Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Eichelhäher

Es sitzt ein Vogel im Eichenlaub und gibt ein Potpourri zum besten. Er schwatzt und plaudert, als wäre er ein Pirol oder Würger, und dann schnalzt er wie eine Eichkatze, miaut wie ein Bussard, trompetet wie ein Kranich, ruft wie ein Buntspecht, pfeift wie ein Star und quietscht wie ein Wagenrad. Jetzt kreischt er laut und gellend auf und schwebt dahin wie ein riesengroßer, bunter Schmetterling.

Der Markwart ist es, der Eichelhäher, der Schalksnarr und Irrwisch, Hans Dampf in allen Ecken, Bruder Immerlustig und Meister Wunderlich, der lustige Schwätzer, der fröhliche Spötter, der Hüpfer und Schlüpfer, Schweber und Flatterer, der Prahlhans und der Angstmeier, des Jägers Vergnügen, des Jägers Verdruß, Wildverkünder und Wildvergrämer, der Nestzerstörer und Eichenpflanzer, der alles kann, der alles sieht, alles kennt, der heute pfiffig und morgen dummdreist, eben vorlaut und frech und jetzt wieder heimlich und zage ist, der Vogel, dessen Stimme, dessen Benehmen ebenso voller Gegensätze ist wie sein Gefieder.

Wie fein, weich und zart ist das rötliche Grau seines Rumpfes. Wie herrlich ist der gelbliche, schwarz übertupfte Scheitel dazu gestimmt und das warme Braunrot der Flügeldecken. Wie toll aber stechen dagegen die leuchtend himmelblauen, schwarz und weiß gestriemten Achselklappen ab, die schwarzweißen Schwingen, die weißen Schwanzdeckfedern und der schwarze Schwanz. Eigentlich müßten diese harten Farben zu dem weichen Grundtone des Gefieders nicht passen, aber den Eichelhäher kleiden sie, bei ihm sind sie ebenso zusammengestimmt wie in seinem Gesange die feinen und die groben Laute, wie in seinem Charakter die freundlichen und die häßlichen Züge.

Auf der blumigen Waldwiese sitzt ein halbes Dutzend Häher. Das schwatzt, das klatscht, hüpft und springt, tanzt hin und her, spreizt die Hollen, nickkoppt und dienert, schaut ernst drein, hopst albern in die Höhe, schnappt den fliegenden Käfer, streut die Erde des Maulwurfshaufens herum, stochert im Moose, scharrt im Grase, hämmert an einem Baumstumpfe, wetzt an einem Steine, quiekt, schnalzt, quarrt, schnarrt, ratscht und tratscht, miaut und flötet, daß der Jäger, der hinter der Eiche steht, vor Lachen kaum ruhig bleiben kann.

Ein gellendes Kreischen, das sich sechsmal wiederholt, und dahin stiebt das bunte Gelichter, hier, da und dort aus dem Dickicht weiterkreischend. Erstaunt sieht sich der Jäger um; er kann nichts erspähen. Aber das Kreischen dauert fort, ist bald hier, bald da in der Dickung, läßt nach, um betäubend wieder zu beginnen, hört auf und erneut sich abermals, bis es als wildes Wutgekreische näherkommt. Und aus der Dickung schiebt sich ein spitzes Gesicht mit schwarzen Gehören, eine weiße Brust leuchtet, ein roter Leib schimmert, eine buschige Rute zuckt hin und her, und blank und breit steht auf der Wiese Meister Reineke. Langsam hebt der Jäger die Waffe hoch, ein leises Knicken ertönt, daß der Fuchs jäh den Kopf hochnimmt, aber da knallt es bereits, der Fuchs schlägt um, und wildes Angstgekreische der Häher erfüllt den Wald.

Am anderen Tage pirscht der Jäger einen rauhen Stangenforst ab. Vertraut schwebt ein Häher vor ihm her, quiekt und schwatzt ungestört, stochert hier im Fallaube, stöbert dort im Grase und taucht in der Dickung unter. Der Jäger bleibt in guter Deckung stehen, die Büchse schußfertig unter dem Arme, denn vor ihm schiebt sich ein roter Fleck durch das grüne Laub. Nicht weit vor dem Jäger schwebt ein Häher auf dem Pirschsteig herab, sieht sich scheu um, als täte er unrecht, hackt hastig an dem Rande des Steiges die lehmige Erde los, reißt zerrottete Würzelchen heraus, hackt wieder, sich immer ängstlich umsehend, zupft wieder Wurzeln, mit denen er sein Nest auskleiden will, schiebt sie sorgfältig mit dem Schabel zusammen, daß es ein bequemes Bündel gibt, und will gerade damit abstreichen, als er den Jäger gewahrt. Die Wurzeln fallen lassen, hastig davonflattern und ein gellendes Warngekreische ausstoßen, das ist eins, und wütend sieht ihm der Jäger nach, denn der rote Fleck da hinten im Laube verschwindet mit jäher Bewegung und weist dabei das starke Gehörn.

Aber so ist der Häher; es ist kein Verlaß auf ihn. Heute meldet er dem Jäger den Fuchs, morgen vergrämt er ihm den Bock. Und so ist er in allem. Gewandt und sicher schwenkt er im Schwebefluge durch das enge Stangenholz, und jammervoll unbehilflich flattert er von Feldbusch zu Feldbusch, immer in Todesangst vor Habicht und Sperber. Er ist so schlau, so überschlau, aber wie der weltfremdeste Seidenschwanz steckt er seinen Dickkopf in die Pferdehaarschlinge der Dohne und endet auf elende Art. In gemeiner Weise verhöhnt und piesakt er den unglücklichen Waldkauz, und wehe dem Marder, den er bei Tage antrifft; nicht eher gibt er sich zufrieden, als bis der Schleicher sich in einem Loche verkrochen hat, und die Füchsin, die am Tage auf Raub auszieht, muß ohne Beute wieder in die Dickung, denn unaufhörlich lästernd und kreischend begleiten die Schreihälse sie und warnen alles Getier vor ihr.

