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Auch in den Gefilden der Seligen gibt es eine Feldherrnhalle. eine Plauderstube der toten Heerführer. Am Silvesterabend sassen ihrer viele beisammen um den mächtigen runden Tisch, bei einem Fasse Griechenwein, zu einem richtigen Silvesterspaß.
Napoleon hatte die Sache in die Hand genommen. Niemand unter den grossen toten Weltbewegern war ihm so lieb geworden wie Gregor, der wahre Urheber der Kreuzzüge, der Pfaffe Hildebrand, den die langweilige Liste Gregor den Siebenten nennt. Napoleon pflegte zu sagen, dass ausser ihm selbst nur noch dieser Gregor den Plan ganz gefasst und beinahe ausgeführt hätte, das bisschen Erde wirklich zu beherrschen. Und Gregor ging seit einigen Wochen bekümmert umher, weil er es unerträglich fand, dass der Krieg der vier kleinen Balkankönige gegen die Türken fast von allen Schreibern Europas ein neuer Kreuzzug genannt wurde; darüber war der alte starke Papst trübsinnig geworden. Gregor sollte wieder lachen lernen.
Zu diesem Zweck hatte Napoleon den Dichter Torquato Tasso für den Silvesterabend in die Feldherrnhalle eingeladen und ihn mit scheinbarem Ernste aufgefordert, unter den Balkankönigen einen Helden auszuwählen, wie Gottfried von Bouillon einer gewesen war, und zur Freude der toten Heerführer ein befreites Konstantinopel zu singen, wie dieser Poete einst ein befreites Jerusalem gesungen hatte. Torquato Tasso merkte die freche Absicht Napoleons nicht. Er hatte vor mehr als hundert Jahren, als der nordische Dichter Goethe den unglücklichen Menschen Tasso zum Helden einer Tragödie gewandelt hatte, einen zweiten Lorbeerkranz auf seinen müden Kopf gestülpt, stolzierte so geschmückt in den Gefilden der Seligen umher und war nur glücklich, wenn er in seiner unverlorenen schönen Sprache Huldigungsverse machen durfte auf Feldhauptleute oder gar auf Könige. Es gab ja wieder einmal ein paar neue Königlein auf der geduldigen Erde.
Jetzt sass er an der Tafelrunde zwischen Napoleon und dem Papste Gregor; Napoleon hatte dafür gesorgt, dass die christlichen Generäle der Kreuzzüge und dann wieder die stärksten unter den unchristlichen Heerführern aller Zeiten ihre Plätze in der Nähe nahmen; Moses und Mohammed, Attila und Dschingischan, Hannibal und Soliman. Von allen Seiten trank man dem Dichter zu, mit einem Verehrungsschluck oder mit einem Ganzen, und er kam immer bereitwillig nach; so stumpfsinnige Trinksitten waren nach den Schlachten von 1870 im Himmel eingerissen. Um so mehr Heiterkeit versprachen sich die Festgäste von Tasso's Improvisation auf einen der vier christlichen Balkankönige. Als aber Napoleon durch sein Kommando »Silentium für unseren Sänger!« alle Einzelgespräche zum Schweigen gebracht hatte, erhob sich der Sänger steif und redete also in betrübter Prosa:
»Illüstre Heroen, blutgetaufte Göttersöhne, eisengepanzerte Priester des Mars …«
»Geschenkt!« rief von einem fernen Platz der Tafelrunde der alte Blücher herüber. Tasso aber liess sich nicht irre machen.
»Krieger Gottes, würdig eines christlichen Homeros! Tagelang habe ich in den Archiven gewühlt, die gegenwärtig Zeitungen und Witzblätter heissen, um die Flamme der Begeisterung für einen der vier Balkankönige in meiner Seele zu entzünden. Viele und einander widersprechende Züge fand ich in diesen Archiven verzeichnet; zuerst hiessen sie Hammeldiebe und Lausherbergen, als ob nicht Christen, sondern Ungläubige die Berichte verfasst hätten; nach den ersten siegreichen Schlachten hiessen sie kluge Fürsten und wackere Hirten ihrer Völker. Jetzt erweisen sie sich als tüchtige Handelsleute, erfahren in den Geschäften der Börse. Nichts aber fand ich, was meinen Genius zum Singen entzückt hätte. Keine Amazonen und Zauberjungfrauen, das hätte ich verschmerzen können; aber auch keine Inbrunst des Glaubens, nicht die fromme Gesinnung, die zu einem richtigen Kreuzzuge gehört. Blut genug, aber keine Andacht beim Blutvergiessen.«
Gregor nickte zustimmend und Napoleon wurde ärgerlich. »Dafür sind Sie ja ein Dichter, mein lieber Tasso, um von Ihren ausgeborgten frommen Gefühlen an die Balkankönige soviel weiterzuborgen, als nötig ist, um aus Peter von Serbien oder aus Ihrem Dichterkollegen von Montenegro einen Streiter Gottes zu machen. Diese Herrschaften hätten auch ein solches Darlehen noch gern angenommen. Und Sie haben beim ersten Kreuzzuge die beste Frömmigkeit doch auch hinzugelogen.«
Unter den Fürsten des ersten Kreuzzuges entstand eine gelinde Unruhe; die einen lachten, die anderen brummten.
