Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Heinz Lüders

Die Fräsmaschine sang ihr seltsames Lied und warf einen Sprühregen von glitzernden Metallspänen um sich. Zu dieser Zeit summte Heinz Lüders die Worte eines übermütigen Schelmenliedes in sich hinein, das er bei den Soldaten gelernt hatte.

Die Sonne fiel in den Fabrikhof. Da trieb der Flieder, leuchteten die gelben Blumen an lederbraunen Zweigen, lärmten die Spatzen und pfiffen die Stare. Heinz Lüders lachte das Herz im Leibe. »Der Himmel ist hoch,« dachte er, »und die Wetterfahne zeigt östlichen Wind an. Das gibt schöne Ostertage!« Er pfiff die Begleitung zu der Weise, die seine Maschine brummte, so laut durch die Zähne, daß sein Nachbar Heinrich Undermann, ein düster blickender Mensch mit tief in die Stirn hängendem Haare, ihn halb erstaunt, halb spöttisch von der Seite ansah. Aber Heinz Lüders achtete nicht darauf; er dachte an Ostern und an seine Annemarie, und wenn er ein fertiges Stück weglegte und ein neues herannahm, sah er in die Fensterscheibe, die blaß sein Bild widergab, schlank, mit blondem Haar, blitzenden Augen, den blauen, sauberen Kittel über und über mit goldenem Staub bestreut.

Diese Ostern sollten anders werden als die vorigen. Da war er noch wild und ungebärdig, da kannte er nur die Kneipe und das Tingeltangel und bekam vier Wochen nach dem Feste eine Vorladung vor das Gericht wegen Ruhestörung, Widersetzlichkeit und Beamtenbeleidigung. Es ging noch glimpflich ab. Er war unbestraft, sein frisches Wesen und sein gutes Militärzeugnis sprachen für ihn. Aber ärgerlich war es immerhin, in der Polizeiliste als vorbestraft zu stehen.

»Na, das ist nun vorbei,« dachte er und sah einem Spatzen nach, der voller Glück eine weiße Flaumfeder unter die Dachrinne trug. »Übers Jahr machen wir es genau so, Annemarie und ich.« Und er pfiff sein neues Lied immer lauter ... Annemarie als tüchtige Friseuse, er mit seinem hohen Lohn, es würde schon gehen. Ein Segen, daß er das Mädchen kennen lernte. Die war nicht so wie die Alma Dalle, die immer und ewig zum Tanzboden und in die Singspielhalle wollte und eigentlich schuld daran war, daß er vor einem Jahr den Unfug gemacht hatte. Jetzt wurde anders gelebt: bei schlechtem Wetter saß man bei Annemaries Verwandten, und war's draußen schön, ging es in das Holz oder in die Berge. Dann stand man am Montag mit klarem Kopfe auf und flötete, statt zu knurren, wie ehedem. Er freute sich heute schon darauf.

Der Aufseher kam durch den Gang und blieb bei ihm stehen. »Sie können aufhören; der Herr Direktor wünscht Sie zu sprechen.«

Lüders stellte seine Maschine ab, ging zu seinem Schranke, zog den Kittel aus und die Jacke an, band Kragen und Schlips um, wusch sich und ging langsam die Treppe in die Höhe.

»Was mag er wollen?« dachte er, »ausgefressen habe ich doch nichts.« Damals nach Ostern hatte ihn der Direktor auch rufen lassen und ihm ernst, aber freundlich in das Gewissen geredet. Heute lag nichts Dummes vor. Das einzige wäre, daß die kleine Verbesserung an der Ölung, die er sich ausgedacht und dem Direktor eingereicht hattte, die Veranlassung wäre.

Als er in das Arbeitszimmer des Direktors eintrat, stand dieser auf, gab ihm die Hand, schob ihm einen Stuhl hin und reichte ihm die Zigarrenkiste. »Dann ist's gemütlicher,« sagte er und ein Lächeln ging über sein ernstes Gesicht. Als Lüders einigermaßen verlegen die Zigarre angesteckt hatte, griff der Direktor in das Fach und stellte das Modell der Ölung vor seinen Arbeiter.

»Ich gratuliere Ihnen,« sagte er, »und mir auch. Das Ding ist tadellos. Das erspart uns jährlich viel Öl und noch mehr Zeit. Sie sind einer von den Männern, die ich brauchen kann, Herr Lüders. Ich denke, in einigen Jahren stehen Sie nicht mehr an der Fräsmaschine.«

Der Arbeiter wurde rot und sah den Direktor an. Der rauchte langsam und fuhr dann fort: »Sie bekommen jetzt erstens ein Fabrikgeschenk zweiten Grades, also zweitausend Mark ...«

