Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Im Moore

Cordulia flavomaculata Vanderl., Aeschna mixta Latr., Libellula vulgata L.

Jenseits des Sees liegt das Moor; in der Nähe der Stadt ist es zu Äckern gemacht, weiterhin zu Wiesen; hier und da sind Tonlöcher ausgeworfen, besonders in der Nähe des Ufers, mehr nach dem Walde zu liegen die Torfstiche, und dann kommen die dürren, heidwüchsigen Sandberge.

Ein ganz anderer Pflanzenwuchs, ein ganz anderes Tierleben herrscht hier als jenseits des Sees. Der Wiesenpieper erhebt sich, langweilig singend, in die Luft, der Baumpieper schmettert sein kräftiges Lied, abends meckert die Bekassine, und in den gewaltigen Rohrdickichten am Seeufer brummt die Rohrdommel zur Nachtzeit.

Meist ist es einsam hier, außer in der Zeit der Heuernte und wenn Torf gestochen wird; darum liegt das Birkwild hier gern, horsten die Mooreulen und Weihen im sumpfigen Ried, birgt sich der Fischotter im dichten Weidengestrüpp, und ab und zu erscheint der Schwarzstorch, der tief im Walde sein Nest hat, und stellt den Mäusen und Kreuzottern nach, oder der Gabelweih schaukelt über die Torfstiche und sieht zu, ob er nicht einen Frosch erwischen kann.

Zahllos sind die Falter, die hier fliegen, vom rostroten Spinner, der unstet über die Brombeerbüsche an den Wegrändern zickzackt, bis zum zierlichen Bläuling, der über das Ried tänzelt, und der winzigen Motte, die scharenweise aus dem Grase hervorhuschen, wenn die Kühe sie aufscheuchen. Und sie können den ganzen Tag Ohren und Schweife nicht stillhalten, denn die Luft ist erfüllt von Grillen, Stechfliegen, Mücken, blinden Fliegen und Bremsen, die singend, summend und brummend über das Vieh herfallen.

Es würde noch viel mehr des Geschmeißes vorhanden sein, wenn die Wasserjungfern nicht da wären und ihre Larven. In jedem Graben, jeder Tongrube, in allen Torflöchern hängen die Larven in den Ranken des golden blühenden Wasserschlauches, zwischen den Blättern der Sumpfprimel und in dem Gewirre des jungen Torfmooses, wo es von Mückenlarven wimmelt. Alle Arten von Libellen sind dort als Larven vertreten, zierliche, feine, grasgrüne Geschöpfchen und plumpe, dicke, schlammbraune Wesen; die einen wie die anderen tun den ganzen Tag weiter nichts, als daß sie ihre Fangmasken hervorschleudern und sie mit einer Mückenlarve darin wieder zurückziehen.

Auch die Libellen, die überall umherschwärmen, sorgen dafür, daß das stechende Geschmeiß nicht überhandnimmt. Sobald die Sonne scheint, sind sie zu Tausenden da und richten ein verheerendes Gemetzel unter dem Ungeziefer an; mag auch die Bremse noch so schnell sein, die dunkelrotbraune, blaugemusterte Edellibelle greift sie mitten im Fluge, und ob sie auch noch so brummt und zappelt, ihr vom Blute der Kühe bis zum Platzen gefüllter Leib verschwindet unter den zermalmenden Kiefern, und die Ameisen tragen ihre Flügel fort, die auf den Weg herunterfielen.

Ebenso ergeht es der blinden Fliege, die, ihre schwarzweißen Flügel ausbreitend und mit den smaragdgrünen Augen vor sich hinstarrend, auf der Spitze eines Grashalmes sitzt, satt vom gesogenen Blute; über ihr rüttelt eine goldflügelige Libelle mit goldgrün schimmernden, gelb eingefaßtem Leibe und stiert mit grünen Augen auf sie hinunter. Ein Stoß, ein Zuschnappen, und die schwarzweiße Fliege plagt keine Kuh mehr.

Auch die graue Fliege, die, angelockt von der Ausdünstung der beiden Hütejungen, die sich auszogen, um in der Tongrube zu baden, dahinfliegt, wird die Jungen nicht peinigen; blitzschnell saust eine kleine, gelbe Jungfer daher, packt sie und setzt sich auf ein Weidenblatt, um sie hurtig zu zerpflücken und dann wieder da hin und her zu flirren, wo ihre gelben und roten Genossinnen sich tummeln. Sogar die Mücken und die Grillen, die sich im Grase versteckt halten, werden von den blauen, grünen und roten Schlankjungfern erspäht und ergriffen.

Es ist schlimm hier mit dem Ungeziefer, so schlimm, daß die Bauern, wenn sie ihr Vieh zum ersten Male nach dem Winter auf die Weide schicken, es am ganzen Unterleibe mit dickem Öl einsalben müssen, denn in solchen Haufen fallen die Kriebelmücken über die unglücklichen Tiere her, daß sie schwer krank werden und manchmal sogar an den Folgen der unzähligen Stiche fallen. Darum ist die Tätigkeit der Wasserjungfern nicht hoch genug einzuschätzen, denn bei ihrer Menge und ihrer Gefräßigkeit verringern sie die Scharen der Vieh- und Menschenpeiniger beträchtlich, und was sie und ihre Larven davon vertilgen, übersteigt das, was die Vögel darin leisten, wohl ganz bedeutend.

