebues Ermordung, wird man wahrscheinlich den Mörder entschuldigen oder gar verherrlichen; es wird sich aber kaum ein Komitee finden, um dem ermordeten Liebling des Publikums ein Denkmal zu setzen.
Woher diese Erbitterung gegen einen beliebten Schriftsteller, dessen Talent niemals angezweifelt wurde? Goethe sagt von ihm: »Natur gab ihm so schöne Gaben, als tausend andere Menschen nicht haben«; Goethe rühmt sich, auch diese »Nullität« zu seinem eigenen Vorteil kennen gelernt zu haben; aber selbst der maßvolle Goethe gebraucht von Kotzebue & Cie, Ausdrücke wie »die gründlichsten Schuften, die Gott erschuf«, wie »tiefste Niedertracht« und mahnt (im Jahre 1816) die goethereifen Menschen, die hundert Jahre später leben werden, über ihn und Kotzebue zu richten. Der Name Kotzebue ist ein Schimpfwort geworden, nicht für den von Russland bezahlten Publizisten, sondern für jeden Schädling der Poesie. Dieses Schimpfwort trifft nicht die Nullität, die geistige Kleinheit Kotzebues, es trifft die Unehrlichkeit seines literarischen Daseins. Und darum sollte der Typus Kotzebue mit dem Typus Marlitt nicht verwechselt werden.
Ich weiss hoffentlich, dass solche Gattungsnamen die Wirklichkeit niemals richtig darstellen; ich weiss, dass es unzählige Uebergänge und Mischungen gibt zwischen dem Typus Kotzebue und dem Typus Marlitt. Manche Frau Kotzebue schreibt Marlittsche Romane; mancher Herr Marlitt schreibt Kotzebuesche Lustspiele. Und dennoch entsteht ein Gegensatz zwischen beiden Typen durch die Gewissensfrage, durch die Bewusstseinsfrage: unehrlich oder ehrlich. Der ewige Kotzebue ist der Meisterdieb, der die Fürsten des Geistes um jeden Schatz bestiehlt, nicht aus einer vielleicht verzeihlichen, vielleicht genialen Freude am Stehlen, nein, aus Geiz und Ehrgeiz. Der ewige Kotzebue ist ein Falschmünzer, der im Interesse seines Gewerbes die echten Münzen für falsche ausgeben muss. Und der am Ende an die vollwertigen Münzen wirklich nicht glaubt, weil es ihm sonst gar zu weh täte, an seine eigenen Machwerke, trotz ihres hohen Kurses, nicht glauben zu können. Man bilde sich nicht ein, dass der ewige Kotzebue nur als Poet auftrete; er soll auch in der Gestalt von Musikern und von Malern, von Gelehrten und von Erfindern gesehen worden sein.
Wie anders wirkt das Zeichen des Typus Marlitt auf uns ein. Nullität, meinetwegen. Aber diese Nullität ist ehrlich und darf an sich selbst glauben. Sie hat nicht das Bewusstsein davon, dass ihr bisschen Eigentum Diebstahl ist. Zwischen Kotzebue und dem Dichter ist ein Abgrund, den man Artunterschied nennen könnte; zwischen Marlitt und dem Dichter ist nur ein Gradunterschied, ein ganz beträchtlicher allerdings, so etwa wie zwischen dem Leser und dem Dichter. Aber der ewige Marlitt ist sich eben der Tatsache nicht bewusst, dass er sich alles nur angelesen hat: die Fabel und ihre Spannung, die Figuren und ihre »hochpoetische Sprache«. Der ewige Marlitt hat zu seiner Freude die Bemerkung gemacht, dass kein Werk der Ganzgrossen jemals einen schallenden Publikumserfolg hatte, wenn in die Erfindung des Dichters nicht irgendeine brutale Katastrophe miteingeflochten war; er hält es nun für sein Poetenrecht, die Spannung des Lesers durch brutale Katastrophen stärker und stärker zu erregen. Die Ganzgrossen haben seit einigen hundert Jahren (früher war das nicht Mode und Moden gibt es auch in der Kunst) die Darstellung der Geschlechtsliebe zu einem Brennpunkte der Poesie gemacht und auf jede Gefahr hin dieses Gefühl der Männlein und der Weiblein sinnenfällig abgeschildert; der ewige Kotzebue hat trotz seiner Impotenz die psychologische Macht der Geschlechtsliebe begriffen und kitzelt sein Publikum mit Anspielungen; der ewige Marlitt ist auch in dieser Beziehung ehrlich und glaubt wie ein Dichter die Liebe darzustellen, wenn er seine jugendlichen Leser und Leserinnen gewissermassen sexuell aufklärt, wenn er von seiner wohlerzogenen Else und von seinem bürgerlichen Lohengrin erzählt, die einige hundert Seiten lang in brünstiger Sehnsucht nach einer Umarmung brennen. Der ewige Marlitt scheint mir in der Tat ganz ehrlich bei diesen Liebesräuschen einer jugendsündlichen Phantasie; er hält es vielleicht für einen Ewigkeitswert seiner Romane, er glaubt die deutsche Weiblichkeit in ihr ewiges Frühlingsland zu führen, wenn er die Heldin in ihren Mantel bis an den Hals zuknöpft und den freundlichen Leser erraten lässt, dass sie nichts darunter anhabe. Ich liebe die feine Kunst Maeterlincks; aber seine Monna Vanna, durch deren Nacktheit unter dem Theatermantel er den ersten Publikumserfolg mit den Mitteln des ewigen Kotzebue errang, wäre ein gutes Symbol für die Liebesgeschichten der Marlitt, nur dass der Dichter Maeterlinck wahrscheinlich bewusster war, als Marlitt je werden kann.
Man sieht, ich habe gar nichts dagegen, dass der guten Marlitt in Arnstadt von guten Menschen ein kleines, nettes Denkmal gesetzt werde. Und wenn sehr viel Geld zusammenkommen sollte, so dürfte es meinetwegen auch ein sehr grosses Denkmal werden. In der Mitte die alte Mamsell, die eine ausgezeichnete Leserin war und darum das Schreiben nicht lassen konnte; um sie her dichtgeschart ihr Publikum, ein Zug von platonischen Bacchanten, von jugendlichen Lesern und Leserinnen, die später vielleicht wieder selbst Dichter und Dichterinnen sein werden, denn »das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären«. In den Gesichtern mancher dieser platonischen Bacchanten könnte sich der Ausdruck wiederholen, der für die verzückte »Leserin« im Musée Wiertz (zu Brüssel) so charakteristisch ist. Und nicht nur die alte Mamsell, auch die süssen Mädel und die verliebten Buben müssten in Mäntel gehüllt sein, zugeknöpft bis an den Hals. Der Bildhauer wird nach den Regeln seiner Kunst dafür sorgen, dass man sehe: »Das ist schrecklich schön! Sie haben unter den Mänteln nichts an!« Monna Vanna ist der Marlitt in Maeterlinck. Oder die Kotzebue.