Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Feldmark

Der Feldhase

Halb von Norden, halb von Westen fegt der Sturm über das Land. Die ganze lange Nacht ist er im Gange und hat den Schnee über das Gefilde gewirbelt.

Gestern sah man noch braune Brachen, grüne Saaten, gelbe Raine, schwarze Bäume, dunkle Wälder; heute ist alles weit und breit weiß.

Dreimal versuchte die Sonne hervorzukommen, aber sie gab es schließlich auf und verschwindet im Schneegewirbel. Aber was sie nicht zuwege brachte, bringt der Mond fertig. Jäh bricht er durch die Wolken, und da klappt der Sturm zusammen und verschwindet irgendwo. Die Luft steht still; noch einzelne Flocken, aber dann hat der Schneefall aufgehört, und aus einem Kranze weißer Wolken lacht der Mond in die weiße Stille hinein.

Allerlei Leben, das die Nacht liebt, beginnt sich zu rühren. Im Walde heult der Kauz, Enten klingeln nach dem Flusse hin, der Rebhahn lockt. Aus dem Weidengehege tritt ein schwarzer Schatten hervor, reckt einen langen Hals, bewegt lange Lauscher und tritt in das Feld. Ihm folgen noch vier schwarze Schatten. Ein Sprung Rehe ist es, der jetzt langsam durch den tiefen Schnee über das Feld zieht. Unter der Brücke schlüpft etwas Weißes hervor, fährt hin und her, wird kurz, wird lang, macht einen Satz, es quietscht, und schon ist das Hermelin mit der Maus unter dem Brombeerbusche verschwunden.

In der Strohdieme vor dem Dorfe raschelt es; der Fuchs schnuppert dort hinter den Mäusen her. Jetzt macht er ein Männchen, und nun verschwindet er schleunigst, denn vom Dorfe nahen Schritte. Langsam nähern sich zwei menschliche Beine. Von dem Manne selber ist nichts zu sehen, denn er hat über den Mantel ein reines Hemd gezogen und eine Frauennachtmütze über den Kopf gebunden. Vor der Dieme liegt ein großer Stein. Von dem fegt der Mann den Schnee fort, legt einen zusammengefalteten Sack darauf und setzt sich dann so hin, daß er das Stück Futterkohl im Auge hat. Er schraubt von seinem Stocke die Zwinge ab, schraubt an das andere Ende einen Kolben, es knackt leise, und dann legt der Mann die geladene, gespannte Wilddiebsflinte über sein Knie, raucht langsam und läßt seine Augen rund umher gehen.

Eine ganze Weile hockt er so da, dann nimmt er langsam das Schießeisen zur Hand. Dort oben am Hügel taucht ein schwarzer Fleck auf, der bald lang, bald kurz ist, dann regungslos verharrt und jetzt näher kommt. Ein Hase ist es; riesig sieht er auf der weißen Fläche aus. Bis auf fünfzig Schritte rückt er heran, macht dann ein Männchen, wittert und äugt, und dann hoppelt er langsam auf den Kohl los. Dicht davor richtet er sich noch einmal auf und sichert, denn so leise auch der Wilddieb die Waffe an den Kopf zog, der Hase vernahm es doch. Aber ehe daß er wenden kann, knallt es, und der Hase fällt um, macht noch einen Sprung, schlägt noch einige Male mit den Läufen und verendet.

Der Wilddieb steht auf, holt den Hasen, setzt sich wieder und legt sich die Beute über die Füße. Nun kann er es noch besser aushalten, denn der Hase ist warm. Tief im Felde flitzt wieder ein Hase hin, hinter ihm hoppelt langsam ein anderer, aber sie nehmen nicht den Wechsel nach dem Kohlstück. Ein vierter Hase kommt dem Wilderer so plötzlich von halblinks, daß er eine hastige Bewegung macht, und ehe er die Flinte an der Backe hat, ist der Hase schon weit weg. Endlich rückt wieder einer näher, aber so hastig, daß der Mann zu eilig schießen muß; der Hase überschlägt sich, rappelt sich auf und verschwindet, ehe der Mann ihn einholen kann. Brummig geht der Wilderer ab. Es schlägt zehn Uhr. Die letzten Stimmen im Dorfe verklingen, die Fenster werden dunkel. In den Höfen streicht die Schleiereule umher und jagt auf Ratten. In allen Gärten flitzt es hin und wieder; vom Walde und aus dem Felde kommen die Hasen angerückt und äsen sich an dem steif gefrorenen Kohl und benagen die Rinde der Obstbäume. Wo ein Loch im Zaune ist, wo eine Hecke undicht ist, da schlüpfen sie durch; schlägt ein Hund an, klappt eine Tür, da stieben sie davon, aber in einer Stunde sind sie wieder da, denn im Felde liegt der Schnee zwei Fuß hoch über der Saat, und im Walde ist auch weiter nichts zu finden als dürre Grasblätter und hartgefrorenes Gestrüpp. So müssen sie zum Kohl. Aber gefrorener Kohl taugt für den Hasen nichts, mehr als einer bekommt die Ruhr. Wenn es dem Hasen schlecht geht, so hat es der Fuchs gut. Der eine, den der Wilddieb bei der Dieme verjagte, schnürte eine Stunde später wieder nach dem Dorfe zu und steckte seine Nase in jede Rehfährte und jede Hasenspur, und plötzlich wird er eiliger, denn die Spur, die er jetzt antrifft, und die vom Dorfe nach dem Weidengehege steht, weist frischen Schweiß auf. Flüchtig trabt der Fuchs unter dem Winde neben der kranken Spur her, aber je näher er an die Weiden kommt, um so langsamer wird er, und jetzt, da er dicht daran ist, beginnt er zu schleichen und macht Halt. Sorgsam prüft er die Luft, und dann schiebt er sich in das Dickicht hinein. Immer näher gelangt er an die warme Hasenwitterung. Aber so leise er auch ist, der Hase vernimmt ihn doch, mit einem Satze, so gut er es noch vermag, fährt er aus dem Lager und saust über das Feld. Der Fuchs jagt ihm nach; er hat nur eben in das Wundbett hineingerochen und weiß, daß der Hase viel zu krank ist, um weit zu kommen. So jagt er ihn parforce mit hellem Halse; dreimal gelingt es dem Hasen, einen Haken zu schlagen und den Fuchs bei sich vorbeilaufen zu lassen, beim vierten Male faßt ihn der Räuber am Rücken und jämmerlich hallt über das stille Feld die schneidende Todesklage.

