Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Der Kranich

Der Lenzmond hatte den ersten der sieben Sommertage in das Land geschickt, zu denen er nach uralter Volksweisheit verpflichtet ist, einen Tag in Blau und Gold.

Der kahle Wald war erfüllt von Finkenschlag, überall tanzten gelbe Falter, und die Menschen, froh, endlich einmal die schweren Kleider ablegen zu dürfen, entsetzten sich über das viele schwirrende und flirrende Geziefer, das die heiße Sonne aus Mulm und Moos hervorlockte, und das nun über allen Wegen blitzte.

Es war ein so schöner Tag, daß die Menschen, besonders das junge Volk, gar nicht genug davon bekommen konnten und ihn bis zum letzten Ende auskosteten, und es war in den Anlagen ein lautes Lachen und Singen und noch viel mehr heimliches Tuscheln und Flüstern, bis von daher, wo die Sterne aus dem tiefblauen Himmel lustig hinabblinzelten, seltsame Fanfarenklänge erschallten, herrische und doch sehnsüchtige Laute, rauh in ihrem Haupttone, aber voll weichen Unterklanges.

Tausende von Augen richteten sich von den Straßen und Gassen der großen Stadt dahin, wo die unsichtbaren Rufer flogen, aber nur ganz wenig Menschen wußten die seltsamen Stimmen zu deuten. »Die Schneegänse ziehen,« meint der eine; für Reiher sprach sie ein anderer an, und ein dritter gar für Störche. In den Dörfern aber, wo die Leute ihre Augen mehr zum Sehen als zum Lesen gebrauchen, sagten die Leute, die die Stimmen vernahmen: »Nun wird es Frühling, die Kronen ziehen,« und gar in einem Dorfe am Rande des riesenhaften Moores lachte das junge Volk, als in sein Lachen und Quieken vom Himmel her die Drommetenklänge herunterschallten, und sagte: »Unsere Musikanten kommen wieder.«

Denn von altersgrauen Zeiten her bestand zwischen den Kranichen und den Leuten aus Meggendorf ein Zusammenhang. Die drei ältesten Bauerngeschlechter des Dorfes heißen Krohn und führen den Kranich als Wappen in den bunten Fenstern zwischen Flett und Dönze, und nach einer halb verblaßten Sage haben die Kraniche einst in Kriegslasten das Dorf vor Blut und Brunst bewahrt, indem ein Trupp Fußvolk, das auf das Dorf loszog, das Trompeten der Kraniche für feindliche Signale hielt und schleunigst kehrtmachte. Deswegen und weil die drei Vollmeier von den Kronshöfen das so wollen, halten die Meggendorfer Bauern viel auf ihre Kraniche, und in dem Jagdpachtvertrag heißt es: »Die Kraniche sind zu schonen bei dreißig Taler Strafe.«

Ehedem brüten mehrere Paare der stolzen Vögel auf dem Moore und in den großen Brüchen an seinem Rande; mit der Zeit aber blieben nur zwei davon übrig, und wenn sie auch Jahr für Jahr ungestört ihre Brüten aufbringen, es werden nicht mehr, denn es gibt überall auf der Welt Menschen, die sich Jäger nennen, obzwar sie diesen Namen nicht verdienen, weil es elende Schießer sind, die auf alles Dampf machen, was groß und schön ist, ganz gleich, ob es eßbar ist oder nicht, und ob es harmlos ist oder sich an jagdbarem Getiere vergreift, und darum, und weil viele Moore und Brücher im Vaterlande trockengelegt und zu Wiesen und Weiden gemacht oder aufgeforstet sind, starb der edle Recke in vielen Strichen aus und preist nicht mehr allmorgendlich die Sonne mit frohem Trompetenschall.

