Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Täuber

Wenn Lüder Volkmann geahnt hätte, daß Holde Rotermunds geheimste Gedanken hinter ihm herflatterten, so hätte er sein Haupt wohl noch tiefer auf die Brust hängen lassen.

Ruloff Ramaker wußte nicht, was in den anderen gefahren war; Lüders Augen hafteten auf dem Boden und seine Lippen waren nicht zu sehen. Ramaker war nur ein Bauernknecht, aber liebte seinen Genossen und es betrübte ihn, daß der im Schatten ging.

Es war so wundervoll da in der wilden Wohld; das Sonnenlicht fiel durch die Zweige der Fuhren, das Farnkraut reckte sich aus dem Boden, die gelben Rohmolken blühten im Graben und unter dem Buschwerk die weißen Windröschen; viele Vögel sangen und der Täuber rief.

In der Nacht hatten die beiden Männer in der Ochsenhütte vor dem Bruche geschlafen; Volkmann hatte bis gegen Mitternacht vor der Türe gesessen und dem Brummen der Rohrdommel und dem Meckern der Himmelsziege zugehört. Er schlief noch, als der Vormorgen kam, und als Ramaker wach wurde, hörte er, wie der andere stöhnte und murmelte, und er sah, wie er sich hin und her warf.

Nun lag er mit dunklem Gesicht da und lächelte kein bißchen, als zwei verliebte Eichkatzen auf dem Knüppeldamm hin und her sprangen, fauchten und schnalzten und auf alberne Art mit den Schwänzen wippten.

Sein Blick bekam noch nicht einmal Leben, als aus dem Unterholze der Schwarzstorch heraustrat; wie Flammen leuchtete der Schnabel und wie Edelerz funkelte das Gefieder, als er in die Sonne kam.

Volkmanns Stirn wurde noch krauser, als er den Waldstorch sah. Er erblickte ein Gleichnis in ihm. Ein adelig Tier war es, stolz und schön, alter deutscher Urwaldheimlichkeit letztes Vermächtnis, und in Acht und Aberacht erklärt von einer herzlosen, seelenarmen Zeit, die es ihm, dem Adebar, dem Otternwehrer, nicht vergab, daß er die Forelle und den Junghasen nicht verschmähte.

Kerle, die sich Jäger nannten, aber zu der Schinderzunft gehören müßten, knallen das vornehme Geflügel nieder, wann und wo sie es antreffen, Leute, die statt des Herzens eine Geldbörse im Leibe haben.

Ruloff machte eine hastige Bewegung, als der Waldstorch aus dem Gebüsch trat; drei Sprünge tat der Vogel, schwang sein Gefieder und verschwand. »Was war das?« fragte Ruloff seinen Genossen; »Solch ein Tier habe ich meinen Tag noch nicht gesehen!«

Dumpf klang Volkmanns Antwort: »Der schwarze Storch,« denn er dachte gerade daran, daß er selber auch in Acht und Aberacht war, wie jener Vogel, und nur, weil er das Gesetz in seiner Brust über das papierne Recht gestellt hatte.

»Das Leben ist eine traurige Posse für ernste Menschen,« dachte er; das Weib, das er schützte, indem er seinen ehrlichen Namen auf den Richtblock legte, war nicht wert gewesen, daß er ihretwegen ein Fingerglied opferte; aber damals hatte er sie geliebt, weil sie das matte Spiegelbild jener schönen Frau war, der sein junges Herz entgegengeblüht hatte.

Und die war wieder nur ein Vorspuk der Tausendschönen gewesen, deren Stimme gestern sein Herz gerührt hatte. Wie sie wohl gerufen wurde? Ein Name müßte es sein, wie die hellichte Morgensonne, warm und voller Kraft.

Mit Freuden würde er sein Leben unter ihre Füße legen, und seinen ehrlichen Namen, hätte er auch noch einen, und kein Dankeswort würde er dafür begehren. Seine Liebe schwang sich über den Wald und über das Moor und flog zu dem Hause, in dem ihre Stimme klang.