Um Mitternacht fahren die Hasen, die an dem Futterkohl sitzen, wie wild davon; hinter der Dieme her zog ihnen die scharfe Witterung eines Fuchses in die Nasen. Es ist ein alter Rüde mit grau gestreiftem Balge. Die halbe Lunte fehlt ihm; er ließ sie in einem Schwanenhalse, und er lahmt, denn einen Hinterlauf verlor er bei einer Treibjagd. Aber dünner wurde er davon nicht. Er ist im Felde herumgestrichen und hat gemaust, und erst jetzt, da es im Dorfe totenstill ist, wagt er sich heran. So manches Huhn holte er hier fort, und mehr als eine Katze riß er hier. Unter dem Winde schleicht er an den Zäunen entlang. Jetzt verhofft er, denn er hört es heftig scharren und strampeln, und jetzt quäkt es einmal auf. Langsam, sich möglichst im Schatten haltend, pürscht sich der Fuchs heran. Dort, wo die Lücke im Zaun ist, zuckt etwas Schwarzes hin und her. Immer näher drückt sich der Fuchs, und jetzt faßt er zu, reißt es einige Male heftig, daß der Schnee von der Hecke stiebt, und dann flüchtet er, den Hasen am Genick neben sich herschleifend, in das Feld hinein. Wenn der Wilddieb morgen früh seine Hasenschlingen nachsieht, wird er finden, daß er zu spät aufgestanden ist.

Die Füchse haben es gut jetzt. Ein dritter, der in der Fichtendickung gesteckt hatte, bummelt gegen Morgen durch das Feld und eräugt einen Hasen, der langsam über den Schnee hoppelt. Der Fuchs sinkt in den Schnee hinein. Viel Vertrauen hat er nicht, denn er weiß, ein gesunder Hase läßt alle Füchse der Welt hinter sich, aber dieser da, so scheint es ihm, ist sonderbar in seinen Bewegungen, macht so viele Pausen, scheint zu schwanken, und jetzt ist er gefallen, rafft sich aber auf und hoppelt weiter. Jetzt ist er nicht mehr weit. Er ist krank. Der Balg ist kraus, die Weichen sind tief, der Rücken ist schmal, die Keulen stehen weit ab, und die Löffel liegen an. Der Fuchs läßt ihn vorbei und schleicht dann hinterher, jedesmal sich duckend, wenn der Hase haltmacht, und weiterschleichend, wenn er forthoppelt. Jetzt schlägt der Hase einen Haken und noch einen, macht einen Widergang, schlägt noch einen Haken, und nun scharrt er sich ein Lager. Da ist der Fuchs auch über ihm, und wieder klingt die Todesklage über das stille Feld.

Langsam hellt es sich auf. Donnernd und polternd rollt der Frühling heran und heult in den Morgen hinein.Er bringt dem Dorfe Besuch. Dreißig Jäger und zehn Hunde steigen heraus und gehen zur Wirtschaft. Dort warten schon die dreißig Treiber. Schnell wird gefrühstückt, und dann geht es hinaus. Nach zwei Seiten gehen die Jäger hin, und zwischen je zwei Jägern geht ein Treiber. Ein großer Halbkreis von Menschen, dessen Enden sich immer mehr nähern, bewegt sich über das Feld. Hier und da fährt ein Hase aus dem Lager, aber kein Schuß fällt. Die beiden Enden des Halbkreises haben sich genähert; der Kessel ist geschlossen. Ein Horn ertönt, und Jäger und Treiber rücken auf den Mittelpunkt des Kessels zu; laut erschallt das trockene Geräusch der Klappern in der klaren Winterluft. Ein gelblicher Fleck taucht in dem Kessel auf und stiebt davon, hier wieder einer und da noch einer. Ein Schuß fällt, ein zweiter, dritter, vierter, hüben und drüben knallt es. Immer mehr gelbe Flecken tauchen auf dem in der Sonne funkelnden Schnee auf, fahren hin und her, machen einen Sprung und fallen um oder rollen plötzlich vorn herüber, sich dreimal überschlagend, oder springen wieder auf und schleppen sich mühsam hin. Immer schneller fallen die Schüsse, immer enger wird der Kessel, immer mehr Hasen tauchen auf. Da erklingt das Horn wieder. Die Schützen bleiben stehen und drehen sich um, und die Treiber rücken allein vor und jagen die Hasen aus dem Kessel. Es knallt und knallt und knallt. Und wieder klingt das Horn. Der Kessel ist leer. Dreiundsechzig Hasen schleppen die Treiber herbei und strecken sie vor dem Jagdpächter. Über achtzig Hasen waren im Kessel; an zwanzig haben ihre Bälge gerettet.

