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Der liebe Gott sass geruhig bei seinem göttlichen Geschäfte. Er drehte mit der Linken die Achse der Welt und half mit der Rechten der Weltordnung nach, wo es nötig schien. Immer nur der Ordnung, niemals der Unordnung. Er goss Oel auf die Achse, wenn sie knarrte. Einen der kleinen Planeten, der sich vordrängen wollte, stupste er in seine Bahn zurück. Ein zu helles Lichtlein der Milchstrasse schraubte er hinunter, ein zu trübes schnauzte er. Er half einer Kreuzspinne eine Fliege binden, weil die Spinne die Stärkere war. Er half einer Hummel das Spinnennetz zerreissen, weil die Hummel die Stärkere war. Er schabte mit dem kleinen Finger an der Rinde eines Vulkans, auf dass Feuer und Lava bequemer hindurchbrechen konnten. Alle Maße der Erde kannte der liebe Gott. So sass er geruhig bei seinem göttlichen Geschäfte an der Weltachse. Sah alles, hörte alles, fühlte alles ohne Gesicht, ohne Gehör, ohne Gefühl. Und half immer der Ordnung, niemals der Unordnung. Und lobte die Ordnung mit wichtiger Miene.
Unter den Spielkügelchen von Gottes lieber Welt war eines, ein ganz kleines, das von den armen redenden Menschen die Erde zubenannt wurde. Auf dieser Erde lebten nämlich zweibeinige Tierlein, die Menschen zu sich selber sagten.
Dort, wo von dem grossen irdischen Wasser ein Teich für ein Weilchen nach Aufgang hinübergespritzt war, mitten zwischen zwei trockene Erdländer hinein; da war ein Gewimmel zweibeiniger Tierlein, wie ein Ameisenhaufen; das hiess gern das auserwählte Volk Gottes. Gabriel und Michael, die beiden getreusten Engelbuben, kugelten sich vor Lachen, da man's im Himmel erzählte. Der liebe Gott verwies ihnen ihr Lachen und hätte dabei gern nach seiner inneren Gewohnheit den Zeigefinger belehrend aufgehoben, wenn seine göttlichen Geschäfte ihm dafür Freiheit genug gelassen hätten. Doch nur zum Reden liessen sie ihm Zeit, nicht zum Fingeraufheben. Also sagte er: »Kinder, seid nicht so dumm. Ihr lacht ja nur, weil die da unten so kleine Knirpse sind. Auch ihr wäret klein, wenn ich einmal dazu käme, mich ordentlich zu strecken. Und dass sie meine besonders lieben Kinder heissen wollen, das freut mich eigentlich. So wollen sie doch wenigstens herauf. Michael, verfluchter Kerl! Willst du wohl die Pratze von der Wolke lassen! Ob du was siehst oder nicht, dort hat jetzt Wolke zu sein.«
»Wieder kreuzigen sie einen,« brummelte der Michaelbub und glotzte durch einen Wolkenspalt.
Der Gabrielbub sprang hinzu, warf einen Blick hinunter und schrie jämmerlich auf:
»Ihn kreuzigen sie, lieber Gott, deinen lieben Herrn Sohn Jesus. Er sucht hier oben mit den Augen, so ängstlich, so bitterlich. Unter dem Kreuze stehen gute Männer und gute Frauen. Jedes sein Leiden im Herzen. Das darfst du nicht wollen, lieber Gott. Schnell, du musst ein Wunder tun und ihn retten. Weisst du was? Lass mich nur, so kann ich's auch. Ich will Finsternis werfen über die ganze Bande, über die Juden und über die Römer. Die guten Männer und Frauen werden ihn heimlich lösen, und ich werde Balsam ausgiessen über seine blutenden Glieder.«
Der liebe Gott richtete ein Grashälmchen auf, das ein Wiesel überlaufen hatte. Fast zärtlich.