Ernst klang sie und Pfarrer Behrmann machte ein ganz unglückliches Gesicht und rauchte wie unklug vor Aufregung seine lange Pfeife. »Nein, lieber Ohm,« sprach seine Nichte, »nein, ich liebe ihn nicht. Ich war ein Kind, als ich mich mit ihm verlobte. Ein Leutnant, ein hübscher Leutnant, du lieber Himmel, ich war so selig, wie damals, als ich die Schreipuppe zum Weihnachtsfeste bekam, als ich zum ersten Male mit ihm über die Straße ging.

Aber weißt du, liebes Öhmchen, ich mochte eigentlich nie, daß er mich küßte. Jaja, ich weiß, was du sagen willst, aber du gehst irre, wenn du glaubst, die Ehe würde die Liebe vertiefen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Bedenke: ich bin nicht adelig, habe nur ein kleines Vermögen; ich kann dir sagen, die Sammetaugen der schönen Panna Zollin, geborenen von Mielczewska, waren kalt wie Eis, als ich ihr die Hand küßte.

Und Wladislaw? Er liebt das an mir, was am wenigsten wert ist; mein Inneres versteht er nicht. Sein Gott ist die Gesellschaft, seine Moral das Herkommen. Er ist klug, aber ich glaube, er hat ein unterernährtes Herz. Es wird ihm wohl nicht abwelken, wenn er morgen meinen Brief liest, und seiner Laufbahn wird die Aufhebung des Verlöbnisses auch nicht schaden, eher nützt sie ihm bei Hofe.«

Sie gab dem alten Herrn einen Kuß auf die faltenreiche Backe und ging in den Garten.

In dem Wirrwarr des Bocksdornbusches in der Mauerecke saß der Goldammer und sang seine Weise, die man auf Lust und auf Leid deuten konnte.

Holdes helle Augen beschatteten sich; sie dachte an den fremden Mann im schäbigen Rock, an das stolze Gesicht unter dem abgetragenen Lodenhute, an die Stimme, so rund und so voll, wie ferner Täuberruf, an die großen, schönen, braunen, langfingrigen Hände, die so sicher und so zart zufaßten.

Ihr ganzes Leben lang würde sie an diesen Mann denken müssen, und niemals würde sie es sich verzeihen, daß er gegangen war, ohne daß sie ihm dankend die Hand gedrückt hatte.

Sie fühlte, wie ihr Gesicht aufflammte; von diesem Manne würde sie sich gern auf den Mund küssen lassen, ohne zu fragen: wer bist du und was geschah dir, daß auf deinen Schuhen der Staub der Landstraße liegt?

Sie hatte ihm mehr zu danken als die Hilfe, die er ihr brachte; er hatte ihre Seele gerettet. Wäre er ihr nicht entgegengetreten, so hätte sie wohl nicht den Mut gefunden, den goldenen Reif von ihrer Linken zu streifen, der sie dem Mann eignete, vor dem ihre Seele sich verkrochen hatte, wenn sie seine Stimme hörte.

Mit klingendem Schwingenschlage schwang sich ein Ringeltäuber in die Eiche und sang sein dunkles Lied: »Du, du, du, du, du,« hörte Holde Rosenmund heraus, und dasselbe dachte ihr Herz.

Es dachten noch mehr Leute an den Fremdling, vor allem Doktor Hellweger. Er kegelte mit dem Amtsrichter, dem Lehrer, dem Pastor aus Deipenwohle und dem Oberförster. Was er tat, der dicke Doktor, das tat er ganz; aber heute war er nicht bei der Sache. Noch nie hatte er so viele Pudel geschoben.

Gedankenlos sah er der Kugel nach, sah alle Kegel außer dem ersten fallen, und anstatt, wie er sonst tat, wenn er gut warf, das Lied vom gerechten Heuschreck zu pfeifen, sah er in die Luft, als die Kegeljungen sangen: »Acht und acht ums Vordereck, ist so rar wie Ziegenspeck.« Er mußte immer daran denken, wo er den Landstreicher schon einmal gesehen hatte.

