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Bald sind fünfunddreissig Jahre vergangen, seitdem der Schweizer Pfarrer Schleyer das Volapük erfand, die neue Universalsprache, die dem kleinen praktischen Verkehre der Völker bequem dienen und nebenbei so ungefähr den ewigen Frieden auf Erden herstellen sollte. In der Oeffentlichkeit beschäftigte man sich mit dieser Utopie lebhafter als jemals vorher mit dem Traumbuche einer Weltsprache. Fanatische Bewunderer betrieben die Propaganda und der Spott der Witzblätter hielt die Propaganda nicht auf. Nach Art pietistischer Konventikel entstanden viele Volapükvereine, seltsamerweise am häufigsten unter den Franzosen, die doch sonst keine Neigung zeigen, fremde Sprachen zu lernen. Vielleicht imponierte ihnen die revolutionäre Schmucklosigkeit. Dabei war das Volapük beinahe zur Hälfte, unerkennbar und ungeschickt genug, dem englischen Sprachschatze entnommen. So sollte zum Beispiel der Name Volapük selbst den beiden englischen Worten world und speak entsprechen und darum »Weltsprache« bedeuten. Genug, in den romanischen Ländern fanden sich viele idealistische Handlungsjünger, die einige Wochen an das Studium der künstlichen Sprache wandten, und zehn Jahre nach der Erfindung sollen (den Angaben von Enthusiasten ist selten zu trauen) 13 000 Personen sich des Volapük in einer internationalen Handelskorrespondenz bedient haben. Heute ist von der ganzen Bewegung kaum mehr übrig geblieben als das Wort oder die Lautgruppe »Volapük«. Unzählige Menschen, die vorher und nachher niemals eine Nachricht vom Traume einer Universalsprache erhalten haben, kennen das Wort Volapük und stellen sich darunter etwa den Einfall eines Narren vor, der die gewordenen und gewachsenen Kultursprachen der Menschheit durch ein elendes Surrogat eigener Mache verdrängen wolle.
Ganz so einfach närrisch liegt die Sache nicht. Es steht um die Universalsprache genau so wie um andere Utopien, wie um den ewigen Frieden der Frau v. Suttner, wie um den Zukunftsstaat von Bellamy, wie um die Mondreise von Cyrano de Bergerac. Immer ist das letzte Ziel schön und preisenswert; immer ist die Kritik der bestehenden Zustände berechtigt. Nur eine Kleinigkeit steht in Frage: ob es einen gangbaren Weg zum Ziele gibt, ob die Strecke zwischen Erde und Mond passierbar ist. Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass es die besseren Menschen sind, die Glaubenskraft genug besitzen, um an die Verwirklichung des vernünftigen Zukunftstaates und des ewigen Friedens, an die Mondreise und an die Herrschaft einer Universalsprache zu glauben. Zu diesen besseren Menschen zähle ich leider nicht.
Ich muss noch Schlimmeres bekennen. Ich glaube an Verbesserungen der gegenwärtigen Zustände, an wertvollere oder wertlosere Annäherungen zum vernünftigen Zukunftstaate, ich glaube an kriegsfeindliche Einrichtungen unter einigen abendländischen Völkern, ich glaube an ein Luftschiff der Zukunft Dieser Aufsatz wurde vor etwa zehn Jahren geschrieben., das sich lenkbar dem Monde um tausend Meter oder etwas mehr nähern wird. Ich glaube aber nicht, dass die künstlichen Universalsprachen auch nur die kleinste Hoffnung erfüllen werden, die ihre Erfinder und Anhänger auf sie setzen. Ich glaube weder an Volapük noch an Esperanto (noch an Ido, das verbesserte Esperanto), weder an Pfarrer Schleyer noch an Doktor Samenhof. Die Fanatiker der Universalsprache üben eine berechtigte Kritik an den vorhandenen Volksprachen, und der Gedanke an eine gemeinsame Sprache aller Menschen darf sich mit Recht ein Ideal nennen; nur dass weder die Kritik noch das letzte Ziel sich an Wert oder Bedeutung mit sozialer Kritik, mit sozialen Idealen vergleichen dürfen. Ich will das an je einem Punkte klar zu machen suchen und hoffe, jeden zu überzeugen, der kein Fanatiker ist.
