Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Die Winterkrähe

Damit hatte es aber noch lange Zeit, denn mittlerweile war es Dezember geworden. Es war ein harter Winter und der Bauer mußte mit dem Steigemachen in der Wohld und durch die Dichtungen aufhören, denn die Tage waren zu kurz und Wege zu weit.

Auf dem Felde und im Hofe gab es nichts zu tun, Lembkes ging er aus dem Wege, Suput war den ganzen Tag beim Vorsteher, weil der Knecht beim Holzfahren Unglück gehabt hatte und mit einem Gipsverband liegen mußte, der Schulmeister hatte sich eine Frau genommen und saß vor dem Honigtopfe, Freimut kam ganz selten, da er mehr zu tun hatte, als ihm lieb war, und der Baumeister reiste in Ägypten umher.

So war Volkmann meist allein, und wenn er auch ab und zu losging, um für den Anwalt einen Küchenhasen zu schießen oder einen Marder auszutreten und an der Beeke die Enten zu beschleichen, er hatte doch mehr freie Zeit, als ihm gut war. Er packte die Bücherlisten des alten Volkmann aus und stellte die Bücher wieder auf, aber zum Lesen hatte er wenig Lust. Wie die grauen Winterkrähen mit den schwarzen Flügeln, die aus dem Osten kamen, sich längs der Landstraßen in der Heide umhertrieben und über den Dächern des Dorfes quarrten, so flogen aus den entlegenen Gegenden seiner Erinnerung, in die die gute Jahreszeit kaum anders als im Traume gekommen war, die grauen Gedanken herbei und schlugen mit ihren schwarzen Flügeln um ihn her.

Stundenlang konnte er dann, wie er es von drüben gewohnt war, mit dem Kopfe auf der Hand auf dem Bette liegen, rauchen und in den Beilegeofen sehen, der seine Dönze erwärmte. Als er im Blockhause lag, waren Lebleu, der alte Indianer, und Quivive, der Schweißhund, bei ihm gewesen.

Gesprochen hatte Lebleu wenig, wenn er, den Kopf mit den spärlichen Kinnhaaren auf den Knien, dasaß, rauchte und in das offene Feuer sah, während draußen die Uhus schrien und die Wölfe vor Hunger heulten, bis Quivive zur Türe hinausfuhr und sie fortbrachte; aber er hatte doch ein Herz neben sich gehabt, das an ihm hing.

Denn der Alte liebte ihn, liebte ihn mehr als sein Weib und seine vierzehn Söhne, die als Holzbauer, Flößer und Fallensteller sich und die Ihren durchbrachten, denn er, den die Händler und Wirte siebenzig Jahre um den Ertrag seiner Jagdbeute betrogen hatten, hatte in Volkmann zum ersten Male einen weißen Mann gesehen, der Halbpart mit ihm machte.

Er war hungrig und müde in das Blockhaus gekommen, hatte sich, ohne ein Wort zu sagen, neben das Feuer gekauert, hatte seine kalten Hände gewärmt und kein Auge auf das Wildbret geworfen, das in dem Kessel schmorte. Als aber der Trapper die Hirschkeule in zwei Teile schnitt und die eine Holzschüssel Lebleu hinschob, ihm Schiffszwieback hinlegte und Tee eingoß, da hatte der alte Mann gegessen, bis nichts mehr da war.

Dann setzte ihm Volkmann den hohlen Baumknorren hin, in dem er seinen Tabak aufhegte, und der Indianer nahm und rauchte und blies den Rauch durch die Nase. Endlich sah er seinen Gastgeber an, zeigte auf das linke scharfe Beil, das er beim Eintreten aus dem Strick genommen hatte, mit der die alte Soldatenhose auf seinen dürren Lenden festhielt, und sagte:

»Ich armes Indianer, du reiches Allemand. Ich wissen Bär, du nicht. Ich Baum abhauen, du Bär schießen. Jetzt Lebleu schlafen.« Damit hatte er sich in ein paar alte Decken gewickelt.

Am anderen Morgen hatte er gegessen, als hätte er drei Tage nichts gehabt; dann waren sie mit dem Schlitten nach einem Bruche gegangen, bis der Indianer vor einem hohlen Ahorn stehenblieb, den Stamm ansah und sprach: »ich Beil, du Gewehr, da Bär!«

Dann hatte er Schlag um Schlag getan, daß jedesmal ein breiter Span in den Schnee sprang, bis der Baum fiel, der Baribal seinen Kopf aus dem Loche steckte und Lüder ihm die Kugel antrug.

