Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Haubensteißfuß

Die Landzunge, die wie ein kleines Vorgebirge in den See hineinragt, trägt heute noch den Flurnamen Galgenberg, obgleich es schon lange her ist, daß dort das schwarze Gerüst stand.

Hinter dem Galgenberge schneidet der See mit einer tiefen Bucht in das Wiesenland hinein. Rohr, Schilf, Kalmus, Riesenampfer und hohe Seggen bilden hier mit Weidengestrüpp einen mächtigen Wall, dessen Ränder je nach Jahreszeit die Blumen von Schwertlilie, Wasserliesch, Uferwinde, Gold- und Blutweiderich schmücken.

Seerose und Mummel streiten sich um den ersten Schönheitspreis, Wasserknöterich und schwimmender Hahnenfuß um den zweiten. Den Grund bedecken die Rasen der Armleuchterpflanzen, und mehrere Arten von Laichkräutern bilden gewaltige Dickungen unter dem Wasser, während Krebsschere und Froschbiß mit dichtem Blätterteppich den Wasserspiegel überziehen, bis schließlich die Seebinse allein die Herrschaft behält, die einzige Pflanze, die dem Wellenschlage standhält.

Infolge ihres Reichtums an Sumpf- und Wasserpflanzen leben in der Bucht hinter dem Galgenberge mehr Tiere als an den übrigen Ufern des Sees. Nirgendswo schwirren so viele Wasserjungfern wie hier, und unter faulen Holzstücken finden sich zahlreiche Käfer. Hier schlüpft die Mollmaus, turnt die Zwergmaus, und wintertags, wenn der See übergefroren ist, verstecken sich Hase und Fuchs gern in dem dürren Röhricht.

Viele Vögel, kleine und große, leben in der Bucht, vier Arten Rohrsänger allein, dann die Rohrammer, die Stock-, Knäck-, Tafel-, Moor-, Löffel-, Spieß- und Kriekente, die große und die kleine Rohrdommel, die Wasserralle und das Tüpfelsumpfhuhn, das Bläßhuhn und das Teichhuhn. Auch die Rohrweihe brütet hier, jeden Tag sucht der schwarze Gabelweih nach abgestandenen Fischen, Sperber und Habicht rauben mit Vorliebe an den Rohrwänden entlang, und nirgends übt der Reiher den Anstand lieber aus als dort. Im Herbste schlafen die Schwalben und Stare zu Tausenden im Rohrwalde, und im Winter suchen die nordischen Enten und Taucher mit Vorliebe die Bucht auf, in der es von Fischen, Schnecken und Würmern wimmelt.

Darum sucht sich der seltsamste Vogel, der auf dem See lebt, der Haubentaucher, alljährlich die Bucht zum Brutplatze aus. Hier ist er vor den Jägern sicher, denn ehe sie mit ihrem Kahne auf Schrotschußnähe heran sind, hat er tauchend längst das Röhricht erreicht, wo weder Kugel noch Hagel ihm etwas anhaben können. Wenn er auch am liebsten auf dem hohen See fischt und die Fischweih in der Bucht selbst den Tauchenten und Bläßhühnern überläßt, seine schwimmende Wiege baut er in der Bucht, und seine Brut zieht er dort auf, ehe er sie mit auf das blanke Wasser nimmt und sie die hohe Jagd im tiefen See lehrt und die Flucht vor den bösen Jägern.

Jedes Jahr um die Zeit, wenn das Rohr seine Dolche aus dem Wasser reckt, stellt er sich auf dem See ein. Niemals sehen ihn die Fischer kommen. Als schlechter Flieger reist er nachts. Eines Morgens ist er da. Mitten auf dem See schwimmt er, nicht ungeschickt und plump wie die Wasserhühner und Enten, die weit aus dem Wasser ragen, sondern wie ein Torpedoboot saust er dahin, nur einen schmalen Strich des Rückens, den langen Hals und den Kopf zeigend.