Die Kritik der bestehenden Volksprachen ist längst von der Sprachwissenschaft selbst geübt worden. Alle Menschensprachen, die Kultursprachen sowohl wie die Sprachen der sogenannten Wilden, haben sich irrationell, unvernünftig entwickelt. Der Wortvorrat bildet bei keinem Volke einen übersichtlichen wissenschaftlichen Bau; das Wörterbuch deckt sich nicht mit der wissenschaftlichen Erkenntnis der Wirklichkeit. So lassen sich zum Beispiel die Pflanzennamen der Volksprachen nicht für eine systematische Botanik, die Namen der Gesteine nicht für eine systematische Mineralogie, die Namen der Stoffe schon gar nicht für eine systematische Chemie verwenden. Darum hat man auf diesen Gebieten künstliche internationale Sprachen schaffen müssen; man hat entweder die tote lateinische Sprache weiter gebildet oder eine neue Zeichensprache erfunden. Ebensowenig deckt sich die Formenlehre der bestehenden Sprachen, die Grammatik, irgendwo mit den Forderungen einer philosophischen Formenlehre. Die eine Sprache ist mit überflüssigen Geschlechtsunterschieden belastet, die andere besitzt überflüssige Beugungsformen des Hauptworts und des Zeitworts, die dritte kann wichtige Beziehungen gar nicht besonders ausdrücken; und alle Sprachen ohne Ausnahme haben in ihren Formen Ungleichheiten und Unregelmässigkeiten, die das Erlernen so ungemein erschweren. Das scheint mir aber gerade der Punkt zu sein, der die Fehler der Sprachen von den Fehlern unserer sozialen Zustände wesentlich unterscheidet. Unter gesellschaftlichen Mißständen leiden unzählige Menschen, unter der Mangelhaftigkeit der Sprachen leiden nur Sprachphilosophen. Es gibt auf der Welt mehr Arme als Sprachforscher. Darum ist eine Gesundung der Grammatik keine so dringende Aufgabe wie etwa eine gute Fabrikgesetzgebung.
Noch weniger dringend ist die Aufgabe, allen Menschen eine gemeinsame Sprache zu geben. Wir empfinden nicht mehr so kosmopolitisch, wie man an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert empfand. Selbst Bebel hat schon vor manchen Jahren die Sehnsucht nach einem allgemeinen Völkerbrei deutlich als einen Irrtum bezeichnet. Wir denken nicht mehr zunächst an die Menschenrechte, wenn wir es mit Chinesen oder mit Hereros zu tun haben. Die Menschenverbrüderung ist seit hundert Jahren immer unklarer geworden, der Begriffswert des Wortes ist zurückgegangen. Und damit musste natürlich auch das Ansehen einer Weltsprache als eines Mittels zur Menschenverbrüderung beträchtlich sinken. Es war kein rechter Zweck mehr da, das Mittel zu heiligen. Dazu kam noch eins. Wie der Kosmopolitismus sich abschwächte, erstarkte die Nationalitätsidee. Die Liebe zur eigenen Heimat, die Liebe zum eigenen Volke ist aber wesentlich auch Liebe zur Muttersprache. Wir lieben unsere Muttersprache, deren Erlernung uns nicht schwer geworden ist, deren Mängel wir nicht sehen und hören. Wir lieben sie viel leidenschaftlicher als wir gewöhnlich wissen. Wir lieben sie mit Sehnsucht und Eifersucht. Die bequeme und leichte Universalsprache können wir achten, würdigen, aber wir können sie ebensowenig lieben, wie wir ein sauberes Skelett zu umarmen wünschen.