Von den vielen Dollarscheinen, die der Wirt des Holzfällerlagers für die Haut und einen Teil des Wildbrets zahlte, gab der Trapper die Hälfte dem Indianer. Der sah ihn erst fassungslos an, steckte dann das Geld in seinen Tabaksbeutel und sagte: »Du gutes Freund; armes Indianer jetzt reiches Mann.«

Dann verschwand er, und als er nach acht Tagen wiederkam, hatte er ein Mädchen bei sich, das ein Gesicht hatte, so freundlich, wie der Indianersommer, und dessen schwarze, mit Glasperlen durchflochtene Zöpfe ihm bis in die Kniekehlen hingen, und er hatte gesagt: »Altes Indianer schlechtes Gesellschaft für junges Mann; junges Weib besser. Altes Indianer jetzt Biber suchen und Skunks.« Und er war in dem Schneegeriesel untergetaucht.

Margerit aber hatte das Feuer geschürt, Schnee zum Tee geschmolzen, Wildbret in Scheiben geschnitten und abwechselnd mit Speckfladen auf einen Stab gezogen, die Holzteller abgewaschen, die Messer geputzt, Brot hingelegt, und dann hatte sie sich vor das Feuer gekauert und den Bratspieß so lange über der Glut gewendet, bis Fleischschnitte um Fleischschnitte sich krümmte, und jede, die gar war, streifte sie herunter und legte sie dem Trapper vor. Als er ihr sagte, sie solle auch essen, sah sie ihn groß an und bediente ihn weiter.

Erst, als er gesättigt war, und sie ihm die Pfeife gestopft und einen glühenden Zweig gereicht hatte, kauerte sie sich mit dem Gesichte gegen die dunkle Ecke des Blockhauses, aß lautlos den Rest vom Braten und Brot und trank ohne einen Laut eine Tasse Tee durch das Stückchen Kandis, das sie zwischen den Lippen hielt.

Anderthalb Jahre war sie die Gefährtin des einsamen Mannes mit der verregneten Vergangenheit und der ausgewinterten Zukunft gewesen, wie sein Schatten war sie.

Wenn die schwarzen Gedanken um seine Stirne flogen und er auf den Hirschdecken lag und rauchend vor sich hinbrütete, dann kauerte sie bei ihrer Näharbeit und sah durch ihre langen Augenwimpern mitleidig auf ihn; flog aber das schwarze Geflüge von dannen, pfiff er ein Lied und nahm das Schnitzmesser her, und sah er sie dann an, dann färbten sich ihre Backen rot und ihre Augen waren voll von demutsvoller Zärtlichkeit. Wenn er sie auf seine Knie zog, dann bebte sie, und wenn er morgens erwachte und sich den Nachtschlaf fortgähnte, dann stand sie schon neben dem Block, auf dem die Waschbütte mit dem stubenwarmen Wasser stand, hatte den aufgetrennten Brotsack in der Hand, der ihm als Handtuch diente, und auf dem Feuer kochte die Wildsuppe. Wenn er ihr dann lächelnd zunickte und sie heranwinkte, dann glühte ihr Gesicht und der Kuß, der seine Stirne streifte, war wie der Hauch des Südwindes, der im Mai über das blumige Ufer kam.

»Margerit, meine kleine Margerit!« dachte er und sah auf die Ofenplatte, in der das springende Pferd schwarz auf glührotem Grund stand. »Ich war dein Glück und du bist mein Trost gewesen.«

Eines Tages im Mai, als der Waldboden bunt wurde, war ein Handelsjude mit seinem Planwagen angefahren gekommen und hatte allerlei Tand feilgeboten; Lüder hatte Stoff zu zwei Kleidern für das Mädchen gekauft, blitzende Ohrringe und eine funkelnde Brosche, bunte Glasperlenschnüre für ihr Haar und allerlei Schürzen und Tücher, eines immer greller als das andere.

Margerit hatte durcheinander gelacht und geweint und ihm die Hände küssen wollen, wie man es sie als Kind in der Schule gelehrt hatte. Er aber hatte sich aus dem Kasten des Händlers noch zwei silberne Ringe herausgesucht, an denen keine Steine waren, einen weiten und einen engen, und war mit ihr und Quivive nach dem Lager gegangen, wo, wie der Jude erzählt hatte, ein Wanderprediger das bißchen Halbschriftentum der indianischen Holzfäller auffrischte.