Die Jäger verschwinden hinter dem Hügel. Es sollen noch zwei Kessel- und ein Vorlegetreiben gemacht werden. Ein Leiterwagen knattert heran, nimmt die Strecke auf und knarrt hinter den Jägern her. Der reine weiße Schnee ist zertreten und zerwühlt, ist von Hasenspuren und Schroten zernarbt, mit Schweiß befleckt und mit dem bunten Patronenhülsen gemustert. Der Wagen verschwindet; da klingt rauhes Krächzen heran. Eine Nebelkrähe streicht über das Feld und hält Nachsuche. Tief unten im Felde, wo der halbverschneite Schlehbusch neben dem Graben steht, quarrt die Krähe laut auf und stößt nieder. Aus einer Schneewolke herausfahrend stiebt ein Hase über den Schnee. Über ihm schwebt, gellend krächzend, die Krähe. Eine zweite fliegt herbei, eine dritte und vierte, und jetzt teilen sie sich in die Arbeit. Drei streichen eilig voraus, über den Hasen hinweg, aber die vierte sticht hernieder und trifft mit dem spitzen Schnabel den Kopf des Hasen, der sich mit aller Kraft, denn sein linker Hinterlauf ist abgeschossen, nach dem Holze hin zu retten sucht. Aber bis dahin ist es noch weit. Wieder stößt eine Krähe nieder und trifft ihn mit dem Schnabel, und die anderen fliegen voraus und warten, bis der Hase unter ihnen ist, und dann fährt wieder eine nieder und versetzt ihm einen Stoß, und so geht es weiter, bis er erst einmal, dann noch einmal strauchelt und schließlich sitzen bleibt. Er ist blind; seine beiden Lichter sind von den vielen Schnabelstößen zugequollen. Noch einmal rafft er sich auf und hoppelt mühselig weiter und fällt bei der nächsten Schneewehe hin. Aber noch einmal und abermals versucht er zu flüchten, aber dann ist es aus mit ihm; er bleibt liegen und verschwindet unter dem Geflatter der schwarzen Fittiche, und gellend klingt sein Todesquäken in den Wald. Mit Gezänk und Geschimpf pfücken die Krähen an ihm herum, eine der anderen keinen Bissen gönnend. Und so geht es noch drei Hasen, die anscheinend gesund aus dem Kessel kamen, und einen, der eben verendet ist, findet der Bussard vor dem Holze liegend und kröpft sich daran voll bis zum Platzen, und zwei finden des Nachts die Füchse, und einen, der mit zerschossenen Keulen sich unter die Brücke steckte, reißt der Iltis, und einen anderen, der in das Holz entkam mit zerfetzten Weichen, den beschleicht der Baummarder, und einen anderen greift am anderen Morgen ein Hund, der seinen Herrn in das Feld begleitet. Über zweihundertsiebzig nehmen die Jäger mit nach der Stadt.

Es ist recht still geworden in der Jagd. Nicht halb so viele Hasenspuren führen mehr zu den Kohlgärten des Dorfes, und der Ortswilddieb muß oft vergeblich kuren, bis er einen Hasen umlegt, und seine Schlingen in den Hecken sind oft leer. Aber wenn es kein allzuschlechtes Frühjahr wird, dann wird es im nächsten Herbste doch wieder genug Hasen geben, obschon der Jagdpächter noch einige Male wiederkam und sich einen Küchenhasen auf der Suche vor dem Hunde schoß. Denn seit dem großen Schneesturm blieb das Wetter gut, und jetzt, wo der Januar zu Ende geht, sind die Hasen eifrig dabei, dafür zu sorgen, daß ihr Geschlecht erhalten bleibt. Die Morgensonne scheint so schön warm in den Wald. Alle Meisen pfeifen, der Dompfaff lockt, der Häher quarrt, die Krähen stechen sich, Eichkätzchen klettern von Ast zu Ast, über den Schnee springen die Waldmäuse, und die Rehe ziehen im rauhen Holze umher und plätzen nach Mast. Die alte Ricke hebt den Kopf und äugt nach dem Stangenorte, denn dort bricht und raschelt es, und ihre beiden Kitze machen es ihr nach. Ein Hase taucht auf, hoppelt hochläufig auf die Lichtung, sichert, hoppelt weiter, scharrt den Schnee fort, mummelt halbverwelktes Gras und läßt sich von der Sonne bescheinen. Jetzt richtet er sich hoch auf und äugt nach den Rehen hin, und dann äst er sich weiter. Noch einmal macht er einen Kegel und äugt nach dem Stangenorte zurück. Da taucht noch ein Hase auf, der, die Nase am Boden, eilig auf der Spur des ersten Hasen angerückt kommt. Es ist dies ein Rammler, der die Häsin schon seit zwei Stunden treibt. Die Häsin hoppelt weiter, zwischen der Ricke und den Kitzen hindurch und in das Altholz hinein. Der Rammler bleibt auf ihrer Spur; eilig hoppelt er hinter ihr her, immer die Nase über dem Boden, und in seinem Liebeskoller gewahrt er die Rehe erst, als er dicht vor der Ricke anlangt und diese ärgerlich aufstampft. Aber umbekümmert hoppelt er weiter. Im Stangenorte erscheint ein dritter Hase und hält die Spur des zweiten. Jetzt hat der erste Rammler die Häsin vor sich. Eilig rückt er ihr nahe, aber sie weicht im Bogen aus und stößt auf den zweiten Rammler, der ihr so heftig zu Leibe geht, daß ihr die Wolle von den Keulen fliegt. Schon ist aber der erste Rammler bei ihm und backpfeift ihn, daß Haar fliegt. Eine ganze Weile geht der sonderbare Zweikampf vor sich, dem die Rehe mit langen Hälsen zuäugen, und dann besinnen sich die beiden Kämpen, daß sie nicht ausgezogen, um sich Schmarren zu holen, sondern aus einem viel angenehmeren Grunde, und beide hasten hin und her, bis sie die Spur der Häsin wieder in der Nase haben, und zehn Schritte hintereinander suchen sie darauf entlang, über den Kahlschlag, durch die Dickung, zurück zum Altholze, in die Buchenjugend hinein, wieder heraus und in das Feld. Dort machen sie beide Kegel, denn im Felde treibt ein dritter Rammler ihre Häsin. Fünf Minuten später ist ein Tanzquartett im Gange. Vorn flüchtet die Häsin, hinter ihr drein die drei Rammler. Bald hat sie dieser am Wickel, bald kriegt sie der zu fassen, und wenn sich die zwei verwackeln, dann muß sie sich des dritten erwehren. Es hilft ihr nichts, daß sie sich in das Holz flüchtet. Sie wird die drei nicht los, und es ist schon längst Mittag, als der Spitz des Bauern, der sich sein Holz besah, sie auseinanderjagt und die arme Häsin mit halb kahlgekratzten Keulen sich ein Lager suchen kann.