Gottfried von Bouillon räusperte sich und sprach: »Sacrenomdedieu, wir können ja ehrlich sein, weil wir tot sind. Es wäre ein gutes Sprichwort: So ehrlich wie ein Toter. Waren viel weltliche Schlauköpfe unter uns, bei den Fürsten und bei dem Haufen. Aber schimmerte doch echte Frömmigkeit überall zwischen den Wolken herab, überall, wo man das Kreuz nahm, bei meinen Lothringern und bei den Normannen, bei den Franzosen und den Italienern, zuletzt sogar bei den Deutschen. War doch ein christlich Werk, da in höchster Not zu Antiochia die heilige Lanze aufgefunden wurde und den Sieg brachte. War ein christlich Werk, wenn »es auch eine falsche Lanze gewesen sein sollte. Und … weisst du noch, mein lieber Tancred? Wie wir die heilige Stadt Jerusalem erblickten, wie da Tausende und Tausende von Pilgern ihre Waffen und ihre Stiefel ablegten und blossfüssig, keine Wurfspiesse achtend, zu den Mauern rannten sie zu küssen, eine einzige Sehnsucht im Herzen: Das Heilige Grab zu betreten und zu sterben.«
Napoleon: »Ein Wort der Sehnsucht steht immer auf der Fahne. Die Türken hatten auch so ein Wort. Und ich erst. Ich rief Freiheit und Gleichheit und führte so die Völker zur Schlachtbank.«
Gottfried: »Lieber Herr Kaiser, Sie werden doch nicht im Ernste die Worte des Wahnes den Worten des Glaubens vergleichen wollen?«
Bevor Napoleon noch heftig antworten konnte, schlug Friedrich Barbarossa mit geballter Faust auf den Tisch, dass das eichene Gebäude der runden Tafel dröhnte und mancher Becher umfiel. »Kreuzmohrenelement, Gottfried, sei doch ganz ehrlich, weil du ganz tot bist. Ja, ihr Herren, der Glaube an die himmlische Leitung war damals mehr verbreitet als heute, war damals Mode. Ja, ihr Herren, der Kriegsruf Deus lo volt erklang, wie er heute nicht mehr erklingen kann. Jeder Fürst und jeder Trossknecht dachte sich etwas bei den Worten: Gott will es! Aber jeder Fürst und jeder Trossknecht dachte sich noch etwas weiter dazu. Dachte sich je nach seinem Humor orientalische Weiber dazu oder Kriegsbeute oder einen kleinen Königstitel in Kleinasien. Beim Donner, die Fürsten waren die schlimmsten. Am liebsten hätten sie schon unterwegs das christliche Reich von Byzanz unter sich verteilt und immer erst, wenn sie Schläge bekommen hatten, besannen sie sich darauf, dass das Kreuz nur gegen die Heiden genommen war. Beim Donner und beim heiligen Blute, wir haben's erlebt. Das Geld des griechischen Kaisers war allemal stärker als ein Eid. Vor Antiochia betrogen einander der griechische Kaiser und unser Bohemund – sollst leben, Bohemund, ich bring' dir einen – wie nur zwei Armenier. Jeder wollte die Stadt für sich behalten, wie Tancred – sollst leben, toller Bruder – jedes Schloss für sich behalten wollte. Kannst du es leugnen, Gottfried, dass ihr da einmal irgendeine grosse Stadt beranntet, und dass sie nicht mehr zu halten war. Richtig, Nicäa war's. Unmittelbar, bevor du den letzten Sturm befahlst, unterhandelte Bohemund mit der Besatzung und überredete sie sich ihm persönlich zu übergeben, nur um nachher für die grosse Teilung ein Faustpfand in der Hand zu haben. Und vom ersten Patriarchen von Jerusalem sagtet ihr selbst, er wäre schwach im Glauben. Soll ich euch gar noch an die italienischen Städte erinnern, an Genua, Pisa und Venedig, die mit der Mode der Kreuzzüge ihren Handel trieben wie mit anderen Moden früher und später? Soll ich dich gar daran mahnen, du himmlischer Gottfried, auf wie irdischen Wegen du König von Jerusalem geworden bist? Wetter und Donner, waren wahrhaftig die Menschen und waren die Fürsten damaliger Zeit nicht weniger schlau und nicht mehr fromm, als sie heute sind.«