Margerit hatte erst gar nicht begriffen, was es heißen sollte, daß sie in dem kleinen Zelte vor dem Mann mit dem schwarzen Rocke und den hohen Stiefeln neben Lüder hinknien sollte, aber als der fremde Mann sie fragte, ob sie des Trappers Lüder Volkmann christliches Eheweib werden wollte, da hatte sie ein Gesicht gemacht, als spräche die Stimme des großen Geistes zu ihr und hatte am ganzen Leibe gezittert, als sie den Ring an den Finger bekam.

Als ihre Brüder und die anderen Holzfäller, die Lüder zu einem Festmahle geladen hatte, sie mit einem »Vive sjö', vive m'dame« begrüßten, ein altes indianisches Hochzeitslied herausgurgelten und weiße Waldblumen vor ihre Füße warfen, hatte sie die Augen nicht aufgeschlagen und geweint, daß ihr die Tränen über das Gesicht liefen, bis Lüder sie oben an den Tisch führte, wo für sie und den Prediger ein weißes Tischtuch aufgelegt war; da endlich hatte sie aufgesehen und ihre rechte Hand neben seine gelegt, mit der linken Hand über beide Ringe gestrichen und ihren Kopf auf einen Augenblick an seine Schulter gelegt.

Da hatte plötzlich auch Lebleu dagestanden, zitternd vor Erregung, Lüder die Hand gegeben, sich unten an den Tisch gesetzt und so gern er sich auch sonst voll und toll trank, keinen Schnaps angerührt, ehe Lüder und Margerit aufbrachen; dann aber hatte er sich so voll gesogen, daß er drei Tage schlief.

Ein und ein halbes Jahr war Margerit Lüders Frau gewesen; in der ganzen Zeit hatte sie ihm nicht ein einziges Mal eine Minute Verdruß bereitet, keinmal hatte er sich ihrer zu schämen brauchen, trotzdem sie die Tochter eines trunksüchtigen Fallenstellers war und ihre Brüder arme Holzarbeiter waren, denn das Stammeshäuptlingsblut, das sie von ihrer Mutter her hatte, war stark in ihr geblieben, und seitdem sie des deutschen Mannes Ehefrau geworden war, zeigte sie vor der Welt eine Würde, als hätte sie nie Waldbeeren in den Lagern feilgeboten.

Eines Tages war ein ganzer Trupp englischer Lachsangler vor dem Blockhause erschienen, die Herren in karierten Anzügen und ihre Damen mit seidenen Schleiern an den Panamas, um sich den deutschen Trapper anzusehen, der mit einem indianischen Weibe verheiratet war. Margerit hatte sie mit Tee, Gebäck und Honig bewirtet und mit so liebenswürdigem Hochmute darüber hinweggesehen, daß die Engländerinnen mit Lüder, der frisch rasiert war und eine reine Bluse anhatte, recht unverschämt liebäugelten, sehr zum Ärger der Männer, daß Volkmann sich das Lachen kaum verbeißen konnte.

Die Engländer hatten ihn und sie eingeladen, sie in ihrem Zeltlager am Flußeinlaufe der Seebucht zu besuchen, doch hatte er abgelehnt, worüber Margerit sehr froh war.

Eine Lungenentzündung hatte sie ihm genommen, sie und das Kind, das sie erwartete.

Er hatte so manches Mal, wenn er die Sohlen durch den Staub der Landstraße schleppte, gedacht, daß das das beste für sie beide war, nun aber war er anderer Meinung.

Sie, die Frau, die in ihm alles sah, was es auf der Welt für sie gab, die nichts wollte, als daß es ihm schmeckte und er sie dafür anlächelte, die im Blockhause seine demütige Magd war, die erst aß, wenn er satt war, sie war das Weib für ihn, den verlorenen Mann.

Das Mädchen mit dem goldenen Haare und der Stimme wie Rotkehlchensang im frühtaufrischen Walde, deren rotes Blut unter seinem Messer auf ihren Fuß geperlt war, was war sie ihm anders, denn ein heller Traum in dunkler Nacht, der vor dem scharfen Tageslichte dahinschwand, wie der Tau auf der Flur.

Schwarze Fittiche schlugen gegen seine Stirne, und laut quarrten die Winterkrähen.

 


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