»Still, Gabrielbub. Was muss, geschieht. Nach meinen eigenen Gesetzen darf ich kein Wunder tun. Wie oft soll ich's euch sagen, ihr Engelbubenfürsten. Ordnung! Ich könnte, wenn ich wollte. Natürlich könnte ich. Aber nach meinen eigenen ewigen Gesetzen darf die Ordnung durch kein Wunder gestört werden.«
Das Wiesel hatte ein Mäuslein gefangen und gefressen. Ein Blutstropfen des Mäusleins war neben ein Massliebchen gefallen, und der liebe Gott half dem Massliebchen sich vollsaugen mit dem Blutstropfen.«
»Der Gabriel will immer was extra,« sagte der Michaelbub. »Gut, aber dumm. Immer heidi! Der richtige Ernst fehlt. Ich verstehe dich viel besser, lieber Gott. Was muss, geschieht. Und wir haben das Zuschauen. Seh nur einer mal die Beleuchtung!«
Der Spalt in den Wolken hatte sich gerundet, die grauen und weissen Schleier wälzten sich hin und wälzten sich her, bis sie ein gewaltiges Sprachrohr geformt hatten vom Kreuzeshügel bis zum Himmelsthron. Leise vernahm man das Brausen aus der Menge, das Weinen der Frauen, und vernahm das Schweigen der Jünger. Dann, kaum hörbar, die klagende Stimme: »Mich dürstet.«
»Hilf ihm, lieber Gott,« schrie der Gabrielbub auf.
»Ich darf nicht. Nach den Gesetzen meiner Ordnung darf ich nicht.«
Vom schwarzen Abgrund der Erde fuhr es herauf wie ein dunkelschweflichter Blitz. Gefallene Engel stürmten vor den Thron der Weltenachse. Satanas ihnen voran.
»Herr und Meister, jetzt musst du ein Wunder tun und helfen. Wenn Satanas Mitleid fühlt und der Herrgott nicht hilft, so ist der Herrgott ohnmächtig, so ist unsere Zeit gekommen. Hilf oder dank' ab!«
»Hilf oder dank' ab!« riefen durcheinander die gefallenen Engel; und sie waren schöner, grösser und stärker als die Heerscharen im Himmel. Nur waffenlos waren sie. Darum lächelte der liebe Gott geruhig und winkte seinen Engelfürsten, die flammenfunkelnden Schwerter bereit zu halten.
»Nein, mein guter Satanas. Dir steht Mitleid an, nicht mir. Und du, mein Gabriel, magst zu Satanas gehen, wenn ich dich noch einmal auf Mitleid ertappe. Mitleid! Mitleid ist für Menschen und gefallene Engel. Ist für die da unten. Nicht für uns hier oben. Und deine Meinung durchschaue ich, mein lieber Satanas. Helfen soll ich meinem lieben Söhnchen Jesus, damit er nicht den Tod erleide, damit sein Reich nicht komme. Damit du allein herrschest auf der kleinen Erde. Jawohl; ich könnte, wenn ich wollte. Ich dürfte auch, ich will aber nicht, ich, der Herr.«
Und der liebe Gott, während er nach den Schwertern der Engelfürsten schielte, drehte mit der Linken geruhig die Weltenachse und putzte mit der Rechten einen Sonnenfleck fort. Eben schob sich der Mond schwarz vor die Sonne, man konnte alles besser wahrnehmen. Ungeblendet.
Auf dem Kreuzeshügel war eine der guten Frauen bewusstlos umgesunken. Magdalena. Satanas gab seinen Engeln einen Wink, mit dem Aufstand noch einen Augenblick zu warten. Wie ein Falke schoss er hinunter, liess den leeren Schatten Magdalenens neben dem Kreuzesstamm liegen, raffte das Weib selbst auf und trug sie im Nu vor den Himmelsthron.
»Bete für ihn! Schmeichle ihm!« hatte er ihr zugeflüstert.