Aber was für einen Kopf auch! Es lohnt sich schon, den zu zeigen. Seltsam ist die weiße Stirnplatte des Bläßhuhnes und schnurrig des Teichhuhnes siegellackrote Stirn, herrlich des Moorerpels Kopfschmuck und prächtig des Stockerpels Hauptzier, aber gegen den Haubensteißfuß kommen sie alle nicht auf. Erstens die langen, dunklen Federhörner über der Stirn, und dann der fuchsrote, schwarzbraun gesäumte Kragen um das silberweiße Gesicht, der ihm ein fremdes, unheimliches Aussehen gibt, und darin der dolchspitze, lange, rosenrote Schnabel.

Mögen die anderen leidliche Taucher und annehmbare Schwimmer sein, an ihn reichen sie nicht heran. Hat einer von ihnen so praktische Schwimmfüße wie er? Wie ein Messer, so scharf sind die Läufe, und die gespaltenen Zehen tragen einen breiten, harten, hornigen Flossensaum und platte Nägel, wie sie sonst kein Vogel hat. Und dann der Leib! Platt und zugespitzt ist er, so daß er das Wasser wie ein Torpedo durchschneidet, und kein unnützer Ballast von Flügeln und Schwanz beschwert ihn. Wie Schuppen liegen die Federn an, und so dicht und fest sind sie, daß kein Wassertröpfchen auf die Haut gelangt. Der Pinguin und der Alk allein können mit ihm wetteifern an Zweckmäßigkeit des Körperbaues für die Taucherarbeit.

Darum ist das Tauchen auch seine Lust. Sein Jagdreich ist nicht von dieser Welt. Das seichte Schnattern auf der Oberfläche und das lächerliche Gründeln überläßt er den Enten und Wasserhühnern. Dort unten, wo Tageslicht nur gebrochen in das Pflanzengewirr fällt, ist sein Gebiet, da übt er sein Recht aus. Wo der Hecht steht, wo der Aal wühlt, wo der Wels liegt und die Quappe kriecht, da ist er zu Hause. Da jagt er den Uklei und den Gründling, die Maräne und die Zährte; er weiß den Steinbeißer zu finden und den Krebs zu erwischen, und der Schwimmkäfer ist ebensowenig sicher vor ihm wie die Wasserjungfernlarve und der Pferdeegel.

Ihn hungert. Die Nacht war lang und die Reise beschwerlich. Auf dem steil aufgerichteten Halse wendet sich der seltsame Kopf blitzschnell hin und her. Federohren und Kragen legen sich fest an, der Schnabel senkt sich, der Hals krümmt sich, fort ist der Taucher, und das Wasser zieht Ringe. Zwanzig Fuß tief stießen die Füße den Taucher fast senkrecht hinab, dann wendet er und schwimmt, mit den Flügeln nachhelfend, geradeaus. Hier liegt das versunkene Segelboot, das vor zwei Jahren mit zwei jungen Burschen umschlug, hier liegt des Sees ältester Wels, und hier ist das tiefe Loch, in das die Unterströmung alles Faulende zusammenfegt. Darum krimmelt es da von Fischen.

Dicht über das veralgte Steuer des Bootes fährt der Vogel hin und quer über den Rücken des Welses fort; ehe sich der Tolpatsch besinnt, ist der Taucher vorüber. Und jetzt mitten in das Gewimmel hinein, so dicht an den alten Barschen vorbei, daß sie entsetzt zur Seite prallen. Erst geradeaus. Die Fischbrut flieht. Mit zwei Flügelschlägen ist sie überholt. Der Taucher wendet, geht tiefer und kommt den Fischen entgegen. Der messerscharfe Schnabel faßt einen jungen Brassen über den Kopf; ein Ruck, und das Fischchen ist verschwunden. Und so geht es einen zweiten und einen dritten. Dann ein Flügelschlag, und der Taucher wiegt sich wieder auf dem Wasserspiegel, atmet, lockt einige Male laut und verschwindet abermals.