»Da haben«, flüsterte Napoleon seinem lieben Gregor zu, »die Kreuzfahrer dieses Jahres doch etwas von den alten gelernt. Wenigstens der christliche Streich von Nicäa ist von den neuen Griechen auf ein Haar bei Saloniki nachgemacht worden. Orientalische Diplomatie.«
Aber Barbarossa stützte sein schweres Haupt in die rechte Hand und sprach weiter: »Beim Donner und Leichnam, wie bin ich bei Adrianopel vom christlichen Kaiser von Byzanz verraten worden und in Asien von den kleinen christlichen Königen. Und habe es selber geduldet, dass die Priester das Märchen verbreiteten, der heilige Georg in Person stünde uns bei, stritte an der Spitze unserer Schar. Habe niemals einen Unterschied gefunden zwischen christlichen und heidnischen Kriegern.«
Hannibal: »Glaubst also auch nicht, Herr Bruder, dass nur ein guter Christ ein guter Soldat sein könne!« Ein fröhliches Gelächter erhob sich an der Tafelrunde; nur das Lachen des alten riesigen Moses klang wie zornig darein.
Da beugte sich Napoleon, als ob das Dichterlein neben ihm Luft wäre, zu Gregor hinüber und sagte: »Der Fürst Bismarck, der heute fern geblieben ist, hat mir hier einmal ins Gesicht gesagt, ich sei bei allen meinen Kriegen und Siegen ein erbärmlicher Egoist gewesen. Nun sprich einmal, mein lieber Gregor, und sei so wahr wie der Tod. Als du die ersten Kreuzzüge plantest, herrlicher und folgenreicher, als sie nachher ausgeführt wurden, hast du damals nicht ganz für dich persönlich die Erde erobern wollen, die man die Welt nennt? So egoistisch wie ich?«
»Nicht wie du,« erwiderte Gregor hart. »Nur für meine Kirche oder für die römischen Päpste, meine Nachfolger.«
»Sacrebleu, mein lieber Gregor, so einen Nachfolger, so einen König von Rom, hat unsereins immer in petto, um seinen Ehrgeiz aufs feinste zu kitzeln. Und ist doch nur eine andere Form des Egoismus.«
Als Gregor leise lächelte, fuhr Napoleon fort: »Dass du nur wieder lächelst, wenn schon der Spaß mit dem Heldengedicht auf den neuen Peter misslungen ist. Dann aber sage mir noch eins, so wahr wie der Tod. Für das Christentum, so sagst du, hast du deinen ungeheuren Plan geschmiedet. Bitte, für welches Christentum? Hättest du dich wirklich gefreut, wenn das griechische Kreuz oder neuerdings ein evangelisches Kaisertum den Islam überwunden hätte?«
Gregor reichte Napoleon die Hand über den Dichter hinweg, als ob dieser Luft gewesen wäre.
Da erhob sich Torquato Tasso wieder steif, schüttelte seine Locken und seine beiden Lorbeerkränze und rief begeistert: »Göttergleiche Heroen, fürstliche und hochansehnliche Gönner, so verzichte ich denn darauf, die christliche Frömmigkeit und Demut der Vierkönige vom Balkan zu besingen. So will ich mich darauf beschränken, unsterbliche Verse auf ihre Tapferkeit zu dichten. Kein christlicher Homeros mehr, ein heidnischer Homeros des neuen Achilleus, des neuen Hektor …«
Ein homerisches Gelächter unterbrach den Lorbeerträger; die Ungläubigen lachten, die alten und die neuen Christen lachten, Napoleon lachte, der todbereite Fahnenträger von Arcole, und Gregor lachte, der alte Papst, der seine Haut zu Markte getragen hatte wie ein geringer Soldknecht. Tancred aber fuhr jach in die Höhe, lang und ausgemergelt wie der Ritter von der Mancha, wandte den narbenbedeckten Kopf gegen den Dichter, drohte ihm mit der Faust und schrie: »Was soll dieser Tintenkleckser unter uns! Unsere Gesta mag er beschreiben, zu Hause, in seinem Kämmerlein. Aber hier soll er nicht mitreden und nicht mittrinken! Sind ungleiche Gesellen unter den Vierfürsten, mag auch ein ordentlicher Verwalter unter ihnen sein, der Normanne, der arme Koburger wollte ich sagen, der Schlaukopf oder der andre deutsche Schlaukopf. Doch wer hat einen von ihnen einen Kampf ausfechten gesehen, Mann gegen Mann, Stirn gegen Stirn? Ich weiss, man nennt