In diesem Augenblicke ging der Gendarm vorüber. Der Amtsrichter, dem der Arzt seine Begegnung mit dem fremden Manne erzählt hatte, rief den Beamten heran: »Schenken Sie sich ein Glas Bier ein, Herr Wachtmeister. Sagen Sie, wie hießen denn die beiden Leute, die Fräulein Rotermund zum Kruge trugen; oder haben Sie sich die Namen nicht angemerkt?«

Köllner zog sein Taschenbuch hervor: »Doch, Herr Amtsrichter, hinterher fiel es mir ein, daß ich das über der Aufregung ganz vergessen hatte, und ich ritt ihnen nach. Der eine, der ohne Schmisse, ist ein ehemaliger Knecht namens Ruloff Ramaker; der andere heißt Lüder Volkmann und sagte, er wäre früher Schriftsteller gewesen und sei kürzlich von Amerika zurückgekommen. Ich mochte ihn nicht dem Amtsgerichte zuführen; er sah nicht so aus, als ob er irgendwie verdächtig wäre, und der andere auch nicht; der hatte übrigens Papiere.«

»Volkmann, Volkmann?« murmelte der Amtsrichter; »das ist ja ein hiesiger Name; und Lüder? Wenn die Angabe stimmt, dann ist der Mann ja der Erbe von dem Hilgenhofe. Vielleicht weiß er das noch gar nicht. Wissen Sie was, Herr Wachtmeister? Stecken Sie sich das Amtsblatt mit dem Aufrufe ein, in dem Lüder Volkmann aufgefordert wird, sich zu melden. Vielleicht treffen Sie ihn noch einmal bei ihren Dienstritten und können dem Mann zu seinem Eigentum verhelfen. Wie der Herr Doktor sagt, hat er ja einen sehr guten Eindruck gemacht, trotz der abgerissenen Kleidung und auf Sie auch. Lüder Volkmann! Es ist mir, als ob ich den Namen sonst schon gelesen hätte.«

Wie gewöhnlich, setzten sich die Kegelfreunde noch ein Weile in das Vereinszimmer. »Wie sah der Fremde aus?« fragte Pastor Meyer den Arzt, und als der die Beschreibung gegeben hatte, sagte der Pastor: »Dann stimmt das. Meine Frau kam gestern nach Hause und erzählte: denke dir nur, Karl, bei der neuen Mühle begegnen mir zwei arme Reisende; der eine hatte Schmisse und sah aus, wie Armin der Cherusker in Zivil. Das ist augenscheinlich dieser Mann gewesen. Wie mag der auf die Walze gekommen sein?«

Sonst ging es nach dem Kegeln immer lustig her; der Arzt hatte einen trockenen Humor und der Amtsrichter lachte gern; dieses Mal kam aber so recht keine Stimmung auf. Sie dachten alle an Lüder Volkmann, den Landstreicher.

Am meisten beschäftigte sich Doktor Hellweger mit ihm. »Wo habe ich das Gesicht doch schon gesehen?« dachte er in einem fort, als er in seinem Wagen durch die Abendheide fuhr, in der die Himmelsziegen meckerten und die Mooreulen riefen.

Plötzlich wußte er es. Richtig! Göttingen, das Paukzimmer, die gemeine Korpshatz zwischen den Kölnern und den Longobarden. In einem fort hatten die Kölner angefragt: »Herr Unparteiischer, drüben mit Kopf zurückgegangen?« Da hatte schließlich auch der Sekundant der Longobarden angefragt, und immer hieß es: »Nichts bemerkt!« Endlich hatte er gesagt: »Bitte darauf zu achten.« Und wieder hieß es auf seine Anfrage: »Nichts bemerkt!« Da hatte er sich umgedreht, gewinkt, und hinter ihn trat der Ersatzsekundant, und da fragte er lächelnd: »Herr Unparteiischer, zu was sind Sie eigentlich bloß da?«

Das gab einen gewaltigen Krach; hier Wutgezisch, da Hohngelächter, und der Sekundant mußte abtreten. Ein ganzes Semester lang war er eine Berühmtheit, der lange schöne Fechtwart der Longobarden, der cand. rer. nat. Lüder Volkmann.

 


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