Wieder taucht er auf, verschwindet abermals und kehrt zurück, und nun ist er satt. Er stellt sich auf die platten Füße, richtet sich steil auf, schlägt mit den dürftigen Flügeln, putzt sein Gefieder und lockt. »Gröck, gröck«, ruft er. Und dann schneller: »Gröckgröckgröck«. Von der Bucht kommt Antwort, derselbe Laut, aber nicht so grob. Freudig ruft der Taucher und quarrt frohlockend seine heiseres »Kworr« hinterdrein, und von der Bucht wird ihm holde Antwort. Wie ein Kriegsschiff fährt er dahin, gleichmäßig, ohne Ruck und Zug, und das Weibchen steuert ihm entgegen.

Sieht es einer dem wilden Raubfischer an, ein wie zärtlicher Liebhaber er sein kann? Wie kokett er die Federohren sträubt und den Kragen spreizt, wie stolz er den Hals trägt, und wie hoch er jetzt auf dem Wasser liegt! Und wie er niedlich nicken und zierlich den Kopf wenden kann! Und wie süß sein helles Locken, und wie zärtlich sein tiefes Quarren klingt! Wer kann da widerstehen? Erst flieht sie einige Male, denn das schickt sich so, aber er holt sie ein und hält sie fest und bald darf er Seite an Seite bei ihr schwimmen, den Kopf auf ihren Rücken legen, den Hals um ihren Hals schlingen, darf alles tun, wonach ihm gelüstet. Und zum Schluß der Feier führt das Paar einen seltsamen Tanz auf. Hochaufgerichtet, mit den Flügeln schlagend, hell lockend und dumpf quarrend, stehen sie auf dem Wasser, schnäbeln sich, verschlingen die Hälse, und über den ganzen See klingt ihr Liebesduett.

Wonnige Tage folgen. Einmal nur stört sie Eifersucht und Haß. Ein zweiter Hahn taucht auf und drängt sich zwischen das Ehepaar. Zwei Tage lang jagen, beißen und prügeln sich die Hähne auf dem See herum; am dritten streicht der Eindringling ab. Ein Schnabelhieb des Gegners traf ihn über das linke Auge, daß es in das rubinrote Auge herabsickerte. Da gab er sein Werben auf. Es war auch Zeit, denn die Taucherin hat keine Zeit für Minnespiel und Liebesgetändel. Ernste Mutterpflichten harren ihrer. Es gilt die Wiege zu bauen.

Das lockere Rohrdickicht vor der Bucht dünkt ihr der beste Weg dazu. Sie schwimmt geschickt so dahin, daß sie einen dicken Rohrhalm unter sich hat, und mit einem Schnabeldruck knickt sie ihn um, daß seine Spitze in das Wasser taucht. So macht sie es mit vielen Halmen, bis dreißig Rohrhalme trichterförmig gegeneinander geneigt sind. Nun schleppt sie dürre Stengel von Rohr und Schilf heran, schichtet sie kreuz und quer auf, ordnet sie, flicht sie zusammen und tritt sie fest. Aber das ist noch nicht die ganze Wiege, das ist erst der Unterbau, wenn er auch schon als großer, dicker, brauner Klumpen auf dem Wasser schwimmt. Jetzt heißt es: tauchen! Laichkraut und Wasserhahnenfuß holt die Taucherin vom Grunde, faulende Rohrhalme und modernde Schilfstengel, Algenstränge und Charabündel, und dieses nasse, moderige Zeug häuft sie in dem Nestflosse auf und tritt eine Mulde hinein.

In dieses nasse, gärende, stinkende Nest legt sie ganz seltsame Eier, an beiden Seiten zugespitzt und von so grober Schalenbildung, daß es aussieht, als hätte ein liederlicher Maurer sie mit dem Wittelquast angestrichen. Und das Merkwürdigste ist, daß die Schale außen kalkweiß, aber innen schön meergrün ist. Lange bleibt die Schale aber nicht weiß. Die faulende Unterlage färbt sie schmutzigbraun, und wenn die Taucherin fischen geht, deckt sie das Gelege mit faulendem Kraute zu, und so wird es bald ganz braun.