Der Arbeiter sprang auf und wollte dem Direktor die Hand reichen; der aber wehrte ab: »Sodann habe ich, Ihre Zustimmung voraussetzend, die Erfindung schützen lassen. Die finanzielle Ausnutzung bitte ich mir zu überlassen. Abgesehen von den geringfügigen Bureaukosten bekommen Sie den vollen Ertrag, der unter Umständen ziemlich groß sein kann. Voraussetzung ist, daß von der Benutzung der Erfindung alle Firmen meiner engeren Branche ausgeschlossen bleiben. Sind Sie einverstanden?«

Der Arbeiter nickte mit strahlenden Augen; am liebsten wäre er dem ernsten Manne um den Hals gefallen. Aber der hatte schon wieder sein gleichgültiges Gesicht: »Ferner möchte ich Sie auf sechs Jahre für mich verpflichten. Vorläufig als Arbeiter; was später wird, muß sich zeigen. Der Herr Oberingenieur sagte mir, Sie seien schon wieder an einer neuen Verbesserung.« Er blies ein paar Kringel gegen das Fenster, »ich glaube, das beste ist, ich verkürze Ihnen die Arbeitszeit, damit Sie Zeit haben, auf dem Technikum etwas Theorie zu lernen. Natürlich werden Ihnen die Stunden vom Lohn abgezogen, das geht nicht anders, sonst gibt es Unzufriedenheit. In einer Fabrik muß es heißen: bar gegen bar.«

Er sah den Arbeiter fragend an und als der nickte, fragte er plötzlich: »Sie haben eine Braut?«

Lüders bejahte und wurde rot wie ein Mädchen.

»Kenne Sie vom Ansehen und aus den Mitteilungen einer Dame. Kann Ihnen nur Glück wünschen. ›Hat man zu zweien angespannt, so kommt man leichter durch den Sand.‹ Ich habe Sie beide neulich in Altendorf gesehen. Hübsch, klug und gesund. Das ist beinahe zu viel auf einmal. Nun, wenn Sie heiraten, vergessen Sie mich nicht dabei. Wie lange dauert es noch?«

Der Arbeiter zuckte die Achseln.

»Na ja, sind ja noch beide weit vom Schneider,« meinte der Direktor, »aber wenn Sie die zweite Erfindung heraushaben, dann denke ich, warten Sie wohl nicht mehr. Hier eine Abschlagszahlung.« Er reichte ihm einen Briefumschlag. »Das andere lege ich für Sie an; die Quittung liegt bei der Kasse. Ist Ihnen doch recht so? Und nun frohen Sonntag und schönen Dank für Ihren Eifer.«

Er stand auf und Lüders auch. Als sich ihre Hände losließen, sah der Direktor den jungen Mann freundlich an: »Unsinn machen Sie doch nicht mehr, wie damals? Sie sind nervös veranlagt, darauf deutet Ihr ganzes Aussehen.«

Lüders ging die breite Treppe hinab und wußte nicht, was er vor Freude beginnen sollte. Gerade war Fabrikschluß, aber heute mochte er nicht in der Kantine essen, wie sonst. Erst mußte Annemarie das alles wissen. Wie würde sie lachen, und wie würde er sich über ihre drei Grübchen freuen können. »Annemarie!«, dachte er, als er sein Rad aus dem Schuppen holte, .Annemarie!« als er durch das Getümmel der Vororte sauste, »Annemarie, Annemarie!« und nichts als »Annemarie!«

Er stellte sein Rad in der Wirtschaft des Hauses ein, in dem seine Braut wohnte. Annemarie war nicht zu Hause, sie hätte bis Abends spät zu tun, hatte sie der Wirtin gesagt, und käme kaum vor zehn nach Hause. Lüders war die Petersilie verhagelt, seine Stimmung schlug um. Mit mürrischem Gesichte trat er ins Schankzimmer. Da saß Undermann mit noch zwei Leuten aus der Fabrik.

»Nanu,« schrien sie ihn an, »du siehst ja aus, als hätte dich der Alte auf halben Lohn gesetzt. Und dabei ist er zu Ehren und Geld gekommen! Gibst du keinen aus?«

Lüders lächelte. »Das versteht sich doch. Jeder kann bestellen, was er will. Mir eine Selter.«

Hohngelächter folgte diesen Worten. »Du bist wohl vor lauter Freude Blaukreuzler geworden? Wirst wohl zur Gesellschaft einen mittrinken!«

Lüders war es seltsam in der Magengegend; er hatte ganz vergessen, daß er noch kein Mittag gegessen hatte, und so trank er denn einen Schnaps und noch einen und noch einen dritten. Da wurde ihm besser, er fühlte sich und erzählte, was ihm der Direktor gesagt hatte.

Nun ging das Hallo los. »Herr Kommerzienrat in spe!« hieß es um ihn her. Die Gläser klangen, der Wirt lief hin und her, und die Stunden flogen hin wie wandernde Schwalben. Da endlich merkte Lüders, daß er nichts Festes im Leibe hatte, und er verlangte etwas zu essen. »Ochsenmaulsalat«, hatte der Wirt geraten, und das unverdauliche Zeuge schmeckte dem jungen Manne und machte ihn noch durstiger. So war es denn schließlich schon blaue Dämmerung, als er aus der Wirtschaft ging.