Im Meggenmoore aber wird die Sonne noch so empfangen, wie es sich gebührt. Sobald sie hinter der wilden Wohld heraufsteigt, drehen sich die Kraniche nach ihr hin, breiten die gewaltigen Fittiche aus, verbeugen sich und rufen ihr entgegen, daß es weithin klirrt und für eine Weile das Getrommel der Birkhähne und das Gemecker der Himmelsziegen unterdrückt, das bis dahin das ganze weite, breite Moor erfüllte mit dumpfen und hellen, tiefen und hohen Lauten, und sogar der Weidruf des Schreiadlers und der Balzschrei der Weihe muß hinter dem Sonnengruße der Kraniche zurückstehen. Sobald das große Gestirn aber voll am Himmel steht, schweigen seine getreuen Herolde. Eine Weile stehen sie da, den Hals langgereckt, und spähen aus uralt ererbter Gewohnheit über das Moor, ob nicht ein feindliches Wesen sich nahe, und dann, wenn sie sich sicher fühlen, werden sie wieder kurz, ordnen sorgsam ihr vornehmes Federkleid und schleichen dann zwischen den Birkenbüschen umher, um nach Nahrung zu suchen, zupfen hier, zerren dort, nehmen da eine Knospe auf, da ein Blättchen, weiterhin einen Käfer oder einen Moorfrosch, haschen auch die Waldmaus und schnappen eine dicke Fliege weg, pflücken Gewürm aus den Torfmoospolstern, fischen Larven aus den Gräben, picken die vorjährigen Moorbeeren aus dem Fallaube, schlucken auch absichtlich manch Sternchen hinab, das auf dem Bewurf der Dämme glitzert, vergessen aber derweilen nie, alle Augenblicke den Hals emporzuschnellen und umherzuspähen. Endlich haben sie den größten Hunger gestillt. Die Henne zieht an ihrem Gefieder herum und läßt sich zugleich von der Sonne bescheinen, und der Hahn sieht ihr dabei zu. Ganz plötzlich überkommt es ihn, daß er eine Verbeugung nach der anderen machen muß, und dann trompetet er, aber ganz anders als vorhin, sucht sich ein Holzstückchen, wirft es empor, fängt es wieder auf, treibt dieses Spiel eine ganze Weile, rennt dann nach einem Tümpel, schleudert mit dem Schnabel Wasser heraus, daß es spritzt und blitzt, wird lang und dünn wie ein Pfahl und im nächsten Augenblicke kurz und dick, denn er plustert sein Gefieder ganz protzig auf, und dann läuft er wie besessen in seltsamem, schaukelndem Gange dahin, schüttelt die Schwingen, daß es rauscht und rappelt, hopst hoch empor, schlägt mit den Flügeln, trompetet immer gellender und treibt so Possen über Possen, eine lächerlicher als die andere, aber nur für die nicht, der alle diese schönen Künste gelten. Sobald er aber versucht, sich dem Weibchen zu nähern, huscht es zwischen die Büsche oder nimmt sich auf und streicht ein Ende weiter, bis sie dem verliebten Männchen seinen Willen doch lassen muß. Dann aber ordnen beide ihr Gefieder, ruhen eine Zeit im Schatten des Birkengebüsches, bis sie gegen Abend wieder auf Nahrungssuche ausgehen, und wenn die Sonne sich verabschiedet, rufen sie ihr einen hellen Gutenachtgruß nach.