Eines schönen Tages hört die Taucherin unter ihrer silbernen Brust ein leises Piepen. Sie stellt sich aufrecht in das Nest, und da kriecht ein seltsames Dingelchen aus der zerbrochenen Schale. Ein Vogel, der so sonderbar aussieht und so merkwürdig baut, muß auch schnurrige Junge haben. Und so ist es auch. Sie sind der Länge nach gestreift, wie Frischlinge, und ähneln den Eltern bis auf die Ruder kein bißchen. Aber die Taucherkunst und die Lust zum Fischen brachten sie aus dem Ei mit. Die ersten Tage füttern die Alten sie wohl, aber lange dauert es nicht, dann jagen die Kleinen schon selbständig. Aus dem rotbraunen Planktongewimmel fischen sie mit den spitzen Schnäbelchen die winzigen Krebschen, fangen aus den moorigen Schlamm die Larven der Frösche und Kröten und stellen im Algengewirre der Ukleibrut nach, immer treu behütet von Mutter oder Vater. Und wenn die junge Gesellschaft müde ist, dann klettert sie auf den Rücken der Henne, und auch der Hahn gibt sich dazu gern her, und stolz fahren dann die beiden Taucher mit ihrer lebenden Fracht dahin.

Ungern lassen die Alten die Kleinen aus den Augen. Wenn ihre scharfen Augen Rohrweih, Sperber und Habicht auch meist früh erblicken, ehe sie über der Brut sind, auch in der Tiefe lauert das Unheil, und so kam es, daß, als das Nestkücken von dem Seerosenblatt herunterspringen wollte, ein langer, breiter, scharfzahniger Hechtrachen auftauchte und das arme Ding mitnahm in die schlammige Tiefe. Sogar den dicken Fröschen ist nicht zu trauen, und einer von ihnen, ein Riese, hatte schon das drittälteste Taucherchen am Beinchen gefaßt, als ein furchtbarer Schnabelstoß des aufmerksamen Vaters des Frosches Glotzauge traf und das Großmaul veranlaßte, seine Beute fahren zu lassen. Seitdem dulden die Eltern kein Tier in der Nähe der Kinder. Ente und Bläßhuhn, Ralle und Zwergtaucher werden erst verwarnt, wenn sie zu nahe heranschwimmen, und halten sie auch dann nicht Abstand, dann setzt es Püffe mit dem Schnabel und Knüffe mit den Schwingen, oder sie werden glatt überrannt, an dem Wickel gepackt und untergeduckt, damit sie lernen, daß Tauchers keine Anbiederung lieben.

Schließlich ziehen die Kleinen die Kinderkleider aus und fischen schon ganz ohne Anleitung. Aber die Alten lassen sie keinen Augenblick ohne Aufsicht und treiben sie immer wieder in die Bucht, sobald ein anderer großer Vogel, als der Fischadler oder die Seeschwalbe, heranrudert. Und wird mitten auf dem See gefischt an warmen, stillen Tagen, wenn die Ukleis ganz oben schwimmen, dann braucht sich nur ein Boot zu zeigen, und alt und jung sinkt unter, kommt weitweg hoch, verschwindet wieder, taucht noch weiter vom Boot auf, und ehe die Kugel des Jägers das Wasser trifft, ist die ganze Gesellschaft schon wieder unter Wasser.

So geht der schöne Sommer hin und der halbe Herbst, und eines Morgens fehlen der Bucht am Galgenberge die fünf Taucher. Sie sind zum Süden gereist und fischen heute auf einem Alpsee, einige Tage später in der Bucht eines spanischen Flusses und bald darauf im Tschadsee, wo sie ihr freies Leben weiterführen, bis es sie Ende März wieder nach der Bucht hinter dem Galgenberge bei der kleinen Stadt in Nordostdeutschland treibt.

 


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