Vier Wochen später macht sich die Satzhäsin viel bei der großen, vergessenen, mit Fallaub halb zugedeckten Reisigwelle zu schaffen, die von der einen Seite durch den Abzugsgraben, von der anderen durch einen mächtigen Weißdornbusch gut gesichert ist. Ein Zaunkönig, der dort zu schlafen pflegt, schlägt jedesmal großen Lärm, wenn die alte Häsin dort herumstrebt, aber schließlich gewöhnt er sich daran. Aber als er plötzlich bei der Spinnenjagd vier kleine wollige Tier herumkrabbeln sieht, da lärmt er wieder ganz gewaltig, so sehr, daß die Krähe, die oben in der Kiefer sitzt, einen langen Hals macht und von Ast zu Ast hüpft, bis sie über dem Dornbusche steht. Sie dreht den Kopf nach rechts, sie dreht ihn nach links, sie renkt sich bald den Hals aus, aber sie sieht da unten wirklich keine Maus, und sie weiß, wenn der Zaunkönig zetert, dann ist das irgend etwas nicht in Ordnung. Mit einem Male sieht sie, daß sich da ein braunes, schmales Blatt so absonderlich bewegt, und schärfer späht sie hinab. Und dann bemerkt sie einen pechschwarzen, glänzenden Punkt, und sie erkennt ein Junghäschen. Im nächsten Augenblick ist sie dabei und hackt darauf los. Jämmerlich quietscht der Kleine, so schrill, daß seine Mutter, die ein halbes Hundert Schritte weiter an einem Aste nagt, wie ein Ungewitter herangepoltert kommt, so daß die Krähe gar nicht so schnell ausweichen kann. Hageldicht fallen die Hiebe der erbosten Häsin auf die auf dem Rücken liegende Krähe, bis es dieser endlich gelingt, arg zerschunden und mit bös zerknickten Fittichfedern, loszukommen.

Der alte Hase hat viele Feinde, der junge noch einmal so viele. Da sind Fuchs und Marder und Dachs und Iltis und Wiesel, sind Habicht und Sperber und Waldkauz und Bussard und Storch und Krähe und Elster, da sind stromernde Köter und strolchende Katzen, und an die frisch gesetzten Junghasen wagt sich sogar der Igel und der Maulwurf heran, und selbst die große schwarze Wegschnecke ist imstande, die hilflosen Tierchen zu Tode zu nagen. Das allerschlimmste ist aber das Wetter; ein kalter Februartag oder Schlackschnee vernichtet Hunderte von ihnen im Felde. Die vier Junghasen im Walde sitzen aber warm und trocken. Von dem Abzugsgraben bis zum Felde steht Dornbusch an Dornbusch, dazwischen verschränken Fichten und Stechpamlen ihr Gezweige, und dazwischen stehen so viele trockene Halme und Stengel und liegt so viel Dürrholz, daß selbst Reinecke, der Schleicher, dort so gut wie nichts ausrichten kann. So wachsen die vier denn munter heran, und wie der März da ist, wagen sie sich schon allein an die Feldkante, die so warm unter der Sonne liegt, und äsen sich an der jungen Saat. Aber wenn der Schatten eines Vogels über das Feld fliegt, legen sie die Löffel an und huschen in die Dornen. Aber auch auf dem Erdboden gibt es Feinde. Die vier Junghasen spielen in der Morgensonne, kriechen in der grünen Saat. Da taucht ein langes, dünnes, braun und weiß gestreiftes geschecktes Ding an dem Graben auf, wird steif wie ein Stück Holz, krümmt sich wie eine Schlange, drückt sich in die Ackerfurche, rennt darin entlang, guckt ab und zu daraus hervor, und jetzt, wo es in gleicher Höhe mit den Häschen ist, schlüpft es in die Saat. Gerade will das erste Häschen an ihm vorbei, da schnellt es empor und hängt ihm an der Kehle. Das Häschen strampelt und strampelt und quietscht jammervoll, aber die Geschwister sitzen schon längst im Dornengebüsch, die Mutter feiert zum zweiten Male dort hinten im Felde Hochzeit. Aber eine andere Häsin, die im Walde im Lager saß, hört das Quäken, stürmt herbei und trommelt auf das Hermelin los. Es ist aber schon zu spät: dem Häschen ist die Schlagader aufgerissen, und es verendet zuckend. Die Häsin hoppelt davon, und gleich darauf ist das Hermelin wieder da, sichert eine Weile aus dem Steinhaufen heraus und zerrt und zieht dann seine Beute in seine Höhle hinein.

