Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Rohrsänger

Der Kiefernforst singt ein anderes Lied als der Eichenwald; das Laub der Buchen raschelt anders als das Gezweige der Weiden und Pappeln.

Sind die Weisen, die das Rohr und das Schilf und das Riedgras bei Wind raunen, einander auch ähnlich, das harte Geraschel des Rohres bringt eine andere Stimmung hervor als das weiche Geraschel des Schilfes, und noch anders wirkt der Seggenblätter und des Bandgrases verlorenes Geflüster, das schleifende Rauschen des Kolbenrohres und das gleichmäßige Wetzen der Binsen.

In Rohr und Schilf, im Weidengebüsch und im Ried lebt eine Gruppe von Vögeln, ähnlich einander an Gestalt, Färbung, Benehmen und Stimme, Nestbau und Lebensweise, und doch verschieden in kleinen Abweichungen der Größe und Färbung, des Standortes und der Form der Nester, der Färbung und Zeichnung der Eier, des Klanges des Locktones, der Art des Gesanges; mögen unsere Rohrsänger sich noch so ähneln, sie sind doch so verschieden unter sich, daß die Systematik sie in drei Gruppen zerlegte, deren eine, die der Heuschreckensänger, sich am meistens von den anderen Gruppen, den Rohrsängern und den Schilfsängern, entfernt.

Wenig beachtet das Volk diese Gruppe, unterscheidet kaum die eine von der anderen Art. Nur der größte deutsche Rohrsänger, der Drosselrohrsänger, brachte es zu einem eigenen Volksnamen; denn zu auffällig, zu merkwürdig, zu sonderbar ist sein Geschwätz, als daß es nicht bemerkt werden müßte. Die Quarrlaute der Frösche scheint er nachzuäffen, das Geraschel des Rohres und die schrillen Rufe von Wasserhuhn und Zwergtaucher, um daraus ein Lied zusammenzuflechten, eigentlich kein Lied, nimmt man das Wort genau, und doch eins, prüft man es auf seine Wirkung.

Je nach Stimmung der Landschaft wirkt sein Lied gemütlich oder herbe, spaßhaft oder unheimlich. Wenn der See in der Mittagssonne glitzert, wenn das Rohr ganz leise rauscht und flüstert, wenn einzelne Frösche behaglich quarren, ab und zu ein Wasserhuhn scharf ruft oder ein Zwergtaucher trillert, dann hat der Rohrdrossel Schwatzen eine gemütliche, einschläfernde Wirkung. Selten singen dann mehrere auf einmal, hier schlägt eine an, ruft faul ihr »karre, karre«, macht eine Pause, klettert den Rohrhalm hinauf, schlüpft durch das Röhricht, stößt ihr schrilles, lustiges »kiek, kiek« aus und schweigt. Nach einer Weile beginnt drüben am anderen Ufer ein anderes Männchen. Mutvoll hebt es an: »hedder, hedder, hedder«, schweigt, ruft: »tui, tui, tui«, schweigt wieder, knarrt laut weiter: »dorre, dorre, dorre«, hört wieder auf, läßt das rauhe »karre, karre, karre« folgen, besinnt sich ein Weilchen, schreit: »kei, kei, kei«, ist abermals still, krächzt laut: »kerr, kerr, kerr« und schließt, nachdem er noch einmal schwieg, mit heiserem »karra, karra« und gellendem »kiek, kiek«. Und dann ist es still auf dem See. Die Schwalben fahren zwitschernd hin und her, klatschend wirft sich ein großer Fisch, in der Ferne verklingt das Kreischen der Seeschwalbe, steif und stumm steht das Rohr, und die Julihitze brütet auf der Landschaft.