Der Erfinder des neuen Volapük, des Esperanto, war oder ist ein kluger Mann. Er wusste, was man der Einführung einer Weltsprache entgegenhalten konnte, und nannte darum sein Kunstprodukt bescheidentlich eine »internationale Hilfsprache«. Die bestehenden Volksprachen sollen nicht abgeschafft werden. Doktor Samenhof ist ein gnädiger Herr. Der Deutsche, der Franzose, der Engländer usw. soll in seinem Lande die Muttersprache weiter reden dürfen. Aber der Kaufmann, der Gelehrte soll nicht mehr nötig haben, drei, vier oder mehr Kultursprachen neben seiner Muttersprache zu verstehen. Jedes Volk lernt neben seiner Muttersprache nur noch das neue Volapük des Doktors Samenhof und allen ist geholfen. Die Literatur jedes Volkes wird in das neue Volapük übersetzt (später vielleicht im neuen Volapük geschrieben) und jeder Gelehrte in Frankreich und Deutschland, in Russland und Japan, in Indien und in Amerika beherrscht alle Literaturen der Erde mit Hilfe des kinderleichten Volapük. Das ist so einfach wie die Kunst, eine Grube zu graben. Der andere braucht nur hineinzufallen.
Das Esperanto des Doktors Samenhof ist auch sonst verführerischer als das Volapük des Pfarrers Schleyer. Volapük sah keiner Menschensprache ähnlich. Esperanto klingt an die bekanntesten Sprachen an. Wortstämme und Bildungssilben sind verbreiteten Kultursprachen entlehnt, und die Worte, die den Europäern ohnehin gemeinsam sind, werden einfach herübergenommen, weil sie ja doch den Beginn einer Universalsprache darstellen. Aus diesem Grunde ist es keine Flunkerei, wenn die Prediger des Esperanto behaupten, man lerne es in der kürzesten Zeit verstehen. Wer einfache Esperantosätze ganz unvorbereitet zur Hand nimmt, glaubt eine verrückt gewordene romanische Sprache vor sich zu haben und errät auf den ersten Blick, um was es sich ungefähr handelt. Eine Stunde genügt, um die primitive Grammatik – für eine Stunde – im Gedächtnis zu behalten. So ist es in der Tat möglich, ohne die Anstrengung, die das Erlernen einer lebenden Sprache erfordert, zum Verständnis des Esperanto zu gelangen. Ich bilde mir gar nichts darauf ein, dass ich nach wenigen Stunden imstande war, einen kleinen Aufsatz einer esperantistischen Zeitschrift zu lesen und zu verstehen. Unsere Schulkinder bringen das mit ihren Geheimsprachen ebensogut fertig. Die Frage ist nur, ob der Schüler beim Erlernen des Esperanto weiter so fortschreiten kann wie in den ersten Stunden.
Eine Antwort ist gar nicht nötig, weil zwei noch ernstere Fragen die erste überflüssig machen. Verdient das Esperanto überhaupt den Namen einer Sprache? Und hat das Esperanto, wenn es überhaupt eine Sprache ist, irgendwelche Aussicht, zur internationalen Hilfsprache oder zur Universalsprache zu werden? Man wird mir zugeben, dass auch die geringste Mühe Zeitverschwendung wäre, wenn sie einer verlorenen Sache gälte. Und so muss ich hart und scharf meine Ueberzeugung aussprechen, dass das Esperanto eigentlich gar keine Sprache ist, und dass eine künstliche Sprache niemals fähig sein wird, die gewordenen Sprachen zu ersetzen.