Dieses gemütliche und vergnügte Leben dauert so anderthalb Monate lang; dann aber wird das Weibchen immer heimlicher und das Männchen desgleichen, nur daß es, wie zuvor, allmorgendlich und jeden Abend der Sonne seine Verehrung bezeigt. Auch sieht man die beiden Vögel wohl hier und da auf den Moorwiesen umherstelzen, besonders morgens und gegen Abend, aber über Mittag sind sie verschwunden. Dann sind sie dahin geschlichen, wo der Moorbach sich staut, wo er in unzähligen Jahren den feinen, schwarzen, butterweichen Schlamm absetzte, wo wirres Weidengestrüpp und Ellerngehölz sich aus dem übermannshohen Schlamme und dem faulen Wasser erheben, durchfilzt mit Schilf, Seggen und anderem Gekraut, wo kein Mensch hingelangen kann, ohne zu versinken in dem haltlosen Schmorboden, den das Schweinsohr und der Wassernabel mit trügerischen Teppichen bedecken. Dort, zwischen den dichtesten Weidengebüschen, mitten im Wasser, aber auf einem hohen, halbverrotteten, von Moos überzogenen Wurzelstock einer verfaulten Eller, den die hohen gelben Wedel des Königsfarns und die Porstbüsche gänzlich verdecken, haben die Kraniche einen hohen Haufen von Reisern aufgeschichtet und ihn mit dürrem Gekraute, Schilfstengeln und den Blättern des Riesenampfers bedeckt und die Mulde säuberlich mit weichem Grase gepolstert, und darauf sitzt das Weibchen und wartet, daß die Jungen aus den beiden großen, bräunlichgrünen, braun und grau gefleckten Eiern ausschliefen.

Ende Mai ist das der Fall, und putzige Geschöpfe sind es, die daraus zum Vorschein kommen, jungen Straußen ähnlich, mit ihren langen Hälsen, dicken Beinen und kurzen Schnäbeln, und ihre piepsende Stimme hat so gar keine Ähnlichkeit mit dem stolzen Rufe der Alten. Die sind nun doppelt und dreifach so vorsichtig wie bisher. Während das eine den Kleinen beibringt, wie man Würmer und Schnecken findet, und was gut zu fressen ist, und was übel schmeckt und schlecht bekommt, hält das andere treulich Wacht und duldet es nicht, daß auch nur eine harmlose Ralle oder eine Ente sich in die Nähe wagt, sondern treibt sie sofort in der gröblichsten Weise von dannen, und selbst der Fuchs, der hier ab zu zu umherschleicht, zieht es schnell vor, sein Heil in der Flucht zu suchen, denn sonst setzt es die unangenehmsten Schnabelstöße, und dem Otter geht es nicht anders. Seitdem der Uhu im Moore verschwunden ist, haben die Kraniche keinen Feind mehr, und so bringen beide Paare ihre Bruten stets gut auf und lehren sie, daß hier zu Lande nur der Mensch ihr Feind ist, und daß sie sich vor ihm zu hüten haben auf tausend Schritte und mehr.

Ist das Moor dann abgeblüht, werden die Nachtnebel schon kühl, dann verlassen die Kraniche ihr Moor. Auf Plätzen, die seit ewigen Zeiten ihnen bekannt sind, finden sie sich mit den Kranichen aus anderen Gegenden zusammen, aus den kleinen Trupps werden Flüge und aus den Flügen Scharen, bis sich ein ganzes Heer zusammengeschlagen hat, das einige Zeit in einem Bruche, auf einem Moore, in einer Marsch sich aufhält und sich für die weite Reise stärkt, bis eines Abends der Drang zum Süden zu mächtig in ihnen wird und sie unter lautem Trompeten, das weithin schallt, sich unter die Wolken schwingen, sich dort zu einem ungeheuren Keile ordnen und, ab und zu rufend, die Fahrt nach dem Südlande antreten, nach den Ländern jenseits des Mittelmeers bis mitten in das Land der braunen und schwarzen Menschen hinein, wo die Lüfte weicher, die Würmer fetter und die Knospen dicker sind als im Moore von Meggendorf.

Wenn aber das Wollgras graue Kätzchen aus den Blüten schiebt, die Porstbüsche sich röter färben, die Birkhähne trommeln und die Himmelsziegen meckern, dann klingt es eines schönen Abends aus der Höhe herab auf das Dorf hinunter, und das junge Volk, das sich des Frühlings freut, lacht und sagt: »Unsere Musikanten sind wieder da.«

 


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