Als er bei dem Laden eines Waffenhändlers vorbeikam, blieb er stehen. Die automatischen Pistolen mit ihren sonderbaren Formen nahmen sein Herz gefangen. Besonders die beiden Brownings, der große und der kleine. Wie vornehm sie aussehen in ihrer dunklen matten Färbung, und wie unheimlich einfach. Er hatte sich schon immer einen gewünscht, aber der Preis war ihm zu hoch gewesen. Vierzig bis fünfzig Mark, das ist zu viel für einen Fabrikarbeiter. Aber heute hatte er ja Geld. Er trat in den Laden und ließ sich die Waffen zeigen. Seine Augen leuchteten. Donner auch, das ist doch etwas anderes, als so ein Revolver! Da ist kein Spannen nötig, noch nicht einmal ein Entsichern; der kleine Browning ist entsichert, so bald man drückt. Er suchte einen Zwergbrowning aus, prüfte den Mechanismus, zahlte und ging.

Er überlegte was er anfangen sollte. Annemarie kam erst spät heim, und es war ihm auch peinlich, ihr jetzt unter die Augen zu treten mit dem Geruch von Bier und Kognak. Da fiel ihm ein, daß er sein Rad noch in der Wirtschaft hatte. Das wollte er da nicht stehen lassen, und so ging er noch einmal in das »Grüne Kleeblatt«, zurück. Da ging es lustig zu. Undermann war immer noch da und Alma und noch ein Mädchen und ein paar junge Leute; das Orchestrion ging, es wurde gesungen und der Tabaksqualm lag blau über den roten Gesichtern und dem weißen Schaum.

»Hoch soll er leben!« sang man ihm entgegen. Sein Erfolg war Tischgespräch gewesen. Er mußte wieder einen ausgeben, Punsch und Grog, denn der Abend war kühl und der Wirt hatte nicht mehr geheizt. Alma machte ihm süße Augen, als sie sah, wie viel Geld er hatte, und drückte ihm unter dem Tische die Hand. Schön war sie, das mußte ihr der Neid lassen, mit dem krausen schwarzen Haar und den blanken braunen Augen! Sein Blut wurde heiß; er dachte an frühere Zeiten. Annemarie war ihm ein blasser Traum.

Runde auf Runde kam. Alma wurde immer zutraulicher. Als der große blasse Polier mit den ungeheuren Fäusten in den Hof ging, küßte Lüders das Mädchen. Von dem Augenblicke an fieberte es in ihm; er umfaßte sie und flüsterte ihr in die Ohren und sah nicht, daß der Pils wieder in das Schankzimmer trat. Da traf ihn ein furchtbarer Schlag, der ihn in die Ecke schleuderte. Taumelnd richtete er sich auf und sah sich im Spiegel, blutüberströmt, mit beflecktem Vorhemd, geschwollenen, zerrissenen Lippen. Und vor ihm stand der Riese, hielt ihm die ungeheuere Faust unter die Augen und schrie:

»Du Lapps, soll ich dich zu Hackfleisch machen? Lümmel!«

Lüders zitterte am ganzen Leibe; sein Atem flog. Der große Kerl stand vor ihm, lachte auf ihn herab und spuckte ihm vor die Füße.

Da packte Lüders die Wut: »Sterben mußt du, du Hund,« schrie er und riß den Browning heraus und drücke zweimal. Dann fiel er, von Undermann am Ärmel zurückgerissen, hintenüber, und als er sich aufrichtete, sah er Alma auf dem Gesicht zu Boden liegen und der Polier kniete neben dem Sofa, krampfte die Hände in die Brust, stöhnte schrecklich und spie Blut über das Ganzleder.

Im Hausflur und im Hof war ein Rufen und Schreien, ein Hasten, ein Jagen. Fenster wurden aufgestoßen, Tritte polterten die Treppe herab.

»Mord!« schrie es draußen und »Polizei! Polizei!« Der Wirt rief in einem fort: »O Gott, o Gott!« und die Wirtin weinte und schrie. Der Zimmerpolier stöhnte laut auf und dann brach er zwischen Sofa und Tisch zusammen.

Zwei Schutzleute traten zu gleicher Zeit ein, die Revolver in den Händen; hinter dem einen zeigte sich das kreidebleiche Gesicht der Magd.

»Der ist es,« rief sie und zeigte auf Lüders, »der da.«

Die Schutzleute gingen auf ihn zu: »Geben Sie die Waffe her; Sie sind verhaftet!«

Der junge Mann sah sie aus irren Augen an. Er war ganz nüchtern geworden. »Annemarie, o Annemarie!« zuckte es noch durch seine Gedanken, während er, ehe es jemand hindern konnte, die Mündung des Brownings an die Schläfe setzte und abdrückte.

 


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