Esperanto ist ebensowenig wie Volapük eine vollkommene, eine philosophische Sprache, die ja auch einmal von einem englischen Bischof wirklich erfunden und von Leibniz gelobt worden ist. Eine solche vollkommene Sprache ist unmöglich. Ich möchte nicht die Aufgabe lösen, diese Unmöglichkeit mit wenigen Zeilen beweisen zu sollen. Aber Esperanto ist ebensowenig wie Volapük überhaupt eine Sprache. Eine Sprache muss leben zwischen den Genossen eines Volkes, zwischen den Menschen. Ein Volk braucht noch keine 13 000 Seelen zu zählen und kann dennoch eine eigene Sprache besitzen. Gewiss! Die fleissigen Herren jedoch, die den Sport erfunden haben, einander volapükische oder esperantische Briefe zu schreiben, sprechen keine neue Sprache. Nur Spielregeln für ein neues Schreibespiel haben sie erfunden. Der Einfall, aus diesem Schreibespiel eine Weltliteratur von Uebersetzungen hervorgehen zu lassen, ist abenteuerlich. Um nur das Tollste herauszuheben: Es lebt ausser dem Erfinder niemand auf der Welt, bei dem man anfragen könnte, wie das oder jenes in Esperanto auszudrücken wäre. Ein grosses Wörterbuch Esperanto-Deutsch ist erst in Vorbereitung; ebenso ein Wörterbuch Französisch-Esperanto. Wie mag da wohl die angezeigte esperantische Hamlet-Uebersetzung zustande gekommen sein? Ein grosses Wörterbuch Englisch-Esperanto finde ich nirgends erwähnt. Ich werde den skurrilen Verdacht nicht los, dass Dr. Samenhof während des Uebersetzens den nötigen Vorrat an Worten erst erfunden haben mag. Und nachher sollen diese Zufallsworte des Augenblicks Bestandteile einer Weltsprache der Zukunft bilden!
Und weil Esperanto überhaupt keine Sprache ist, darum werden sich immer nur Sonderlinge, nicht aber ganze Völker bereit finden, es als zweite Sprache anzuerkennen und es in den Schulen lehren zu lassen. Sollte sich irgendwo ein Unterrichtsminister finden, revolutionär genug, das unverbesserliche Esperanto oder das verbesserte oder das ältere Volapük in den Volksschulen einzuführen, so proklamiere ich für die gesamte Schuljugend dieses Staates das Recht auf Revolution.
Der Aufsatz »Volapük« hat mir viele und recht geharnischte Zuschriften eingetragen. Volapükisten von Ueberzeugung und vielleicht auch einige Geschäftsvolapükisten haben mich versichert, dass ich mit meinen Ausführungen den Sieg ihrer grossen Sache nicht aufhalten werde. Ich möchte mit den Herren nicht streiten. Sie glauben daran, dass sie durch Auswendiglernen von hundert barbarischen Lautgruppen der Schöpfung einer Weltsprache und dem noch grösseren Ziele einer allgemeinen Völkerverbrüderung dienen. Sie glauben daran, dass sie dereinst bis zum Monde und noch später bis zum Planeten Mars gelangen werden, weil sie bei ihren Turnübungen Sprünge von zwei Meter Höhe gemacht haben. Es gibt Glaubensfanatismen, die gefährlicher sind. Ich halte die Beschäftigung mit dem Volapük für ein harmloses und unschuldiges Sportvergnügen.
Nur über zwei Fragen von allgemeinem Interesse wollte ich etwas hinzufügen, die in den geharnischten Zuschriften häufig wiederkehrten. Warum neben dem Volapük des Pfarrers Schleyer, dem Esperanto des Doktors Samenhof und dem Ido nicht auch die Langue bleue des Herrn Bollack erwähnt worden sei? Und warum ich verschwiegen habe, dass bis in die Gegenwart hinein berühmte Philosophen und Sprachforscher als Förderer der volapükistischen Gedanken aufgetreten sind? Ich erkläre mich bereit, die beiden Interpellationen sofort zu beantworten.
Volapük und Esperanto machen den Eindruck gut erfundener Spiele. Es macht Vergnügen, sich einige Tage in ihren Spielregeln zu üben. So übte man sich einige Zeit in dem Modespielzeug Halma, bis man dieses Zeitvertreibs müde wurde und die Pappschachtel fortlegte. Die Erfinder von Volapük und Esperanto hatten nicht nur Fleiss und Intelligenz, sondern auch Begeisterung an eine Aufgabe gewandt, deren Lösung über Menschenkraft ging; wie so oft in der Geschichte der Erfindungen, war das Ergebnis ungeheurer Anstrengungen nur ein hübsches Spielzeug.