Ihr Heißhunger kennt keine Grenzen. Die große goldgrüne Jungfer, der der eine Hütejunge aus Versehen mit einem Peitschenschlage den Hinterleib abschlug, und die nun im Grase liegt, läßt die Bremse nicht fahren, die sie in den Kiefern hält, und während schon die Ameisen an ihrem zerrissenen Leibe hängen, frißt sie ihre Beute doch noch erst auf. Über der Tonkuhle zieht ein braunrotes Edellibellenmännchen seine Kreise, ab und zu zur Seite fahrend und eine bunte Blindfliege erhaschend. Jetzt hat es im Blattwerk des Kolbenrohres ein Weibchen erspäht; treibt es aus dem Versteck, faßt es und sinkt damit in das Gras, aber während es das Weibchen zur Liebe zwingt, frißt es darum die letzte Fliege, die es fing, noch dabei auf. Seine Liebestollheit ist groß, aber ebenso groß ist seine Freßgier.

Wenn die Libellen hier nicht wären, bekämen die Ackerbürger keinen einzigen Kohlkopf von ihren Feldern am Rande der Moorwiesen, denn viele weiße Schmetterlinge tummeln sich dort. Aber nicht sehr viele kommen dazu, ihre Eier an die Kohlpflanzen zu kleben, denn über den Feldern schweben Libellen über Libellen, und alle Augenblicke stürzt sich eine auf einen Falter, greift ihn und läßt sich damit zu Boden fallen; nach kurzer Zeit ist nichts mehr von ihm übrig als die Flügel, die Fühler und die Beine, willkommene Baustoffe für die Ameisen, die schleunigst damit abziehen.

Als Räuber schlüpft die Libellenlarve aus dem Ei, als winziger Räuber, der unter den allerjüngsten Mückenlarven aufräumt und sich an immer größere Tiere wagt, je mehr er wächst; kaum hat die Libelle die Nymphenhülle verlassen, hat eben erst Flugkraft erlangt, hat sich noch nicht halb ausgefärbt, so fliegt sie schon auf Raub aus, und sind ihre Flügel auch schon zersetzt und ausgefranst, daß sie nur noch mühsam dahinflattert, sie raubt weiter, bis es mit ihr zu Ende geht, und noch im Sterben lassen ihre Kiefer die letzte Beute, die sie machte, nicht los.

Kurzsichtige Menschen, die nicht weiter sehen, als ihre Nase reicht, sind auf den großen Gedanken gekommen, die Mückenplage dadurch zu bekämpfen, daß man Öl auf die Gräben der Teiche gießt, so daß die Mückenbrut ersticken muß. Aber nicht alles, was sticht, entwickelt sich im Wasser, denn die Larven der Kriebelmücken, blinden Fliegen und Bremsen leben im Torfmoose und Mulm. Alles aber, was in den Gräben und Tümpeln lebt, die mit Öl begossen werden, muß sterben, die Kaulquappe wie die Molchlarve und alle die vielen Libellenlarven, die weiter nichts zu tun haben, als Mückenbrut zu vertilgen.

Es ist ein aberwitziger und kein kluger Gedanke, auf den der Mann gekommen ist, der den Ölkrieg gegen die Mücken predigte, und wahrscheinlich hat er seine Naturkenntnis aus trockenen Büchern gewonnen und nicht daher, wo einzig und allein wahre Kenntnis der Natur zu erringen ist, dort, wo die Wipfel rauschen und die Blumen blühen, wo die Welle klatscht und das Rohr raschelt.

Freilich, die großen Libellenlarven fangen auch manchen Jungfisch und räumen gewaltig unter den Kaulquappen und Molchlarven auf; aber der See wimmelt von Fischbrut; bleiben alle die Hunderttausende von jungen Fischen am Leben, das Plankton des Sees würde nicht ausreichen, sie zu ernähren, und so sind ihnen die Libellenlarven und die Raubfische gesetzt, damit ihre Anzahl nicht übergroß wird.

Nutzen und Schaden, es sind zwei Begriffe, die die Natur nicht kennt; erst der Mensch hat sie ihr unterlegt, aber da jeder Mensch die Natur und ihre Wesen nur danach bemißt, wie es sein eigener Nutzen ihm zu fordern scheint, so stürzt er sich aus Trugschlüssen in Fehlurteile, vernichtet sinnlos die eine, rottet zwecklos eine andere Tierart aus, ohne zu bedenken, daß die Natur sich ganz von selber regelt. Er verfolgt den Eisvogel, der dem Fischzüchter die Schwimmkäferlarven fortfängt, und züchtet den Star, der Weingärten und Kirschbäume plündert, im Übermaße.

Er täte besser, nicht immer und überall den Vormund der Natur zu spielen; sie ist nicht so leicht zu übersehen, und was heute als schädlich erscheint, gilt morgen als nützlich. Die Libelle, die hier die Stechfliege und den Kohlweißling vertilgt, hat, als sie noch im Larvenzustande in der Seebucht lebte, die Brut der gemeinen Weißfische gefressen. Es sei ihr gegönnt; sie macht es dreimal wieder wett.

 


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