Lauter und lustiger wird es im Walde. Allerlei Gras sprießt, helle Blüten erscheinen im braunen Laube. Die drei Junghäschen sind schon ganz stattliche Burschen geworden, die sich gut in acht zu nehmen wissen und sich tief in das Feld hinein trauen, aber nur dorthin, wo ein Dornbusch steht. Fällt der Schatten einer Krähe auf den Boden, dann sinken die drei in sich zusammen, legen die Löffel an und sehen wie alte Maulwurfshaufen oder graue Steine aus. Es ist jetzt zu herrlich auf der Welt. Überall wachsen bessere Kräuter, der Klee treibt schon, an allen Büschen quellen leckere Knospen, und die Saat wird von Tag zu Tag höher und dichter. Einerseits ist das gut, andererseits nicht, denn der Fuchs hat nun auch mehr Deckung, und den Hund gewahrt man manchmal reichlich spät. Das war vorgestern, da griff der Fuchs, als die Sonne hinter dem Dorfe fortging, das eine Häschen und trug es zum Bau, und wäre die Entwässerungsröhre nicht so dicht dabei gewesen, da faßte gestern der Hund des Bauern das andere; so aber fuhr es noch in das Rohr und saß dort eine volle Stunde lang im Dunkeln und machte dann, daß es in das Holz kam. Da drückt es sich unter einen Busch und verschläft die Nacht. Am anderen Morgen aber hat es alle Angst vergessen und nur etwas Vorsicht mehr gehalten, und darum meidet es das Feld und hoppelt nach der großen Blöße, wo so viele gute Kräuter wachsen, und wo es auch sein letztes Geschwister wieder trifft. Es sieht es zum letzten Male. In die Eiche geduckt, sitzt an der Kante der Wiese ein großer Vogel mit gelben Augen und quergestreifter Brust. Blitzschnell und lautlos streicht der an der Dickung entlang, reckt über dem fröhlich mummelnden Häschen die gelben Griffe aus, schlägt es und entführt das zappelnde in den Wald hinein. Ihrer viere waren es; eins blieb nur übrig. Aber allein bleibt es nicht; überall trifft es Gespielen an und vergnügt sich mit ihnen in der Dämmerung auf dem Klee oder in der Wiese. Denn es ist sehr vorsichtig geworden und traut dem Tage nicht mehr, seitdem es ein Hund eine ganze Zeit hin und her hetzte, ehe es ihm gelang, die Dornenhecke zu gewinnen. Es wartet, bis es ganz dämmerig wird, und dann sichert es so lange an der Holzkante, bis der erste Althase in das Feld rückt, und dann huscht es auch in das Feld hinein. Da es ein Rammler ist, sieht es den alten Rammlern alle ihre Gewohnheiten ab. Es mummelt nie, ohne scharf Obacht zu geben, ob nicht irgendwo ein verdächtiger Laut ertönt, und bricht nur ein dürrer Halm, dann macht es einen Kegel und horcht, das Kleeblatt zwischen den Zähnen haltend, so lange steif und starr, bis es sich davon überzeugt hat, daß nur eine Maus oder ein Frosch das Geräusch hervorbrachte. Es hat auch allmählich gelernt, Hund und Fuchs nur dann zu fürchten, wenn es nötig ist. Ist der Graben in der Nähe oder das Dornengestrüpp, dann läßt es den Hund oder Fuchs auf fünfzig Schritte herankommen, und erst dann bringt es sich in Sicherheit. Und wenn es sich sein Lager scharrt, so sucht es immer einen Platz, um den recht viel Dornen oder dürre Stengel stehen, die entweder keinen Feind heranlassen oder mit Kneck und Knack vor ihm warnen, naht er sich. Außerdem hat es die Erfahrung gemacht, daß vier Löffel mehr vernehmen als zwei, und sechs dreimal so viel, und daß dort, wo ein alter Rammler ist, viel besser Äsung und mehr Sicherheit ist als dort, wo man keinen Hasen gewahr wird, und wenn die alten Rammler auch große Kerle sind, wenn sie gerade ihren schlechten Tag haben, es ist Verlaß auf sie, und man darf, ist einer davon in der Nähe, sich noch einmal so gemütlich am jungen Klee äsen.

Von diesen alten Herren kann man unglaublich viel lernen, wogegen die Setzhasen ziemlich dämlich sind. Denn sie sichern nicht erst lange im Holze, ehe sie ausrücken, und äsen sich dann gleich dicht an dem Holze; die alten Rammler aber nehmen sich Zeit und rücken erst an die Holzkante, wenn Himmel und Erde dicht beieinander sind, und dann sichern sie noch eine ganze Weile, ehe sie den Holzgraben nehmen. Haben sie das getan, dann sichern sie wieder eine geraume Zeit, und dann fangen sie nicht an, sich zu äsen, sondern rücken tief in das Feld oder mitten in die Wiese hinein, wo sie weiten Ausblick haben. Es fällt ihnen auch gar nicht ein, gleich fortzulaufen, wenn in der Ferne ein Hund bellt oder ein Mensch ankommt, sondern sie warten erst, ob es sich lohnt. Sind die Menschen auf einem Wagen, oder reden sie laut, oder tragen sie etwas auf dem Rücken, dann kann der Hase getrost sitzen bleiben, und ist der Hund über dem Winde, dann hat es gar keine Wert, Fersengeld zu geben, sondern dann tut man besser, man drückt sich, damit er einen nicht äugt. Jagt er einen aber, dann hat das blinde Drauflosrennen erst recht keinen Zweck, sondern es ist viel vernünftiger, man schlägt so lange Haken, bis der Hund ganz dumm im Kopfe wird und die Jagd aufgibt, oder man springt so lange über den Graben, bis er die Spur verloren hat. Es gibt mehrere Hunde im Dorfe, die gar nicht mehr auf Hasen jagen, weil sie von den alten Rammlern zu oft an der Nase herumgeführt sind.