Die Langue bleue des Herrn Bollack in Paris mag ihrem Baumeister ebenso schwer geworden sein, obgleich er nur sehr unklare Vorstellungen von den Geheimnissen der Wortentstehung und der Grammatik besitzt; aber hübsch ist sein Kauderwälsch nicht geworden. Die logische Geschlossenheit des Volapük ist imponierend, die Anklänge des Esperanto sind anheimelnd und verführerisch, die blaue Sprache (»nach der Farbe des Himmels« erklärt dieser Sprachschöpfer, hold errötend) ist weder imponierend noch verführerisch. Herr Bollack scheint die Unschönheit seiner blauen Sprache selbst bemerkt zu haben. Er verzichtet darauf, die Dichtungen der Nationalliteratur in die blaue Sprache zu übersetzen. Nur dem kaufmännischen und wissenschaftlichen Weltverkehre soll sie als internationale Hilfsprache dienen, als »die« zweite Sprache jedes Volkes, die das Erlernen jeder anderen Sprache überflüssig macht. Herr Bollack und Platon schliessen die Dichter aus ihrem Idealstaate aus.
Recht unsympathisch (das Wörterbuch der lebendigen deutschen Sprache stellt stärkere Ausdrücke zur Verfügung) ist die Art, wie der Erfinder für seine blaue Sprache Propaganda macht. Sonst werden eigentlich nur neue unfehlbare Mittel gegen das Ausfallen der Haare mit ähnlicher Reklame angepriesen. Der Erfinder der blauen Sprache war so frei, aus eigener Machtvollkommenheit ein Schutzkomitee für sein Unternehmen einzusetzen. Wen unter den führenden Geistern der Kulturmenschheit müsste es nicht reizen, einem solchen Komitee anzugehören? Keine Sorge! Dieser Ehrengipfel ist erreichbar, ist leicht erreichbar, ist wohlfeiler als die meisten Orden. Man braucht bloss die vollständige Theorie der blauen Sprache (Kostenpunkt zehn Francs) käuflich zu erwerben und erhält gratis als Zugabe den Titel: »Beschützer der blauen Sprache.« Ich habe mir schon lange gewünscht, den Titel »Beschützer der blauen Sprache« auf meine Karten setzen zu dürfen. Endlich!
Wer nur das kleinere Handbuch der blauen Sprache (Kostenpunkt fünf Francs) käuflich ersteht, erhält dafür als Gratiszugabe nur den Titel »Anhänger«. Ist das nicht zu teuer? »Beschützer« klingt um soviel grossartiger als »Anhänger«, dass der Titel »Anhänger« unter Brüdern nicht mehr als einen Franken kosten sollte.
Auch sonst hat Herr Bollack für Titel viel übrig. Er erzählt uns, die blaue Sprache habe schon vor (damals) drei Jahren 1500 Anhänger (jeder Anhänger zu fünf Francs?) gezählt, unter ihnen 320 Professoren. Und da behaupten noch böse Menschen, der Wert des einst so stolzen Professortitels sei im Sinken begriffen.
Aber die Reklame des Herrn Bollack bearbeitet nicht nur die Eitelkeit der führenden Geister, sondern auch die geringe Logik des einfachen Mannes. »Zahlen beweisen.« Herr Bollack beweist uns mit Zahlen, dass sein Haarmittel besser sei als alle anderen. Das Alphabet der blauen Sprache habe nur 19 Buchstaben; in einem Beispiele werden 69 deutsche Buchstaben durch 39 Buchstaben des Herrn Bollack ersetzt; nach drei Minuten könne ein Text der blauen Sprache (neun Worte mit beigefügter Erklärung) entziffert werden. Herr Bollack hat genau ausgerechnet, dass seine neue Sprache fünfmal leichter zu erlernen sei als jede andere Sprache. Man stelle sich einmal die ungeheuere Zeitersparnis vor. Zeit ist Geld. Der »Beschützer der blauen Sprache« wird tausendfach wiedergewinnen, was ihn sein Titel bei der ersten Anschaffung gekostet hat.