Magdalene hatte nichts gehört. Aber sie tat nach Satanas Geheiss. Auf die Knie warf sie sich nieder, schlug die schwellenden Brüste, raufte das lange, weiche, goldene Haar und liess den dunklen Augen einen Strom von Tränen entfliessen. Dann schlug sie nieder, mit der Stirn auf ihre ausgestreckten Arme, dass ihr Haar über sie selbst sich ausgoss und über die Füsse des lieben Gottes.
»Allmächtiger, allweiser, allgütiger Gott! Du allein kannst helfen! So hilf! Mag die Erde zerschlagen, mag der Himmel vergehen, mag die Welt verbrennen! Nur dass Jesus nicht leide! Er ist göttlicher als du, er ist schöner als du. Uns allen hat er geholfen. Meine Seele hat er erlöst, meine, meine, meine Seele! Nimm mich, schrecklicher Gott, zertrete mich, zertrete meine Seele wieder in Staub, in Schlamm, Leib und Seele. Und spei' mich aus. Aber hilf! Du allein kannst helfen.«
»Ich bin kein Mensch,« sagte der liebe Gott. »Ich bin allmächtig, jawohl, ganz recht, aber ihr Menschen versteht nicht, was das besagen will. Ich bin allmächtig im Anfang, in der Ordnung. Niemals in der Unordnung.«
»So verschreib' ich mich dem Mächtigeren, der helfen will. Hund oder Mensch oder Teufel. Satanas hilf!«
Schon rückten die gefallenen Engel gegen den Thron an der Weltenachse. Schon hatte Magdalene den lieben Gott aus dem Thronsessel gedrängt, den Thron umgeworfen und eine lockere Sessellehne herausgerissen. Schon hatte Satanas die Kurbel der Weltenachse ergriffen, dass ein Beben entstund von Sonnen zu Sonnen. Auch die kleine Erde bebte. Der liebe Gott ordnete geruhig seinen dunkeln, geblümten Talar und verliess sich auf die Engelbubenfürsten. Der allergetreuste Gabrielbub war auch nicht faul, schmiss Satanas nieder und stiess ihm sein flammenfunkelndes Schwert durch die Brust.
Das war aber nur symbolisch, bedeutete Sieg und schadete dem Durchbohrten weiter nichts.
Der Michaelbub hatte von Magdalena mit der harten Thronsessellehne einen tüchtigen Hieb über das linke Auge abgekriegt; jetzt fasste er sie und schleuderte sie zu ihrem Schatten auf den Kreuzeshügel zurück.
Der liebe Gott war in würdiger Haltung stehen geblieben; nun griff er geruhig wieder nach der Kurbel der Weltenachse und machte dem Weltbeben ein Ende.
Da klang es wieder herauf durch den Schalltrichter der Wolken, schauerlich leise in der Sprache der Engel und des Dulders:
»Eli, eli, lama sabachthani. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Der Widerhall von den Wolken und von der Milchstrasse und vom Himmel und von allen Sonnen klang wie ein ferner Donner nach: Eli, eli, lama sabachthani.
Da senkte der liebe Gott traurig sein Haupt und sprach zurück durch den Schalltrichter der Wolken: »Es ist ja nicht wahr, dass ich nicht darf nach eigenen Gesetzen. Es ist ja nicht wahr, dass ich nicht will. Ich kann ja nur nicht. Ich kann nicht Wunder tun. Was muss, geschieht.«
»Du Aermster!« klang es herauf aus Sterbensferne. Und der Dulder neigte sein Haupt und starb.
Als wie müde setzte sich der liebe Gott auf den umgestürzten Thron und drehte mit der Linken die Achse der Welt. Und hob zum erstenmal den Zeigefinger der Rechten und wischte zum erstenmal eine Träne ab.
Der Gabrielbub aber zerbrach mit einem wilden Ruf sein flammenfunkelndes Schwert und fuhr hinab zu den gefallenen Engeln.