das Fortschritt in der Kriegführung. Wir haben's anders genannt, wenn so einer sich erst den Rücken deckte mit den Heeren eines grossen Kaisers oder Königs und dann fern vom Schuss den Ausgang abwartete. Da waren wir doch andere Kerls. Mordio, blutscheu waren wir nicht, am wenigsten für das eigene Blut. Die ersten auf der Mauer vom Belagerungsturm aus und die ersten in der Festung, und eingehauen, dass wir's nachher selbst nicht glaubten. An der Spitze von einem Schock, von einem Dutzend Reitern hinein in die krummen Säbel der Sarazenen und durch den Pfeilregen hindurch. Mordio, deine Schwabenstreiche, mein Gottfried! Und mein zweihändiges Schwert schlug auch nicht schlechte Wunden. Vergessenheit den Stubenhockern! Ruhm allein uns tapferen Haudegen, die wir wahrscheinlich keine guten Pilger waren, aber Männer. Mordio, einmal noch, einmal noch sich austoben, einerlei gegen wen, gegen Gott oder gegen den Teufel.«
Da duldete es die toten Ritter nicht mehr auf ihren Plätzen. Mit blitzenden Augen und erhobenen Armen sprangen sie auf und tranken den Becher nicht mehr aus und gedachten ihrer alten Kriegstaten und blickten nach einem Gegner umher, ihn zu fassen. Wie auf einer Kirchweih vor dem Raufen sah es aus, wie auf einer heidnischen Kirchweih von Riesen. Weit lehnten sich, als ob sie Kinder geworden wären, Karl der Grosse und Moses gegeneinander über die Tafelrunde und hakten zur Kraftprobe die Mittelfinger ineinander. Roland und Hannibal stemmten die Schultern gegeneinander, wer den andern von der Stelle rücken könnte. Napoleon selbst schrie dem alten Blücher eine schnöde Herausforderung zu, das Wort des Generals Cambronne.
Während des ganzen Festes hatte hinter dem Stuhl Gottfrieds ein schöner Knabe gestanden, blondlockig, von sanften Zügen. Man hatte ihn für einen Pagen Gottfrieds gehalten; hatte auch wohl gespottet, er wäre einer von den Engeln, deren Gottfried sich einst gerühmt hatte, dass sie ihn nach Jerusalem geleitet hätten. Die ganze Zeit hatte der Knabe sich still verhalten.
Als jetzt der allgemeine Aufruhr entstand, sprang auch der Knabe um die nächsten Stühle der Tafelrunde herum, wies mit dem Finger auf den wilden Hannibal, der eben über den starken Roland Herr geworden war, und fragte trotzig: »Bist du ein Ungläubiger? Bist du ein Sarazene?« Und ohne die Antwort abzuwarten, kletterte das Kind im Nu an dem schwarzroten Mantel Hannibals hinauf und suchte den Recken zu erwürgen. »Deus lo volt! Gott will es!« rief das Kind dabei mit gellender Stimme. Hannibal wehrte sich zuerst nur lachend; als ihm der kleine Held aber beinahe den rechten Daumen gebrochen hätte, da griff der Alte heftig zu und hätte die zarten Glieder vielleicht auf dem steinernen Estrich zerschmettert, wenn nicht Gregor dazwischengetreten wäre und das Kind an sich gerissen hätte. Gregor lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück, das Kind weinte in seinem Schoss.
Gregor: »Man sucht nach einem, der gläubig war und ein Held. Hier seht ihr ihn. Den Führer des Kinderkreuzzuges. Er wollte nichts und wagte alles. Ungarische Christen haben ihn totgeschlagen um eines goldenen Kreuzchens willen, das er auf der Brust trug. Hier, Herr Dichter, hätten Sie einen christlichen Helden für ein neues Gedicht.«
Torquato Tasso hatte sich, als die toten Feldhauptleute so lebendig wurden, hinter eine Säule der Feldherrnhalle geflüchtet. Jetzt trat er näher, betrachtete das weinende Kind und sagte würdevoll: »Das ist kein Held für uns Dichter. Wer doppelten Lorbeer trägt, der darf nur Sieger besingen. Die Götter und die Poeten waren immer nur mit den Siegern.«
Der schöne Knabe aber schluchzte in den Schoss Gregors hinein: »Gott hat es nicht gewollt! Gott hat es nicht gewollt!«