Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Am Ufer

Aeschna viridis Eversm.

Es ist Abend geworden; rot und rund geht die Sonne über dem Walde unter, und der Spiegel des Sees färbt sich mit goldenen Lichtern. Das Gezwitscher der flüggen Vogelbrut hat aufgehört, beendet haben die weißen Falter ihren Tanz über der Uferlichtung, verschwunden sind die flinken Eidechsen, die an der Grabenkante hin und her raschelten.

Lauter wird es im Röhricht; da werfen sich die Fische, da schlüpft die Rohrdommel von Halm zu Halm, da wagen sich die Enten auf die blitzenden Blänken und grüßen mit breiten Lauten den Abendstern, unter dem behäbig ein Reiher dahinrudert.

Hier und da tickt noch ein Rotkehlchen im Unterholze, die Krähen rudern hart quarrend zu ihren Ruheplätzen, der Bussard schwingt sich in seinem Schlafbaume ein, mit gellendem Gezeter stürzt sich die Amsel in ihren Dornbusch.

Die Tiere des Abends erwachen. Lautlos schwebt eine Nachtschwalbe über die Flut hin, wo schon längst im Zickzackfluge die Fledermäuse jagen. Bleiche Motten erheben sich aus dem Schilfe, und haltlos taumelt ein heller Spanner an dem Brombeerbusche vorüber.

Es ist sein erster Flug; am Nachmittage ist er aus der Puppe geschlüpft und versucht jetzt die lichten, zart gebänderten Schwingen auf der Suche nach einem Weibchen. Er soll die Liebe nicht kennenlernen; sein erster Flug ist seine letzte Fahrt. Er schwebt über die goldenen Weiderichsblüten hin, flattert an der leuchtenden Rispe der Spierstaude vorbei, aber dann wird er mitten aus seinem tändelnden Fluge gerissen.

Die Abendlibelle war es, die grüne Edeljungfer. Den Tag hat sie in der Krone der Espe geruht, die Sonne fliehend, die aller ihrer Schwestern Wonne ist. Sie aber will keine Sonne, sie meidet das grelle Tageslicht. Wenn die anderen Libellen ihr Flugvermögen verloren, weil der Tag vor dem Abend wich, wenn sie an den Halmen und Blättern wie tot schlafen, dann verläßt die Abendlibelle ihr Versteck.

Die Farben der Dämmerung hat sie sich erkoren, bräunlich ist das Adernetz ihrer Flügel, grün und braun und blau ihr Leib. In stetigem, lautlosem Eulenfluge streicht sie unter den Bäumen hin und her, sich erhebend, wenn ihre großen gelben Augen eine Motte erspähen, hinabstoßend, wenn sie einen lichten Falter über das Gekraut hintaumeln sieht, im tiefen Schatten der Bäume jetzt verschwindend und dann wieder über der leuchtenden Flut auftauchend, unbekümmert um die kleinen Fledermäuse, die dort auf und ab huschen.

Die lichten, zart gebänderten Schwingen des Spanners fielen, sich langsam drehend, einzeln zu Boden. Eine graue Schilfeule weicht auf ihrem hastigen Zickzackfluge dem letzten Flügel aus, der in ihre Flugbahn hinabwirbelte. Aber so unstet und regellos auch ihr Flug ist, die grüne Edellibelle betrügt sie nicht. Jäh stürzt sie herunter, rüttelt einen Augenblick, stößt zu und verschwindet mit ihr im Schatten; und eine nach der anderen von den silbergrauen Schwingen wirbelt in das taufeuchte Moos hinab.

Auf und ab durchstreift die Abendlibelle ihr Jagdgebiet. Ihren gelben Mörderaugen entgeht nichts, was über den Halmen schwebt und um die Zweige flattert. Mag die graue Motte sich auch noch so dicht am Boden halten, mag die Eintagsfliege sich auch noch so hoch in die Luft erheben, das grüne Gespenst erspäht sie doch, saust bis zur Erde, steigt hoch empor und entweicht, ehe die Nachtschwalbe wieder da ist, in die Dunkelheit hinein, um sofort wieder über dem hellen Strande zu sein, wenn sich dort eine Beute zeigt.

Schon ruft hohl die Eule im Walde, schon klingeln die Enten über die Kronen, im Fallaube schrillen die Spitzmäuse, und klatschend werfen sich die Fische vor dem Röhricht, und immer noch jagt die Abendlibelle lautlos unter den Espen hin und her, ab und zu, wenn sie eilig werden muß, um eine Motte zu greifen, ganz leise mit den Schwingen knisternd, oder lauter raschelnd, wenn es heißt, einen Nebenbuhler in die Flucht zu treiben. Denn kein zweites Stück duldet sie in ihrem Gebiete; einsam will sie jagen, sich nicht mit einer ihresgleichen in das Getier teilen, was hier fliegt und flattert.

Nur wenn die Liebe sie plagt, sucht sie nach Gesellschaft. Im Bogenfluge untersucht sie die Kronen der Espen, bis ihre gelben Augen den blauen Leib eines Weibchen erspähen und sie es vor sich hertreibt im wildem Minnefluge, an den Weidenbüschen entlang, über das Röhricht hin, vor den Kronen der Espen her, auf die freie Flut hinaus und zurück in den tiefen Waldschatten, bis sie es faßt und mit ihm in die Zweige hineinraschelt, den süßen Lohn sich zu holen und in inniger Verknüpfung mit ihm die Nacht zu verbringen.

Steigt dann die Sonne herauf, wird es still im Röhricht und laut in dem Gebüsch, beginnt am Ufer entlang das Geflirr und Geflatter der Tageslibellen, verbirgt sie sich im schattigen Blätterverstecke und verschläft den Tag, bis die Sonne sich wieder hinter den Bäumen zur Ruhe begibt. Dann erst, wenn alle anderen Libellen die Kraft zum Fliegen verlieren, kommt ihre Zeit, dann erst beginnt ihren Raubflug die Abendlibelle.

 


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