Das alles kann man von den alten Rammlern lernen, aber noch viel mehr. Da hinten vor dem Walde liegt ein Sandberg. Wenn man noch so naß vom Tau geworden ist und rennt dort ein dutzendmal in dem weichen weißen Sande hin und her, dann spürt man die Nässe gar nicht mehr, denn der feine Sand saugt sie auf; scheint nachher die Sonne tüchtig, dann braucht man sich nur etwas zu putzen und ist sauber und trocken. Außerdem wissen die Rammler alle die stillen Stellen im Walde und die Ecken im Felde, wo etwas Gutes wächst. Sie rücken nachts bis in das Dorf hinein, wenn es ihnen gerade einfällt und der Wind gut steht, und äsen sich an den jungen Kohlpflanzen. Sie wissen genau, wo ein Loch in der Hecke ist, und wo in dem Zaune eine Latte fehlt, und sie kennen jeden Dornbusch im Felde und jedes Drainrohr. Wo recht viele Dornbüsche und trockene Stauden im Holze stehen, da treiben sie sich am hellichten Tage umher und äsen sich, und es fällt ihnen gar nicht ein, sich ihre Lager immer im dumpfen Walde zu scharren, sondern mit Vorliebe roden sie sich auf den Sandhügeln vor dem Walde ein, trotzdem daß ein Weg darunter hinführt, denn der Sand trägt den Schall so gut, daß man es schon von weitem merkt, rückt einem ein Mensch auf den Balg. Außerdem ist es dort immer trocken, denn der Regen läuft leicht ab, und zwischen der Heide wächst allerlei, was zwar nicht fett macht, aber besser bekommt als der geile Klee, und nichts ist so angenehm, als in dem von der Sonne angewärmten Sande zu liegen. Außerdem treibt sich dort immer der Dorndreher umher und warnt vor allem, was Gefahr bringen könnte.

Darum nimmt der Junghase immer mehr die Gewohnheiten der alten Rammler an, liegt bei schönem Wetter auf den heidwüchsigen Hügeln, entweder nach dem Felde hin, kommt der Wind aus dem Walde, oder an der anderen Seite, pfeift der Wind zu Holze, und wenn es stark regnet, hat er schon vorher den Wald aufgesucht und sich unter einer Jungfichte seinen Pott gescharrt. Sitzt er auf seinem Sandhügel im Lager, so hebt er nur ein ganz wenig die Löffel, bricht es im Walde. Er weiß jedes Geräusch sehr genau anzusprechen und erkennt sofort, ob ein Igel dort herummurkst, oder ob ein Hase oder ein Reh heranwechselt. Ganz anders klingt es, wenn eine Waldmaus hastig über das Fallaub hüpft, oder wenn eine Amsel darin herumstochert, oder ein Maulwurf unter der Laubdecke wühlt; das klingt sehr gefährlich, aber der Hase weiß Bescheid und kümmert sich nicht darum. Aber wenn Meister Reinecke leise und vorsichtig heranschleicht, dann paßt der Hase scharf auf, ohne die Flucht zu ergreifen, und wenn der Fuchs auch ziemlich nahe ist, und mehr wie einmal ist es vorgekommen, daß der Fuchs ihm auf zwanzig Schritte gegenüberstand, ohne daß es dem Hasen einfiel, von dannen zu rennen. Auch den Bussard kennt er ganz genau und weiß, daß der ihm ebensowenig anhaben kann wie die Krähe oder der Storch, und er läßt sich durch sie nicht beim Äsen stören, selbst wenn sie ganz dicht bei ihm sind. Als Junghase war er viel mehr gefährdet als jetzt, wo er schon ein strammer Dreiläufer ist, der im Umsehen eine Menge Feld zwischen sich und den Verfolger bringen kann und die Kunst des Hakenschlagens und der Widergänge so gut beherrscht wie der älteste Rammler. Wie oft begibt es sich nicht, daß irgend so ein dummer Dorfköter auf der Spur des Hasen umhersucht und laut hechelnd auf einem Flecke in die Runde rennt, weil die Spur mit einem Male ein Ende nimmt, und dabei liegt der Hase zehn Schritte davon im Lager unter dem Winde und läßt den Hund suchen, bis es diesem langweilig wird und er abtrollt. Nur ein Hund im Dorfe versteht die Sache besser; der hält die Spur, und wenn sie aufhört, schlägt er Bogen auf Bogen, bis er sie wieder hat, und dann heißt es, aufstehen und Fersengeld geben und zusehen, daß man an den Bach oder an den Abzugsgraben kommt und den so oft nimmt, bis der Hund auf eine falsche Spur gerät.

