Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Die Schwalbe

Es kamen nun zwei graue Regentage, legten sich auf das Land und drückten des Hilgerhoferben Stimmung zu Boden.

Mit ernstem Gesichte half er Nordhoff bei der Arbeit auf dem Hofe, denn der Krüger hatte die Wirtschaft und den Kramladen so nebenbei, und Ramaker arbeitete auf dem Felde mit, weil der Knecht eine schlimme Hand hatte. Den beiden Männern kam das sehr zu passe, denn Volkmanns letzter Taler war verzehrt und so konnten sie Kost und Nachtlager mit ihrer Hände Arbeit bezahlen.

Als am Sonnabendnachmittag Feierabend gemacht wurde, kam die Sonne durch. Lüder setzte sich in den Garten und machte dem Lieschen eine Puppe, und Storm, der immer bei ihm war, sah zu. Im blühenden Kirschbaume sang die Schwarzdrossel. Die Grauartschen schwatzten auf der Hecke und von dem Windbrette zwitscherten die Schwalben.

»So,« sagte Volkmann, »nun ist sie fertig, die Puppe. Und jetzt geh nach deiner Mutter; es ist Abendbrotzeit für dich.« Das Kind nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuß auf die Backe, bei dem es dem Manne warm um das Herz wurde; dann lief es mit glänzenden Augen in das Haus und Storm schwänzelte hinterher.

Volkmann steckte sich eine Zigarre an und sah nach den gelben Osterblumen hin, die in dicken Horsten aus dem Rasen kamen und um die ein Ackermännchen herumsprang und nach Fliegen schnappte. Über ihm zwischterte die Schwalbe in einem fort.

Seine Stirn hellte sich auf: ja, er wollte es wagen, wollte den Hof auf dem Hilgenberge antreten, wollte da hinten in der Heide ein Bauer werden, von dessen Giebel die Schwalbe lustig zwitscherte, und nicht wieder staubige Straßen fahren, an denen der Ortolan sein müdes Lied sang.

Die Welt der Stadtleute lag abseits von seinem Wege; das Schicksal hatte ihn nach harter Buße dahin gestellt, wo er hingehörte, in die Heide; es hatte ihm den Pflugsterz in die Hand gegeben und er wollte ihn festhalten. Und das Geschick hatte ihm einen Gehilfen gegeben in dem heimatlosen Knecht, so daß er nicht ganz alleine mit sich und seiner Erinnerung war.

Ein Wagen hielt vor der Wirtschaft, und eine tiefe Männerstimme, die Lüder bekannt vorkam, rief die Tageszeit. Dann kamen Schritte über den Gang, ein Schatten fiel über das Gras, und als Volkmann aufsah, stand der lange Freimut vor ihm. Bis auf einige graue Haare war er noch derselbe Mann wie vordem; seine Augen hatten noch denselben Kinderblick und der blonde Bart bedeckte die ganze Oberbrust. Er war in Jagdkittel und Manschesterhosen und trug Schmierstiefel.

Er stand vor Volkmann, lächelte und schüttelte den Kopf: »Da schlag doch Gott den Deubel dot! Sagt bloß, wo kommt Ihr eigentlich her? Wir lauern und lauern, aber kein Volkmann läßt sich sehen. Einen Preis haben wir auf Euer edles Haupt gesetzt, bestehend in zwölf Pullen Forster Kicherstück Auslese; aber selbst das half nicht. Schließlich hieß es, Wodan habe eine seiner Schwertjungfern losgeschickt und Euch zu einem längeren Abendschoppen gebeten.

Doch Spaß beiseite. Jetzt wollen wir einmal ernsthaft reden: was trinkt Ihr lieber, weiß oder rot? Denn ich habe meinen eigenen Wein hier. Die Sache ist nämlich der: Baumeister Schönewolf, auch einer von uns Nifelheimern, und ich, wir haben die Jagd hier, fünfzehntausend Morgen zusammenhängend, uneingerechnet das große Moor, denn da weiß kein Deubel die Grenze, und der Hilgenhof gehört mit dazu.

Eine Frage noch: wer kennt Eure Verhältnisse hier? Der Vorsteher! Bonus, wie der Küchenlateiner sagt; dann sind wir unser vier: tres faciunt collegium, alleine vier ist auch nicht dumm.«

Er rief in das Haus hinein: »Deern, lauf mal nach dem Vorsteher, er möchte sofort kommen; eine wichtige Angelegenheit harret seiner. Kriegst auch nachher 'n Söten!«

Das Mädchen quiekte und lief los. »Und nun an die Gewehre! Ich habe einen Schmacht, daß ich Mazzes fressen könnte.«

In der besseren Stube saß der Baumeister und streckte Volkmann die Hand hin. Freimut sagte: »Unser Freund weiß Bescheid; er hat Euretwegen einen Lümmel einmal backgepfiffen und ihm nacher eine tadellose Terz in die Rippen gefetzt. So, nun wollen wir der selbstgeschlachteten Wurst die gebührende Ehre antun. Da ist ja auch der Vorsteher! Guten Abend, Vatter Garberding, comment vous portemonnez-vous? Und nun, ihr deutschen Männer,« er füllte vier Gläschen mit altem Korn, »erhebet euch und die Stimmen zum uralten germanischen Weihegesang: Wenn alle eenen hebt, will eck ock eenen hebben! Denn so ist es der Brauch bei den Mannen, so im Rheinischen Hof in Nifelheim, der Stätte der Greuel, nächtlicherweile tagen.