Wieder andere Töne werden angeschlagen, wenn Herr Bollack seine Propagandaschrift an gebildete und gelehrte Leser richtet. Es gibt da einen eigentümlich französischen Schwulst, der mit unfreiwilliger Komik von der Klarheit guter französischer Prosa absticht. Herr Bollack schreibt diesen Schwulst so lieblich, wie er sonst nur auf Plakaten von Parfümeuren erheitert. Hie und da findet sich ein fachmännischer Ausdruck aus dem Wortschatze der Sprachwissenschaft. »Analogien« und »das Prinzip der geringsten Kraftanstrengung«. Man wird ordentlich ungeduldig, den Titel »Beschützer der blauen Sprache« zu erwerben, wenn man so stattliche Worte gelesen hat. Es ist, als ob man mit einem Schlage auch Beschützer von wunderschönen Prinzipien würde.
Ein vollständiges Wörterbuch der blauen Sprache ist natürlich erst in »Vorbereitung«, genau wie beim Esperanto. Das Kind ist also noch nicht ganz geboren. Die blaue Sprache ist noch nicht vorhanden. Aber das Programm spricht dennoch schon davon, jeder Beschützer und Anhänger der blauen Sprache werde die ganze Welt durchreisen können, ohne einen Dolmetscher zu brauchen. Zur Erreichung dieses netten Ideals bedarf es nur zweier Kleinigkeiten: dass die blaue Sprache fertig werde, und dass der Majoritätsbeschluss eines internationalen Kongresses sie zur Universalsprache oder zur zweiten Sprache aller Völker erwähle. Dann kann es nicht fehlen, dass sie bei jedem Volke der alten und der neuen Welt durch Regierungsverordnung oder Abstimmung eingeführt wird. Das geht wirklich sehr schnell und einfach – in der Vorstellung des Herrn Bollack.
Wie nun Balzacs Parfümeur Birotteau sich für sein Haarmittel auf wissenschaftliche Autoritäten beruft, so jeder Erfinder einer Universalsprache für sein Fabrikat. Die Namen der Autoritäten sind gut; nur dass die Worte der Sprachforscher und Philosophen nicht immer das besagen, was die Volapükisten hineinlegen wollen. So wird der grosse Begründer der germanischen Sprachwissenschaft, Jacob Grimm, von den Volapükisten gern zitiert, weil er ihre Bestrebungen überhaupt einmal erwähnt hat. Grimm wendet sich da jedoch ausdrücklich gegen die Sprachphilosophen, die von Erdichtung einer allgemeinen Sprache geträumt haben.
Mit grösserem Rechte können sich die Herren auf Nietzsche berufen, der allerdings gelegentlich prophezeit hat, es werde in irgendeiner fernen Zukunft eine neue Sprache für alle geben, zuerst als Handelssprache, dann als Sprache des geistigen Verkehrs überhaupt. »Wozu hätte auch die vergleichende Sprachwissenschaft ein Jahrhundert lang die Gesetze der Sprache studiert und das Notwendige, Wertvolle, Gelungene an jeder einzelnen Sprache abgeschätzt?« Wozu hätte – so muss man erwidern – die Anatomie und die Embryologie den Bau des menschlichen Körpers und seine Entwicklung im Mutterleibe studiert, wenn es nicht möglich sein sollte, ein Kind in der Retorte zu erzeugen? Nietzsche war in seiner Jugend Stockphilologe, später wurde er der Moralkritiker, den wir bewundern; Sprachwissenschaftler ist er trotz glänzender Aphorismen nicht gewesen. Und den prachtvollen Stil seiner philosophischen Dichtungen hätte er doch wohl in irgendeinem Volapük nicht schaffen können.