Der Hase hat sehr viele Feinde, aber der schlimmste ist der Mensch. Je lauter sich ein Mensch benimmt, um so unverdächtiger ist er, aber je heimlicher er ist, um so mehr hat sich der Hase vor ihm zu hüten. Zum Glück hat der Hase aber auch viele Freunde, die ihn vor dem Menschen warnen. Wenn der Zaunkönig zetert oder die Graudrossel scharrt, muß man die Löffel steifhalten, und ebenso, wenn der Häher warnt oder die Amsel schimpft; auch Laubvogel und Rotkehlchen melden den Feind, und nicht minder Buntspecht und Krähe. Solange der Würger auf der krüppeligen Eiche sitzt, ist die Luft rein; sobald er aber warnt, ist irgend etwas los. Umgekehrt ist es mit den Hänflingen; solange sie singend auf den Wacholderbüschen sitzen, ist nichts zu befürchten; stieben sie aber zwitschernd ab, so heißt es, Obacht geben. Auf die Goldammer hingegen ist kein bißchen Verlaß, denn die bleibt noch am Singen, wenn der Mensch schon dicht bei ihr ist; die Elster hinwieder warnt viel zu früh, und wer sich auf sie verläßt, kommt überhaupt nicht zur Ruhe. Sehr zuverlässig sind die Rehe; solange sie sich vertraut äsen, darf der Hase das auch; heben sie aber die Köpfe auf, dann empfiehlt es sich, einen Kegel zu machen und Umschau zu halten, und flüchten sie zum Holze, so tut man gut, ihnen nachzufolgen. Auf ihr Schrecken ist dagegen weniger zu geben, denn das tun sie oft aus Mutwillen, oder wenn das Wetter umschlagen will, vorzüglich die Ricken und Kitze; schreckt der alte Bock aber, der erst dann austritt, wenn es halbe Nacht geworden ist, dann liegt ein triftiger Grund vor und man muß aufmerksam sein.

Alles das hat der Dreiläufer so nach und nach den Sommer über gelernt, und so ging es ihm gut, obwohl ihn eines Morgens der Wilddieb beinahe erwischt hätte. Der Hase hoppelte auf seinem gewohnten Wechsel zum Holze, denn der Wind stand ihm zu sehr gegen den Anberg. Als er zwanzig Schritte von dem Holzgraben war, war es ihm so, als ob sich dort etwas bewege. Schnell wurde er ganz flach und schlug einen Haken, gerade noch früh genug, daß die meisten Schrote über ihn fortpfiffen; nur eines durchschlug ihm den linken Löffel. Seidem rückte er schon vom Felde zum Holze, wenn es noch ganz grau war. Ein anderes Mal lag er ruhig in seinem Lager unter dem Heidekraut, als ein Mensch, laut pfeifend, den Fußweg entlang ging, wie es jeden Tag vorkam. Plötzlich bemerkte der Hase, daß der Mann eine auffällige Bewegung machte, und er fuhr so schnell aus dem Lager, daß der kurze, dicke, an eine Schnur angebundene Knüppel wohl das Lager, aber nicht mehr den traf, der eben darin gesessen hatte. Seidem scharrte er sich sein Lager nicht mehr so nahe bei dem Fußwege, sondern mehr oben am Hügel. Acht Tage später hatte er, weil draußen der Wind zu sehr ging, den Tag über im Walde geschlafen, und als es schon stark schummerte, rückte er zu Felde. Als er dicht vor dem Holzgraben war, sicherte er erst lange Zeit und überzeugte sich davon, daß draußen die Luft rein war, und dann setzte er über den Graben. In demselben Augenblicke merkte er, daß sich links von seinem Wechsel etwas rührte, und eiligst fuhr er wieder in das Holz hinein. Gleich darauf hoppelte eine Häsin an ihm vorüber, und kaum war sie im Felde, da blitzte und donnerte es, und dann ging ein Mensch fort. In der Nacht, als der Dreiläufer dort vorbeikam, witterte er dicht an dem Graben, daß dort einer seinesgleichen den Tod gefunden habe, er mied den Wechsel in den Klee und rückte dort in das Feld, wo der Hafer dicht an das Grabengestrüpp stieß, und dann schlüpfte er durch den Hafer, streckte nur den Kopf daraus hervor und äste sich am Rande der Kleebreite.

Solange das Getreide auf dem Felde steht, hat es der Hase überhaupt gut, findet er. Selbst wenn der Tau noch so tief geschlagen hat, bleiben die Gänge, die die Rehe getreten haben, offen, und so kann der Hase, ohne sich zu zeigen, vom Walde tief in das Feld und wieder zu Holze rücken. Es ist so schön still im Felde, daß er oft tagelang den Wald vergißt und in der Feldmark bleibt. Aber es naht ein Tag, der ihm das Feld verleidet. Laute Stimmen poltern heran, ein häßlicher Ton hebt an, der weithin schallt, und rauscht unheimlich und schrecklich. Der Hase macht, daß er fortkommt. Als er nachts über das Feld hoppelt und seinen gewohnten Steig durch die Gerste einschlagen will, ist das ganze Gerstenstück verschwunden. Vierzehn Tage später fällt der Roggen und von früh bis spät ist ein Lärm von Menschen und Pferden und Maschinen und Hunden in der Feldmark, daß es dem Hasen weder dort noch auf den Sandbergen mehr behagt und er den Wald vorzieht, trotzdem die Kartoffeln und die Rüben im Felde noch Deckung genug bieten. Einmal bleibt er noch im Felde liegen, aber die Jäger, die hinter den Hühnern her sind, verleiden es ihm völlig, und so bleibt er dem Walde und seinen Wiesen treu und rückt nur in der Mitte der Nacht zu Felde, um sich am Klee zu äsen, wo es von Tag zu Tag kahler wird. Aber auch im Walde ist es lange nicht mehr so schön wie vordem; die Äsung läßt von Woche zu Woche an Frische nach, und mehr und mehr gilben die Blätter. Und es kommt auch hier der Tag, da es dem Hasen im Holze gar nicht gefällt; der Laubriß beginnt; Tag um Tag tanzen knisternde Blätter zu Boden, wo sie der Wind fängt und dahinjagt, daß es ruscht und raschelt. Der ganze Wald ist erfüllt von vielen Geräuschen, und der Hase wird davon so dumm, daß er sich in das Feld flüchtet. Dort ist es aber erst recht laut, denn die Bauern roden die Kartoffeln, und überall wimmeln Hunde umher und schnüffeln jede Hasenspur entlang.