In keiner Sache zeigt er festen Sinn. Heute baut er sein Nest in vierfacher Manneshöhe im engen Bestande, das nächst Mal scheint es ihm richtiger zu sein, es fünf Fuß über dem Boden dicht am Fahrwege anzulegen. Steht das Nest heute in der Astgabel dicht am Stamme, so ist es ein anderes Mal in das äußerste Ende eines Zweiges gebaut. Das eine Mal ist es liederlich aus dürrem Laube zusammengestoppelt und oberflächlich mit Wurzeln ausgelegt, dann wieder ist es ein Meisterwerk aus feinen Zweigen und langen Moosranken und auf das sauberste mit den allerweichsten Wurzeln ausgepolstert, und während ein Nest breit, sparrig und flach ist, ist ein anderes mehr als halbkugelig, hübsch rund und mit einer tiefen Mulde versehen. Einmal liegen vier Eier darin, ein anderes Mal neun, und wenn die einen denen einer Elster ähneln, so gleichen die anderen mehr denen von Zwergwasserhühnern.

Und nun erst seine Nahrung. Der Maikäfer ist ihm ebenso lieb, wie die Haselnuß ihm recht ist. Jetzt sucht er vorsichtig einen Zweig nach Schildläusen ab, dann schlingt er ein Dutzend Eicheln herunter, als habe er acht Tage gehungert. Aber da sieht er eine Blindschleiche. Schwupp, hat er sie beim Wickel, und da der dicke Kropf ihn hindert, so würgt er die Eicheln heraus, quält die Schleiche zu Tode, frißt ein Stückchen davon und will gerade fortfliegen, denn es gelüstet ihn nach Brombeeren, da fallen ihm wieder die Eicheln ein. Mitnehmen? Nein, dazu hat er keine Lust. Liegen lassen? Erst recht nicht. So buddelt er denn mit dem Schnabel ein Loch neben dem anderen, steckt in jedes eine Eichel und drückt die Löcher sauber mit dem Schnabel zu. Mitten in der Arbeit wird ihm die Sache aber langweilig, und er läßt die Hälfte der Eicheln liegen.

Acht Tage lang kann er sich von Kerbtieren nähren, plötzlich muß er zu dem Luderplatze, wo der Jäger die Kerne der Füchse und das Gescheide des Wildes hinlegt, und muß von dem stinkenden Aase fressen. Heute sitzt er fromm und bieder zehn Schritte von dem Buchfinkenneste, ohne sich darum zu kümmern, morgen hackt er die Eier entzwei, frißt etwas davon und reißt schließlich das Nest auseinander, um einige Büschel davon zum Bau des eigenen Nestes zu verwenden. Einmal rührt ihn das Piepsen der nackten Nestvögelchen gar nicht, obgleich es unmittelbar unter ihm ertönt, wogegen er ein anderes Mal so lange durch das Geäst schlüpft, bis er ein Nest findet. Dann setzt er sich dabei, besieht sich die Jungen, holt eins heraus, dreht es mit den Klauen auf dem Aste hin und her, hackt es tot, frißt es an, läßt es fallen, holt sich ein zweites, macht es geradeso damit, und dann auf einmal bekommt er Lust auf Wicklerraupen, dreht Blatt für Blatt um und sucht eine Stunde lang das winzige Gewürm, bis ihm auch das langweilig wird und er im Altlaube nach Käfern herumkratzt, um einige Augenblicke später wieder einem Schmetterlinge nachzujagen.

Er macht alles geradeso, wie es ihm in den Kopf kommt. Er ist kein Zugvogel, aber wenn es ihm paßt, dann verschwindet er auf Wochen aus seinem Walde. Er ist kein Standvogel, aber er kann bis in den Spätherbst am Platze bleiben, um dann, obgleich es anderswo auch nicht mehr zu fressen gibt als hier, plötzlich die Reisesucht bekommen. Nadelwald und Laubwald, ihm ist alles gleich. Am Rande des Moores gefällt es ihm ebensogut wie hoch oben im Gebirge, und ob er im Feldbusche wohnt oder in dem geschlossenen Forste, ob im jungen Holze oder im alten Bestande, das macht ihm wenig aus. In der dürren Kiefernheide geht es ihm ebensogut wie im üppigen Auwalde, denn er kann alles gebrauchen, Kerbtiere wie Waldbeeren, Baumfrüchte und Schnecken, Obst und Getreide, und findet er hier das eine nicht, so trifft er das andere an, und so kann er nie umkommen.

Darum vermehrt er sich auch überall, denn Habicht und Wanderfalke, seine schlimmsten Feinde, sind sparsam geworden und werden immer seltener, und Marder und Kauz erwischen nur selten einen alten Häher und die Jungen auch nicht allzuoft. Und so trifft man ihn überall an, den bunten Schalksnarren, wo es Wald und Busch gibt, und freut sich über ihn, denn wenn er es auch ab und zu arg macht mit dem Plündern von Nestern und oft in den Saatkämpen der Förster allerlei Unfug anrichtet und erheblichen Schaden stiftet, er pflanzt doch manche Buche, manche Eiche, er verbreitet Haselnuß, Eberesche und Brombeere, er vertilgt allerlei Ungeziefer und erschwert dem Fuchse das Rauben, und schließlich: er ist so schön und drollig und bringt so viel Leben in den stillen Wald, daß wir ihn dort nicht missen möchten.

 


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