Unter den exakten Forschern Deutschlands haben sich meines Wissens nur zwei ganz freundlich für das Volapük ausgesprochen: der Sprachphilosoph Hugo Schuchardt und der naturphilosophische Chemiker Wilhelm Ostwald. (Wer sich für die Geschichte dieser Spracherfindungen interessiert, findet die Literatur bequem beisammen in einem Aufsatze von Richard M. Meyer über »Künstliche Sprachen«.) Ich fürchte, dass namentlich Ostwald den Traum von einer philosophischen, widerspruchsfreien Sprache auf den Traum von einer allgemeinen Weltsprache übertragen habe.
Herr Bollack wirft der armen Menschheit vor, dass ihre verschiedenen Völker einander nicht verstehen, während Ameisen, Bienen, Affen und Vögel sich untereinander wohl verstehen. Weiss Herr Bollack das ganz gewiss? Weiss Herr Bollack, dass die Ameisen verschiedener Haufen einander verstehen? Wenn das wirklich ausgemacht wäre, so stünde es schlecht um die hehre Friedensmission des Volapük. Denn die Ameisen verschiedener Haufen führen Krieg miteinander.
Wenn die propagandistischen Redensarten ernster zu nehmen wären, so könnte schliesslich noch der Zweifel ausgesprochen werden, ob auch nur die Menschen desselben Volkes, derselben Sprache einander verstehen.
Herr Leon Bollack, der Erfinder der blauen Sprache, führte gleich nach Erscheinen des zweiten Aufsatzes Klage darüber, dass behauptet sei: »Ein vollständiges Wörterbuch der blauen Sprache ist natürlich erst in Vorbereitung.« Herr Bollack erklärt dagegen, das vollständige Wörterbuch sei im Jahre 1900 erschienen und habe irgendeiner Kommission der Pariser Ausstellung vorgelegen.
Hätte ich mich in diesem Nebenpunkte geirrt, so wäre ich natürlich gern bereit gewesen, mein Versehen einzugestehen. Ich bin von meinem Unrecht aber ganz und gar nicht überzeugt. Ich berufe mich auf Drucksachen, die mir Herr Bollack selbst erst kurz vorher zugeschickt hatte, und die von Herrn Bollack unterschrieben sind. Da heisst es einmal wörtlich: »Am 1. Januar 1901, sogar vor der Veröffentlichung des Wörterbuchs, zählte die blaue Sprache mehr als 1500 Anhänger.« In einer offiziellen Anzeige der Bücher über die blaue Sprache wird unterschieden zwischen einem Vocabulaire der blauen Sprache, das zum Verkaufe angeboten wird, und das ich erwähnt habe, und einem vollständigen Wörterbuch (Dictionnaire complet), von dem es ausdrücklich heisst, dass es sich »in Vorbereitung« befinde. Und noch in einer propagandistischen Broschüre des Herrn Bollack aus dem Jahre 1903 wurde, wo der Verfasser die gesamte Literatur der blauen Sprache anzeigte, nur das Vocabulaire erwähnt, mit keinem Worte jedoch des Dictionnaire complet.
Endlich: Herr Bollack sendet selbst, mit eigenhändiger Widmung, das angeblich vollständige Wörterbuch ein. Es ist aber nichts anderes als die erwähnte Methode et Vocabulaire de la Langue Bleue. Und dieses Einführungsbuch, das auf achtundsechzig Seiten ein französisch-blaues Notwörterbuch, auf weiteren fünfundsiebzig Seiten ein ebensolches blau-französisches Wörterbuch bringt, trägt ausdrücklich wieder (noch dazu in blauer Sprache) den Vermerk, dass das vollständige Wörterbuch in »Vorbereitung« sei. Es bleibt also dabei, dass es ein vollständiges Wörterbuch der blauen Sprache damals noch nicht gab, dass also die blaue Sprache selbst noch gar nicht ganz geboren war.