Kein Storch plärrt, kein Rohrsänger ruft. Stunden vergehen. Am westlichen Himmel erheben sich weiße Wetterköpfe, wachsen immer höher, holen schwarzes Gewölk herauf, stellen sich vor die Sonne. Der weißglühende, glitzernde See wird grau und dann schwarz. Die Schwalben sind fort, die Wasserjungfern verschwinden. Die Weiden lassen ihr Gezweig zappeln, laut raschelt das Röhricht, Katzenpfoten trippeln hurtig über die Flut. Jähe Windstöße lassen das Rohr klirren und werfen klatschende Wogen an den Strand. Goldrot bricht die Sonne aus den schwarzen Wolken, färbt den See blutrot und verschwindet wieder. Es pfeift in der Luft, es braust im Walde, der ganze Himmel wird schwarz, graue Regenschauer prasseln auf den See herab.

Da erklingt ein heller, froher, scharfer Ruf. Auf der Spitze des höchsten Rohrhalmes, der wild im Winde zuckt, sitzt die Rohrdrossel, läßt sich schaukeln und singt mit dem Wind und dem Wasser, mit dem Rohr und den Weiden um die Wette. Je schriller der Sturm pfeift, je lauter die Welle klatscht, je wilder der Wald braust, und je toller das Rohr rauscht, um so flotter singt und schwatzt der Vogel, und nicht in Pausen gibt er sein Sturmlied zum besten, nicht bruchstückweise, nicht in Absätzen, nicht faul und schläfrig, wie um die Unterstunde, sondern flott und frisch klingt es durch Sturm und Rohrgeraschel: »heid heid heid, tui tui tui, dorre dorre dorre dorre, karre karre karre, keik keik keik, kerre kerre kerre, karra karra karra, kiek kiek«, und noch einmal und abermals, und je toller der Sturm loslegt, je schwärzer der Himmel und je wilder das Wasser wird, um so lustiger singt der tapfere Vogel von seinem schwankendem Halme herab.

Sonst ist er nicht sehr für die Öffentlichkeit, und er zieht ihr das heimliche Leben im Röhricht vor, wo er von Halm zu Halm huscht, halmab, halmauf klettert, Motten jagend und Mücken, Räupchen und Larven. Unglaublich lang und dünn kann er sich machen und so leicht, daß der Binsenhalm, an dem er hängt, kaum Zeit hat, sich zu biegen. Das Schlüpfen, Kriechen und Klettern, das kann er trotz Zaunkönig, Braunelle und Meise. Das Fliegen liebt er nicht sehr. Ab und zu schlägt er, will er einen anderen Hahn aus der Nähe seiner Niststätte jagen, oder einem anderen das Weibchen abspenstig machen, einen kurzen Bogen an der Wasserseite, aber das geht so flink, daß selbst der Sperber, der die Kunst der Buschklepperei doch nach allen Regeln kennt, ihn so leicht nicht erwischt, und die Rohrweihe kümmert sich gar nicht um ihn; sie weiß, daß er schneller als sie ist. So lebt er denn in dem Rohrwalde mit Fröschen, Enten, Wasserhühnern und Tauchern sein verborgenes Leben, bis Sturmwetter ihn verwegen macht und er hoch vom Rohrwalde mit dem Wind um die Wette singt. Sonst läßt er sein Lied meist aus dem Rohrdickicht erschallen, und ist die Nacht schön warm und lau, so schweigt er auch dann nicht und überschreit das Gequarre der Wasserfrösche und das Geplärre der Rohrkröten.