Eines Tages hetzt ein Jagdhund den Hasen so tief in den Wald hinein, daß der arme Lampe vor Ärger aus der anderen Seite des Waldes herausfährt und in die Heide gerät. Hier gefällt es ihm; rundum ist es still und stumm, enge Kieferndickungen stoßen an frische Kleewiesen, die in der hohen Heide liegen, eine Kette von Sandbergen, wie der Hase sie liebt, ziehen sich dahinter entlang, an deren Flanken mächtige alte Brombeerbüsche dichte Verhaue bilden, und hinter den Hügeln beginnt das weite, breite Moor, durchzogen von Dämmen und Gräben, wie geschaffen für einen Hasen, der es versteht, einen Wassergraben zu benutzen, um die Hunde von seiner Spur abzubringen. In drei Tagen hat sich der Hase eingelebt; er weiß, daß der eine Moordamm in das Wasser, die beiden rechts und links davon aber zu Querdämmen führen, daß vor dem dritten Heidberge Serradella und dahinter Spergel steht, daß an den Dämmen Himbeer- und Brombeersträucher in Menge wachsen, daß hinter dem Moore ein Hof liegt, auf dem nur ein Hund ist, der aber nie den Hof verläßt, daß die Birkhühner mit ihrem Flügelgepolter und der Raubwürger mit seinem Trillerpfiff es anzeigen, wenn der Fuchs dort umherschleicht, und daß es nicht der einzige Hase ist, der hier lebt. Denn schon an ersten Tage findet er viel frische Losung und mehrere Sassen. Und als es Abend wird, kommen auf allen Dämmen Hasen in die Wiese und nach dem Spergel und zu der Serradella angerückt, meistens Rammler, alte Burschen, die mit allen Hunden gehetzt sind. In der Dämmerung äsen sie sich vor dem Moore, aber nachts rücken sie in den Wald und von da nach dem Felde, teils des Klees, teils der Setzhasen wegen; doch bevor es im Osten hell wird, machen sie alle, daß sie wieder in ihr Moor kommen.

Der Dreiläufer lernt ihnen alle ihre Schliche ab, und er steht sich gut dabei, denn wie im Felde die Jäger mit ihren Hunden hinter den Hasen herumsuchen und es in einem fort knallt, da bleibt es ganz still im Moore, und ungestört können die Heidhasen ihre Tage verbringen, bei schönem Wetter den Tag im weißen Sand oder braunen Torfmull, geschützt von den dornigen Ranken der Brombeeren, verträumen, an nassen Tagen sich in den Kieferndickungen bergend, die so dicht sind, daß der Regen nicht bis zum Boden durchschlägt. Zwar kommt, als der erste Schnee fällt, der Jagdpächter auf den Gedanken, das Moor und die Dickungen treiben zu lassen, aber es lohnt sich nicht; die vielen Torfstiche und Abzugsgräben im Moore verhindern die Bildung einer geschlossenen Treiberwehr, so daß die meisten Hasen unbeschossen davonkommen, und aus den engen Kieferndickungen sind die Hasen mit Gewalt nicht herauszubringen, und die Treiber murren, als sie zum zweiten Male treiben sollen, denn bis unter die Arme hat sie der tauende Schneebehang durchweicht. So haben die Moorhasen denn den ganzen Winter über Ruhe, und selbst bei hohem Schneefall bietet ihnen die lange Heide und allerlei Weichholz genügend und bessere Äsung als die Feldmark, wo die Feldhasen sich am gefrorenen Futterkohl verderben und elend eingehen. Auch die Moorhasen rücken fast allnächtlich zu Felde, aber sie trauen sich nicht bis vor das Dorf, denn sie sind die menschliche Witterung so wenig mehr gewöhnt, daß sie vor jeder frischen Menschenspur zurückprallen. Aber die Landstraße, die vor dem Dorfe herführt, ist mit Obstbäumen besetzt, die jetzt ausgeästet werden, und das im den Gräben liegende Astwerk ist es, das die Moorhasen in die Feldmark zieht, und säuerlich nagen sie alle Knospen und jedes Fetzchen Rinde von den Zweigen, und bei ihrer mageren Äsung werden sie ebenso feist wie die Feldhasen.

Wie der Januar zu Ende geht, das ist es aber noch etwas anderes, das die Moorhasen in die Feldmark treibt. Fast alle die Hasen, die im Moore leben, sind Rammler, und Ende Januar erwacht ungestüm in ihnen die Liebe wieder, die erst im Herbste aufhört. Und das ist gut; denn wäre es nicht so, und setzte die Häsin nur einmal im Jahre und nicht drei- oder gar viermal, kein Hase lebte mehr auf der Welt, denn seiner Feinde sind allzu viele, weil sein Wildbret zu fein ist.

 


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