Und ich soll euch grüßen von der ganzen Schwefelbande, vor allem vom kleinen Doktor, der mitgekommen wäre, wenn er nicht zufällig gerade heute freite, und von Knüppel, dem Kunstmaler aus Deutschland, der ein Weib genommen hat und sich nur noch Sonnabends betrinken darf, aber nur ein ganz bißchen. Und hallo, das Wichtigste: als ich gerade in die Bahn stieg, sah ich Herrn Mehls; er hat sein ganzes Geld in Kuren verjuxt und ich führe fünf Prozesse gegen ihn, und an dem Tage, wo er so weit ist, daß er sich sein Mittag aus dem Mülleimer sucht, da will ich dem heiligen Hubertus eine Kerze stiften für hundert Reichsmark.«

Lüder schwoll die Brust, als er den Namen Mehls hörte. Das war der Mann, der ihn zu Tode gehetzt hatte, einst sein Freund, und dann sein Todfeind, den seine politischen Gegner auf seine Wundfährte gelegt hatten, um ihn zur Strecke zu bringen.

»Ja,« sprach der Rechtsanwalt und warf seinem Hunde eine Handvoll Wursthäute hin, »auf dem Bauche soll er kriechen und Staub fressen, der Schweinehund. Ich habe jetzt ein paar Wechsel von ihm in der Hand, damit bringe ich ihn an den Galgen. Seine zweite Frau, wenn es nicht schon die dritte ist, ist ihm ausgerückt, sein Haus ist ihm verkauft, keinen Kredit hat er ooch nicht mehr. Kinder, das Leben ist doch schön! Es lebe das edle Weidwerk und die Jagd auf das Raubzeug! Horüdhoh, do, do, do, do!«

Es wurde ein gemütlicher Abend; der Vorsteher, der sich sonst sehr zurückhielt, taute auf, denn er mochte den langen Rechtsanwalt gern und den Baumeister auch.

Als der Tisch abgeräumt war, wurden Volkmanns Angelegenheiten besprochen. Garberding und Schönewolf waren der Meinung, daß Volkmann den Hof selbst bewirtschaften sollte; Freimut sagte nichts dazu. Nachdem Garberding sich verabschiedet hatte und Schönewolf, der vor Tau und Tag zur Birkhahnbalz in das Moor wollte, zu Bett gegangen war, sagte er:

»Das mit dem Hofe halte ich für Duffsin. Zum ersten, weil Ihr von der dicken Kartoffelzucht nichts versteht, zum zweiten, weil es ein bethlehemitischer Kindesmord wäre, wenn Ihr Euch hier verkriechen wolltet. Freunde habt Ihr genug; ich würde kaltlächelnd wieder die Feder in die Faust nehmen und darauf loshauen. Wir haben damals bei der ganzen befreundeten Presse angefragt, ob sie ferner von Euch Leitartikel und Kunstbesprechungen nehmen würde, und überall hieß es: ›Nun grade!‹ Verpachtet den Hof gut, behaltet Euch eine Stube vor, damit Ihr mit uns jagen könnt, oder noch besser zwei, dann sind wir gleich mitten drin in der Jagd, denn dem guten Nordhoff liegt an Bett- und Mittagsgästen scheußlich wenig und er ist froh, wenn wir ihm sein Bitterbier austrinken und ihn sonst in Frieden lassen. Ihr gehört vorne an, Mann, und nicht hinten in die Heide. Das ist meine Meinung.«

Volkmann schüttelte den Kopf: »Nein, lieber Freimut, ich bleibe hier. Erstens ekelt mich die Parteipolitik an; denn ob schwarz, blau oder rot, mit Wasser wird überall gekocht, mit sehr trübem Wasser oft. Selbst bei meiner Niedersächsischen Bauernzeitung, bei der ich doch alle Parteiklüngelei ausließ, habe ich mich oft drehen und wenden müssen. Und meine anderen Schreibereien? Du lieber Himmel, das, was ich als Kunstkritiker und im Feuilleton leistete, das könnten hundert andere auch und manche viel besser. Überhaupt ist mir alles, was nach Luxus und Asphalt riecht, in die Seele verhaßt; am wohlsten habe ich mich gefühlt, als ich im Blockhause lebte und keine andere Gesellschaft hatte als meine Margerit, meinen Schweißhund und den Homer.