Sind aber erst die Jungen da, dann hat er nicht mehr so viel Zeit. Sie wollen schnell wachsen, denn Ende August geht es schon wieder nach Afrika, und so heißt es: fleißig füttern. Fortwährend schlüpfen die Alten heran und stopfen die vier oder fünf nimmersatten Gelbschnäbel, die aus dem merkwürdigen Neste heraussehen, das hoch über dem Wasser zwischen vier Rohrstengeln hängt. Als es gebaut wurde, war das Rohr noch niedrig, und so stand das Nest anfangs dicht über dem Wasser, Je mehr das Rohr aber wuchs, um so höher hob sich auch das Nest. Dieses ist ein Bau eigener Art. Es ist dreimal so lang wie breit und äußerst künstlich aus Schilfblättern und Weidenbast gewirkt und mit Kolbenrohrwolle und Rohrflocken ausgelegt. Die Nestmulde ist so tief, daß kein Sturm die Eier herauswerfen kann, und so fest und sauber ist es geflochten, daß der heftigste Wolkenschlag es nicht durchnässen kann. In dieser lustigen Schaukel, die jede Bewegung der Halme mitmacht und jeder Strömung der Wellen folgt, wächst der Rohrdrossel Brut heran. Ehe sie aber noch völlig flügge sind, klettern die Jungen schon über das Nest hinauf und turnen an den Halmen auf und ab, bis der dumpf rollende Warnruf der Alten, wenn ein Raubvogel über den See klastert, oder ein Boot sich naht, sie in das Nest zurücktreibt. Sind die Fittiche aber ausgereckt, dann folgen sie den Eltern, die sie mit lautem »tak, tak« hinter sich herlocken, und sie lernen von ihnen, wie man die Eintagsfliege fängt und die Wasserjungfer, die Motte und die Köcherfliege, wie man beim Herannahen des Sperbers wie ein Stein von der Spitze des Rohrhalmes in das Gewirr der Stengel und Blätter fällt, oder mit hastigem Fluge zwischen Welle und Rohr dahinstreicht und im Boden im Röhricht verschwindet.

So, wie der Drosselrohrsänger, spielt sich das Leben aller unserer Rohrsänger im großen und ganzen ab, doch hat jeder sein Abzeichen in den Körpermaßen und in der Gefiederzeichnung, das Lied der einen Art ist mehr der Grasmücke, das der anderen dem des Gartenspötters ähnlich, aber ohne Nachahmung von Rohrgeraschel, Froschgequake und Rohrhuhngequieke geht es bei keinem ab. Keiner von ihnen allen ist so ausgesprochener Rohrvogel wie der Drosselrohrsänger. Ihm genügt das schönste Schilfdickicht, das dichteste Weidengebüsch nicht; Rohr muß er haben, nur Rohr und Wasser, dann ist er zufrieden, aber sonst auch nicht. Es kommt vor, daß auch er einmal im Buschwerk baut, aber nur in allergrößter Legenot, oder wenn der Mensch das Rohrdickicht zerstörte, als das Nest schon fertig war.

Der Rohrdrossel Vetter, der Teichrohrsänger, nimmt es mit der Wohnungsnot nicht ganz so genau. Er ist in jeder Beziehung eine verkleinerte Ausgabe der größeren Art, in der Färbung, im Nestbau, im Gesange und in der Lebensweise. Auch er liebt das Rohr mehr als alle anderen Uferpflanzen, doch nimmt er auch mit Kolbenrohr und Uferweiden vorlieb und das Wasser kann er nicht entbehren. Wenn in seinem Gesange die Urlehrmeister der Rohrsänger, Rohr und Welle, Frosch und Wasserhuhn, auch nicht mehr so deutlich zur Geltung kommen wie bei der Rohrdrossel, man kann sie doch noch immer deutlich heraushören, denn es quiekt und schnarrt und quarrt und raschelt ganz wunderlich daraus hervor. Nur ist das Liedchen zusammenhängender, fließender, weniger abgehackt, nicht so rauh, hart und scharf, und es verrät, daß der Sänger nicht ganz auf das harte Rohr angewiesen ist. Aber lustig und fröhlich klingt auch des Teichrohrsängers Strophe. In seinem Neste, ist es auch nicht ganz so streng gebaut wie das des großen Vetters, ist er aber immer noch der echte Rohrsänger, selbst wenn das Nest im Weidicht steht. Am liebsten aber hängt auch er es in das Rohr und läßt es dort mit den Halmen emporwachsen. Unabhängiger vom Wasser und gar nicht an das Rohr, ja noch nicht einmal an das Schilf gebunden ist der Sumpfrohrsänger. Mit jedem Buschwerk, das auf feuchtem Boden steht, ja selbst mit dem Gebüsch der Gärten und Anlagen nimmt er vorlieb, und sogar in Erbsen-, Bohnen-, Hafer- und Rapsfeldern siedelt er sich an. Wenn auch sein Nest noch meist frei hängt nach alter Rohrsängerart, es ähnelt doch in der Form und Ablage schon bedeutend mehr dem der Grasmücken, und auch sein Gesang verrät nur noch in den Grundtönen die ursprüngliche Rohrsängerweise, kommt aber sonst dem der Grasmücke recht nahe. Wie er von der Dorngrasmücke es lernte, sein Leben dem Felde anzupassen, so entnahm er ihr auch den Gesang und verflocht darin alte Erinnerungen an Rohrgeraschel und Wellengegluckse, Froschgequak und Taucherschrei. Aber das genügte ihm noch nicht, und so stahl er denn der Wachtel ihren Dreitakt, äffte das heisere Kichern der Meise und das scharfe Locken des Rebhahnes nach, er stibitzte der Amsel ihr Geflöte und dem Spatz sein Geschilpe, dem Star sein Pfeifen und dem Bussard sein Miauen, und all diese Laute quirlt er zu einem seltsamen Gesangsbrei zusammen, so daß ein Sumpfrohrsänger wie der andere singt; aber die alten rauhen und scharfen Rohrsängerlaute behält selbst der Vogel bei, der im Park zwischen Nachtigall und Amsel, Mönch und Braunelle, Rotkehlchen und Spötter aufwuchs, denn Art läßt nicht von Art.