Unsere Parteipolitik, unsere Kunst unser Feuilleton, lieber Mann, es ist wie der Asphalt; es sieht glatt und sauber aus, und besieht man es in der Sonne, dann klebt es und stinkt. Ich danke ergebenst! Ich will das werden, was meine Ahnen waren: ein Bauer und von dem ganzen Stadtkrempel mit seiner Talmikultur keinen Schwanzzipfel mehr sehen. Habe ich mich in Kanada, wo doch das Wort gilt: Trapping for sport very well, for life damned, bequem durchgebracht und noch einen Rucksack voll Dollarnoten dabei übrig gehabt, so werde ich hier auch schon durchkommen. Und ich habe ja Ruloff Ramaker bei mir. Ich weiß, Ihr meint das gut mit mir, aber ich habe mit allem abgeschlossen, was außerhalb meines Ichs liegt.«

Gellendes Hasenquäken weckte ihn am anderen Morgen. Er fuhr im Bette in die Höhe, das er jetzt alleine hatte, da Ramaker bei dem Knechte schlief, und sah Freimut vor sich stehen.

»Auf! Sprach der Fuchs zum Hasen; hörst du nicht den Jäger blasen?« schrie der und warf ihm einen Jagdanzug auf das Bett: »Host Euch damit an, Hochedler, denn Eure Kluft ist mehr interessant als sonntagsgemäß. Wir wollen dem Amtsrichter auf die Bude rücken; ich bin gestern bei ihm vorgefahren und er erwartet uns. Wir duzen uns beide; er war mit mir in Berlin im V. d. St. und mit seiner Frau bin ich so auf Umwegen auch noch verwandt, denn sie ist eine Hasselmann, Schwester von unserem Hasselmann, der jetzt in Deutschsüdwest herumtobt.

Donnerhagel, sitzt Euch das Zeug fein, besser als mir! Hier ist ein Hut, und hier ein Wanderstab, wie es sich für den deutschen Mann gehört. Der Vorsteher schickt ihn; Ihr sollt ihn behalten. Seht, da hat er die Volkmannsche Hausmarke hineingeschnitten.«

Hell leuchtete aus dem dunklen Schlehenstocke die alte Eigenrune der Hilgenbauern heraus, und Volkmann wurde seltsam zumute, als er den Stock in die Hand nahm; ihm war es, als trete er damit das Erbe an.

Sie frühstückten und fuhren los. Die Birkenstämme an der Straße blitzten in der Sonne und wehten mit ihrem grünen Gezweige, die Wiesen waren weiß vom Schaumkraut, die Grabenufer leuchteten von den gelben Kohmolken, überall stelzten die Störche umher, und die Luft war voll von Lerchengesang und Krähengequarre. Das ganze Land sah aus, als wenn es frisch aus der Wäsche gekommen wäre, alle Leute, die ihnen begegneten, hatten blanke Augen, und vor jedem Hause war Hundegekläff und hinter allen Hahnengekrähe.

Der Anwalt schlug Volkmann auf den Schenkel: »Mann, ich glaube, Ihr habt recht; ist das hier schön! Ich wollte verdammt auch lieber hinter dem Pfluge gehen, als Akten durchwurzeln und Verteidigungsreden herausrasseln. Hol's der Deuwel!«

Amtsrichter Ketel Frerksen winkte mit der langen Pfeife, als der Wagen herankam. Er war lang und schlank und man sah ihm den Reserveleutnant an, aber sein Benehmen war das des frohen Burschen, der auf der hohen Schule gewesen war.

»Freut mich von Herzen, Sie kennen zu lernen,« rief er und drückte Volkmann die Hand; »kommen Sie, erst will ich Sie meiner Familie vorstellen.« Er schob seine Gäste in den Garten, wo ein zierliches Frauchen, einen anderthalbjährigen Blondkopf an der linken Hand, mit dem Spargelstecher zwischen den Beeten herumspähte.

»Hier, Lottchen, das ist Herr Volkmann, genannt der Hilgenbur, und das ist mein ältester Sohn, Ubbe Retelsen; wir sind nämlich Friesen. Und da ist das Frühstück: selbstgeschlachtete Radieschen, selbstgesäte Würste und Spargelsalat gibt es auch, und der Handkäse läuft weg, wenn wir ihn nicht schlachten. Aber was hat denn der Junge? Du willst zu dem fremden Onkel auf den Arm? Das ist doch sonst deine Art nicht? Komm, Väterchen will dich nehmen! Nicht? Na, das ist die Höhe?«

Volkmann nahm das Kind hin, das ihm die Backen strich, ihn fest in den Arm nahm und ihm einen Kuß auf das Haar gab. Die hübsche Frau des Amtsrichters schlug die Hände zusammen: »Das hat der noch nie bei einem Fremden getan, noch nicht einmal bei seiner Minna. Bitte, Minna, nehmen Sie das Kind.«

Das Mädchen kam, aber der Junge fing gefährlich an zu brüllen, als er von Volkmann fort sollte, er klammerte sich fest an ihn und jubelte auf, als Lüder der Magd abwinkte, und er jauchzte vor Wonne, als er aus der braunen Hand ein Butterbrötchen bekam.

Das Ehepaar saß ganz verwundert da. Dem Hilgenbauer aber war zumute, als streichelte die kleine weiche Hand, die ihm über die Backen fuhr, jede Erinnerung an die graue Zeit fort.

In der Linde vor der Laube zwitscherte die Schwalbe.

 


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