Noch weiter von der alten Stammesart entfernten sich die beiden Schilfsänger, der Schilfrohrsänger und der Binsenrohrsänger. Zeichnen sie sich von den anderen Rohrsängern schon durch die dunkelgefleckte Oberseite und den hellgestriemten Kopf aus, so noch mehr durch ihre Wohnorte. Sie brauchen kein Rohr, sie wollen kein Schilf, aber Riedgras verlangen sie, Doldenpflanzen und Binsenbüsche, und an das Wasser sind sie so wenig gebunden, daß schon einige Wiesengräben oder gar der feuchte Grund ihnen genügt. Da sie dem Rohre untreu wurden, vergaßen sie auch, ein Rohrsängernest zu bauen, und so legen sie ihr Nest auf einer dichtbewachsenen Bodenerhöhung, in einer Riedgrasbülte, in einem Binsenbusche an, wie es die Rohrammer tut. Nach alter Gewohnheit verflechten sie den Rand des Nestes noch mit den Binsen- oder Riedhalmen, aber viel Zweck hat das eigentlich nicht mehr, weil das Nest meist auf dem Boden steht und nur noch ganz selten hängt. Auch sonst haben sie von den anderen Vögeln der Wiese und des Weidelandes, den Piepern und Rohrammern, allerlei angenommen. Der Schilfrohrsänger flattert wie der Pieper beim Singen schräg abwärts und läßt sich auf einem Busche nieder, und er äfft gern Wiesenbachstelze, Rohrammer, Pieper, Blaukehlchen und Schwalbe nach, und während er ganz wie ein Pieper oder eine Stelze dahintrippelt, schlüpft der Binsenrohrsänger mäuseähnlich gewandt wie ein Blaukehlchen über den Boden, und aus der Verborgenheit läßt er wie dieses sein wunderliches Liedchen ertönen.

Gänzlich untreu geworden aber den alten Rohrsängersitten sind die Heuschreckensänger. Sie sind so weit heruntergekommen, daß sie sich vergaßen, den Gesang der Heuschrecken und Grillen nachzuahmen, und morgens und abends lassen sie aus dem dichten, feuchten Gebüsche, aus nassen Feldern, bewachsenen Sümpfen, oder wo sie sonst gerade ihr Heim aufschlugen, ihr eintöniges Schwirren ertönen, meist aus der Verborgenheit, manchmal auch von einer Dolde oder von einer Zweigspitze.

Alle aber, wie sie da sind, unsere Rohrsänger, mögen sie nun im hohen Rohrwalde oder im dichten Uferschilfe, im Wied oder im Risch, im Busch oder im Felde wohnen, sonderbare Gesellen sind sie alle miteinander.

 


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